Bauwerk

Wiener LernZentrum
ss|plus architektur - Wien (A) - 2005

Klasse ist überall

Mithilfe engagierter Eltern, Pädagogen, Planer und Sponsoren wurde aus einem Ensemble alter Industriehallen in Wien eine außergewöhnliche Oberstufenschule. Sie versteht sich allerdings lieber als Lernzentrum.

29. Oktober 2005 - Ute Woltron
Als die Architekten Cornelia Schindler und Rudolf Szedenik auf den Plan gerufen wurden, stand das Projekt gewissermaßen konkret in seinen Umrissen fest. Diese Umrisse waren: drei alte Industriehallen im 14. Wiener Gemeindebezirk aus den unterschiedlichsten Epochen, ergänzt durch Ein- und Zubauten aus allen Zeiten. Leerstehend.

In diese Hallen, das hatte das Kollektiv einer außergewöhnlichen „Oberstufenschule“ beschlossen, werde man einziehen, um rund 100 Jugendliche auf die Externistenmatura vorzubereiten. Die „W@lz“, gegründet 1999, versteht sich als „Lernzentrum“. Unterrichtet - oder vielmehr gelehrt wird projektbezogen und beileibe nicht nur innerhalb des Schulgebäudes.

Gemeinsam mit den Mentoren, die anderswo Klassenvorstand heißen, und mit der Leiterin und Gründerin der W@alz, Renate Chorherr, wurde im ersten Schritt ein präzises Raumprogramm für das Schulhaus als Zentrum aller Aktivitäten ausgearbeitet, dessen Umsetzung möglichst kostenschonend erfolgen sollte - denn das Geld war ausgesprochen knapp.

Sobald sich diese Inhalte zu den Umrissen gesellt hatten, wurde entworfen. „Unser oberstes Kriterium“, so Szedenik „war es, den historischen Bestand so wenig wie möglich zu verändern.“ Alle Einbauten sollten als solche spürbar und damit auch die Volumina der Hallen weiterhin erlebbar bleiben.

Der Entwurf der Architekten durchwanderte also Hüllen und Umrisse, fügte nur die notwendigsten Einbauten hinzu und nutzte zugleich auch alle Zubauten, die im Laufe der Jahre eher achtlos hier entstanden waren. Szedenik und Schindler ließen etwa die schönste und älteste der drei Hallen so gut wie unangetastet: Dieser Bauteil war Ende des 19. Jahrhunderts im für die damalige Zeit typischen Backstein-Industrie-Stil entstanden und stellt heute eine fast zwölf Meter hohe, schön angealterte Räumlichkeit dar, die sich vorzüglich für Theaterinszenierungen und andere Festivitäten eignet.

In der angeschlossenen, nur um weniges jüngeren Halle, die ihrerseits in einen nicht sehr attraktiven 60er-Jahre Bau mündet, sollte das eigentliche Zentrum der Schule, also die „Klassen“ und andere Unterrichtsräume untergebracht werden.

Diverse Entwürfe, so die Architekten, scheiterten schlichtweg an den Herstellungskosten. Erst als die Bundesforste mittels großzügigen Sponsorings das Baumaterial - selbstverständlich Holz - zur Verfügung stellten, konkretisierte sich der Entwurf und wurde plötzlich locker, weich, fließend und in sich logisch.

Durch die hohen Räume ziehen sich nun Galerien und Stiegen, alles ist rund um einen kommunikationsfreundlichen Hauptraum angeordnet, der den Blick auf die Dachkonstruktion frei lässt und von oben tagesbelichtet ist. Trotz der Großzügigkeit und Übersichtlichkeit ist die Halle gut ausgenutzt: An den Wandseiten sind viele Räume unterschiedlichster Größe auf unterschiedlichen Niveaus angeordnet.

Sie dienen zum Teil als „Stammklassen“ oder „Heimräume“ für die einzelnen Jahrgänge, doch die Jugendlichen können sich je nach Bedarf auch allein oder in Gruppen in kleinere und mittelgroße Arbeitsräume sowie in die Computerräume zurückziehen, um dort in Ruhe an ihren jeweiligen Projekten zu feilen. Auch jeder der fünf Mentoren verfügt über einen eigenen Arbeitsraum, um sich vorbereiten oder Gespräche führen zu können. Die Pausenräume sind mit gemütlichen, zusammengeschnorrten Sofas ausgestattet. Pausenglocke gibt es in der W@lz übrigens keine: Wer zu spät kommt, hat sein eigenes Zeitmanagement noch nicht im Griff und lernt es eben über den Peinlichkeitseffekt.

Dank des geringen Gewichts des gesponserten Baumaterials musste die Statik des Bestandes nicht verändert werden, was wieder Kosten sparte. Szedenik: „Wir haben die neuen Elemente wie ein Kartenhaus in der vorhandenen Hülle aufgebaut.“ Fehlte noch ein Speisesaal. Der kam in das Kellergeschoß der letzten Halle aus den 60er-Jahren, das zum Glück wegen eines Geländesprungs Erdgeschoßqualität hat und noch dazu mit den Vorzügen eines sonnig-luftigen Vorplatzes aufwarten kann.

Damit auch alle Ecken und Winkel des Ensembles ausgenutzt wurden, adaptierten die Architekten zu guter Letzt auch noch den ehemaligen Speiseraum des Industrie-Ensembles zu einer Kunstwerkstatt, die ihrem Namen gerecht wird: Hier kann getrost gehobelt, geknetet, Kunst und Dreck gemacht werden.

Seit knapp zwei Monaten ist das Lernzentrum nun in Betrieb. Eröffnet wurde naturgemäß mit einem Fest, um den kollektiven Kraftakt zu würdigen. Einer der Hauptkoordinatoren und -motoren des Projekts W@lz war Christoph Chorherr (Grüne), der sich nebenberuflich monatelang um Sponsoring, Verträge - etwa mit dem sehr unterstützend agierenden Liegenschaftseigentümer, dem Wiener Wirtschaftsförderungsfonds - und Baumaterialauftreibung befasste. Die Architekten, deren Tochter die W@alz seit vier Jahren besucht, arbeiteten ebenfalls unentgeltlich, und auch das Wiener Ingenieurbüro Vasko+Partner stellte statische Berechnungen und Bauleitung gratis zur Verfügung.

Das Vasko-Team entwickelte mit der Zeit sogar außergewöhnliche Qualitäten im Aufspüren wiederverwertbarer Bauelemente: Es organisierte etwa aus anderen Sanierungsprojekten einen Großteil der Beleuchtungskörper, die andernorts weggeworfen wurden, hier aber hochwillkommen waren. Der Mann der W@lz-Köchin betätigte sich wiederum als Tischler und baute alle neuen Türstöcke, andere Eltern taten das ihre, und wenn es nur Putzarbeiten waren.

„Das Ganze ist eine faszinierende Geschichte“, meint Szedenik nun, da das Werk vorerst abgeschlossen ist, „und man muss schon sagen, dass es von Beginn an von einer wunderbaren Naivität getragen war, sonst hätte man sich das wohl nicht angetan.“ Die Baukosten betrugen insgesamt 800.000 Euro, für Szedenik „ein Scherz für ein Projekt dieser Größe“.

Abschließend ein paar Bemerkungen zum Lernzentrum selbst: Die W@lz ist eine private Organisation, das Schulgeld beträgt 408 Euro pro Monat, neben den Mentoren gibt es gut vier Dutzend Personen, die Projektarbeit leisten. Auf der Walz sind die Lehrlinge, deshalb wird viel gereist, denn das Klassenzimmer ist letztlich die ganze Welt.

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