Bauwerk

Eissportzentrum
Sepp Müller, Werner Krismer, Alfred Berger - Wien (A) - 1994
Eissportzentrum, Foto: Alfred Berger

Glaspalast im Niemandsland

Nach nur 20 Monaten Bauzeit steht die Eishalle in Wien-Donaustadt: ein Nutzbau, klar und nüchtern, der den Besucher visuell nicht drangsaliert.

28. Januar 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Am Anfang war ein Wettbewerb. Aber die internationalen Architekturstars, die zum offenen Verfahren des Jahres 1990 zugeladen waren, die haben letztlich nicht abgegeben. Eine Eishalle bloß mittlerer Größe war anscheinend nicht interessant genug. Was macht's! Jetzt, wo die Eishalle fertig ist, darf man getrost konstatieren: Dieses Wettbewerbsdefizit war verschmerzbar. Denn das gebaute Ergebnis ist auch ganz ohne Prominenz und Internationalität spektakulär.

Die neue Anlage in Wien-Donaustadt besteht genaugenommen aus zwei gleich großen Eisflächen, eine davon in einer großen Halle mit 4350 Sitz- und Stehplätzen, die andere in einer kleinen, als Tonne formulierten Halle. Beide sind zweifach miteinander so verbunden, daß man auf kurzem (auch überdachtem) Weg hinüberwechseln kann. Die Gegend ist nicht gerade superb. Verkehrsmäßig war die Standortwahl zwar richtig - die Endstelle der U1 ist ganz in der Nähe - , aber das Umfeld mit seiner völlig disparaten, heterogenen Verbauung kann man eigentlich nur als dringliches Hoffnungsgebiet für die Stadtentwicklung bezeichnen. Was Architekt Sepp Müller gemeinsam mit Alfred Berger und Werner Krismer ursprünglich für einen anderen Standort geplant hatte, ließ sich jedenfalls problemlos in diese undefinierte Gegend transferieren. Oder noch besser: Jetzt gibt es dort wenigstens einen ersten Akzent, der immerhin so viel architektonische Gewichtigkeit demonstriert, daß eigentlich nicht mehr allzuviel schiefgehen kann.

Sepp Müller, das weiß man spätestens seit seinem Stiegenhauszubau zum österreichischen Museum für angewandte Kunst, ist für eine deklariert industrielle Lösung immer gut. Er setzt nicht auf formale Eigenwilligkeit oder eine irgendwie handschriftliche Geste, er bringt die gedankliche Disziplin auf, ein komplexes Programm mit dem geringsten architektonischen Aufwand optimal umzusetzen.

Das hat zur Folge, daß man sich nicht an irgendeinem besonderen Detail delektieren kann, daß man aber insgesamt von einer Atmosphäre eingehüllt wird, die erfrischend und angenehm selbstverständlich ist. Die Halle wurde im wesentlichen aus Stahlbeton, Stahl und Glas gebaut. Und im Grunde sind alle Funktionen, die es zu erfüllen galt, ganz pur und industriell dargestellt.

Der räumliche und architektonische Eindruck, der auf diese Weise erzeugt wird, ist dennoch: dicht. Von außen macht vor allem die weithin sichtbare Primärkonstruktion einen imposanten Eindruck. Denn ein gewaltiger Stahlfachwerkrahmen - äußere Abmessung: 83 Meter -, dessen Fundierung außerhalb der Halle liegt, überragt den ganzen Bau. An diesem Rahmen hängt nicht nur das ganze Dach, sondern teilweise auch die Sekundärstruktur und der oberste Teil der Gebäudehülle. Der größere untere Teil der Fassade „steht“ auf einem Sockel aus Stahlbeton. Diese konstruktive Lösung ist begründet: Verformungen im Dachbereich - durch Sturm oder Schneelasten - können sich so nicht bis in die Fassade auswirken.

Die gläserne Hülle der Halle spielt jedenfalls alle Stück'ln. Und sie zeigt, was den Architekten ein Hauptthema war: das Licht und die Ausblicks- und Durchblicksmöglichkeiten. Das mag bei einer großen Publikumsveranstaltung nicht besonders wichtig sein. Aber die Sportler, die hier trainieren, werden Luftigkeit und Transparenz des Baus zu schätzen wissen. Licht in einer Eishalle ist gar nicht so selbstverständlich. Denn Sonneneinstrahlung auf der Eisfläche wäre natürlich kontraproduktiv. Dieses Problem kann man heute durch eine entsprechende Verglasung ohne weiteres lösen. Bei der Eishalle ist daher nur ein Teil der Scheiben durchsichtig, der andere Teil, vor allem im oberen Bereich, ist mit Litex beschichtet, sodaß wohl Licht hereinfällt, aber die Sonnenstrahlen abgeschirmt werden.

