Bauwerk

De La Warr Pavilion
Serge Chermayeff, Erich Mendelsohn - Bexhill-on-Sea (GB) - 1935
De La Warr Pavilion, Foto: Hubertus Adam
De La Warr Pavilion, Foto: Hubertus Adam
De La Warr Pavilion, Foto: Hubertus Adam

Ein Haus am Meer fürs Volk

1. September 1998 - Hubertus Adam
Lange Zeit wurde das Meer - wie auch das Hochgebirge - vor allem als bedrohlich empfunden. Wenn möglich entstanden menschliche Ansiedlungen in sicherem Abstand zur Küste. Auch der historische Ortskern von Bexhill in der englischen Grafschaft Sussex liegt landeinwärts auf einem Hügel. Erst als im 18. Jahrhundert Mediziner die Heilkraft des Meerwassers propagierten, unternahmen die britischen Könige Reisen an die Seaside und leiteten damit die touristische Entwicklung der Kanalküste ein. John Nashs phantasievoller, indisch inspirierter Royal Pavilion in Brighton (1815-1821) fand in der Küstenarchitektur und in den Pieranlagen des ausgehenden 19. Jahrhunderts unzählige Nachahmungen. Am Strand inszenierte sich die viktorianische Gesellschaft in einer exotisch anmutenden Kulisse, als sei man längst zu fernen Gestaden aufgebrochen.

Während umliegende Orte wie Hastings oder Eastbourne sich bereits als Seebäder etabliert hatten, war diese Entwicklung an Bexhill zunächst spurlos vorübergegangen, bis der ortsansässige Grundbesitzer, der 7. Earl de la Warr, 1883 den Bauunternehmer John Webb mit einer systematischen Bebauung des Küstenstreifens beauftragte; aus Bexhill wurde Bexhill-on-Sea. Mit diesem städtebaulichen Kraftakt erschöpfte sich der Innovationsdrang des kleinen Ortes, und in den zwanziger Jahren galt das Angebot an Aktivitäten, das Bexhill für seine Gäste bereithielt, als hoffnungslos rückständig.

Dass man dem drohenden Einbruch bei den Übernachtungszahlen dringend entgegenwirken müsse, war eine Einsicht, die sich unter den konservativen Einwohnern nur langsam durchsetzte.

Ohne den zwischen 1933 und 1935 amtierenden sozialistischen Bürgermeister, den 9. Earl de la Warr, wäre es kaum gelungen, ein nachgerade revolutionäres Gebäude an der Strandpromenade zu errichten: den De La Warr Pavilion, entworfen von Erich Mendelsohn (1887-1953) und Serge Chermayeff (1900-1953).

Ein für Bewohner und Besucher offenes Volkshaus mit Veranstaltungssälen, Restaurants und Terrassen solle das neue Zentrum des Ortes bilden, hatte der junge Adlige gefordert; ein Gebäude, das mit dem Neo-Regency der zeitgenössischen Vergnügungsarchitektur radikal breche. Dem agilen Bürgermeister war es zuzuschreiben, dass der Ausschreibungstext des Wettbewerbs vom September 1933 dezidiert eine Architektur im Sinne des Neuen Bauens forderte: ein einfaches Gebäude mit leicht wirkender Erscheinung in Stahlrahmen- oder Eisenbetonkonstruktion.

Unter den 230 Einsendungen fiel die Wahl des Jurors Thomas S. Tait, eines Anwalts der Moderne, der vom Royal Institute of British Architects ernannt worden war, auf den Entwurf von Mendelsohn. Dieser, wenige Monate zuvor aus Deutschland emigriert, hatte ihn mit seinem Partner Chermayeff eingereicht, der in Russland geboren, aber in England zum Architekten ausgebildet worden war und auch dort arbeitete. Obwohl verschiedentlich Einwände gegen das Projekt und die Auftragsvergabe an einen Architekten vom Kontinent zu hören gewesen waren, wurde die Bausumme durch eine vom Ministry of Health lancierte Volksabstimmung bewilligt. Im Dezember 1935 konnte der Pavilion nach nur elfmonatiger Bauzeit eingeweiht werden.

