Bauwerk

Neuapostolische Kirche
smarch - Zuchwil (CH) - 2005

Fest und flüssig

Ein skulpturaler Kirchenneubau in Zuchwil

Ein markanter Betonbau erhebt sich seit jüngstem unweit des Bahnhofs Solothurn. Es handelt sich dabei um die neuapostolische Kirche von Zuchwil des Berner Büros Smarch von Beat Mathys und Ursula Stücheli. Den jungen Architekten ist es gelungen, trotz bescheidenem Budget eine eindrucksvolle Form für einen Sakralraum zu finden.

11. Oktober 2005 - Hubertus Adam
Nur selten erhalten heute Architekten die Möglichkeit, eine Kirche zu bauen. In früheren Jahrhunderten gab es Baumeister, die fast nur Gotteshäuser bauten. Diese Tradition setzten Architekten wie Dominikus Böhm, Otto Bartning oder Emil Steffann nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Seit den sechziger Jahren entstanden auch in den schnell wachsenden Schweizer Agglomerationen vorbildliche Kirchenbauten nach Entwürfen von Walter M. Förderer, Franz Füegg, Ernst Gisel oder Ernst Studer. Wenn hierzulande heute Gotteshäuser errichtet werden, so zumeist als Ersatz für zerstörte Gebäude (wie die Kapellen von Mario Botta in Mogno und Peter Zumthor in Sumvitg) oder als konfessionell nicht determinierte Bauten wie etwa der «Ort der Besinnung» des Architekturbüros Guignard & Saner an der Gotthardautobahn im Kanton Uri.

Trotz dem Rückgang konfessioneller Bindung, der neuerdings die grossen Amtskirchen in Deutschland zum Verkauf oder sogar zum Abriss ihrer Liegenschaften zwingt, kann man nur bedingt von einer wachsenden Religionsferne sprechen. Vielmehr sucht sich das Bedürfnis nach Spiritualität neue Formen, und sei es ein Massenevent wie der Weltjugendtag in Köln. Folgerichtig sind religiöse Gemeinschaften, die zu den Amtskirchen auf Distanz gegangen sind, von Austritten kaum betroffen. Das gilt auch für die grösste freikirchliche Gemeinschaft in der Schweiz, die Neuapostolische Kirche, die in Zuchwil bei Solothurn gerade ein neues, aufsehenerregendes Kirchengebäude weihen konnte.

Wenn man vom Bahnhof Solothurn in Richtung Südosten geht, erreicht man die Nachbargemeinde Zuchwil und das ungewöhnliche Bauwerk schon nach wenigen Schritten. Die Gegend erweist sich als disparat, alles andere als attraktiv: Bahngeleise und Strassen, Gewerbeflächen, vorstädtische Wohnbauten - eine Situation, die kaum Inspiration vermittelt. Und so suchte das Berner Architekturbüro Smarch von Beat Mathys und Ursula Stücheli auch nicht krampfhaft nach Kontextualität, sondern entwarf eine markante, bildhafte Form aus Beton. Das parallel zur Strasse über einer Geländesenke errichtete Volumen wirkt skulptural und lässt vielfache Assoziationen zu. Vor allem mit einem Wal oder einem Fisch vergleichen die Passanten die Kirche.

«Hand in Hand»

Doch der Ausgangspunkt der Architekten war ein anderer: «Hand in Hand» hiess das Projekt, mit dem das Büro Smarch im Herbst 2002 den Wettbewerb gewann. Erste Entwürfe von Beat Mathys zeigen zwei in schützender Geste zusammengeführte Hände. Dieser Grundgedanke wurde in eine Betonstruktur übersetzt. Die auskragende Plattform des Kirchensaals schwingt hinter dem Altar in die indirekt von oben beleuchtete Rückwand ein - eine Bewegung, die von der geschwungenen Decke aufgegriffen wird. Zum Eingang im Osten hin senkt sich die Decke: Die nach hinten ansteigende Ebene der Sitzreihen, vom Zugang in den Saal durchbrochen, und das Gewölbe nähern sich einander an, so dass sich ein mit schmalen Fenstern versehenes Vordach über dem verglasten Eingangsbereich ergibt. Von aussen kann man durch die Vorhalle hindurch entlang der Mittelachse bis zum Altar sehen.

Der Kirchenraum selbst ist als bergendes Gefäss konzipiert, in das man gleichsam durch den Flaschenhals eintritt. Zum Altar hin weitet sich der Raum - und hier, im liturgischen Zentrum, fällt von oben indirektes Licht in das Innere. Dessen stets sich verändernde Intensität moduliert die hell erstrahlende Betonwand; besonders reizvoll ist die Oberfläche in der Kehle zwischen Boden und Altarwand. Aufsteigende Luftbläschen haben innerhalb der Schalung mit einem unfreiwilligen Muster ihre Spuren im noch feuchten Beton hinterlassen. Dieser «Bauschaden» war den Architekten hochwillkommen, weil die Muster in spröder Schönheit letztlich die dem Beton innewohnenden Kräfte offenbaren. Sie zeigen die Erstarrung einer geschmeidigen Masse, sie zeigen, wie Flüssiges fest, Weiches hart wird. Diese Ambivalenz ist grundlegend für die Form der Kirche, und Mathys und Stücheli variieren das Thema an den Seitenwänden aus Waschbeton. Indem der Beton innen und aussen abgespritzt wurde, tritt die Geröllmasse der Steine deutlich zutage. Gebäudeform und Oberfläche tragen nicht zuletzt zu einer hervorragenden Akustik bei.

Der Entwurf von Smarch überzeugt nicht nur in der Grossform, sondern auch durch die Organisation der einzelnen Räume. Zwischen Foyer und eigentlichem Kirchensaal finden sich Aufenthaltsbereiche, seitlich gelangt man über eine Treppe auf das tiefer gelegte Bodenniveau. Hier im Sockel befinden sich Versorgungsräume und ein Unterrichtszimmer. Durch die Glasscheiben fällt der Blick auf die Autos, die von den Besuchern, welche zum Teil längere Anfahrtswege haben, unterhalb der Kirche parkiert werden. Über den Parkplätzen scheint das Bauvolumen auf einer winkelförmigen Stütze gleichsam zu schweben.

Bewegung und Innehalten

Wie auch in ihren anderen Bauten, dem Regionalbahnhof in Worb und der kurz vor der Fertigstellung stehenden «Welle» der neuen Passerelle des Hauptbahnhofs Bern, operierten hier Mathys und Stücheli mit einer von Dynamik und Bewegung geprägten Architektur, die dem Schweizer Baugeschehen neue Wege weist, die bei der neuen Kirche von Zuchwil den Gläubigen aber auch das Innehalten ermöglicht. Hier zeigen sie nicht zuletzt, wie viel an räumlichen Ideen mit einem bescheidenen Budget von 3,5 Millionen Franken umgesetzt werden kann. Dass dabei manches Detail nicht den sonst üblichen helvetischen Perfektionsgrad erreicht, ist verständlich. Eine gewisse Sprödheit indes mag man in dieser Umgebung durchaus begrüssen. Elaborierte Präzision wäre eher deplaciert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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