nextroom.at

Karte

Artikel

28. Juli 2012 Spectrum

Acht Jahre Arbeit

Die Evangelische Schule von Theophil Hansen am Wiener Karlsplatz: Nach langen Jahren des Umbaus nimmt eine zukunftsweisende Schultypologie Form an. Nur der neue Turnsaal, der bleibt ein frommer Wunsch des Architekten.

Vermutlich ist es der Alptraum eines jeden Architekten, wenn er in ein Projekt acht Jahre Arbeit investiert und dann so relativ wenig davon sichtbar wird. So muss es aber Martin Treberspurg und seinen Projektleitern – den Architekten Christian Wolfert, Partner im Büro, und Manuel Schweizer sowie Annemarie Mladek, Architektin und seit Langem der evangelischen Gemeinde Wiens verbunden – ergangen sein: Planen Schritt für Schritt, je nach der finanziellen Lage, Bauen hauptsächlich in den Schulferien. So viele Jahre. Und kaum einer nimmt den Generalsanierungsfall Evangelische Schule am Wiener Karlsplatz wahr. Dabei geht es um einen Theophil-Hansen-Bau von 1861 und um eine großartige, zukunftsweisende Schultypologie.

Hansen hat das Gebäude im Stil der italienischen Renaissance entworfen; ein „gnädiges“ Grundstücksgeschenk des Kaisers machte es möglich. Bis heute steht im Grundbuch, es muss eine Schule sein, und wahrscheinlich steht sie deswegen noch und nicht irgendein Hotel. Unter den Nazis zur Volkssturmkaserne umgewidmet, wurde sie beim Einmarsch von den eigenen Leuten angezündet. Zwei Tage und zwei Nächte hat sie gebrannt, den gelagerten Sprengstoff haben Bewohner hinausgetragen. Der Wiederaufbau (1954–1961) erfolgte durch Freiwillige, Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten aus religiöser Überzeugung, übrigens ganz unterschiedlicher Nationalität.

Die Folge waren viele, viele Mangelerscheinungen, die auch an die Substanz des Konzepts von Hansen gingen: Der zentrale, glasüberdachte Innenhof, um den die Klassen – 1861! – organisiert waren, wurde nicht mehr überdacht. Die schönen Arkadenumgänge wurden mit Türen und Fenstern geschlossen. Von Energieeffizienz keine Rede, dafür fehlte es an Bewusstsein und den entsprechenden Baustoffen. Platznot herrschte von Anfang an, obwohl Hansens Entscheidung, an der verkehrsreichen Wiedner Hauptstraße keine Unterrichtsräume, sondern Geschäfte und Wohnungen anzuordnen, Klassenzimmern gewichen war.

Treberspurg & Partner Architekten haben gewissermaßen bei der Eingangstür begonnen: Sie wurde „umgedreht“, weil sie tatsächlich noch nach innen aufgegangen ist. Ein gläserner Windfang definiert diesen Eingangsbereich. Und dann kommt man auch schon in den wiederhergestellten Innenhof. Dort wurden alle Einbauten entfernt, wurde die Bausubstanz saniert, die Glasüberdachung macht im Verein mit einer Fußbodenheizung wieder einen echten Innenraum daraus. Und der ist technisch so ausgerüstet, dass man ihn für Veranstaltungen, etwa Konzerte, nutzen kann. Akustisch sind die Voraussetzungen dafür bestens. Und das ist wichtig, weil hier neben einer Volksschule, einer „Wiener Mittelschule“ und einem Hort mit Vorschulklasse auch die JSB (Johann Sebastian Bach) Musikschule untergebracht ist. Was Generalsanierung bedeutet, kann man sich vorstellen: Alles neu, was nicht unmittelbare Gebäudesubstanz ist; in diesem Fall aber auch eine neue Dachkonstruktion, natürlich in Stahl und auf Stützen, die den heutigen Brandschutzbestimmungen entspricht; Wärmedämmung; und eine Dachverblechung aus Aluminium, die sich mit ihrem Grünton auf die oxidierten Kupferdächer der Gründerzeit bezieht. Die wichtigsten architektonischen Maßnahmen bestehen in der Überbauung der beiden Lichthöfe, die zuvor Nebenräume belüftet haben, und im Ausbau des Dachgeschoßes. Jetzt sind in den überbauten Lichthöfen Garderoben untergebracht, sodass die gut belichteten Räume, wo sie zuvor waren, den Klassen zwischengeschaltet werden konnten und die Unterrichtsmöglichkeiten erweitern. Treberspurg hat übrigens Hansens Überlegungen bezüglich der Hausseite zur Wiedner Hauptstraße beachtet, dort wurde eine kontrollierte Komfortlüftung installiert, die Fenster können geschlossen bleiben.

So richtig zeitgenössisch geht es vor allem im ausgebauten Dachgeschoß zu, wo der Direktions- und Lehrerbereich eine neue, durchaus großzügige Unterkunft gefunden hat: Belichtet durch hier gestattete Dachflächenfenster (an der Schauseite des Hauses strikt untersagt) und über die Glaswände zum Gang hin auch mit dem Ausblick auf eine kleine Terrasse. Davon gibt es jetzt zwei, jeweils über den überbauten Lichthöfen, und dazu noch eine sehr große Terrasse über dem Mitteltrakt. Auch die Bibliothek fand hier Platz, wiewohl sie Lesesaal heißt (Bauvorschriften).

Die Bauvorschriften, die Brandschutzbestimmungen, das Geld: Um diese Parameter dreht sich hier alles. Dem Hansen-Bau sollte kein Schaden zugefügt werden, aber es bedurfte komplexer Überlegungen und einer Tüftelei um Zentimeter. Der Brandschutz etwa hätte ein zweites Stiegenhaus erfordert, dafür war im Haus selbst aber kein Platz, man hätte es außen dran stellen müssen. Jetzt ist jede Klasse ein eigener Brandabschnitt mit Fluchtmöglichkeit über die Haupttreppe, der zweite Fluchtweg sind die Fenster – das Haus steht frei und ist für die Feuerwehr rundum zugänglich.

Die Sicherheitsbestimmungen hätten Schlimmes anrichten können, verstärkt durch die Ängste der Lehrer. Denen wäre am liebsten gewesen, die Brüstungen in den Arkaden zu erhöhen und zusätzlich vollflächig mit Netzen zu sichern. Das wurde abgewendet, eine dezent zurückgesetzte Verglasung auf den Brüstungen des Bestands erfüllt alle Anforderungen und tritt visuell kaum in Erscheinung. Dass man sich beim Innenausbau aus finanziellen Gründen sehr zurücknehmen musste, empfinde ich nicht als Mangel. Das hat eher für eine gewisse Selbstverständlichkeit gesorgt, die in aller Schlichtheit mehr überzeugt, als es kostspielige Kapriolen je könnten.

Martin Treberspurg hätte gern im Zwischenraum zwischen Technik und Evangelischer Schule unterirdisch einen ordentlichen Turnsaal für die Schule gebaut, der jetzige ist zu klein. Aber dafür gibt es kein Geld. In den Bundesländern ist eine Drittelfinanzierung – ein Drittel Betreiber, ein Drittel Land, ein Drittel Bund – gang und gäbe. Die Bundeshauptstadt hält sich jedoch bedeckt, weil die Evangelische Schule eine Privatschule ist. Wie heißt dieser werbewirksame Slogan doch so schön? Wien ist anders.

16. Juni 2012 Spectrum

Ein Haus der Lebenden

Das neue Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe zeigt Haltung. Über ein untypisches Werk von Delugan-Meissl.

Delugan-Meissl – oder korrekt: DMAA, Delugan Meissl Associated Architects –, die Zweite. Nach dem Filminstitut in Amsterdam, von dem erst kürzlich die Rede war, ist nun das Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe fertig. Es steht exakt gegenüber von Tor zwei des Zentralfriedhofs, auf einem Gelände, wo vorher fast nichts war, und es zeigt Haltung. Haltung in Bezug auf den urbanen Kontext, die Simmeringer Hauptstraße ist nicht gerade ein Highlight unserer Stadt, Haltung in Bezug auf das historische Gegenüber von Tor zwei des Wiener Zentralfriedhofs, das zweifellos Respekt verdient, vor allem aber Haltung in Bezug auf die Nutzer, ob es nun Mitarbeiter oder Kunden sind. Hier kommt man nicht zum Spaß her, hierher kommt man, wenn man einen Todesfall in der Familie hatte.

It's not like Delugan-Meissl. So streng hat man dieses Architekturbüro noch nie erlebt, so ganz unorganisch, so unheimlich rigide. Von außen ist das Haus fast quadratisch, von innen hat es den Zuschnitt eines U. Aber das sieht man von außen nicht, weil die Fassade aus vertikal gereihten, formal vollkommen unsystematisch entwickelten, weißen Aluminium-Sandwichpaneelen eine Gebäudehaut bildet, die dem großen Volumen architektonisch eine Fassung gibt. Allerdings löst sich diese weiße, sehr strenge und in keinerlei Regelmäßigkeit nachvollziehbare Haut aus den plastischen Paneelen – sie haben Körper, das Material lässt sich biegen und knicken – manchmal von den dahinter liegenden Bürogeschoßen ab. Die sind nämlich in schwarzem Putz, mit schwarzen, bündig sitzenden Fensterbändern und getöntem Glas. Der Kontrast zur weißen, glatten Fassadenhaut könnte nicht besser funktionieren.

Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil es in Wahrheit um einen ganz gewöhnlichen Verwaltungsbau geht. Und Bürohäuser basieren nun einmal auf einem ziemlich primitiven Raster. Diesen Raster durch eine vollkommen unsystematische Fassadenstruktur zu verunklären, nicht mehr lesbar zu machen, obwohl trotzdem alles hinsichtlich der Nutzung hervorragend gelöst ist, das kann man als kleines Kunststück ansehen. Die Entscheidung für eine solche Lösung war aber nicht bloß eine formalistische Laune der Architekten. Da stecken viele Überlegungen dahinter. Städtebauliche sowieso, denn als verantwortungsbewusster Architekt kann man an die Simmeringer Hauptstraße, noch dazu gegenüber von Tor zwei, nicht irgendein Bürohaus hinstellen. Und den Menschen, die als Kunden hierherkommen, muss man einfach einen räumlich seriös und ernsthaft wirkenden Rahmen bieten, der ihrer momentanen, durch einen Todesfall überschatteten Situation gerecht wird. Das Haus, deutlich abgerückt vom Straßenverlauf selbst, hat eine rundum verglaste (getöntes Glas) Sockelzone, über die die beiden Obergeschoße mit der weißen Fassade hinausragen. Man betritt es von der Simmeringer Hauptstraße, und dieser Zugang ist ausgesprochen gut gelöst. Ganz draußen alte Bäume, dann eine neue Grüngestaltung mit Rasen und Birken, die das Weiß der Fassade zitieren, unter dem auskragenden Obergeschoß hindurch der Haupteingang. Diese Differenzierung im Übergang von außen nach innen, diese Art einer architektonischen Schleuse, die ist wirklich gelungen. Und dann kommt man hinein – und der Raumeindruck ist überwältigend.

Es ist eine sehr große Halle, in der der Kundenverkehr abgewickelt wird. Wie gesagt, man kommt hinein über diesen Zwischenbereich eines überdachten Außenraums, wo man schon einen ersten Blick auf schauerliche Grabsteine werfen kann, betritt den räumlich niedrigeren, unmittelbaren Empfangsraum, aber visuell ist man gleichzeitig mit dieser großartigen Halle konfrontiert. Hier findet die umfassende Kundenberatung statt. Gleich dahinter angelagert ist ein Ausstellungsraum für Urnen und Särge – die wiederum als designerischer Alptraum gelten dürfen, den aber auch die Gestaltungsangebote der Architekten nicht relativieren konnten –, ebenfalls angelagert liegen seitlich spezielle, unterschiedlich dimensionierte Besprechungsräume.

Diese Halle mit Oberlicht und Sheds, die eine Höhe von über 1,20 Metern haben und durchaus plastisch ausgebildet sind, wobei auch eine Rolle spielt, wie sie im Winkel zur oberbelichteten Decke aus einem speziell gerasterten Glas stehen, die entfaltet eine erstaunlich intensive Raumwirkung. In dem Fall konnten die Architekten auch das Mobiliar entwerfen – im weiteren Haus haben sie nur Empfehlungen ausgesprochen –, dieses Mobiliar ist flach, sehr flach, gegliedert, um nicht zu sagen: zerschnitten durch die nutzungsbedingten Vorgaben, jedenfalls bringt es den Raum zum Leuchten.

DMAA haben sich auf keinerlei Klischee eingelassen, das hierzulande immer noch in Bezug auf Trauerfälle gilt. Es ist ein Haus für die Lebenden, ob sie nun Kunden oder Mitarbeiter sind: sehr hell, sehr freundlich, sehr großzügig. Es kommen nur wenige Materialien vor – weiße Wände und viel Glas, bedruckt mit gepixelten Bäumen, was man allerdings kaum nachvollziehen kann, in den halböffentlichen Bereichen auch viel Holz, etwa als Eichenparkett, weiß gekalkt und geölt, auf dem Boden, oder in einer etwas kräftigeren Färbung an den Wänden; in den beiden Obergeschoßen, im reinen Bürobereich liegen dann Teppichböden; die weißen Gipskartonwände stoßen nicht direkt an die Fassade, ein breiter Glasstreifen bewältigt diesen Übergang; die Glastüren zu den Büros haben in Kopfhöhe eine mattierte Fläche, sodass man den Blicken der Vorübergehenden nicht ausgeliefert ist. Natürlich haben alle Büros räumlich einen Zuschnitt, der sie für die Mitarbeiter angenehm macht. Und die Architekten waren bei der Entwicklung der Grundrisse geschickt genug, um die Gänge – sie laufen immer aufs Tageslicht zu – so zu verschwenken, dass an den Knotenpunkten räumlich aufgeweitete Kommunikationszonen entstehen. Eine Hervorhebung verdient die sogenannte Kantine, ein sehr eleganter Raum, den man für Veranstaltungen auch buchen kann; und sicher müssen die Terrassen erwähnt werden, also jene Schnittstellen, wo sich die weiße Gebäudehaut von den schwarzen Putzfassaden der Bürotrakte ablöst. Ein Gebäude häutet sich, neue (Frei)Räume entstehen. Und man versteht, dass die Menschen diese Arbeitssituation lieben.

5. Mai 2012 Spectrum

Berliner Einkaufszentrum: So etwas baut man nicht alle Tage

Wenn Ortner & Ortner in Berlin gestalten: ein denkmalgeschützter Komplex aus den 1950er-Jahren, eine glasüberdachte Straße, ein funktionell gestaltetes Parkdeck – und doch nur Kommerzarchitektur?

Es ist schon ein riesiger Architektur-Tatbestand, dieses Einkaufszentrum „Boulevard Berlin“. 76.000 Quadratmeter Nutzfläche baut man einfach nicht alle Tage. Das Büro Ortner & Ortner Baukunst – das sind Laurids und Manfred Ortner, die seinerzeitige Kerntruppe von Haus-Rucker-Co –, hat mit Großbaustellen allerdings einige Erfahrung, da muss man gar nicht an das Wiener Museumsquartier denken. Auch in Deutschland ist einiges entstanden – und nicht nur Kulturbauten wie die Sächsische Landesbibliothek (1996–2002), sondern ebenfalls Bauaufgaben, die in den Sektor „Kommerz“ fallen, das Forum Duisburg Shopping Center (2005–2008), mehrfach ausgezeichnet übrigens, oder das Berliner Alexa (2003–2007), das allen Unkenrufen zum Trotz – Gänge zu breit, Geschäfte zu wenig tief, man sieht schon von außen alles, man braucht gar nicht hineinzugehen – ein richtiger Publikumshit geworden ist.

Und jetzt also Boulevard Berlin. Ein holländischer Investor – offenbar schon eine Art Stammkunde von O&O – hat das gesamte Areal gekauft, auch den denkmalgeschützten Wertheim-Komplex aus den späten Fünfzigerjahren, erstaunlicherweise aber auch eine Straße, die Treitschke Straße, die jetzt als gut hundert Meter lange, glasüberdachte Passage – natürlich nur Fußgängern – zur Verfügung steht. Sie ist integraler Bestandteil des Einkaufszentrums, aber auch außerhalb der Öffnungszeiten zugänglich, ein gewohnter Weg für die Anrainer und die kürzeste Verbindung von der Schloßstraße zu einem kleinen Park, der unter den Bauarbeiten natürlich gelitten hat, aber durchaus liebevoll wieder aufgepflanzt wurde.

Wir sind in Berlin-Steglitz und an einem Ort, der Schlossstraße, wo es durchaus um die Konkurrenz zu den großen, berühmten Einkaufsstraßen Berlins geht, die Konkurrenz zur Friedrichstraße, zum Kurfürstendamm. Städtebaulich hat man es hier mit sehr, sehr großen und tiefen Gebäudeblöcken zu tun. Und jeder, der in den Fünfziger-, Sechziger-, Siebzigerjahren hier gebaut hat – man denke nur an den „Titania“-Filmpalast –, setzte sich auf diese „Footprints“ einfach drauf. Berlin hat tatsächlich einen so völlig anderen städtebaulichen Maßstab als Wien, es ist immer wieder überraschend.

Die Ortners, seit vielen Jahren dort ansässig und neuerdings auch Betreiber eines eigenen kleinen Ausstellungsraums, des sogenannten Depots, das einen Besuch durchaus lohnt, die Ortners haben etwas sehr Intelligentes gemacht: Sie haben die gewaltigen Volumina, die sie da zu bauen hatten, sozusagen durchgeschnitten. Sie haben Bauabschnitte konzipiert, die jeweils einen eigenen Charakter, ihre eigene Identität haben. Es reihen sich also formal differenzierte Bauten aneinander. Das ist für ein so großes Bauvorhaben sehr wichtig, denn die Einöde, die aus der Uniformität einer großflächigen, undifferenzierten Architektursprache entstehen kann, die darf man keinesfalls unterschätzen.

Es geht um vier Geschoße, deren Haupterschließung die erwähnte Glaspassage – 15 Meter breit, 15 Meter hoch, 100 Meter lang – darstellt. Besonders reizvoll erscheint mir daran, dass die Autos zum Parken über verglaste Brückenverbindungen hinauf auf die beiden Parkdecks auf dem Dach fahren müssen, was man von unten, von der Glaspassage aus, natürlich sieht. Das ist ein sehr netter und auch sinnvoller Gag, denn es ist ganz gewiss ein Fehler, wenn Architekten den Weg zum Parken und die Parksituation insgesamt nicht ernst nehmen. Dort spielt sich doch alles ab, vom Ausladen der Kleinkinder bis zum Einladen der Einkäufe. Wieso wird das eigentlich immer so geringgeschätzt?

Überhaupt: Sind Einkaufszentren die Kulturpaläste unserer Zeit? Jedenfalls sind sie Orte, an denen sehr viele Menschen zusammenkommen, und sie geben Geld aus. Und dem muss die Architektur Rechnung tragen. Am Boulevard Berlin tut sie das mit einem erstaunlichen Angebot an großen und kleineren nutzungsneutralen Bereichen, wo man sich einfach einmal hinsetzen und entspannen kann, wo sich eventuell auch etwas konsumieren lässt. Sie tut es mit einer Abfolge von sehr verschieden gelösten Innenräumen, von sehr niedrig bis zu ganz hoch – die höchste Stütze, in Sichtbeton, misst immerhin 18 Meter und hat, wie ich mir sagen ließ, so viel gekostet wie ein ganzes Einfamilienhaus. Sie tut es aber auch mit Fassadenlösungen, die definitiv vermitteln, dass man von einem Abschnitt in den anderen tritt, dass man womöglich einen Wechsel in der konsumierbaren Weltanschauung vollzieht. Sicher bleibt einem dabei etwas nicht erspart, die Einsicht nämlich, dass das alles eine Art von Betrug ist. Ob Muschelkalk oder Jura-Marmor, ob Putz oder getöntes oder helles Glas, ob noch so viel Holz – nein, diese Wunder vermögen Architekten nicht zu vollbringen, dass die Kernfrage, das Einkaufszentrum an sich, diese fokussierte, dabei sinnentleerte Konsumhölle, irgendwie verdaulicher würde.

