Bauwerk

Science Center Phæno
Zaha Hadid Architects, Mayer Bährle - Wolfsburg (D) - 2005
Science Center Phæno, Foto: Martin Foddanu / ARTUR IMAGES
Science Center Phæno, Foto: Klemens Ortmeyer

Schlafender Drache

Zaha Hadids «Phæno Science Center» in Wolfsburg

Mit dem «Phæno Science Center» genannten Wissenschaftsmuseum von Zaha Hadid versucht Wolfsburg, das provinzielle Image der Stadt durch extravagante Architektur und eine innovative Ausstellungsinstitution zu verbessern. Ob mit dem grandiosen Bau auch der städtebaulichen Misere abgeholfen werden kann, bleibt abzuwarten.

28. November 2005 - Hubertus Adam
Im Jahre 1986 hielt der erste ICE in Wolfsburg. Spätestens als dann Berlin in knapp einer Stunde Fahrzeit erreichbar wurde, ging es darum, die Jahrzehnte im Schatten der innerdeutschen Grenze gelegene Stadt neu zu positionieren. Wolfsburgs provinzielles Image resultierte aber auch aus der Tatsache, dass es der Stadt grundsätzlich an urbanen Qualitäten mangelte. Die 1938 nahe der Ortschaft Fallersleben gegründete und nach Entwürfen des österreichischen Architekten Peter Koller für 100 000 Bewohner projektierte «Stadt des KdF-Wagens» bestand bei Kriegsende aus der riesigen teilzerstörten Autofabrik, einigen versprengten Wohnvierteln sowie endlosen Barackenlagern. Wolfsburg, wie die Stadt seit 1945 heisst, wurde mit dem im Volkswagenwerk vom Band laufenden Käfer der Inbegriff des deutschen Wirtschaftswunders. Städtebaulich orientierte man sich am skandinavischen Modell einer weitläufigen, durch Grünzüge gegliederten Siedlungsstruktur von geringer Dichte. Daneben entstanden an der schon von Koller als Haupterschliessungsachse geplanten Porschestrasse die Bauten mit Zentrumsfunktion, so das integral erhaltene und vorbildlich restaurierte Kulturhaus von Alvar Aalto (1962) und das Stadttheater von Hans Scharoun (1973). Erst zwanzig Jahre später, 1994, wurde das eher grobschlächtige Kunstmuseum des Architekturbüros Schweger in das Ensemble am Südende der Porschestrasse integriert.

Städtebauliche Defizite

Die wesentliche Initiative zur Attraktivitätssteigerung der Stadt ging in den neunziger Jahren vom VW-Konzern aus. Rechtzeitig zur Expo 2000 in Hannover entstand auf der Nordseite des VW- Werk und Stadt trennenden Mittellandkanals die Autostadt, ein Themenpark mit Automuseum, Fünfsternehotel und «Markenpavillons», in welchem sich die Firmen des VW-Imperiums präsentieren. Auch wenn die Autobauer mit dem Architekten Gunter Henn nicht eben einen Visionär beauftragt hatten, erwies sich die architektonisch enttäuschende Inszenierung der Autostadt beim Publikum als so erfolgreich, dass die Stadt ihrerseits in Zugzwang geriet. Wollte man von dem Touristenstrom profitieren, so musste im Bereich des Bahnhofs etwas geschehen. Die von Billigsupermärkten und Imbissbuden flankierte Fussgängerzone der Porschestrasse steht geradezu paradigmatisch für mehrere Dezennien urbaner Fehlentwicklung. In diesem Meer von schlechtem Geschmack wirkt Aaltos Kulturhaus mit seinen bescheidenen Proportionen und einer wunderbaren Materialisierung wie eine Insel der Seligen.

Geradezu verheerend zeigte sich die Situation am «Nordkopf» - also dort, wo die Porschestrasse auf die Bahntrassees und den Mittellandkanal stösst. Nach einem nur zum Teil umgesetzten Plan des Berliner Architekturbüros Léon Wohlhage hat man in den vergangenen Jahren versucht, den ausgefransten Stadtrand im Bereich des Bahnhofsvorplatzes zu konturieren. Gelungen ist das nicht, wie die mediokren Bauten gegenüber dem denkmalgeschützten Hauptbahnhof beweisen. Inmitten architektonischer Banalität und urbanistischer Verfehlungen wirkt das am vergangenen Donnerstag eröffnete Wissenschaftsmuseum «Phæno» von Zaha Hadid wie die Botschaft aus einer anderen Welt. - Phæno ist Wolfsburgs Antwort auf die Autostadt jenseits des Kanals. Um dem VW-Themenpark etwas entgegenzusetzen, propagierte der vormalige Kulturdezernent Wolfgang Guthardt entsprechend dem City-Branding als Wissenschaftsstandort die Idee eines Science-Center. Im Zeitalter verschärfter Städtekonkurrenz und einer seit Jahren kontinuierlich sinkenden Einwohnerzahl, so das Kalkül, könnte eine derartige Institution ein positives Signal setzen. Guthardt gelang es, das Stadtparlament für die durch Sponsoren unterstützte Gesamtinvestition von 79 Millionen Euro zu gewinnen. Im Architekturwettbewerb konnte sich Anfang des Jahres 2000 Zaha Hadid durchsetzen; unter den übrigen 26 zugeladenen Teilnehmern gelangten Barkow Leibinger und Enric Miralles auf die Plätze zwei und drei.

