Bauwerk

Casa da Musica
OMA - Porto (P) - 2004
Casa da Musica, Foto: Christian Richters / ARTUR IMAGES
Casa da Musica, Foto: Christian Richters / ARTUR IMAGES

Klangkristall aus Beton

Die Casa da Música von Rem Koolhaas in Porto

Mit einem Konzert von Lou Reed wird heute Abend die Casa da Música in Porto eröffnet. Der Rotterdamer Architekt Rem Koolhaas hat zusammen mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) ein kompaktes, polygonales Volumen entworfen, das in seinem Herzen zwei grosse Konzertsäle birgt.

14. April 2005 - Hubertus Adam
Neben die Museen sind in den vergangenen Jahren die Konzertsäle, Opernhäuser und Theater als Leitgattung der Architektur getreten. Bauten wie Jean Nouvels Kultur- und Kongresszentrum in Luzern und Rafael Moneos Kursaal in San Sebastián, Renzo Pianos Auditorium in Rom, Norman Fosters Musikzentrum in Gateshead oder Frank O. Gehrys Walt Disney Hall in Los Angeles erlangten weithin Beachtung. Konzerthäuser haben derzeit Konjunktur; nicht ohne Grund widmete Kurt Forster, der Leiter der letztjährigen Architekturbiennale, den wichtigsten zeitgenössischen Bauten und Projekten für Musikveranstaltungen eine Sonderschau in Venedig.

Städtebauliche Transformation

Nun ist auch das Konzerthaus in Porto vollendet, das sich wie ein Meteorit an der Rotunda da Boavista nordwestlich der Altstadt in den Boden gebohrt hat. Casa da Música heisst das Gebäude offiziell, und der recht allgemein klingende Name deutet auf eine flexible Nutzbarkeit, die mit dem Raumprogramm intendiert wurde. So wird die Casa da Música zwar vom Orquestre Nacional do Porto als dessen Hauptspielstätte genutzt, ist aber kein ausschliesslich der klassischen Musik vorbehaltenes Haus. Rock- und Pop-Veranstaltungen finden hier genauso statt wie Jazz Sessions oder experimentelle Konzerte mit elektronischer Musik.

In einem Wettbewerb unter fünf Architektenteams konnten sich Rem Koolhaas und sein Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) mit dem Vorschlag durchsetzen, die unterschiedlichen Nutzungsbereiche nicht nebeneinander zu stellen, sondern in einem kompakten Volumen zu bündeln. Ein gewaltiger polygonaler Kristall aus weissem Beton erhebt sich an der Rotunda da Boavista, die nach der Revolution von 1974 als Ort eines neuen Geschäftszentrums vorgesehen war. Daraus wurde indes nichts, und so startete die Stadt 1999 mit dem Architekturwettbewerb für die Casa da Música den neuerlichen Versuch, einen bisher wenig repräsentativen Teil der Stadt aufzuwerten. Inzwischen ist die Transformation des Quartiers im Gange, doch der hemmungslose Umgang der vor wenigen Jahren installierten konservativen Stadtregierung mit der alten Bausubstanz ringsum stimmt bedenklich: Wo einst einfache vorstädtische Wohnquartiere standen, wachsen in Zukunft ungeschlachte Investorenbauten aus dem Boden. Und trotz seiner exponierten Lage am Park der Rotunda da Boavista wird der Solitär der Casa da Música zukünftig von Norden und Westen durch spiegelglasverkleidete Bankpaläste in die Zange genommen. Dies ist umso betrüblicher, als Rem Koolhaas mit seinem Konzept die Öffnung des Konzerthauses zur Stadt anstrebt.

Kern und Hülle

Schon zu Beginn der Planung stand fest, dass der grosse Konzertsaal mit 1300 Plätzen dem Prinzip der Schuhschachtel folgen sollte, das in klassischer Form im Wiener Musikvereinssaal, im Concertgebouw Amsterdam oder in der Boston Symphony Hall ausgeprägt ist. Nahezu im rechten Winkel dazu stellte Koolhaas auf eine höhere Ebene das kleinere Auditorium und umgab diese beiden Grundelemente mit einer Hülle aus weissem Beton, die seitlich sowie über und unter den beiden Sälen unterschiedlich zugeschnittene Raumbereiche entstehen lässt, welche die übrigen Funktionen aufnehmen. Ursprünglich sei die Grundidee des Gebäudes für ein Einfamilienhaus in Holland entwickelt worden, behauptet der sich gern eines ultrapragmatischen Gestus befleissigende Architekt - «Copy and Paste. How to turn a Dutch house into a Portuguese concert hall in under 2 weeks» heisst das entsprechende Kapitel in Koolhaas' vor zwei Jahren erschienenem Bestseller «Content».