O&O haben wirklich alles durchgespielt, was es an architektonischen Möglichkeiten bei einer solchen Bauaufgabe überhaupt gibt – vom Terrassenhaus bis zum pyramidalen Innenraum, vom feinen Bezug zum Außenraum/Park bis zur großstädtischen Blockfassade. Die Herrschaften wissen genau, worum es geht, und sie spielen auf der Klaviatur ihres Handwerkszeugs unheimlich gekonnt.

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, wäre da nicht diese Vergangenheit von Haus-Rucker-Co. Wo ist sie geblieben? Wo? Wo? Wo? Mein Gott, was haben wir doch alle gelächelt über die Anstrengungen der Coop Himmelb(l)au, die den Haus-Ruckern damals nicht einmal das Wasser reichen konnte. Und wo sind wir jetzt? Die Coop Himmelb(l)au hat sich durchgebissen bis zum Kultstatus, was allerdings nicht wirklich eine Aussage über die Qualität ihrer Architektur darstellt, vielleicht eher eine über den Grad des gespannten Interesses daran. Auch das wäre aber schon etwas, finde ich. Dagegen die altgedienten Haus-Rucker? O&O? Man kann sich natürlich vornehmen, man steigt jetzt ins kommerzielle Architekturgeschäft ein und macht das, und zwar gut. Man ist gescheit genug, um genau zu wissen, wo es langgeht. Aber hat das funktioniert? Ich bezweifle es ernsthaft. So komisch es klingen mag, wenn man Kommerzarchitektur baut, dann kommt immer nur Kommerzarchitektur dabei heraus. Und da kann man auch O&O heißen. Es macht keinen Unterschied.

Übrigens, das Depot: Dieser kleine Ausstellungsraum von O&O, da muss man hin. Es schnürt einem förmlich das Herz ab, wenn man diese Arbeiten sieht. Auch wenn es neuere sind. Da sieht man einfach, was sie wirklich können. Und es hat ja nie jemand daran gezweifelt, dass sie zu den Besonderen gehören.

31. März 2012 Spectrum

Mehr als Popcorn und Cola

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

Die Amsterdamer lieben es schon jetzt, das neue Filminstitut Eye, das am Nordufer des Flusses IJ – man könnte von einer Doppelcodierung reden, denn auf Holländisch spricht sich der Fluss genauso aus wie das englische Auge – als neue Landmark die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das zeigen schon die liebevollen Kosenamen – Auster, Perle, Auster mit Perle und weißer Schwan –, mit denen das Haus wechselweise bedacht wird. Und es setzt ja auch wirklich einen Akzent, den dieses erst noch zu entwickelnde Stadtgebiet Amsterdams durchaus braucht. Früher war dort auf einem sehr weitläufigen Areal ein rigoros abgeschottetes Forschungszentrum des Shell-Konzerns, wovon heute noch ein Hochhaus, der sogenannte Overhoeks Tower, zeugt. Es steht ziemlich nah neben dem neuen Filmhaus, eingepackt in eine Werbefläche für Letzteres, und das ist gar nicht ungut. Irgendwie betont dieses vermeintlich brutalistische, in Wahrheit nichts als kommerzielle bauliche Rufzeichen die Qualitäten des Hauses von DMAA – Delugan Meissl Associated Architects – erst so richtig.

Wir befinden uns gegenüber des riesigen Zentralbahnhofs von Amsterdam (hier verkehren täglich 100.000 Menschen). Ununterbrochen transportieren Fähren – übrigens kostenlos – Passagiere über den Fluss, der Weg zum Gebäude ist ein Katzensprung. Zuvor hat man das Bild dieses weißen, flachen, kühn auskragenden Objekts schon einmal in sich aufgenommen. Und die Spitznamen der Amsterdamer haben sich ein erstes Mal bewahrheitet.

Die Architekten haben sich einen recht langen Weg ausgedacht, der ins Gebäude hineinführt. Man betritt es genau genommen in der ersten Etage, im Basement sind die Büros, auch Restaurierungswerkstätten etc. Aber wenn man diese lange Freitreppe erst einmal überwunden hat, dann kommt man schon einmal auf eine großartige Terrasse. Großartig und sehr groß, ein fantastischer Blick auf den Fluss und das Gegenüber bietet sich einem. Und groß geht es auch drinnen weiter. Eine solche räumliche „Verschwendung“ sieht man selten. Man kommt in eine Art riesiges Atrium mit sehr viel dunkel geöltem Eichenholz, das künftig Café, Bar, Restaurant enthalten wird, das Aufenthaltsraum ist – und auch geeignet für jedes und alles an temporären Events. Natürlich sind die Decken höhenmäßig verschnitten, das steigert sich von niedrig bis ganz hoch, da wächst auch einmal organisch aus einer ansteigenden Arenatreppe eine Bar heraus; man könnte sagen: Es wuchert, aber nach Regeln. Und das Ganze wird dann durch die wunderbaren Leuchtkörper von Olafur Eliasson – einem Serienprodukt von Zumtobel – atmosphärisch sehr effektvoll gesteigert.

Der Gedanke war, darüber hat Roman Delugan bei der Pressekonferenz ausführlich geredet, einen Raum zu schaffen, der so einladend ist, dass wir unsere schlechten Kinogewohnheiten wieder ablegen. Nicht einfach hineingehen mit Popcorn und Cola, herausgehen, und das war es. Nein, diese Räume schaffen den Rahmen für Kino als kommunikatives Erlebnis, auch als gesellschaftliches Event. Wieder anders mit Film umgehen, nicht wie Fernsehen in der Menge, das steckt hinter dem räumlichen Konzept. Es gibt vier Kinosäle, von denen einer relativ groß und auch als Premierenkino geeignet ist – 315 Plätze –, die anderen fassen 130 und der kleinste 67 Besucher. Da ist eine Sache, die mich nicht sonderlich überzeugt. Im alten Filminstitut, das in einer Villa im Vondelpark untergebracht war, gab es einen historisch dekorierten Vorführraum. Und den wollte man ins neue Gebäude übertragen. Das ging nicht, der Zustand der Substanz hat es nicht erlaubt. Herausgekommen ist eine zeitgenössische Interpretation, auf die man durchaus hätte verzichten können.

Im Übrigen sind die Kinos ganz normale Boxen. Gott sei Dank. Denn da geht es immer noch um die Filme, die gezeigt werden. Würde sich die Architektur zu viel Eigenwert anmaßen, es wäre definitiv falsch. Kubelka hat schon gewusst, wovon er redet, als er seine Blackbox propagierte. Und das haben die Architekten bei allen möglichen Ambitionen, die ihnen wichtig gewesen sein mögen, auch begriffen.

Das Haus fließt. Delugan will es nicht als Skulptur eingestuft wissen. Es ist ein Organismus, sagt er. Das ist natürlich Koketterie, es hat aber auch seine Richtigkeit. Man schlendert so durch, man wechselt die Ebenen, immer auch begleitet durch wechselnde Raumhöhen, die unheimlich schnittig zu sehr diversen Raumerlebnissen führen. Und in zwei Fällen, seitlich vom großen Saal, steht man sogar vor sehr schmalen, steilen Treppen, die scheinbar ins Nichts führen – aber nein, sie sind kein Gag für räumliche Zwickelrestflächen, dort geht es zur Vorführkabine. Das Bild eines Organismus hat jedenfalls eher seiner Richtigkeit als das einer – statischen – Skulptur.

Man sollte vielleicht noch erwähnen, was Eye, das absolut führende Filminstitut der Niederlande, leistet – und jetzt leisten kann. Sie haben immerhin 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die sie anlässlich der Eröffnung am 5. April auch entsprechend nutzen werden. Sie haben ein sehr intelligentes Konzept der Vermittlung. „Panorama“ nennt sich ein Bereich, wo man unter acht Themen anklicken kann, was einen interessiert, kurz hineinschauen, aber auch in einem weiteren Raum und eigens entwickelten, sehr nett designten gelben Boxen den Film auf Abruf ansehen kann. Es gibt sogar die entsprechende akustische Installation, um Stummfilme adäquat zu begleiten. Und natürlich ist alles da, um auch Kindern das Medium Film nahezubringen.

DMAA mussten sehr lange durchhalten, um ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren zu können; nahezu acht Jahre, den Planungsauftrag haben sie 2005 erhalten. In dieser Zeit gab es einen Direktorenwechsel, was eine solche Projektentwicklung nie vereinfacht. Aber gut Ding braucht eben manchmal Weile. Und er ist wirklich gut geworden, dieser fast prototypische zeitgenössische Filmpalast – aus Amsterdamer Sicht vielleicht sogar eine späte Wiedergutmachung für die viel weniger glückliche, ebenfalls österreichische „Stopera“ des Wilhelm Holzbauer.

11. Februar 2012 Spectrum

Göttlicher Zufall

Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.

Es war sicher nicht der ideale Zeitpunkt für diesen Architektur-Sightseeing-Trip nach Hainburg. Weniger der eisigen Temperaturen wegen als vielmehr aufgrund des mangelnden Sonnenlichts. Hätte es das gegeben, das innenräumliche Erlebnis der Martin-Luther-Kirche von Coop Himmelb(l)au hätte sich noch gesteigert.

Die Anfahrt war nicht ganz problemfrei. Auf dem Parkplatz eines Discounters fand sich erst nach einiger Suche jemand, der mir in ausgezeichnetem Deutsch gesagt hat: Sie fahren immer gerade aus, die Kirche ist links. Nicht zu übersehen, es ist eine sehr schöne Kirche.

