Bauwerk

Museum Liner
Annette Gigon / Mike Guyer - Appenzell (CH) - 1998
Museum Liner, Foto: Heinrich Helfenstein

Mäander und Zickzack

Ein gestaffelter „Volumsberg“ und eine „alchimistische Adaption an den Genius loci“: Mit dem Museum Liner in Appenzell und dem Umbau der Sammlung Reinhart in Winterthur schuf das Zürcher Architektenduo Gigon & Guyer zwei Blickfänge.

9. Januar 1999 - Margit Ulama
Auch nach der forcierten Entwicklung des Museumsbaus in den achtziger Jahren wurden mittels dieses Bautypus immer wieder architektonische Ideen beziehungsweise Entwurfsmethoden dargestellt. Die Entwicklung reduzierte sich zwar etwas, trotzdem entstanden Gebäude, die sich als „Zeichen der Zeit“ etablierten. Das Museum, die Kunsthalle oder ganz einfach der Ausstellungsbau dienten dabei weiterhin der primären Funktion, Raum zu schaffen. Raum für die Präsentation von Kunstwerken und damit Raum, der ausschließlich der Wahrnehmung dient.

Parallel zu den architektonischen Realisierungen entstand eine Diskussion, die im Dilemma der Frage mündete, welche Art des Raumes für Ausstellungszwecke denn nun wirklich geeignet sei. Doch letztlich bedarf diese Aporie gar keiner Auflösung, wenn die gesamte Situation nur anders betrachtet wird. Denn die Museen und Ausstellungshäuser spiegeln gerade in ihrer gegensätzlichen Ästhetik unsere Zeit mit ihren konträren Sehnsüchten wider.

Das Guggenheim Museum in Bilbao von Frank Gehry entwickelte sich nicht nur zu der touristischen Attraktion der neunziger Jahre, es stellte von Beginn an auch und vor allem ein Manifest dar. Zu einem solchen – egal welcher Architekturrichtung zugehörigen – Zeichen des Museumsbaus konnte sich Wien mangels einer selbstbewußten Haltung nicht durchringen.

In der Schweiz findet man hingegen gleich mehrere solche architektonische Zeichen. Trotz ihrer geringeren Dimensionen sind sie charakteristisch für das aktuelle Jahrzehnt: das Kirchner Museum in Davos und die Erweiterung des Kunstmuseums Winterthur vom Beginn der neunziger Jahre, schließlich der Umbau der Sammlung Oskar Reinhart, ebenfalls in Winterthur, sowie das Museum Liner in Appenzell, die erst vorwenigen Wochen fertiggestellt wurden. Alle diese Beispiele stammen vom jungen Deutschschweizer Architektenteam Annette Gigon und Mike Guyer, sodaß sie nicht nur ein Jahrzehnt dokumentieren, sondern auch die erstaunlich breite Spanne einer persönlichen Entwicklung.

Bemerkt man am Beginn dieser konsequenten Entwicklung eine minimalistische Reduktion, so mündet diese schließlich in eine ebensolche Expressivität. Beim Kirchner Museum in Davos isolierten die Architekten den einfachen, traditionellen Ausstellungsraum und machten ihn dadurch zum selbständigen Kubus. Vier solche Würfel setzten sie mehr oder weniger unregelmäßig, der „Negativraum“ dazwischen fungiert als Erschließungsbereich. Unter Beibehaltung der Orthogonalität entstand dennoch eine unregelmäßige äußere Erscheinung. Die Erweiterung des Kunstmuseums Winterthur stellt sich hingegen als einheitliches Volumen über einem rechteckigen Grundriß dar, und die Expressivität liegt in den Sheddächern mit ihrer gezackten Umrißlinie.

