Bauwerk

Student:innenwohnheim Molkereistraße
Baumschlager Eberle Architekten - Wien (A) - 2005

Passiv und ganz von selbst

Ein konsequentes Passivhaus-Konzept, wie man es bei Großobjekten selten findet: das Studentenheim in der Wiener Molkereistraße von Baumschlager|Eberle.

Ein kleines Lächeln hat mir der Folder schon abgenötigt, der in einem der Gemeinschaftsräume des Studentenheims von Baumschlager Eberle P.Arc aufliegt: Er enthält eine verständliche Gebrauchsanweisung für die technischen Obliegenheiten im Passivhaus. Ein Gebäude, für das man eine Bedienungsanleitung braucht? Nein, so schlimm ist es nicht. Hier steht nur, dass man nicht gerade dort etwas davorhängen darf, wo die Frischluft eingeblasen wird, und nicht bei Temperaturen unter 16 Grad das Fenster stundenlang offen halten soll, denn dann stellt sich die Heizung ab. Im Grunde ist Lüften in einem solchen Haus ohnehin überflüssig: Hier wird die Luft automatisch im Zwei-Stunden-Takt ausgetauscht.

Das Studentenheim steht im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Molkereistraße. Das Viertel - im Volksmund Stuwerviertel genannt - hat ein etwas anrüchiges Image. Rotlichtmilieu und so. Die Lage - zwischen Lassalle- und Ausstellungsstraße, Praternähe - ist trotzdem nicht schlecht. Früher einmal bildete hier eine Molkerei das lokale Zentrum. Die gibt es längst nicht mehr. Statt dessen entstanden eine Fachhochschule, eine Wohnbebauung mit Geschäften und einem Café und direkt an der Molkereistraße das U-förmige Studentenheim, das den grünen Innenhof der Wohnbebauung im Osten schließt.

Dieses Studentenheim - errichtet von Migra - Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft und betrieben vom Österreichischen Austauschdienst, bewohnt von Erasmus-Studenten - stellt zweifellos das architektonische Highlight der Neubebauung dar. Baumschlager Eberle P.Arc und ihr Projektleiter Eckehart Loidolt haben einen sehr kompakten Baukörper hingestellt. Es gibt keine Balkone, keine Terrassen, nur französische Fenster. Es gibt auch kein Flachdach mit zurückgesetztem Dachaufbau, sondern das, was auf gut Wienerisch „Sargdeckel“ heißt: ein voll ausgebautes Dachgeschoß mit Fenstern in der Dachschräge. Baumschlager[*]Eberle haben es immer schon verstanden, den formalen Aufwand bei ihren Bauten scheinbar spartanisch zu bemessen, noch dazu streng geometrisiert, und trotzdem eine Handschrift zu entwickeln, die unverkennbar ist.

Das Haus ist Ost-West-orientiert, der Hauptzugang liegt an der Molkereistraße. Er wurde als zweigeschoßiger Raum formuliert, in den einer von zwei Gemeinschaftsbereichen als Galerie eingeschoben ist. Die Trakttiefe an dieser Hauptfassade beträgt ungewöhnliche 19 Meter, an den beiden Schenkeln des U nur 14 Meter. Dass es ein Passivhaus ist, merkt man von außen kaum. Man muss sich schon gut auskennen, um gewisse Anzeichen richtig zu deuten. Die Dachgeschoß-Lösung fällt aus dem Rahmen des üblichen Baumschlager[*]Eberle-Vokabulars. Ein zurückgesetzter Dachaufbau mit rundum liegender Terrasse hätte wesentlich mehr Oberfläche zur Folge gehabt als die Lösung mit der diagonalen Schräge. Für ein Passivhaus ist so etwas bedeutsam.

