Bauwerk

Schuhfabrik Hermann Guiard & Co.
Siegfried Weitzmann, Arthur Korn - Burg bei Magdeburg (D) - 1925
Schuhfabrik Hermann Guiard & Co., Foto: Hubertus Adam
Schuhfabrik Hermann Guiard & Co., Foto: Hubertus Adam
Schuhfabrik Hermann Guiard & Co., Foto: Hubertus Adam
Schuhfabrik Hermann Guiard & Co., Foto: Hubertus Adam

Ziegel und Putz

1. März 1998 - Hubertus Adam
Burg, 25 Kilometer nordöstlich von Magdeburg gelegen, zählt zu jenen Orten, die Reisende lediglich als Autobahnausfahrt kennen - oder als Bahnstation, durch die der Intercity rauscht. Touristen verirren sich nur selten hierher, spektakuläre Sehenswürdigkeiten gibt es nicht, die Arbeitslosenquote liegt heute bei fast 25 Prozent.

Seine Blüte hatte der Ort in der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Tuch- und Maschinenfabriken siedelten sich an, vor allem aber wurde Burg zu einem Zentrum der lederverarbeitenden Industrie. Zunächst als Manufakturen in den Hinterhöfen untergebracht, besetzten die Betriebe bald immer grössere Areale innerhalb der Stadt. Conrad Tack, der als erster deutscher Schuhfabrikant seine Erzeugnisse in eigenen Läden verkaufte, liess einen weitläufigen Produktionskomplex nahe der Nikolaikirche errichten. Die gewaltigen Hallen mit ihren Reihen gusseiserner Stützen stehen heute leer.

Eine der letzten in Burg gegründeten Schuhfabriken war die Firma Hermann Guiard & Co., für die der Berliner Architekt Arthur Korn 1925 eine Produktionsstätte baute. Zusammen mit der ebenfalls von Korn errichteten Villa für den Fabrikanten Dr. Krojanker zählt sie zu den raren Leistungen des Neuen Bauens am Ort.

In den zwanziger Jahren gehörte der heute kaum bekannte Arthur Korn zur Spitze der architektonischen Avantgarde in Berlin. 1891 als Sohn jüdischer Eltern in Breslau geboren, hatte er zwischen 1909 und 1911 unter Bruno Paul an der Kunstgewerbeschule in Berlin studiert und einige Jahre in diversen Architekturbüros gearbeitet, bevor er sich - nach einer kurzen Assistenz bei Erich Mendelsohn - 1922 gemeinsam mit dem Ingenieur Siegfried Weitzmann selbständig machte. Schon der erste Bau, eine Villa für Rechtsanwalt Goldstein, den Präsidenten der Österreichischen Länderbank, geriet zum Markstein - nicht nur wegen der von De-Stijl-Prinzipien beeinflussten Formensprache, sondern auch wegen der Kooperation mit dem Plastiker Rudolf Belling und dem damaligen Mendelsohn-Mitarbeiter Richard Neutra.

Korn, Mitglied der Novembergruppe, der Architektenvereinigung «Der Ring» und des «Kollektivs für sozialistisches Bauen», profilierte sich im Villenbau, realisierte aber auch eine Reihe von Geschäftslokalen in Glas und Stahl. Sein Meisterwerk jedoch wurde der Neubau für die Kondomfabrik Fromm in Berlin-Friedrichshagen, eine weitläufige Gruppe von Bauten aus offenliegenden, rot gestrichenen Stahlskeletten, ausgefacht mit Glasscheiben und weiss glasierten Fliesen.

Von den NS-Behörden verfolgt, floh Korn 1935 nach Jugoslawien und zwei Jahre später weiter nach London, wo er Mitglied der M.A.R.S.-Gruppe (Modern Architecture Research) wurde. Er widmete sich ausschliesslich der Stadtplanung und lehrte von 1945 bis 1965 an der Architectural Association. Auf den Kontinent zurückgekehrt, starb Korn 1978 in Niederösterreich.

Bei der Schuhfabrik Hermann Guiard handelt es sich um den ersten Industriebau des Architekten. Gemeinsam mit seinem Partner Weitzmann errichtete er ein im Kern viergeschossiges Bauwerk von 37 Meter Länge und 13 Meter Breite. Der nördliche Teil ist um zwei Geschosse erhöht und setzt sich gegen den Hof im turmartig ausgebildeten Baukörper des Treppenhauses fort. Der Maschinenraum des Aufzugs überragt diesen um ein weiteres Stockwerk. Im Winkel schliesst sich auf der Südseite ein kleiner zweigeschossiger Trakt an, in dem sich ehemals die Verwaltung befand. Demjenigen, der von Süden her auf den Komplex zugeht, bietet sich eine sukzessive Staffelung der Baukörper dar, die durch zum Teil abgerundete Ecken an Dynamik gewinnen. Korn nutzte die Hauptansicht, indem er die fensterlose Stirnseite als Werbefläche einsetzte. Riesige, zum Teil stockwerkhohe, serifenlose Lettern, deren Schatten heute noch an der Fassade erkennbar sind, nannten den Firmennamen sowie den Ort und waren selbst aus den vorbeifahrenden Zügen zu erkennen.

Auch wenn der Hauptbau mit den vier Fabrikhallen ein Stahlbetontragwerk besitzt, bleibt die Konstruktion an der Fassade unsichtbar. Vorspringende Schichten aus roten Ziegeln alternieren auf Hof- und Strassenseite mit schmaleren, hellen Putzbändern, in welche die Fenster eingelassen sind. Am Verwaltungsbau verändern sich die Proportionen. Gebäudestirn und Dachaufsatz sind vollständig mit Ziegeln verkleidet. Die Nordfassade besteht aus zwei grossen, L-förmig ineinandergreifenden Flächen in Putz- und Ziegeloptik.

Überdies belebte Korn das Gebäude, indem er dem rein kubischen Charakter mit einer scheibenartigen Ausbildung von Wandelementen begegnete. Das zeigt sich besonders deutlich an der Strassenfront der zwei Dachgeschosse, dem Ziegelrechteck der Gebäudestirn und der gratigen Vertikale, welche die versetzten Fenster des Treppenhauses voneinander trennt. Man mag auch hierin einen Einfluss der holländischen Architektur sehen, der sich mit von Mendelsohn inspirierten Elementen (abgerundete Ecken) mischt.

Nach mehr als sechzig Jahren der Verfolgung und Verdrängung beginnt die Gemeinde Burg sich ihrer jüdischen Geschichte zu entsinnen. So wird die jüngst identifizierte Synagoge des 19. Jahrhunderts mit Mitteln der Denkmalpflege restauriert. Zur Biographie des Fabrikanten Guiard ist aber bisher kaum etwas bekannt. Das Grundbuch führt ihn bis 1937 als Eigentümer der Schuhfabrik, die in den letzten Jahrzehnten der DDR als Lager des Bekleidungswerks diente. Inzwischen wurden die einstigen Fabrikhallen in Einzelräume unterteilt; die Forderung der Denkmalpfleger nach einer Material- und Farbanalyse fand kein Gehör.

Mit der Schuhfabrik Guiard und der Villa Krojanker besitzt Burg die beiden letzten erhaltenen Bauten Arthur Korns. Nach Zerstörungen von Korns Bauten im Zweiten Weltkrieg war in Berlin mit Abbrüchen bis hinein in die siebziger Jahre unwidersprochen das fortgesetzt worden, was im Jahr 1933 begonnen hatte: die Zerstörung eines Lebenswerks.

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