Bauwerk

G 40
INNOCAD - Graz (A) - 2002

Edelcrunch trifft Gründerzeit

Neue Häuser

Mehr auf emotionale Qualität denn auf kühlen Perfektionismus setzte das Team Innocad bei der Strukturverbesserung eines Zinshauses in Graz.

15. März 2003 - Franziska Leeb
An der Straßenfassade ist dem zweigeschoßigen Gründerzeithaus in der Grazer Goethestraße nichts von den Veränderungen anzumerken, die die Architekten im Rahmen einer umfassenden Sanierung vornahmen: Die ornamentierte Schauseite wurde erhalten und nur neu gefärbelt. Innen machten sie aus vier bestehenden Wohnungen fünf, wobei eine unverändert bleiben musste. Im neuen Dachgeschoßausbau kamen drei Einheiten dazu. Vier 80 m² große Appartements sind für Wohngemeinschaften konzipiert und es gibt auch drei kleinere mit 30-40 m².

Die Innocad-Gründer Martin Lesjak, Andreas Reiter, Peter Schwaiger und Bernd Steinhuber befinden sich altersmäßig in den frühen Dreißigern, sind also kaum älter als das angepeilte Zielpublikum für die aufgefrischte Altsubstanz, junge Leute und Studenten, denen man hier erschwinglichen und attraktiven Wohnraum bietet. Eigenen Stil verfolgen sie keinen, betonen die Innocad-Leute. Vielmehr geht es ihnen darum, wie ein DJ für jedes Projekt einen Mix aus passenden Komponenten zu sampeln.

Angesichts der Hoffassade ihres jüngsten Projektes denkt man unweigerlich an die Siebziger: Vorgehängte Balkone erweitern die Wohnungen um einen luftigen Freiraum. Zum Sicht- und Sonnenschutz sind sie mit textilen Membranen bespannt und gedeckt. Farben und Muster (Braun und kräftiges Orange) wirken ganz schön retro und liegen voll im Trend. Einen stilisierten Sonnenuntergang sehen die Architekten im grafischen Muster der Brüstungsabdeckungen. Ein bewegliches Element kann wie ein Vorhang zur Seite geschoben werden, um den Öffnungsgrad individuell zu steuern. Die Textilflächen sind mit Ösen und Seilen an der Balkonkonstruktion befestigt und lassen sich daher leicht austauschen. Technisch betrachtet handelt es sich bei den vorgehängten Stahlkonstruktionen mit Holzboden um Balkone. Der Sonnen- und Sichtschutz verleiht ihnen allerdings die Qualität einer Loggia.
Innen geht das Sampeln weiter. Keine Wohnung ist wie die andere, jede wirkt, als hätten die Bewohner den Pinsel eben erst aus der Hand gelegt. Doch die scheinbar zufälligen Individualitäten sind clever geplant.

Die künftigen Nutzer haben ihre Wunschoberflächen und -farben aus einem Katalog gewählt. Alle Wohnungen sind durch die ganze Baukörpertiefe durchgesteckt. Bestehende Wände wurden weiß gestrichen. Alle neuen Einbauten - auch die Duschwannen - haben wasserfeste Anstriche innerhalb des vorgeschlagenen Farbspektrums von vanillefarben bis oxydrot.

Erschließungsflächen wurden minimiert und mit anderen Nutzungen gekoppelt. Im Wohnungskern sind in Einbauten alle dienenden Funktionen wie Sanitärräume konzentriert. Je nach Wohnung lassen sich Durchgangsbereiche in diesen Zonen mittels variabler Stellung der Türflügel auch dem Nassbereich zuschlagen. Oder es gibt Schiebetüren aus transluzenten Doppelstegplatten zum Trennen und Verbinden von Wohnungshälften. Über den Kernzonen dienen Hochebenen in den Dachwohnungen als Liegeflächen oder Stauraum.
Wenn es den Architekten auch nicht um perfekte Details, sondern vor allem um emotionale Qualitäten ging: Schlampereien haben sie sich keine geleistet. Die eingesetzten Materialien sind zwar aus der preiswerten Kategorie, sämtliche Raumkonfigurationen und Oberflächenkompositionen hat man aber clever ausgetüftelt. „Edelcrunch“ nennen sie diese Optik, die dem alten Bestand eine jugendlichere Seele einhaucht.

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