So war es auch. Sie war nicht zu übersehen, und schon auf den ersten Blick hat sie irgendwie gepasst. Maßstäblich auf jeden Fall. Wir sind immerhin mitten in der Altstadt Hainburgs, was sich in den Gassenbreiten und den Gebäudehöhen nach wie vor ausdrückt, weniger allerdings in der unmittelbaren Bebauung. Die ist zum Teil neueren Datums und eher uninteressant. Hier jedenfalls steht die Martin-Luther-Kirche, entworfen von Wolf D. Prix. Prix hat seine ersten 13 Lebensjahre in Hainburg verbracht und nun seinen Entwurf der evangelischen Gemeinde geschenkt.

Es ist ein kleiner Bauplatz – 420 Quadratmeter –, aber es ist auch eine kleine evangelische Gemeinde. In Hainburg umfasst sie etwa 280 Menschen, mitgerechnet das Einzugsgebiet 490. Da kommt man, wenn die Architektur etwas leistet, räumlich schon zurecht. Prix hat in Bezug auf den Grundriss überhaupt keine Salti geschlagen. Das Gebäude hat drei Teile, erschlossen durch einen Gang. Dieser Gang ist oben verglast, die Verglasung hat ein Schneeflocken-Muster, Letzteres dient der Beschattung.

Linker Hand sind die Nebenräume angeordnet – also Sakristei, Toiletten, Küche und das Büro des Pfarrers. Rechts hingegen geht es um die Hauptsache: vorne, zur Straße, der Kirchenraum, dahinter, zur kleinen Gartenfläche, der Versammlungsraum für die Gemeinde, dazwischen ein konisch verlaufender Bereich für die Kinder – Prix hatte ursprünglich dort das Taufbecken (Granit) aufgestellt. Aus womöglich liturgisch-zeremoniellen Gründen steht es jetzt aber neben dem Altar. Beide Bereiche, Gottesdienstraum und Gemeinderaum, sind über Falttüren miteinander zu verbinden. Dann gibt es für annähernd 140 Menschen Platz.

Zwischendurch ein kurzer Blick auf die Materialien. Auf dem Boden: ein gespachtelter Kunststoff, grau, dessen Haptik durchaus an Naturstein erinnert, ohne ihn nachzumachen. An den Wänden, ebenfalls grau, 3-D-gefrästes Eternit, ebenfalls von überaus angenehmer, geradezu warmer Haptik. Das hat seine Bedeutung, gerade bei einem derart einfach ausgestatteten Innenraum.

Halten wir fest: Sowohl der Kirchenraum als auch der Versammlungsraum umfassen jeweils nicht mehr als 64 Quadratmeter. Und die entsprechen der Grundfläche eines bauhistorischen Denkmals ganz in der Nähe, des Karners oder Beinhauses, auf den sich Prix bezieht. Dieser Karner hat nämlich – man könnte sagen: ein zeltartiges Dach. Seine Krümmung lieferte den Ausgangspunkt für die entwerferischen Überlegungen zur Formulierung jener drei Oberlichten über dem Kirchenraum, die nun – neben dem 20 Meter hohen Glockenturm – das entscheidende Charakteristikum dieser Kirche darstellen. Denn eines ist klar: Von der Coop Himmelb(l)au ist immer nur eine Architektur zu erwarten, die nicht nur formal Ungewohntes, womöglich Neues bietet, sondern die heutige konstruktive und technische Möglichkeiten sehr gut ausnutzt. Beim Kirchendach war das einmal mehr der Fall: Es wurde in einer Schiffswerft an der Ostsee gebaut, zusammengesetzt aus 210 Einzelteilen, und dann, zerschnitten in drei Teilen angeliefert (anders wäre man durch das Stadttor nicht gekommen), im katholischen Pfarrhof gegenüber zusammengeschweißt und in einer spektakulären Kranaktion auf den Kirchenbau aufgesetzt. Prix schwebte ein Tisch vor – tatsächlich tragen vier Stahlsäulen das 28 Tonnen schwere „Dachobjekt“.

Dass es noch einen zweiten Bezugspunkt für den Entwurf gegeben hat, mag Fachleuten auffallen: Corbusiers „La Tourette“ mit seinen aufgesetzten, plastischen Oberlichtelementen. Aber Prix zieht sie durch, bis hinunter in den Kirchenraum, dessen Decke dadurch fast organisch moduliert ist. Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass dieser Kirchenraum atmosphärisch sehr dicht, sehr eindrucksvoll wirkt. Das ist in einem evangelischen Andachtsraum besonders wichtig, weil er ohne katholisches Dekor der Marien- und Heiligenverehrung auskommen muss. Nur weiße Wände, Sitzreihen – gewählt wurde ein Sessel von geradezu klassischer Modernität –, der markant geformte Altar und die schon vielfach besprochene, gefaltete Glasfront zur Straße. Prix hätte sie gern unverstellt gelassen, dann hätte jeder Passant von außen Zeuge der Messe sein können. Aber das war eine zu weitgehende Forderung. Ein massiver, unregelmäßig gelochter Schirm aus Seekiefer, geteilt in vier Elemente, sodass sich dazwischen die Kreuzform ergibt, relativiert die Offenheit des Kirchenraums.

Der „Kanzelaltar“, organisch geformt, hat drei kleinere „Löcher“ oben und ein großes, flaches „Loch“ unten, er wurde aus Kunststoff gegossen und perfekt verkleidet mit Aluminiumblech. Natürlich war er in Aluguss gedacht, das konnte sich die evangelische Gemeinde aber nicht leisten. Sie ist mit den 1,4 Millionen Euro Baukosten ohnehin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.

Mich hat ein engagierter Vertreter vom Verein „Freunde der evangelischen Kirche in Hainburg/Donau“ geführt, Herr Adolf Reichel. Prix sagt: Ohne ihn gäbe es diese Kirche gar nicht. Reichel hat mir nicht nur die überaus schwierige Vorgeschichte dieses Kirchenbaues erzählt, sondern auch, wie die Gemeinde mit der Formensprache der Coop Himmelb(l)au umgeht. Sie fasst die drei Oberlichten im Andachtsraum als Zeichen der göttlichen Trinität auf, ebenso die drei Öffnungen im Altar, und die große, flache Öffnung unten als das leere Grab Christi. Alles Zufall, sagt Wolf D. Prix. Das mag/wird so sein. Aber ist es nicht eine wunderbare Art der Aneignung zeitgenössischer Architektur?

31. Dezember 2011 Spectrum

Hotel der anderen Art

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

Die Überraschung ist gewaltig, wenn man das neue Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel betritt. Denn man kommt zwar in einen sehr großzügigen, offenen Raum mit einer Art Empfangszone sowie Bar und/oder Restaurant („Bakery“), aber möbliert ist das Ganze äußerst eigentümlich, auf eine Art gehobenes Flohmarktniveau. Da mischen sich die Nachkriegsjahrzehnte beliebig durcheinander, durchaus konzentriert auf Massendesign, dazwischen niedrige Tische, die sogar Euro-Paletten nutzen, wie sie jeder Hubstapler im Baumarkt bewegt. Viele Topfpflanzen, meistens der kleineren, wenig repräsentativen Art. Spiegel? Eine alte Psyche, so stand sie auch im Schlafzimmer meiner Eltern. Eine wunderschöne, hölzerne Werkbank, wozu ist die da? – Was man zunächst aber keineswegs findet, das ist die Rezeption.

Die gibt es natürlich schon, aber man muss sie erst einmal identifizieren. Vom Outfit her hat sie jedenfalls mehr von einem Shop. Mir sind Hemden in Erinnerung, die gleich daneben zum Verkauf ausliegen. Das Personal ist jedenfalls sehr freundlich. Ein etwas ratloser Rundgang wurde gleich, aber nur kurz unterbrochen mit der Frage, ob man vielleicht irgendwie helfen könne. Verneinung, Rückzug, freie Bewegungsmöglichkeit, keine einengende Begleitung.

Das Hotel stellt den neuen Inhalt, die neue Nutzung des Hoffmann-LaRoche-Gebäudes von Georg Lippert und Roland Rohn dar, eine Architekturikone von 1960–1962, und je nach Quellen eines der ersten, wenn nicht das erste Gebäude mit einer Curtain Wall in Wien. Es ist ein Monolith am Gürtel, unweit vom ehemaligen Südbahnhof, und es sendet seine Grüße hinüber zum (Einund)Zwanziger-Haus-Komplex von Karl Schwanzer. Christian Heiss vom Büro Heiss Architekten sagt, erst in der Einreichphase wurden die Fassade und das Stiegenhaus unter Denkmalschutz gestellt, aber das habe die Planung nicht weiter tangiert, weil man mit den originalen Restbeständen dieser „Ikone“ sowieso äußerst respektvoll umgegangen sei. Abgesehen davon, dass diese Fassade eigentlich in tadellosem Zustand war: Die Aluprofile haben die Zeitläufe perfekt überstanden, nur hier und da musste eine gebrochene Scheibe ersetzt werden. Und die Hinterleuchtung des Gesimses, des oberen Abschlusses des Hauses, wird bald wieder perfekt erstrahlen.

Vom Originalen war im Inneren aber nicht mehr viel da. Außerdem gab es einen ziemlich schlimmen Anbau, den man abgerissen hat, um die ursprüngliche Wirkung des Solitärs wiederherzustellen. Dass man dadurch die Möglichkeit geschaffen hat, gleich daneben, einen Wohnbau zu schaffen (noch im Bau, ebenfalls Atelier Heiss), dessen viergeschoßige Tiefgarage gemeinsam mit dem Hotel genutzt werden soll, muss man unter den Vorzeichen der ökonomischen Verwertung von Grundstücken in einer solchen Lage zur Kenntnis nehmen. Erwähnenswert immerhin, dass ein Sonderparagraf zur Anwendung kam, damit die Vorgabe der geschlossenen Bauweise durchbrochen werden konnte.

