Bauwerk

Schul- und Freizeitzentrum
Devanthéry & Lamunière - Genf (CH) - 1996
Schul- und Freizeitzentrum, Foto: Fausto Pluchinotta
Schul- und Freizeitzentrum, Foto: Fausto Pluchinotta
Schul- und Freizeitzentrum, Foto: Fausto Pluchinotta
Schul- und Freizeitzentrum, Foto: Fausto Pluchinotta

Lateinische Einfachheit

15. Mai 1997 - Roman Hollenstein
Die Stadt Genf ist ein städtebauliches Juwel. Doch mit der neuen Architektur tut sich die Schöne schwer, auch wenn Le Corbusier hier sein Immeuble Clarté realisiert und Maurice Braillard einer lateinischen Moderne den Weg bereitet hat. Nun aber träumt auch sie von zeitgenössischem architektonischem Appeal. So soll Massimiliano Fuksas die Place des Nations spektakulär in Szene setzen. Bereits realisiert sind zwei vielbeachtete Bauten: die Ecole Pré-Picot in Cologny von Chenu und Jéquier sowie das urbanistisch präzis gesetzte Studentenwohnheim am Boulevard de la Tour von Patrick Devanthéry und Inès Lamunière. Das Architektenpaar, das seit 14 Jahren zusammenarbeitet, macht sich nicht nur für eine zeitgemässe Sprache stark; es setzt sich auch für das moderne Erbe ein, wie es mit der soeben abgeschlossenen Erneuerung von Marc Joseph Saugeys legendärem Cinéma Le Paris beweist.

Das eigentliche Meisterwerk von Devanthéry und Lamunière ist aber ein im Mai 1996 eingeweihtes Schul- und Freizeitzentrum in der vom Autosalon her bekannten Genfer Vorstadt Le Grand Saconnex. Der Neubau steht an der schmalen Route de Colovrex im Spannungsfeld zwischen dem eng verschachtelten Dorfkern, der baumbestandenen Rathaus-Bastion und biederen Wohnblöcken. Dieses städtebauliche Gewebe und den gebauten Kontext analysierten Devanthéry und Lamunière mit viel Gespür. Die Firsthöhe der Nachbarbauten respektierten sie, indem sie den Schultrakt um eine Etage absenkten und dadurch einen sicheren Aussenraum für die Kinder schufen. Das Freizeitzentrum hingegen öffneten sie mit einem Vorplatz hin zur Strasse.

Die beiden Baukörper - die aus drei identischen Volumen gefügte Schule und das zusätzliche Volumen des Freizeitzentrums - bilden ein grösseres Ganzes, das elegant den Übergang von der Kleinteiligkeit des Siedlungskerns zum gröberen Raster der Nachbarschaft meistert. Nicht nur durch Treppen und Passerellen sind die Bauteile miteinander verbunden, sondern auch durch den überdimensionierten T-förmigen Schwebebalken, der die leere Mitte betont, zugleich aber auch den Blick auf Flughafen und Jurakette sowie - vom tiefergelegenen Wohnquartier aus - auf das klassizistisch angehauchte Rathaus freigibt.

Diese Komposition macht klar, dass es den Architekten hier um mehr als nur um reine Funktionalität ging. Der bipolare Bau und das repetitive Fassadenmuster lassen denn auch den Zweck des Hauses nicht ohne weiteres erkennen. Zugunsten einer poetischen Gesamtwirkung tritt die Konstruktion zurück. Geometrie, serielle Ordnung, Betonstruktur und Schwebebalken beschwören die Minimal art. Aber auch der Bezug zu Louis Kahn ist nicht zu übersehen: So zitieren die nach Nordwesten vorstossenden Atelierkeile das Salk Institute in La Jolla, während das mit schieferartigem Quarzit ausgefachte Betonskelett auf das Studentinnenheim des Bryn Mawr College in Pennsylvania verweist.

Die archaisch wirkende Verkleidung mit vertikal in den Beton eingegossenen Bruchsteinen überzeugt und ist als Beitrag zur aktuellen Diskussion der Gebäudehülle interessant. Sie verleiht dem Bau flimmernde Lebendigkeit, aber auch Schwere und integriert ihn ganz diskret in seine Umgebung. Die freistehenden Mauerscheiben, die optisch nur durch Fensterflächen zusammengehalten werden, zeugen - ähnlich wie die leere, vom perforierten T-Träger überdachte Mitte - von der komplexen Durchdringung von Innen und Aussen. Dieses Raumgefüge erreicht seine grösste Dynamik in den Korridoren der Schule, welche die Unterrichtsräume, Ateliers und Lehrerzimmer erschliessen. Hier wird das Treppen- und Passerellensystem des Aussenraumes erneut aufgenommen. Zwischen den Betonkuben der Ateliers öffnen sich - als Antwort auf den zentralen Durchblick - grosse quadratische Fenster; und der zurückhaltende Grau-Gold-Kontrast von Holz und Beton wird belebt von Tageslicht, das durch die Schlitze des Schwebebalkens tief ins Gebäude eindringt. In dieser materialsinnlichen Einfachheit und in der Verbindung von Funktionalität und Baukunst lassen sich Bezüge zur Deutschschweizer Architektur ausmachen. Doch sind es die lateinischen Elemente - die rahmensetzende Grossform des Schwebebalkens, die sorgfältige Integration in den städtischen Kontext und das urbane Selbstverständnis -, die diesem Bau seinen unvergleichlichen Charakter verleihen.

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