Die Ansätze dieser beiden Museen nehmen Gigon &Guyer mit ihren jüngsten Bauten auf und entwickeln sie weiter. Während es sich in Davos jedoch um eine ruhige Komposition aus einzelnen großen Boxen handelte, beobachtet man jetzt bei der Erweiterung „Am Römerholz“ ein verdichtetes Auftürmen kleinerer Volumen, eine Art gestaffelten „Volumsberg“; und wenn der erste Bau in Winterthur mit seinem auffälligen Dachabschluß auf Grund der Dreiteilung der Fassade noch immer klassisch wirkt, so entstand nun mit dem Museum Liner ein Volumen, bei dem die Zackenform der Sheds einen integralen Teil der Komposition bildet.

In Winterthur handelt es sich um eine Renovierung und Erweiterung einer Villa, die Anfang dieses Jahrhunderts im Stile eines französischen Landhauses gebaut und bereits in den zwanziger Jahren um einen Galerieanbau erweitert wurde. So entstand ein romantischer, sowohl im Grundriß als auch in den Höhen vielfältig differenzierter Komplex. Neu gebaut wurden jetzt nur drei relativ kleine Ausstellungsräume zwischen dem ehemaligen Wohnhaus und dem zurückgesetzten Galerieteil.

Mit dieser geringen Kubatur gelang den Architekten aber nicht nur das Transponieren eigener Themen, sondern auch eine adäquate Interpretation des Bestandes. Die Abstraktion, die der Baukörperstaffelung zugrunde liegt, wiederholen Gigon & Guyer auch auf der Ebene der Materialität. Die Architekten sprechen dabei von dem „,alchimistischen‘ Versuch einer Adaption des Neubaus an den genius loci“. Dem Beton wurden also Jurakalkstein und Kupfer als Materialien, die man bei der Villa verwendete, in zerkleinerter Form beigefügt. Durch diese Kombination entwickelte sich rasch eine Patinierung, die bereits jetzt in der grünlichen Färbung des Betons erkennbar ist.

Während bei der Sammlung Reinhart das solcherart differenzierte einfache Volumen in der verdichteten Form noch immer erkennbar ist, gehen Gigon & Guyer beim Museum Liner einen ganzen Schritt weiter. Dieses monographische Museum, das den Appenzeller Malern Vater und Sohn Carl Liner gewidmet ist, präsentiert sich als skulpturaler Entwurf, dessen Zickzackform sowohl regionale Satteldächer als auch Industriesheds interpretiert. Auch die silbrigen Schindeln greifen ein Thema des Ortes auf. Doch die Elemente wurden verfremdet, und so denkt man weder beiden Sheds unmittelbar an Industriehallen noch bei den großen Schindeln an die traditionellen Häuser der Gegend.

Der gezackte Dachbereich wurde in die Gesamtform integriert, was schließlich zum skulpturalen Ausdruck des Baukörpers führt.

Bei genauerer Betrachtung bemerkt man eine zusätzliche Steigerung dieser Expressivität. Denn an den Längsseiten verstärkt sich die perspektivische Wirkung, da der Rhythmus der einzelnen Sheds enger wird und ihre Höhe abnimmt. Parallel dazu werden die silbrigen Schindeln kleiner. Dadurch lockert sich aber die an sich strenge Raumabfolge im Inneren. Annette Gigon und Mike Guyer halten zwar konsequent an einer orthogonalen Raumkomposition fest, doch die mäandrierende Gehlinie wirkt lebendig, ebenso bedeutet die unterschiedliche Raumproportion Abwechslung.

Die Architekten schufen immer wieder Orte für die konzentrierte Wahrnehmung, doch gerade in Appenzell entstand gleichzeitig ein Bau mit einer starken und eigenwilligen Ästhetik. Dem „Sehen“ wird dabei eine zentrale Bedeutung eingeräumt, was auch an den betonten Fensterrahmen ablesbar ist. Als Elemente, die den Blick einrahmen, treten sie an der Fassade auffällig in Erscheinung. Gleichzeitig werden „Bilder der Realität“ in die Ausstellungsräume integriert.

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