Architektonisch gab es zwei Hauptschwierigkeiten: in einer Bürohausstruktur mit ihrem speziellen Raster Hotelzimmer unterzubringen war die eine; das zweite Stiegenhaus, ein Fluchtstiegenhaus, das heute zwingend vorgeschrieben ist, war die andere. Letzteres führt jetzt ins Freie, es ist also nicht für die tägliche Benutzung gedacht; Heiss hätte sich die Möglichkeit eines Rundumgangs mittels der zwei Stiegenhäuser gewünscht, aber das hätte im Erdgeschoß zu Problemen geführt; die kleine Küche wäre dadurch noch kleiner geworden.

Reißverschlusssystem im Zimmer

Die (Doppel)Zimmer sind ein Kapitel für sich. Sie bewegen sich in der Größenordnung von 16 (Standard) bis 26 Quadratmetern (Eckzimmer, eine Suite) und sind so knapp bemessen, dass der Architekt kleine Nischen einführen musste, um das Doppelbett unterzubringen und am Fußende doch noch vorbeigehen zu können. Das Ganze funktioniert wie ein Reißverschluss. Die Nischen sind verschränkt: Im einen Zimmer ist dieses Doppelbett nahe am Fenster, im anschließenden nahe an der Tür. Mit den Duschkabinen verhält es sich umgekehrt: Einmal sind sie ganz nah am Fenster (geschützt durch ein Rolleau), im anderen Fall nahe dem Eingang. In jedem Fall sind sie aber, im Verhältnis zum Minimalismus der Zimmer, sehr angenehm dimensioniert.

Der Minimalismus dieser Zimmer: Er ist wirklich auf das absolut Notwendige reduziert. Sanitäre Einrichtungen, ein Doppelbett, ein Flachbildfernseher an der Wand. Kein Schrank, keine Ablageflächen, kein Sessel. Das kommt mir sehr heavy vor. Denn die Betten sind wohl zu niedrig, um einen Koffer drunterzuschieben. Dafür bleibt eine kleine Raumnische. Was macht man mit seiner Kleidung? Mehr als vier Bügel an einer Garderobe habe ich nicht gezählt. Und wo legt man die Wäsche, die Kosmetikartikel ab? Die Zimmer sind also klein, aber vom Architekten definitiv – unter diesen Vorgaben des Betreibers – optimal gelöst. Die Bettnischen sind durch Nussholz irgendwie in den Adelsstand erhoben, der Teppichboden erfüllt akustische Funktionen, weil es im Lippert-Bau zeitbedingt keine Doppelböden gibt, man würde also jeden Stöckelschuhschritt durch die Geschoße hören. Immerhin: Die Gesamtwirkung der Zimmer ist durchaus elegant, vielleicht gerade weil sie so reduziert in der Möblierung sind.

Problematisch war auch die Glasfassade, wenn man sie von innen betrachtet. Das Glas hat einfach nicht die Werte, die man erwartet – weder akustisch noch thermisch noch sicherheitstechnisch. Doch würde man Gläser verwenden, die heutigen Standards entsprechen, dann würden sich auch die Profile (natürlich nicht thermisch getrennt) ändern. Es wäre eine völlig andere Fassade. Aber die ist gerade das, was das Spezifikum dieses Sechzigerjahre-Solitärs ausmacht. Heiss musste Brandschutzmaßnahmen einführen, kleine, niedrige Mauern vor der Curtain Wall, die den Brandüberschlag verhindern und eine Sicherheitsmaßnahme darstellen, sodass niemand hinausfallen kann. Am äußeren Erscheinungsbild ändert das glücklicherweise nichts.

Nur da, wo der spätere, ziemlich uninteressante und störende Anbau war, da musste Christian Heiss ästhetische Entscheidungen treffen, die den Gesamtauftritt des Lippert-Hauses tangieren. Das ist recht diskret geschehen. Heiss zeigt die Verwundung am Gebäude, aber mit feinen Mitteln – große Glasflächen, auch geschlossene Wandelemente –, nur wo es notwendig war; weil Zimmer dahinter liegen, hat er Fassadenelemente „rekonstruiert“. Diese Maßnahmen sind insgesamt sehr verträglich.

Es ist übrigens ein junger Grazer Hotelier, der sich das ungewöhnliche, sternenlose Konzept für das Haus ausgedacht hat. Die Auslastung ist offenbar gut, die Preise sind in Ordnung. Von den oberen Etagen ist der Blick sensationell, sogar den „visuellen“ Sicherheitsabstand zum künftigen Wohnhaus hat der Architekt gewahrt. Als Nicht-Fachmann fragt man sich aber, wer hier die eigentliche Zielgruppe ist. Für Rucksacktouristen ist es viel zu anspruchsvoll. Und die anderen? Na ja, sagte der junge Hotelier nicht ohne Schmunzeln zu mir, bei unseren Preisen können Sie sich ja auch ein zweites Zimmer mieten – für Ihre Garderobe.

20. November 2011 Spectrum

Das Haus an der Bahn

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

Das Nestroy-Zitat auf der Fassade des Pflegewohnhaus Meidling auf den Kabelwerk-Gründen trifft ins Herz der Thematik: Alt werden ist die einzige Möglichkeit länger zu leben. Und für diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, wurde hier, direkt an der Vorortelinie und gleich neben dem Friedhof, ein ziemlich großes Haus gebaut. Friedhof? Der Architekt: Ich glaube, das Wiener Herz hat sich mit einem solchen Ausblick bestens arrangiert. Vorortelinie? Keines der Zimmer wurde zur Bahn orientiert, diese Lärmbelästigung ist eine vernachlässigbare Größe.

Hubert Hermann, vom Büro Hermann & Valentiny und Partner (Wien-Luxemburg), ein engagierter Verfechter des Städtebaus der Kabelwerk-Gründe der ersten Stunde, hat gewissermaßen den „krönenden“ Abschluss der Anlage gebaut. Für diese Größe auf einem sehr knappen Bauplatz, eben deswegen auch ziemlich kompakt und an der Seite zur Bahn mit einer 15-Meter-Auskragung, die dem Baukörper überraschende Plastizität und Dynamik verleiht. Ansonsten steht das Haus fest auf der Erde, ziemlich hoch, ziemlich massiv, obwohl es sich mit sanftem Schwung entlang der Grundstücksgrenze „wickelt“, gebremst nur an der Rückseite, wo es (fast) nahtlos ans Nachbargebäude anschließt. Die Bebauung hat hier eine gewaltige Dichte, die man mit dem Attribut „städtisch“ nicht mehr relativieren kann. Eine bescheidene Grünpflanzung an dieser Seite hilft auch nicht viel.

Das Haus entwickelt sich über einem zweigeschoßigen Sockel, in dem Verwaltung und Therapieräume untergebracht sind. Auf fünf Geschoßen sind die Stationen des Geriatriezentrums – fünf Doppelstationen, pro Station jeweils 24 Bewohner – organisiert, zumeist Einzelzimmer. Oben drauf, sogar mit eigenem Eingang und Dachgarten, wurde das „Betreute Wohnen“ auf drei Geschoßen platziert.

Hubert Hermann ist auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime kein Neuling. Er hat schon in Wien-Atzgersdorf ein solches Haus errichtet und weiß daher genau, worauf es ankommt. Es geht bei einer solchen Aufgabe nicht darum, mit dem eigenen, individuellen Gestaltungswillen nach vorne zu drängen. Hier haben die Nutzer eindeutig den Vorrang. Und das bedeutet, dass man sich als Architekt genau überlegen muss, was man anbietet. Menschen mit einer Pflegestufe haben, man kann das durchaus sagen, eingeschränkte Bedürfnisse.

Das ist mir beim Rundgang durch das Haus besonders aufgefallen. Die Gänge sind natürlich breit, damit man auch mit Betten den nötigen Wenderadius hat, sie sind teilweise geschwungen, weil sie der Baukörper-Konfiguration folgen, und sie bieten immer wieder die Möglichkeit, nach draußen zu sehen. Der Architekt hat sich wirklich Mühe gegeben, die Gangerschließung in der großteils zweihüftigen Anlage aufzuweichen. Es gibt immer wieder sehr reizvolle räumliche Nischen, in denen man bequem sitzen und vor allem hinausschauen kann, und größer zugeschnittene, gemeinschaftlichen Aufenthaltsräume. Es war ein Sonntagnachmittag, an dem ich das Haus besichtigt habe. Man sollte meinen, da gibt es Besucher, da tut sich etwas. Aber nein, es herrschte bedrückende Stille. Und Hubert Hermann sagt, am ehesten werden noch die Räume genutzt, in denen ein Fernseher steht.

Dabei ist architektonisch, räumlich alles da, was man sich für ein solches Haus nur wünschen kann. Zu ebener Erde gibt es ein Kaffeehaus, auch ein Restaurant (Letzteres für Mitarbeiter), sehr angenehm in Bezug auf die Ausstattung, nur saß dort niemand. Da fragt man sich natürlich schon, warum Architekten so viele Gedanken investieren, wenn dann niemand von ihrem Angebot Gebrauch macht. Andererseits kann man dieses Angebot auch nicht einfach wegstreichen – es wird zwar offenbar nicht genutzt, aber wenn es nicht da wäre, dann blieben Kasernen übrig, in denen wir unsere alten Angehörigen einsperren. Und das kann und darf ganz bestimmt nicht sein. Das Haus hat eine Putzfassade – teilweise Kratzputz, teilweise normaler Putz –, und an der Schaufassade weist es eine horizontale Gliederung durch Fertigbetonelemente auf, die recht attraktiv sind, weil ihre Oberfläche mittels Strukturmatritze eine spezifische Qualität erhalten hat. Jedem Zimmer ist eine Loggia zugeordnet, immerhin mit 2,20 Meter Tiefe und über die Zimmerbreite, die sich mittels gelochten Blechfaltelementen auch schließen lässt. Die Bewohner haben also auch unmittelbaren Zugang ins Freie. Wenn es im Hochsommer heiß wird, ist es möglich sich abzuschotten und wie durch einen Schleier hinauszuschauen.