Angesichts früherer Projekte des Niederländers mag die Konzerthalle von Porto zunächst überraschen. Der nicht realisierte Entwurf für das Zentrum für Kunst- und Medientechnologie in Karlsruhe bestand aus einer Stapelung verschiedener Raumbereiche in einem gläsernen Turm. In Porto nun wendete Koolhaas der Hüllform selbst eine Aufmerksamkeit zu, wie man sie von ihm bisher nicht erwartet hat. Die eigentlich orthogonalen Boxen der Konzertsäle sind mit einer kristallinen Schale umgeben, welche dem Volumen jene einprägsame Gestalt verleihen, die für ein «Landmark Building» erwünscht ist. Man mag an die kristallinen Visionen der expressionistischen Architekten denken, und natürlich erinnert der Bau mit seinen facettierten Flächen auch entfernt an Hans Scharouns Berliner Philharmonie - auch wenn er im Inneren gerade das antithetische Organisationsprinzip verfolgt.

Besteht also zunächst ein gewisser Widerspruch zwischen der boxartigen Form der Säle und dem polygonalen Körper, so ist es dem Architekten gelungen, aus dieser Disposition räumlich Kapital zu schlagen. Über eine breite Freitreppe betritt man die Casa da Música von der Südseite aus und gelangt in eine ausgedehnte Foyer-Zone. Über Treppenkaskaden und Podeste wird der Blick in die Höhe gerissen, nach links führen die Stufen hinauf zum oberen Eingang des Konzertsaals. Dieser ist gleichsam in westöstlicher Richtung durch das Gebäude hindurchgesteckt und bestimmt somit dessen Längsausdehnung. Anders als in den klassischen Sälen entschied man sich hier für eine leicht ansteigende Anordnung der Sitzreihen, mit der jenseits des Podiums die erhöhten Sitzplätze für den Chor korrespondieren. Noch ungewöhnlicher aber sind die riesigen Glasfronten, mit denen sich der Saal auf den Stirnseiten Richtung Stadt hin öffnet. Sitzt man im Konzertsaal, so fällt der Blick durch die - aus akustischen Gründen - gewellte Glasfläche im Osten auf die Rotunda da Boavista. Die schmalen Räume zwischen den Glasfronten des Konzertsaals und der äusseren Verglasung zur Stadt hin dienen zudem als attraktive Foyers; auf der Rückseite wurde überdies auf halber Höhe des Fensters eine attraktive Bar eingerichtet, die Blicke in den Konzertsaal und auf die Umgebung bis hin zum Atlantik gleichermassen ermöglicht.

Klangliche Transparenz

Auf eine wartungs- und kostenintensive Lösung, wie sie von dem amerikanischen Büro Artek mit den Echokammern für Luzern entwickelt wurde, haben die Akustiker von TNO Eindhoven in Porto verzichtet. Ziel war ein Klangbild, wie man es von den orthogonalen Sälen des 19. Jahrhunderts gewohnt ist, das aber etwas mehr an klanglicher Transparenz ermöglicht. Modifikationen lassen sich durch ein verstellbares, mit Gas gefülltes Element erzielen, das wie ein Baldachin über dem Orchester hängt - und durch jeweils drei Vorhänge, die vor den Glasfronten abgehängt werden können. Die Designerin Petra Blaisse vom Amsterdamer Atelier Inside Outside entwarf Textilien ganz unterschiedlicher Qualität und Materialität: geknüpfte Tücher, die auf einem Netz aufgezogen wurden, aber auch schwere Stoffe, die partiell perforiert sind. Die Seitenwände und Decken des Grossen Saals wurden mit Holzplatten versehen, auf welche ein grossflächig verpixeltes Maserungsmuster in Gold aufgetragen ist. Formschön und funktional sind die klaren orthogonalen, beige-ocker bezogenen Stühle mit ihren nach vorne ausfahrbaren Sitzflächen; sie wurden von dem erst vor wenigen Wochen verstorbenen Designer Maarten van Severen speziell für das Konzerthaus entworfen.

Neben dem kleinen, rot ausgekleideten Konzertsaal, dessen eine Glasfront sich zur Seite des Grossen Saals hin öffnet, birgt die spannungsvoll- labyrinthisch organisierte Hülle der Casa da Música noch andere Räume. Zum Beispiel einen mit Podesten versehenen Saal für experimentelle Konzerte oder für Vorträge oder diverse Foyers, die mit Fliesen ausgekleidet sind und damit portugiesische Traditionen zitieren. Für die VIP- Lounge wählte Koolhaas sogar figürliche Azulejos. Schliesslich befindet sich über dem Grossen Saal ein opulentes Restaurant, das mit einer in die Dachfläche eingeschnittenen Terrasse aufwartet. Die Garderoben und Probenräume für die Musiker, aber auch die Tonstudios und die technischen Bereiche sind hingegen im Sockel angeordnet. Kurz: Porto hat ein vielfältig nutzbares Haus für die Musik erhalten. Seine Qualität besteht nicht zuletzt darin, dass sämtliche Konzertsäle und Musikbereiche voneinander und von den Foyers akustisch abgeschirmt sind, so dass sie gleichzeitig bespielt werden können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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