Bauwerk

Mehrzweckhalle
Livio Vacchini - Losone (CH) - 1997
Mehrzweckhalle, Foto: Gaston Wicky
Mehrzweckhalle, Foto: Gaston Wicky
Mehrzweckhalle, Foto: Gaston Wicky
Mehrzweckhalle, Foto: Gaston Wicky

Das Glashaus in der Pfeilerhalle

24. September 1997 - Roman Hollenstein
Monumental und streng wie ein archaischer Tempel steht die neue Sport- und Mehrzweckhalle des Waffenplatzes von Losone an der Durchgangsstrasse ins Centovalli. Doch ist es weniger martialisches Imponiergehabe als vielmehr eine geheimnisvolle Entrücktheit, die dieses neuste Werk des 1932 geborenen Locarneser Architekten Livio Vacchini auszeichnet. Denn die graue Pfeilerhalle ganz ohne Sockel und abschliessendes Gebälk scheint - durch den strassenseitigen Gitterzaun gesehen - auf der grünen Rasenfläche zu schweben.

Den Vorbeifahrenden offenbart diese Architektur ihre Bestimmung kaum. Sie erinnert in ihrer formalen Abstraktion an eine andere Arbeit von Vacchini, die im Sommer 1996 eingeweihte neue Locarneser Hauptpost. Während diese aber in ihrer Selbstverliebtheit das urbanistische Gefüge zu sprengen droht, besitzt der introvertierte Solitär von Losone eine skulpturale Präsenz, die in der parkartigen Umgebung voll zur Geltung kommen kann. Hier treten, anders als bei dem mit Spiegelglas und Granit verhüllten Postgebäude, auch die Geheimnisse der Konstruktion offen zutage. Der tektonisch klar gegliederte, in seiner wahren Grösse gleichwohl nur schwer erfassbare Betonmonolith erweist sich als massiv und transparent zugleich: Birgt er doch innerhalb der durchbrochenen Hülle einen gläsernen Raum, der durch das Spiel der Spiegelungen entmaterialisiert erscheint.

Mit dem Lavieren zwischen Leichtigkeit und Schwere, aber auch mit dem Verunklären der wahren Dimension des Monolithen erweist sich Vacchini auf der Höhe der Architekturdiskussion. Er versteht es zudem wie wohl kein anderer zeitgenössischer Architekt, das Erbe von Schinkel und Mies van der Rohe heutigen Formvorstellungen anzunähern. So schuf er in Losone mit viel Sinn für Proportionen eine vom Goldenen Schnitt ausgehende Hallenkonstruktion, deren Deckenplatte - an der einem Vorgang gleich die Hülle des stützenlosen Glasschreins hängt - auf den Stirnseiten von 27 und auf den Längsseiten von 49 Betonpfeilern getragen wird.

Obwohl man Vacchini als Formalisten mit einem Faible für klassische Einfachheit, Rationalität und Abstraktion bezeichnen kann, erinnern seine Bauten - anders als gewisse Werke seines kürzlich verstorbenen Kollegen Aldo Rossi - nie an Mausoleen. Auch sie gehorchen zwar nicht sklavisch dem modernen Credo des «form follows function»; gleichwohl aber sind bei ihnen Form und Funktion eng verzahnt. So konnte Vacchini nur dank der tragenden Betonhülle sein platonisches Idealbild einer durchsichtigen, stützenlosen Glashalle verwirklichen. Entstanden ist dabei ein fast sakral anmutender Innenraum, angesichts dessen man es nur bedauern kann, dass Vacchini sein vor wenigen Wochen preisgekröntes Synagogenprojekt in Dresden nicht realisieren kann.

Mit dem Anfang August eingeweihten und bereits mit dem Beton-Preis ausgezeichneten Bau hat die Schweizer Armee nur zwei Jahre nach der burgartigen Kaserne von Fabio Muttoni und Silvano Caccia in Airolo ein weiteres Baudenkmal im Tessin errichtet. Allerdings dient der neue Mehrzweckbau von Losone nicht nur dem Militär, sondern auch den Bewohnern der Gemeinde. Während die Soldaten das Gebäude vom Kasernenplatz her durch den Hintereingang betreten, geleitet ein repräsentativer Zugang die Besucher von der Strasse zum gläsernen Hauptportal. Von dort führt eine Doppeltreppe unter der Tribüne hinauf in die mit Spiegelungen und Lichteffekten überraschende Halle: einen durch die Glashaut der Aussenwände definierten axialsymmetrischen Raum mit moosgrünem Fussboden und schwebender Kassettendecke.

Vacchini führt mit dieser minimalistischen «Skulptur» fort, was er 1990 mit seinem zur Landschaft hin transparenten Wohnhaus in einem kleinen Olivenhain hoch über Tenero begonnen hat und nun mit den Stadtwerken in Locarno fortführt: die zielstrebige Recherche nach grösstmöglicher formaler Reduktion unterschiedlicher Bautypen.

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