Der Innenhof ist als Therapiegarten für Demenz-Patienten gestaltet. Sie können hier ihre Kreise ziehen, in direkter Nähe zu den Therapieräumen. Die Vegetation wird sich allerdings noch entwickeln müssen. Gleiches gilt für den Dachgarten – der zwischen dem eigentlichen Geriatriezentrum und dem „Betreuten Wohnen“ liegt. Da laufen übrigens auch viele Installationen durch, und die hat der Architekt eingepackt, in einen Holzlattenrost, der eine sehr reizvolle – und überdachte – Liegewiese ergibt.

Das Entrée zu diesem Haus ist bescheiden. Aber man betritt schließlich kein Hotel. Drinnen hängt ein so gewaltiger, bunter Murano-Glasluster von der Decke, dass man zumindest für einen Moment verblüfft innehält. Hier kommt man auch gleich zu einem der beiden Erschließungskerne, das Fluchtstiegenhaus ist nach außen verlagert und setzt an der Kabelwerk-Seite einen ausgesprochen reizvollen Akzent. Wie gesagt, Freiflächen bieten der Hof und der Dachgarten über dem fünften Geriatriegeschoß. Die Zimmer haben einen durchaus passablen Zuschnitt, dagegen lässt sich nichts sagen. Der Architekt hat übrigens weiße, blumige Vorhänge dafür ausgesucht, irgendwie stickereimäßig, die bei den Bewohnern wohl durchaus heimelige Assoziationen auslösen. In diesem Fall durfte Hubert Hermann außerdem gewisse Einbaumöbel entwerfen, ausgeführt in Nussholz, was auch der Wohnlichkeit dient. Die Bemühungen sind also enorm. Aber weder das Personal noch die Bewohner spielen wirklich mit. Das ist keinesfalls als Vorwurf an irgendeine Seite zu verstehen, es entspricht lediglich den unwiderruflich tristen Tatsachen.

22. Oktober 2011 Spectrum

Italien in Kagran

Nennen wir es „Kagraner Mischung“: eine Wohnanlage, die den Donaustädter Stadtteil neu interpretiert, aber auch zeigt, dass überzogene Wohnvorstellungen passé sind.

Neue Stadtquartiere, man weiß es aus jahrzehntelanger Erfahrung, sind immer mit Skepsis zu betrachten. Denn die Verwertungsinteressen und die potenziellen städtebaulichen-architektonischen Ambitionen lassen sich selten zur Deckung bringen. Doch: Wenn man schon einen so privilegierten Standort zur Verfügung hat, wie das zwischen Wagramer Straße und Doningasse in Kagran der Fall ist, dann wissen heute selbst die Bauträger, dass man nicht einfach mit 08/15-Lösungen daherkommen kann. Also hat man in die Bebauung der ehemaligen LGV-Frischgemüse-Gründe, neben der U-Bahn-Station Kagraner Platz, qualitative Ansprüche investiert.

Das Bauträger-Verfahren fand 2008 statt, die Anlage ist noch nicht ganz fertig. Der Bauabschnitt, den Christian Knechtl und Josef Knötzl bearbeiten – rund 110 Wohneinheiten – ist noch im Rohbau. Die sogenannte „Kagraner Spange“ von Sne Veselinovic, ein ziemlich mächtiger Bau entlang der Wagramer Straße – mit einer interessanten Auskragung Richtung U-Bahn-Station – definiert die großstädtische Grenze des neuen Quartiers. Die Mächtigkeit dieser Wand hätte auch tödlich sein können, aber Sne Veselinovic folgt dem Straßenverlauf geschickt: Ein Knick im langen Riegel schafft Raum für vorgeschobene, niedrigere Bauten, man könnte sagen: ein paar „Zähne“, die aus dem Kiefer herausschauen. Das macht die Sache ausgesprochen verträglich.

Dahinter ein Wohnquartier, das Rüdiger Lainer städtebaulich entwickelt hat. Es umfasst vier Wohnzeilen, von denen eine p.good architekten (das sind Praschl-Goodarzi) bebauten und die anderen drei Rüdiger Lainer selbst. Beachtung verdient dieser Teil der Anlage, weil er kontextuelles Bauen auf einen Nenner bringt, der verträglich ist, nicht rückwärts gewandt, schon gar nicht provokant, einfach eine selbstverständlich bewohnbare Angelegenheit.

„Un poco“ – nur ein bisschen Italianità hat sich Rüdiger Lainer dabei vorgenommen. Mehr ging schon deshalb nicht, weil vom Bauträger eine gewisse Dichte gefordert war. Nun besteht das Umfeld aber aus – architektonisch durchaus fragwürdigen – Einfamilienhäusern, die alle ihren Grünanteil haben. Dazwischen ragen nur wenige, sehr grausliche Wohnblöcke auf, die das Bild empfindlich stören. Man könnte sagen, diese Störfaktoren hat Rüdiger Lainer einfach ignoriert. Er hat die Maßstäblichkeit der ursprünglichen, authentischen Bebauung in dieser Gegend aufgenommen und seine Wohnbebauung entsprechend gestaffelt. Sie ist an den Rändern, die zum Bestand der Umgebung in Sichtbeziehung stehen, niedrig. Erst dahinter staffelt sie sich zu städtischen Häusern in die Höhe (vier Obergeschoß). Was an den niedrigeren Häusern auffällt, das ist ihr etwas zerklüfteter Außenauftritt. Sie wirken jeweils wie ein Baukörper, aus dem man willkürlich Teile herausgeschnitten hat, und übrig blieb, wie gesagt, ein zerklüftetes, auch gestaffeltes Volumen. Lainer hat diese Häuser, es sind Patio-Häuser, von innen nach außen entwickelt. Was da steht, das ist das Resultat aus der Überlegung, wie man drei Patio-Häuser übereinanderstapelt. Jede dieser Wohnungen hat einen individuellen Zugang, den obersten ist außerdem eine kleine Einliegerwohnung zugeordnet, die Freibereiche sind durch Mauern und – baukünstlerisch geradezu mutig – zusätzlich aufgesetzte Kunststoff-Sichtschirme geschützt. Also: Auch bei relativ großer Dichte bleibt die Intimität gewahrt. Und das gilt selbst für die „hohen“ Häuser, denen Lainer „Wimpern“ verpasst hat. Gemeint sind damit bretterähnliche, horizontale Elemente unter den Fenstern, die verhindern, dass man dem Nachbarn hineinschauen kann.

Die „hohen Häuser“ haben verglaste Loggien, die man sicher ganzjährig nutzen kann. In der warmen Jahreszeit lassen sie sich ganz öffnen, in kälteren Zeiten erfüllen sie eine Art Glashausfunktion. Das ist alles durchdacht. Genauso wie die Grundrisse. Die gebaute Struktur dieser Häuser ist selbstverständlich ökonomisch, also einfach. Jedenfalls erlaubt sie eine Vielfalt an Detaillösungen, die der Architekt auch formuliert und den Wohnungswerbern vorgelegt hat. Keine direkte Mitbestimmung in diesem Fall, trotzdem konnte jeder wählen.

Die Vielfalt des Angebots ist in der Tat erstaunlich – von der durchgesteckten großräumlichen Lösung bis zur kleinteiligen Mehrzimmerabfolge. Lainer hat auch daran gedacht, die Freiräume wirklich benutzbar zu machen, sie stehen nicht nur auf dem Papier. Zwanzig Quadratmeter, das ist durchaus in Ordnung. Umso mehr, als die Wohnungsgrößen in letzter Zeit schrumpfen. Früher hatte eine Dreizimmerwohnung 85 Quadratmeter, jetzt hat sie nur 75 Quadratmeter. Für junge Leute sind die Kosten unseres Wohnbaus nicht mehr leistbar, die Überlegung war, wie man trotz geschrumpfter Möglichkeiten noch Qualität bietet.

„Un poco“ – Rüdiger Lainer hat ein städtebauliches Konzept entwickelt, das Charme hat. Es ist bezaubernd, durch diese leicht gekrümmten Gässchen zu gehen, hie und da die Andeutung eines Platzes, mehr ist nicht, mehr braucht es auch nicht. O-Ton Architekt: Zumindest können die Kinder hier kicken und stören niemanden dabei.

Das ist eine Ansage – der man aber hinzufügen muss, dass auch an die Grünraumplanung gedacht wurde. Sie ist noch nicht perfekt, doch die Mauern rund um die Patio-Häuser haben Pflanztröge und werden eines Tages begrünt sein. Und rund um die Wohnbebauung wird sich ein Grünstreifen, eine Art minimierter Park, erstrecken. Insofern geht dieser Teil der neuen „Kagraner Mischung“ auf die Umgebung ein.

Übrigens: Das Label „Kagraner Mischung“ gefällt mir von allen anderen Varianten am besten. „Kagraner Spange“, „Kagraner Idylle“, das ist alles ziemlich furchtbar. „Kagraner Mischung“ – Rüdiger Lainer hat einen recht bemerkenswerten Beitrag zum Thema geleistet. So kann man wirklich wohnen. So lässt sich eine reduzierte Wohnmöglichkeit immer noch optimieren.

„Un poco.“ Eine Wohnanlage, die Kagran neu interpretiert, die uns aber vor allem vorführt, dass wir von den überzogenen Vorstellungen heutiger Tage Abschied nehmen müssen. Es geht um kleinere Wohnungen, die sich auch junge Leute leisten können, es geht aber immer noch um den alltäglichen Wohnkomfort.

17. September 2011 Spectrum

Fuchs und Hase vorm Fenster

Perfekter Rasen, kein einziger rechter Winkel, erbaut von Handwerkern aus der Umgebung: ein Haus, mehr als ein Wochenendhaus, mitten in weitläufiger Landschaft. Besuch im Südburgenland.

Es war im Verlauf einer kleinen Besichtigungstour durch das Südburgenland, als die entscheidenden Worte fielen: von der Natur zur Architektur. Gesprochen hat sie Architekt Traupmann, von Pichler & Traupmann, der in dieser Gegend zu Hause ist. Und sie treffen haarscharf auf zwei größenmäßig relativ bescheidene Projekte des Büros zu, die allerdings an so privilegierten Standorten realisiert wurden, dass man darüber nur ins Schwärmen geraten kann: das eine das Traumhaus schlechthin, das zweite eine Art Mini-Hotelanlage inmitten von Weingärten, man glaubt es eigentlich nicht.