Wenn man aufmerksam hinschaut, merkt man, dass das Studentenheim den Anschluss an die benachbarte Wohnbebauung nicht nahtlos bewältigt: Es springt einige Zentimeter vor. Daraus kann man ablesen, dass die Wärmedämmung dicker ist. Sie sollte ursprünglich 30 Zentimeter betragen, wurde aber dann - nicht zuletzt aufgrund eines besseren Dämmmaterials - auf 26 Zentimeter reduziert. Durch die Wärmedämmung sind die Fensterlaibungen ungewöhnlich tief. Baumschlager[*]Eberle haben sie jeweils an einer Seite abgeschrägt und damit eine Reflexionsfläche für den natürlichen Lichteinfall geschaffen.

Die Fenstergeometrie ist eine Bemerkung wert. Es sind durchwegs hochrechteckige Fenster, straßenseitig immer zwei und zwei zusammengefasst und geschoßweise versetzt. Zwischen den Fenstern leuchten intensiv grüne Putzflächen in der ansonsten blassgelben Gebäudehaut auf. Wichtigstes Charakteristikum für den Außenauftritt des Gebäudes stellen aber die großen, vorpatinierten Schiebeelemente aus Kupferblech dar, mit denen sich die Fenster nach außen abschirmen lassen. Dadurch kommt es zu einem reizvollen Fassadenspiel.

Das Haus bietet 278 Bewohnern Platz, die hauptsächlich in Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Einheiten untergebracht sind, es gibt aber auch Ein-Zimmer-Einheiten. Alle Zimmer haben rund 14 Quadratmeter, meistens einen rechteckigen Zuschnitt, manche einen quadratischen. Die Einrichtung stammt ebenfalls von Baumschlager[*]Eberle, sie ist einfach, aber höchst praktikabel. Außerdem gehört zu jeder Wohneinheit eine gut ausgestattete Kochnische, die zur Mittelgangerschließung im Haus ein fix verglastes, horizontal rechteckiges Fenster - zwischen Ober- und Unterschränken - hat. Das macht den ansonsten nicht natürlich belichteten Raum angenehmer und den Rundgang durchs Haus abwechslungsreich. Denn jeder geht anders mit dieser Öffnung um: Die einen lassen sie offen, die anderen hängen sie zu, es wurden aber auch „Vorhänge“ aus gestapelten Red-Bull- oder Bierdosen gesichtet.

Die Mittelgangerschließung ist an der Molkereistraßenseite immerhin 50 Meter lang. Es gibt zwei Lifte und sehr bescheidene (Flucht-)Stiegenhäuser, die keiner benutzt. Nun hat das Haus sechs Vollgeschoße plus Dachgeschoß. Das ist nicht wenig. Trotzdem braucht man auch auf der Null-Ebene, selbst wenn die Sonne nicht scheint, kein Kunstlicht. Die Architekten haben sogenannte Lichtkamine eingeschnitten, die das Tageslicht von ganz oben hinunterholen. Seitlich sind diese „ausgestanzten“ Leerräume durch Glasbrüstungen geschlossen, sodass sich vor jeder Eingangstür ein natürlich aufgehellter Vorplatz ergibt. Diese Lösung ist so einfach wie intelligent. Und sie strukturiert den langen Gang, sie verkürzt ihn quasi.

Das technische Konzept ist sehr komplex. Es gibt kontrollierte Be- und Entlüftung, Wärmerückgewinnung aus der verbrauchten Luft, individuell regelbare zusätzliche Heizung, über einen Fundamentabsorber Nutzung der Erdwärme. Wichtig dabei: Alle diese Einrichtungen sind dezentral in Haustechnik-Schächten untergebracht und versorgen jeweils die zwei benachbarten Wohneinheiten. Sie sind also auch leicht zugänglich, und im Fall eines technischen Problems sind nicht alle Wohneinheiten betroffen, sondern immer nur zwei.

Es heißt, dass das Gebäude international großes Interesse gefunden hat. Ein so konsequentes Passivhauskonzept findet man bei großen Objekten nach wie vor selten. In der Errichtung ist es um etwa 15 Prozent teurer als ein herkömmliches Haus. Dafür reduzieren sich die Betriebskosten erheblich. 380 Euro zahlt man für eine Einzimmereinheit. Dafür wird einem aber auch etwas geboten.

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