Die Architekten hatten ein recht vielfältiges Programm zu bewältigen. Davon merkt man als Besucher nicht viel, weil zum Beispiel durch die rigorose Abschottung der Betriebsanlagen von der aufwendigen Kühltechnik nichts als die Schneegrube mit den zwei Eishobel-Fahrzeugen sichtbar ist. Aber wenn man sich genauer umschaut, dann merkt man doch, daß da viele verschiedene Funktionen - von den öffentlichen bis hin zu Trainingseinrichtungen aller Art - unter einem Dach vereint sind.

Man kommt hinein und passiert schon einmal die Cafeteria und eine kleine Sportboutique. Es sind ein paar Verwaltungsräume da und die verglaste Kabine der Hallenaufsicht. Hier muß man sich dann auch entscheiden, ob man zur Eisfläche beziehungsweise den Tribünen will oder hinunter zu den Kegelbahnen, die es ebenfalls gibt. Geht man zur Eisfläche, dann ist der Rundumblick schon sehr „besonders“, gerade weil alles so nackt und industriell ist. Ringsum ragen die Tribünen steil auf - die letzte Reihe befindet sich immerhin auf einer Höhe von rund 13 Metern - , darunter verborgen sind Garderoben und andere notwendige Einrichtungen, darüber ist die Dachhaut frei gespannt. Einen willkommenen Akzent in dieser schönen Regelmäßigkeit setzt nur die sogenannte Medienbrücke, wo auch die VIP-Logen sind. Ansonsten: Es herrscht eine Atmosphäre kühler, technischer Präzision, die sich aber nicht vordrängt.

Die Installationen sind sichtbar geführt, doch wird damit kein inszenatorischer Aufwand getrieben. Den Architekten scheint es im Gegenteil eher darum gegangen zu sein, jede gröbere „Unruhe“ im Raumbild zu vermeiden. So haben sie zum Beispiel die gesamte Klimatechnik nach außen verlagert, sodaß nur die Frischluftdüsen sichtbar sind, mit denen die Luft 35 Meter weit in den Raum eingeblasen wird.

Auch die Akustikmaßnahmen nimmt man nur als dunklere Streifen an der Decke wahr. Dabei war gerade die Bewältigung des Akustikproblems ein unkalkulierbares, letztlich unberechenbares Risiko. Daß es so gut ausgehen würde, konnte vorweg nicht bewiesen werden.

Was aber vielleicht am wichtigsten ist: Schon beim Eintreten ist man irgendwie aufgefordert zum Flanieren, ein rundumführender Wandelgang lädt dazu ein. Das Gefühl einengender Beschränkung kommt also gar nicht erst auf.

Ganz anders die kleine Halle, die an zwei Stellen an die große angedockt ist und erst nach dem Wettbewerb hinzukam. Sie hat zwar eine exakt gleich große Eisfläche, trotzdem ist sie bei weitem nicht so spektakulär: Man könnte sie als langgestreckten Schlauch beschreiben, der an den Schmalseiten schräg abgeschnitten ist. Im Gegensatz zur großen Halle mit ihrer demonstrativen Offenheit herrschen hier Introvertiertheit und auch Intimität.

Die beiden Bauwerke konkurrenzieren einander letztlich überhaupt nicht, sie sind vom industriellen Grundton her aufeinander eingestimmt und ansonsten so unterschiedlich ausformuliert, daß dadurch sogar eine gewisse Spannung entsteht. Die Kleinheit der einen Halle steigert die Wirkung der großen. Dabei hatte ursprünglich, nach dem Wettbewerb, ein Kritiker geschrieben, daß das Projekt zwar sehr schön, aber die Konstruktion nicht realisierbar wäre. Dieses Urteil straft der Bau umso mehr Lügen, als die Konstruktion nicht nur machbar, sondern verglichen mit dem Wettbewerb auch noch minimierbar war. Alles ist ein wenig feiner, ein wenig dünner und noch viel eleganter geworden als seinerzeit geplant. Die ästhetische Kraft des Baus rührt von der Schlüssigkeit des Konzepts her und von einer sehr weit vorangetriebenen Klarheit bei der konstruktiven und architektonischen Umsetzung. Die Architekten haben sich nicht in Nebensächlichkeiten verloren. Es ist ein Haus geworden - praktisch ohne Details. Dadurch kommt auch diese Luftigkeit und Weite zustande, wo einen visuell nichts drangsaliert. Das kommt einer Wohltat gleich.

Es lassen sich zwar immer wieder faszinierende Bilder ausmachen: Etwa die schöne Regelmäßigkeit der „sieben magischen Treppen“ (Architekt Berger) an der Nordfassade; oder die Differenzierung in der Fassade durch das unterschiedliche Glas; auch daß der „industrielle“ Grundton bis hin zur Möblierung konsequent durchgezogen ist, tut gut - selbst wenn hier die Sitze nicht weich gepolstert sind, sondern aus Metall.

Die neue Donaustädter Eishalle ist ein Glaspalast geworden mit einem Sockel aus Stahlbeton. Errichtet in einer Bauzeit von nur 20 Monaten. Bemerkenswert.

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