Letzteres heißt „Wohnothek am Ratschen“ – Ratschen ist der Name eines Rieds – und besteht aus zehn versetzt angeordneten Einheiten mit sägerauer Holzfassade, die wunderbaren Wohnkomfort und herrliche Ausblicke bieten. Diese Häuschen oder Kistchen stehen dort wie gewachsen, rundum aus Holz in verschiedener Oberflächenqualität. Man möchte manchen Umwidmungsgegnern ins Stammbuch schreiben: Es ist nicht immer falsch, wenn an Orten gebaut wird, die noch den Charakter des Unberührten, Unberührbaren haben. Es kommt eben darauf an, wie man es macht.

Diese Anlage wurde in keiner explizit touristischen Gegend realisiert. Sie steht aber in Verbindung mit einem Haubenlokal in Deutsch-Schützen, in das sich die architektonische Handschrift von Pichler & Traupmann schon vor Jahren eingetragen hat – Wachter-Wieslers Ratschen –, und auch für Weinreisende ist dieser Standort ideal: Sie können verkosten und auch übernachten, einfacher geht's nicht.

Und dann das Haus. An einem Standort, wo früher ein Weizenfeld war. Auf einem Hügel, ganz allein, fast in der Mittelachse der Blick auf die ferne Burg Güssing. Wiesen, ziemlich weit weg einige Streugehöfte, und dann auch Wald. Ein begnadeter Ort, sozusagen: heilig. Es ist ein weißes Haus, Bio-Swimmingpool vor der Südterrasse, Außenräume in jeder Richtung und äußerst differenziert interpretiert und nutzbar. Es ist mehr als ein Wochenendhaus, auch wenn es nicht der Hauptwohnsitz ist.

Traupmann sagt, bei allen ersten Skizzen ging es immer nur um die Linien, die Konturen des natürlichen Umfelds. Dieses ist in schmalen Streifen terrassiert, eine Folge der Besitzverhältnisse, und das nimmt der Baukörper auch wirklich auf. Es gibt zwar diesen deutlichen Einschnitt zum Haus hin, die Eingangssituation ist Architektur pur, eine künstliche Intervention. Aber auch hier lassen sich schon Korrespondenzen mit der Umgebung ausmachen. Denn wie sich das Haus mit seinen einzelnen räumlichen Elementen staffelt, das nimmt eben doch die Linien, die Konturen der Umgebung auf. Und es führt dazu, dass sich das Gebäude wie auf einer geöffneten Handfläche präsentiert. Man tritt im Unterstock ein, der ins Gelände eingegraben ist und großzügig bemessene Nutzräume bietet. An der Garderobe vorbei kommt man zur Treppe – die erste Besonderheit. Sie ist konisch, sie verengt sich nach oben, um dort das Erlebnis eines offenen Raums umso deutlicher in Szene zu setzen.

Und offen ist diese Wohnsituation wirklich, nicht nur durch viel Glas, es gibt auch kaum Türen. Wohnbereich, Essbereich, Küche – das fließt. Man spürt gewisse Zonierungen, aber muss schon sehr aufmerksam sein, um dahinterzukommen, woher dieser Eindruck rührt. Es sind die Verlegelinien der Eichenbretter auf dem Boden, eine einzige artikulierte Fuge genügt, um doch dieses Feeling zu transportieren, dass ein anderer Raumabschnitt beginnt.
Es gibt übrigens nur zwei Holzarten im Haus – Eiche auf dem Boden, Nuss beim Mobiliar. Und beide Hölzer sind im Wortsinn lokal verwurzelt. Das ist ja überhaupt das Schöne, dass hier Bauherren am Werk waren, die mit größter Ehrfurcht vor der bestehenden Landschaft agiert haben. Mich hat zwar der englische Rasenteppich rund ums Haus unheimlich beeindruckt, so etwas Perfektes sieht man selten (er wurde auch nicht eingesät, es ist Rollrasen, der im Frühsommer verlegt wurde ), aber dieser Rasenteppich definiert nur einen begrenzten, dem Haus unmittelbar zugeordneten Raum. Danach gibt es Naturwiese, die nach den Schäden, die durch so einen Bau unvermeidlich sind, liebevoll wiederhergestellt worden ist und im heurigen Sommer zum ersten Mal ihre volle Blütenpracht entwickelt hat.

Der Architekt hat sich nicht an den rechten Winkel gehalten. Alles im Haus ist zumindest leicht schräg, fast wie verzogen. Man merkt es kaum, man muss ziemlich genau hinschauen. Und es steckt natürlich nicht der Wille zur Schräge als Selbstzweck dahinter, auch da geht es durchaus um die Auseinandersetzung mit dem Umfeld und eine Art „gebaute Konsequenz“ daraus.

Zweitere spürt man im Haus auch noch in anderer Form: Es gibt einen Niveausprung, der den Geländeverlauf draußen im Inneren nachvollzieht und zum privaten Bereich der Bauherren weiterführt, vorbei am Schrankraum, zum Schlafzimmer und zum Bad. Letzteres ist räumlich fast luxuriös ausgefallen, mit integrierter Sauna, und man kann direkt ins Freie und in den Pool.

Das Haus ist kein spezielles Öko- oder Niedrigenergiehaus. Aber auf gewisse Dinge wurde doch geachtet. Etwa wird das Regenwasser in eine Zisterne geleitet und zum Gießen und für die WC-Spülung genutzt. Und es gibt Erdwärme, mit der die Fußbodenheizung und die teilweise vorhandene Wandheizung gespeist wird. Nicht zu vergessen auf den Bio-Pool ohne Chlorwasser.

Das Haus wurde von Handwerkern aus der Umgebung gebaut. Man kann sich vorstellen, dass denen allerhand abverlangt wurde, vor allem ungewöhnliche Präzision. Da verläuft eine Schattenfuge zwischen Decke und Wand, wie mit dem Lineal gezogen. Und natürlich wurde auf Sesselleisten verzichtet, der Anschluss könnte aber nicht perfekter sein. Obendrein hat die Entscheidung für Handwerker aus der Umgebung noch einen Vorteil, den man nicht gering veranschlagen sollte: Wenn es wirklich ein Problem gibt, sind sie gleich da.

Es ist ein sehr, sehr offenes Haus. Mit großen Glasflächen, die sich aufschieben lassen, man wohnt ins Freie hinaus. Und kommt dabei ganz ohne Vorhänge aus: Außer Fuchs und Hase schaut einem hier auch niemand zu.

13. August 2011 Spectrum

Bauliche Zeitreise

Historisches, gelungen ins Heute geholt. Bestes Bauwerk bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel, seit 2008 im Umbau: Das „20er Haus“ im Schweizergarten in Wien wurde zum „21er Haus“, mitsamt neuem Turm als Bürogebäude.

Er heißt jetzt „21er Haus“ und soll, einer optimistischen Presseinformation zufolge, am 20. September fertiggestellt sein, der denkmalgeschützte ehemalige Weltausstellungspavillon des Karl Schwanzer, den Adolf Krischanitz seit 2008 nicht nur generalsaniert, sondern flächenmäßig deutlich erweitert hat. Noch kann man sich diese Fertigstellung innerhalb einer Monatsfrist zwar schwer vorstellen, und in allen Teilen der neuen Anlage wird das auch nicht der Fall sein, aber Baustellen haben das so an sich, dass sie bis fast ganz zum Schluss unfertig und chaotisch wirken, um dann in letzter Sekunde doch noch zu mutieren.

Schwanzers auf der Weltausstellung in Belgien 1958 als bestes Bauwerk preisgekrönter Pavillon hat lange Jahre ein ziemlich trauriges Dasein gefristet. Die Zeiten, da jeder Wiener Kunstinteressierte ins „20er Haus“ pilgerte, um zeitgenössische Kunst sehen zu können, waren vorbei. Werner Hofmann und Alfred Schmeller hatten diese spannende Aufgabe in den Sechziger- und Siebzigerjahren noch erfüllt, als Ausstellungshaus des Museums Moderner Kunst im Palais Liechtenstein rückte es jedoch zunehmend an die Peripherie der Kunstrezeption. Und nach der Eröffnung des MUMOK im Museumsquartier schien seine Lebensfrist endgültig abgelaufen.

Diese düstere Perspektive wird sich schon bald, das darf man guten Gewissens prophezeien, in Wohlgefallen auflösen. Auch die Österreichische Galerie im Belvedere ist schließlich unter der Direktion Agnes Husslein-Arco in den Fokus des Interesses von Einheimischen und Touristen gerückt, das sollte für die österreichische Kunst seit 1945 ebenfalls gelingen. Und schließlich ist da noch die Wotruba-Stiftung – immerhin 500 Skulpturen aus Stein, Bronze und Gips, 2.500 Zeichnungen, 1.500 druckgrafische Blätter und 14 Ölbilder sowie die Artothek, die Kunstsammlung des Bundes, untergebracht in einem Schaudepot, das rund 33.000 Werken Raum bietet.

Damit ist der Schlüsselbegriff gefallen: Raum. Adolf Krischanitz, übrigens Schwanzer-Schüler, verfügt nicht nur über einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit historischer, moderner Bausubstanz (Werkbundsiedlung, Secession), er ist vor allem ein Architekt der räumlichen Konzepte. Die heute immer so abgefeierte Handschriftlichkeit in der Architektur ist ihm gar kein Anliegen. Er denkt kontextuell und in räumlichen Kategorien, die Bedeutungen schaffen.

Für den Schwanzer-Pavillon hat das zur Folge, dass er zwar als Solitär besser dasteht denn je, dass er aber in ein visuell völlig sekundäres, räumliches Netzwerk eingebunden ist. Dieses Netzwerk schafft allerdings erst die Möglichkeit für einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb.