Die in London tätige Irakerin, deren zentrifugal auseinander strebende, dekonstruktivistische Entwurfsvisionen einst als unbaubar galten, konnte in diesem Jahr nach dem BMW-Zentrumsgebäude und der Erweiterung der Ordrupgaard Collection in Kopenhagen mit Wolfsburg bereits ihr drittes Projekt einweihen. Beim Komplex des Phæno handelt es sich um ein massives Sichtbetonvolumen über dreieckigem Grundriss, das von insgesamt zehn kegelförmigen Volumina unterschiedlichen Zuschnitts in die Höhe gestemmt wird. Vom Bahnhof aus gesehen, gipfelt das Gebäude in einer expressiven Spitze, die ein wenig an das Hamburger Chilehaus erinnern mag, zur Stadt hin zeigt es sich eher als breit gelagerter Riegel, wobei die Längsausdehnung entlang der Bahngeleise 150 Meter beträgt. Durch einen der kegelförmigen Füsse gelangt man in die sieben Meter über Bodenniveau gelegene «Experimentierlandschaft», die als fliessender Raum den gesamten Körper durchzieht. - Das Ausstellungskonzept des Phæno wurde von Joe Ansel erarbeitet, der mehrere Jahrzehnte als Vizedirektor des 1969 gegründeten Exploratoriums San Francisco, der Mutter aller Wissenschaftsmuseen, tätig war. Rund 250 Experimentierstationen, die es erlauben, optische und akustische, chemische sowie physikalische Phänomene zu erproben und zu begreifen, sind im Raum verteilt. Die Exponate sind grob nach Themen wie «Energie», «Materie» oder «Mikro + Makro» gegliedert, doch ein Rundgang wird bewusst nicht vorgegeben. Man lernt, gemäss dem Credo von Ansel, am besten spielerisch und freiwillig, und man begreift mit den Händen. Bildschirme, die an allen Orten sonst als unverzichtbar erscheinen, sind aus dem Haus nahezu verbannt.

Höhlenstruktur

Zur Finanzierung seines Betriebs benötigt das Phæno 180 000 zahlende Besucher im Jahr. Ohne Zweifel taugt es auch als Mekka für Architekturinteressierte: Schlicht grandios ist das leicht aufgefächerte Vierendeel-Stahltragwerk, das die Decke zwischen den fünf tragenden Gebäudekernen des Ausstellungsgeschosses stützenfrei überspannt. Realisiert werden konnte die aufwendige Bauskulptur nur dank dem neu im Hochbau verwendeten «selbst verdichtenden Beton». In den Nischen und Kratern zwischen den Ebenen, aber auch bei den Kegelfüssen des höhlenartigen Erdgeschosses ist es gelungen, den Beton in jede denkbare Form zu zwingen, auch wenn Risse bezeugen, dass dabei die Grenzen des heute Machbaren erreicht wurden.

Vielleicht ist die Grotte des Erdgeschosses die eigentliche Herausforderung, welche die Architektin der Stadt mit auf den Weg gegeben hat. Wie sie einst genutzt werden kann, ist in diesen kalten Novembertagen, in denen sich der Schnee über die Stadt gelegt hat, noch fraglich. Ein Café, ein Restaurant, ein Atelier, ein «Ideenforum» und ein Auditorium sind in einigen der Kegelstümpfe vorgesehen; Eingangsbereich, Museumsshop und Materialschleuse werden schon benutzt. Dazwischen spannt sich ein öffentlich zugänglicher kavernenartiger Raum auf, der Ausblicke auf das VW-Kraftwerk mit seinen vier Schornsteinen jenseits des Kanals, aber auch auf den Bahnhof und die Porschestrasse freigibt. Die Höhlenstruktur schafft Perspektiven auf die Stadt - und muss dennoch erobert werden. Archaisch, fast urtümlich lagert das Phæno zwischen Autostadt und Innenstadt, und man weiss nicht so recht, ob es sich in Zukunft als steinernes Herz oder als schlafender Drache erweist, der einmal der Stadt seine feuerspeienden Nüstern entgegenrecken wird. Wer sich durch die Experimentierlandschaft bewegt, wird jedenfalls schon jetzt gelegentlich von einem Feuertornado erschreckt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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