Bauwerk

Olympiagelände OAKA
Santiago Calatrava - Athen (GR) - 2004

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Santiago Calatrava ist der Olympionike unter den Architekten, deshalb hat er sich mit Athens Stadion Gold geholt

21. August 2004 - Ute Woltron
Athen ist in seiner Hässlichkeit, in seinem Lärm und dem ewigen Abgasgestank eigentlich keine uncharmante Stadt. Die Architekturen sind unendlich schlampig und improvisiert, städtebauliche Konzepte sind so gut wie nicht erkennbar - und trotzdem hat dieser Stadtmoloch einen eigenen, virilen Reiz des Unvollkommenen, sehr Menschlich-Lebendigen.

Die Fernsehbilder, die dieser Tage die Bildschirme von Kap Hoorn bis Wladiwostok überflimmern, zeigen reichlich wenig vom Alltagsleben der griechischen Millionenstadt. Jetzt dominieren Athletenkörper, sportliche Höchstleistungen und gebannte Zuschauermassen das Bild - und ein über all dem schwebendes Konstrukt, das gewissermaßen das architektonische Pendant zu den physischen Spitzenleistungen darunter darstellt.

Schon auf den ersten Blick wird klar: Der spanische Architekt Santiago Calatrava war als Erster hier, er hat als Erster seine Chance erkannt. Er hat schneller, stärker und höher reagiert als die verschlafenere Weltarchitektenschaft, und er hat die Bilder seiner Architektur publicityträchtig mit einem Schlag in das kollektive Bewusstsein der sportinteressierten Weltbevölkerung katapultiert. Eine Meisterleistung.

Die kühn geschwungene Überdachung der Tribünen des Athener Olympiastadions trägt so eindeutig Calatravas Handschrift, dass es fast schon amüsant ist: Zwei jeweils 304 Meter lange Bögen überspannen das Stadion aus den 80er-Jahren. Sie dienen Stahlseilen als Träger und Befestigung, die wiederum die Polykarbonat-Paneele der abgehängten Dachflächen darunter halten. Diese weisen ebenfalls eine leichte Schwingung auf und spenden den wohltuenden Schatten, den 75.000 Zuschauer im sowohl sportlich als auch jahreszeitlich heißesten Monat des Jahres wohl bitter nötig haben. Was insgesamt sehr zart und elegant konstruiert wirkt, wiegt über 17.000 Tonnen und überdeckt rund 10.000 Quadratmeter, was 95 Prozent der Sitzplätze entspricht.

Calatrava kann zufrieden sein. Während die Sportler sich noch im Wettkampf üben, darf sich der Architekt zurücklehnen und freudig-entspannt dutzendfach pro Tag die Fernsehbilder seines Stadiondaches betrachten. Seinen Wettkampf hat er bereits hinter sich, und dass er ihn gewonnen hat, steht fest.

Als Athen im Chaos der Olympia-Vorbereitungen gerade total zu versinken drohte, war der Spanier in seiner stillen Art plötzlich aufgetaucht und hatte mittels einer Ausstellung seiner Arbeiten den Chaoten dort gezeigt, was denn so möglich sei in der Welt der Architektur. Man kam, sah, staunte. Und ernannte ihn prompt zum Chefarchitekten der Olympischen Spiele.

Calatravas Oeuvre ist kein kleines, und bescheiden ist es auch nicht. Mit seinen Bahnhöfen und Brücken machte sich der 1951 in Valencia Geborene bereits in den 80er-Jahren einen Namen. Vor allem die elegante SBB-Station in Luzern galt der internationalen Architekturkritik als erfrischendes, neues Meisterwerk, das einen anderen Wind in die damals träg vor sich hin dümpelnde Postmoderne brachte. Über leere Auftragsbücher konnte sich der Spanier in der Folge nie wieder beklagen. Er baute Brücken in Mérida, Bilbao und in Kanada, Bahnstationen in Lissabon und Berlin, den Flughafen von Lyon, eine Konzerthalle in Teneriffa. Derzeit arbeitet er an der Verkehrsstation des neuen World Trade Centers in Manhattan und drückt gleichzeitig seiner Heimatstadt Valencia mit diversen noch in Bau befindlichen Gebäuden seinen Stempel auf.

Tatsächlich hat der Architekt und Bauingenieur stets einen eigenwilligen Einzelgängerweg beschritten, der sehr rasch in eine der charakteristischsten - aber auch in eine der umstrittensten Handschriften mündete, die es in der zeitgenössischen Weltarchitektur derzeit gibt. Calatrava hat immer schon bewusst Konstruktion und Bauingenieurskunst in den Vordergrund gerückt und mit Stahl und Beton gefällige Gebilde geschnürt. Sie gaben tadellose Landmarks und Stadtsilhouetten ab, ihre statische Sinnhaftigkeit wurde von den trockeneren Spezialisten der Zunft allerdings meist heftig hinterfragt.

Auch das am höchsten Punkt 80 Meter emporragende Olympia-Dach Athens wäre selbstverständlich bei gleicher Funktionalität in wesentlich bescheidenerer Form zu bewerkstelligen gewesen. Man hätte dann wohl auch nicht die kolportierten 200 Millionen Euro dafür bezahlen müssen. Der Stahl der Dachkonstruktion, so ätzen seine Kritiker, sei hauptsächlich damit beschäftigt, das eigene Gewicht zu tragen.

Das mag wohl stimmen, doch trifft diese Aussage auch auf Calatravas architektonische Vorbilder zu. Denn die den Blick prägenden Kirchen seiner Jugend sind, kühl statisch betrachtet, ebenfalls hauptsächlich damit beschäftigt, über Strebewerke den Schub der Gewölbelasten abzufangen. Und - um noch weiter in die Geschichte hinabzusteigen und sich wieder nach Athen zu begeben: Die griechische Tempelarchitektur selbst, diese gewaltige Blüte einer ganzen Zivilisation, war in dieser Form nur deshalb entstanden, weil den Griechen das entsprechende Bauholz ausgegangen war. Die Übersetzung der diesem Material gemäßen Konstruktionen in Marmor, der eigentlich denkbar ungeeignet dafür war, hat überdauert und gilt heute als Weltwunder.

Calatravas Olympia-Konstrukt spielt freilich weder formal noch konstruktiv in dieser Liga mit. Es ist nichts anderes als eine telegene Landmark, das perfekt vorzeigt, wie ein gewisser Zweig der Architektur heutzutage im Markenartikelgeschäft mitzumischen versteht. Wer hier reüssieren will, muss sehr früh aufstehen, jahrelang hart trainieren und zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sein.

Calatrava hat das immer schon gewusst. Eines seiner ersten Projekte war 1983 ein kleines Vordach für das Postamt in Luzern. Ein paar Quadratmeter nur, doch die stehlen mit geschwungenen Blechen dem ansonsten schlichten, vernünftigen Gebäude bis heute eitel die Schau.

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