Bauwerk

Museum für zeitgenössische Kunst
Steven Holl - Helsinki (FIN) - 1998
Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Jussi Tiainen
Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Jussi Tiainen
Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Jussi Tiainen
Museum für zeitgenössische Kunst, Foto: Voitto Niemelä

Ein Wal am Finnischen Meerbusen

1. Oktober 1998 - Roman Hollenstein
Innovative Architektur hat es in New York schwer: Selbst die kreativsten Büros können in Manhattan kaum mehr als Umbauten oder Inneneinrichtungen realisieren. So muss man denn nach Skandinavien reisen, um den seit Jahren wohl interessantesten Bau eines New Yorker Architekten im Original zu sehen. Es handelt sich um das «Kiasma» genannte Museum für zeitgenössische Kunst in Helsinki von Steven Holl. Anders als die Bauherren am Hudson, die ihren eigenen Stars misstrauen und lieber auf kommerzielle Formen setzen, zeigten die für ihre architektonische Kultur bekannten Finnen Mut zum Ausgefallenen, als sie im Wettbewerb von 1993 dem damals 46jährigen Amerikaner den ersten Preis zuerkannten.

Holl schlug für die Spitze des Kulturviertels am Südufer des Töölönlahti, das zwischen Eliel Saarinens Hauptbahnhof und Aaltos Finlandia-Halle gegen das Stadtzentrum vorstösst, einen Neubau vor, der sich ganz aus dem Ort und den ihm innewohnenden topographischen, urbanistischen und kulturellen Kraftlinien entwickelt. Ein orthogonaler und ein organischer, an den Rücken eines Wals erinnernder Baukörper überlagern sich - diagonal durchdrungen von einem Pool - wie der Zeig- und Mittelfinger der rechten Hand. Die Bezeichnung Kiasma, hergeleitet vom x-förmigen griechischen Buchstaben Chi, steht aber nicht nur für den Grundriss des Gebäudes. Sie verweist auch auf das für diesen Bau (wie für Holls Arbeiten generell) entscheidende Überblenden von Bildern, Formen und Ideen. Diese «hybride Architektur» oszilliert zwischen Kargheit, fernöstlicher Sensibilität und skulpturalem Minimalismus, zwischen Expressionismus und Konstruktivismus, aber auch zwischen Le Corbusier, Aalto und Scarpa.

Entstanden ist ein Neubau mit vielen Gesichtern, der bei Tag mit seiner lichtatmenden Haut aus Zinkblech, Glas und Aluminiumplatten wie eine gigantische Skulptur, nachts aber wie ein magischer Leuchtkörper in Erscheinung tritt. Mag die etwas gesuchte Aussenform bei Puristen Vorbehalte wecken, so generiert sie im Innern doch Räume von ungeahnter Suggestivität.

Durch vergleichsweise niedrige und schwere Glastüren gelangt man in den Eingangsraum mit Kasse, Garderobe, Buchshop und Café. Das von den beiden Baukörpern gefasste Foyer öffnet sich bis zum verglasten Oberlicht, verengt sich aber gleichzeitig zur Tiefe hin schluchtartig. Dort gelangt man - unter Passerellen hindurch - einerseits zum Auditorium und zu den Verwaltungsräumen, anderseits in einen vertikalen Schacht, wo piranesiesk übereinander getürmte Treppen und Stege zum Ausstellungsbereich führen. Den Hauptzugang zu den Museumsräumen gewährt aber eine sanft ansteigende Rampe im Foyer. Über vier Halbgeschosse sind die Ausstellungsebenen im Uhrzeigersinn um den zentralen Lichthof verteilt. Eine filmartige Weginszenierung trägt einen gleichsam wie in Trance durch diesen espace fluide. Introvertierte Räume wechseln ab mit postkartenartigen Ausblicken; und immer von neuem gelangt man auf die skywalks in der Halle, wo ein ähnliches Sehen und Gesehenwerden herrscht wie auf der Schneckenrampe von Wrights New Yorker Guggenheim-Museum. Meisterhaft gelingt es Holl hier, die Idee der promenade architecturale zu einem architektonischen Erlebnis zu steigern, vergleichbar nur mit Gehrys neuem Museum in Bilbao.

Mit viel Sensibilität für Licht und eine dezente Farbigkeit hat Holl ein architektonisches Kunstwerk geschaffen, das die Besucher ebenso in seinen Bann zieht, wie es die Exponate tun. Doch die eigenwilligen, bald an Höhlen, bald an den Bauch eines Riesenfischs gemahnenden, von exzentrischen Oberlichtern, sachlichen Seitenfenstern oder verborgenem Kunstlicht erhellten Ausstellungssäle erweisen sich als durchaus geeignet für die Präsentation raumgreifender zeitgenössischer Werke. Die traditionelleren Räume im orthogonalen Bauteil lassen hingegen Malerei und Fotografie zu ihrem Recht kommen. Im inneren Raumgefüge wie im äusseren Erscheinungsbild führt Holls phänomenologische Strategie einer Collage of Images zu ebenso bildhaften wie enigmatischen Resultaten, die immer wieder auf ein frühes Schlüsselwerk in seinem Schaffen verweisen: das vor zehn Jahren in Form eines Walgerippes als Hommage an Melvilles «Moby Dick» erbaute Haus auf Martha's Vineyard.

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