Das Tragwerk, an dessen Entwicklung das Ingenieurbüro von Felix Samuely beteiligt war, besteht aus einem verschweissten und dann verkleideten Stahlskelett, einer in Deutschland mehrfach erprobten, aber in Grossbritannien neuartigen Konstruktion.

Mit dem strahlend weissen Volkshaus hatte sich nicht nur die vom Earl de la Warr verfolgte Vision einer zukunftsweisenden Seebadarchitektur erfüllt, sondern zugleich war die architektonische Moderne in England zum Durchbruch gelangt. Oberhalb der klassizierenden Kolonnade, die J. B. Wall 1911 zur Erinnerung an die Krönung von Georg V. errichtet hatte, erhebt sich der langgestreckte Komplex inmitten eines sanft zum Ufer hin abfallenden Rasenhanges. Der Pavilion besteht aus zwei funktional getrennten Bauteilen: dem blockhaft geschlossenen Volumen des Theater- und Konzertsaals im Westen, der von Chermayeff fertiggestellt wurde, als Mendelsohn nach Palästina übersiedelt war, und einem zweigeschossigen Osttrakt. Dieser war zum Meer hin verglast und auf der Landseite durch Fensterbänder gegliedert. Das Erdgeschoss diente als Restaurant; darüber befanden sich Lounge und Bibliothek.

Spektakuläres Kennzeichen des Baus aber ist das elegante Haupttreppenhaus, das wie der Mittelpavillon eines Schlosses halbkreisförmig vor die Flucht der Seefassade tritt. Ringartig umspielen die auf zwei Stützen ruhenden Terrassen den gläsernen Halbzylinder, um sich in Loggia und Dachplatte des Restaurantflügels fortzusetzen. Als sei man auf einem Hochseedampfer unterwegs, geht der Blick über die relingähnlichen Geländer hinaus auf das Meer. Die geschlossene Fassade zum Ort wird durch das weit vorspringende, gleichfalls verglaste Nordtreppenhaus belebt.

Es ist dem unermüdlichen Bemühen des 1989 gegründeten Pavilion Trust zu verdanken, dass zwei Jahre später mit einer denkmalschutzgerechten Sanierung des umgebauten und verwahrlosten Gebäudes begonnen werden konnte. Nach den Plänen des Londoner Architekturbüros John McAslan & Partners wurde zunächst die Seefassade mit ihren Terrassen und dem Haupttreppenhaus instand gesetzt. Später restaurierte man das zum Teil erhaltene Originalmobiliar von Alvar Aalto und ergänzte es durch Repliken. Nun erhofft sich der Pavilion Trust Gelder für den zweiten Bauabschnitt: die Teilrekonstruktion der Innenräume und des Konzertsaales, die Erneuerung der Nordfassade und den Neubau eines Verwaltungstraktes, der nach anfänglichen Plänen nicht mehr an den Bau anschliessen, sondern als niedriger Riegel separat entlang der Strasse errichtet werden soll. Überdies will man die ursprünglich für den Sport genutzte, nun aber aus Brandschutzgründen gesperrte Dachterrasse durch den Einbau einer Fluchttreppe zugänglich machen. Der District Council, Eigentümer des Gebäudes, hat bei der Nationallotterie um 16 Millionen Pfund für das Restaurierungsprojekt nachgesucht und wurde dabei unterstützt von der staatlichen Organisation English Heritage. Die Entscheidung wird im Herbst fallen.

Bis weit in die Nacht geöffnet, ist der De La Warr Pavilion der lebendigste Ort in der kleinen Küstenstadt. Er bietet Raum für Konzertveranstaltungen und Ausstellungen, für Aktivitäten diverser ortsansässiger Gruppen und Initiativen; vor allem aber kann man sich auf seinen Sonnendecks mit Blick aufs Meer erholen.

Wenn sich das Dunkel über Bexhill senkt, beginnt Mendelsohns elegante, durch verchromte Scheiben gegliederte Lampenkonstruktion im Haupttreppenhaus zu leuchten. Aus der Ferne wirkt sie wie ein gleissender Lichtfaden, der den gläsernen Zylinder erleuchtet. Und radiale Schattenstreifen der Fensterprofile lassen die erleuchtete Unterseite der vorkragenden Dachplatte zum strahlenden Nimbus werden. Die expressionistische Vision eines Volkshauses - hier scheint sie verwirklicht.

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