Bauwerk

Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“
O&O Baukunst - Zürich (CH) - 2000
Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“, Foto: ghp gmeiner haferl&partner zt gmbh
Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“, Foto: Herbert Schwingenschlögl

Architektonischer Akzent im Stadtzürcher Kreis 5

Ortners Kultur- und Werkzentrum des Schauspielhauses

15. Juli 1999
Der Kreis 5 ist im Umbruch. Das einstige Industrie- und Arbeiterquartier zwischen Limmat und Geleisesträngen ist in den letzten Jahren beliebtes Wohn- und Ausgehviertel geworden. Nun ist das Quartier auf dem besten Weg, neuer Zürcher Kulturstadtteil zu werden. Zwischen neuen Galerien, Museen, Kinos und Restaurants baut seit 1997 das international bekannte Wiener Architekturbüro Ortner & Ortner den grössten aller Musentempel: das Kultur- und Werkzentrum des Zürcher Schauspielhauses.

Von der Strasse her kaum sichtbar, liegt die Grossbaustelle inmitten der spröden Industriearchitektur auf dem Escher-Wyss-Areal. Steuert man durch dieses noch unstädtische Werkstrassen-Geviert, taucht zwischen den hellen Backsteinfassaden plötzlich ein grauer Koloss auf. An seiner graphischen Streifenfassade wechseln sich vertikale schwarze Fenster- und graue Betonbänder ab. Ein Bau mit augenzwinkernder Festlichkeit, beschreibt Laurids Ortner den repräsentativen Hauptbau des Werkzentrums bei einem Rundgang. Von der Festlichkeit ist jedoch bis dato wenig zu spüren, denn noch fehlen die Details. Zum Beispiel das edle Futteral, das dem monumentalen Zebrakleid bald eingenäht werden soll: Goldene Fensterbänder aus eloxiertem Aluminium werden - zusammen mit einem schimmernden Goldsockel - dem Kultur- und Werkzentrum eine festliche und einem Schauspielhaus angemessene Note verleihen. Abwechslungsweise wird auch jedes zweite der fast sieben Meter hohen Betonelemente an der Fassade mit einem weissen Relief einer griechischen Statue verkleidet werden. Mit diesem Verweis auf die Baukunst der Klassik will Ortner das Bild eines strahlenden, ehrwürdigen Kulturtempels untermalen.


Reihenhaussiedlung auf dem Dach

Der 66 Millionen teure Bau besteht aus einem eindrücklichen Neubau und zwei Einbauten in die denkmalgeschützte Schiffbauhalle. Dazwischen liegt ein Verbindungstrakt mit einem grossen Off- Theatersaal mit rund 300 Plätzen sowie zwei Probebühnen. Im eigentlichen Werkzentrum befinden sich eine weitere Probebühne, hohe Werkstätten und weite Malsäle mit Blick auf den zukünftigen Park zwischen dem Technopark und dem Neubau. Sie sollen bereits im Januar 2000 in Betrieb genommen werden. In den oberen Geschossen gruppieren sich Büros, Ateliers um den grossen Innenhof. Die Hälfte des nach oben offenen Hofs soll später als Freilichtbühne und die darum herumlaufenden Laubengänge als Balkone für rund 700 Zuschauer dienen. Auf dem Dach des kantigen Baukörpers liegt noch eine kleine Reihenhaussiedlung: Von den 21 doppelgeschossigen Wohnungen sind einige bereits verkauft und die meisten reserviert. Die ersten Bewohner werden schon im Sommer nächsten Jahres mit weitem Blick über das Industrieareal dinieren.

In die denkmalgeschützte Schiffbauhalle neben dem Neubau stellen die Architekten nur noch zwei der vier geplanten Baukörper hinein. Das Museumsprojekt der Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst ist aus Finanzierungsgründen geplatzt, und das Bauvorhaben der Stahl- und Traumfabrik wurde von der Denkmalpflege nicht akzeptiert. Noch ist die Halle leer, und man kann sich den luftigen Leerraum kaum mit einem Innenleben vorstellen. Doch im Sommer 2000 werden die Besucher des Jazzklubs Moods und des turmartigen Glas-Restaurants, von dessen oberster Etage man einen Blick aus der Halle heraus und über das Areal haben soll, der Halle Leben einhauchen. Die Lücke, welche die beiden nicht realisierten Projekte hinterlassen haben, füllt ein weiterer offener Theaterraum. Er soll aushelfen, wenn die Kapazität des Off-Theaters nicht mehr ausreicht. Letzter Bauteil in dieser komplexen Baustelle ist der dunkle Betonturm, der am Ende aus der Schiffbauhalle herausragt. Hier stapeln sich die Büros und Ateliers der Gruppe Schnittpunkte.


Repräsentation mit Augenzwinkern

Als Österreicher hat Laurids Ortner bei festlicher und opulenter Repräsentationsarchitektur scheinbar weniger Berührungsängste als seine Schweizer Kollegen. Ortner spürt zwar, dass sein feierlich dekorierter Kulturtempel auf dem Escher-Wyss-Areal in der hiesigen Architekturszene, die sich eher auf Reduktion und Minimalisierung konzentriert, auf Unverständnis stösst. Der 58jährige Architekt will die Strenge der regelmässigen Hülle des Neubaus mit goldenem Dekor aufbrechen. Und das tut er mit österreichischem Charme und einem architektonischen Augenzwinkern. Sonst unterscheidet sich für Ortner die Zürcher Baustelle, die der Architekt selbst nur rund alle vier Wochen besucht, kaum von den vielen anderen, die das renommierte Büro derzeit in Europa betreut. Die Grossbaustelle des Kultur- und Werkzentrums des Schauspielhauses mit ihren rund 25 000 Quadratmetern Nutzfläche gehört sogar zu den kleineren Kulturprojekten, an denen das Team der beiden Brüder Laurids und Manfred derzeit arbeitet: In Dresden bauen Ortner & Ortner die sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek, die mit fast 45 000 Quadratmetern Nutzfläche etwa sieben Millionen Büchern und Datenträgern Platz bieten soll. Ihr grösster Kulturbau entsteht aber derzeit in Wien, wo die Architekten auf dem Areal der ehemaligen Hofstallungen das Museumsquartier mit über 60 000 Quadratmetern Nutzfläche bauen können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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