Die Eingangssituation ist neu. Krischanitz hat das Untergeschoß ausgegraben, also sichtbar gemacht, man geht über eine Brücke ins Haus hinein. Der breite Graben, auf den man hinunterblickt, ist einerseits Erweiterung der dort situierten Wotruba-Stiftung, andererseits Terrasse für das Café/Restaurant. Letzteres wird Hermann Czech realisieren, und das kann man durchaus als eine späte Wiedergutmachung für den Sündenfall des MAK betrachten.

Krischanitz hat das Flächenpotenzial des Hauses praktisch vervierfacht, indem er zwei Untergeschoße ganz beziehungsweise teilweise nutzbar macht. Aber es ist keine Kellersituation, die er schafft, sehr intelligent gesetzte räumliche Einschnitte holen Licht in diese Bereiche. Das bedeutet, dass die beiden Skulpturengärten, die immer schon eine Qualität des Hauses waren, unten ausgehöhlt sind. Es bedeutet aber auch eine räumliche Komposition, die nicht gegen, sondern mit dem Geländeverlauf des Schweizergartens arbeitet.

Neben dem Schwanzer-Bau steht jetzt ein Turm. Er hat sechs Ebenen und genau die Proportion des neuen Tiefhofes, nur in die Höhe geklappt. Formal zitiert Krischanitz die Schwanzer-Fassade, bringt sich also nicht mit seiner individuellen Sprache ein. Trotzdem schafft er damit ein Signal, das öffentlich wirksam ist, das sich auch gegen die künftige Verbauung der Arsenalstraße – Zentralbahnhof und was die Stadtentwicklung in seinem Gefolge mit sich bringen wird – behaupten muss. Außerdem: Um einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb abzuwickeln, dafür braucht man heutzutage auch Büros (und Mitarbeiter). Dafür war im alten „20er Haus“ nie Platz.

Es gibt also das Signal des Turms und die viel spannender inszenierte Eingangssituation in den Schwanzer-Bau. Damit rückt das Haus vor, es rückt ein Stück Richtung Öffentlichkeit, es kann von vornherein einen Bedeutungsbonus verbuchen. Und das ist vielleicht das größte Verdienst des Krischanitz-Konzepts.

Der Schwanzer-Bau selbst hat dem Architekten eine Fülle von Detailproblemen beschert. Es muss ein österreichisches Spezifikum sein, dass wir Gebäude immer so weit verfallen lassen, bis es zu einer Affäre wird, sie wieder instand zu setzen. Das beginnt bei den tragenden vier Stützen im Hauptraum, die den heutigen Erdbebensicherheitsbestimmungen nicht mehr entsprechen und (unsichtbar) verstärkt werden mussten. Es setzt sich bei den Gipsplatten für die Decke fort, die ein sehr kleinteiliges Rastermuster haben, das heute kein Mensch mehr macht. Sie wurden nachgegossen. Die Drahtverglasung des zentralen Raums gibt es ebenfalls nicht mehr, sie wäre gar nicht erlaubt; das Problem wurde mit einer Bedruckung gelöst. Die Fassadenverglasung, die für diesen wunderbar japanisch anmutenden Lichtfluss sorgt, konnte wärmetechnisch gar nichts. Sie besteht jetzt aus zwei Schichten Rohglas mit einer vier Zentimeter starken Dämmung aus Glasfaser dazwischen. Der Eindruck drinnen ist unverändert, die isolierende Wirkung ein Vielfaches. Der ursprüngliche Quarzitboden wird nun wiederhergestellt, er musste in China gekauft werden. So könnte man weiter fortfahren.

Und dazu kommen die Brandschutzbestimmungen. Der wesentlichste Eingriff von Krischanitz in den ursprünglichen Schwanzer-Entwurf bezieht sich daher auf die Treppen. Sie waren frei, offen, jetzt sind sie eingehaust. Aber das war die Voraussetzung, um das Einraumkonzept dieses Hauses erhalten zu können, noch ergänzt durch eine Brandschutzmaßnahme, bei der brandsichere Vorhänge aus der Decke fallen. Das ist eine relativ neue Entwicklung und war in diesem Fall gewissermaßen die Rettung. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, das charakteristische räumliche Kontinuum des Schwanzer-Pavillons mit all seiner Offenheit in unsere Zeit herüberzuretten.

Wie gesagt, Krischanitz hat auf diesem Gebiet nach Werkbundsiedlung und Secession reichlich Erfahrung. Trotzdem dürfte es nicht allzu viele Architekten geben, die sich auf der Höhe ihrer eigenen Arbeit auf eine solche Zeitreise einlassen.

16. Juli 2011 Spectrum

Unter dem Tuch der Kamera

Der Umbau der Felsenreitschule in Salzburg – das bedeutet: Preisvorgaben, Sorge um historische Substanz. Das Ziel: Vorstellungen bei jeder Witterung. Ein Beispiel für gute Zusammenarbeit – Diskussionswürdiges inbegriffen.

Die Felsenreitschule in Salzburg hat nicht nur ein neues mobiles Dach, sie wurde auch sonst technisch, akustisch und im Erscheinungsbild insgesamt auf einen heutigen Ansprüchen deutlich besser genügenden Stand gebracht. Das war überfällig, denn die alte Planenüberdachung hatte ausgedient, ebenso der hölzerne Innenausbau mit seiner „Badehütten“-Anmutung. Es war aber auch fällig, weil die Felsenreitschule akustische Verbesserungen durchaus notwendig hatte – und weil sie, bei Erhaltung aller Qualitäten einer Freilichtbühne, einfach winterfest gemacht werden musste.

An Begründungen für die Erneuerungsmaßnahmen fehlt es also nicht. Was vielleicht fehlte, war ein angemessenes Budget. Von der öffentlichen Hand kamen fünf Millionen Euro und kein Cent mehr. Und unter dieser Vorgabe wurde auch das zweistufige Bieterverfahren abgewickelt, das die ARGE G. Hinteregger & Söhne, Oberhofer Stahlbau, IPC Project Consulting, das Statikbüro Herbrich Consult und das Salzburger Architekturbüro „Halle 1“ für sich entschieden haben. „Halle 1“ – das sind die Architekten Heinz Lang und Gerhard Sailer – waren für die Umsetzung des Projekts vermutlich ein Glücksfall. Schon seit vielen Jahren schreiben sie sich nachhaltig ins Stadtbild von Salzburg ein. Es ist nicht nur das interessanteste, es wurde mit viel Durchhaltevermögen auch zum erfolgreichsten Büro vor Ort.

Das hauptsächliche Problem war: Die ARGE musste einen Fixpreis garantieren. Dabei hatte sie eine Checkliste an Anforderungen zu erfüllen, die zwar den Charakter der Freilichtbühne uneingeschränkt bewahren, aber gleichzeitig eine neue, bei allen Witterungsverhältnissen nutzbare Opernbühne zum Ergebnis haben sollte. „Die Architekten“, so der Zuständige für das Gebäude- und Veranstaltungsmanagement, Marcus Piso, „haben nicht ihre Vorstellungen verwirklicht, sondern unsere – das ist ungewöhnlich.“ Und Gerhard Sailer von „Halle 1“: „Es war ein abenteuerliches und untypisches Prozedere, wir haben sehr viel zugelassen und uns oft auf eine Moderatorenfunktion zwischen allen Beteiligten beschränkt, wir waren an der Grenze des Möglichen.“ Schließlich ein anonymer Baupolizist: „Reich geworden ist hier keiner.“

Sie war also allen Beteiligten ein wirkliches Anliegen, die neue Felsenreitschule. Mit vielen (finanziellen) Nachlässen und Kompromissen sollte dieser qualitative Beitrag zum Festspielbezirk von Salzburg Wirklichkeit werden. Das bedeutet: ein neues mobiles Dach, Seitenwand- und Deckenuntersichtverkleidung neu, überdies zwei neue Geschoße über dem Saal, das obere noch nicht ausgebaut. Konstruktiv war die Sache dabei gar nicht so problematisch, wiewohl die grundsätzliche Vorgabe hieß: Die historische Substanz darf keinen Schaden nehmen. Den hat sie auch nicht. Es gibt zwei Fachwerkträger, die parallel zur Bühne bzw. zum Mönchsberg verlaufen, und die konnten auf den Betonpfeilern des Bestandes einfach aufgelagert werden. Es waren keinerlei neuen Fundierungen notwendig. Auf diesen zweigeschoßigen Fachwerkträgern liegen nun orthogonal zum Berg die Hauptträger, und in diesen werden die fünf Ausschubträger geführt. Das klingt sehr technisch, in Wahrheit ist es extrem einfach. An jedem dieser Ausschubträger hängt ein Stirnradgetriebe-Motor, das Zahnrad sitzt am Träger, der Ausschubträger hat eine Zahnstange. Einfacher geht es wirklich nicht, und man hat den Vorteil, dass die Wartung kein Problem ist, weil sich jeder qualifizierte Mechaniker damit auskennt. Überdies: Jeder Ausschubträger ist einzeln ansteuerbar. Man kann so einen Träger also auch für Bühneneffekte nutzen, dann fahren nur die übrigen weg.

Es dauert sechs Minuten, bis das Dach zugefahren ist, theoretisch ginge es auch schneller. Allerdings würde man diesen Vorgang dann auch deutlicher hören: Wenn sich 200 Tonnen bewegen, dann erzeugt das unweigerlich ein Geräusch. Letzteres ist jetzt vernachlässigbar. Und Außeneinflüsse, etwa prasselnden Regen, hört man gar nicht. Das Dach ist wie eine alte Holztramdecke konstruiert, es besteht aus zwei voneinander getrennten Schichten, die in drei Bahnen den Bühnenraum überdecken. Da hört man nichts.

Der Saal selbst wurde im Jahr 2006, im Zuge der Errichtung des „Hauses für Mozart“, schon einmal umgebaut. Damals hat man den Rang entfernt und eine arenaartige Lösung für den Zuschauerraum entwickelt. Akustisch hat das eine Verbesserung gebracht. Mit dem Mobiliar – den Sitzreihen – ist das weniger gelungen, die wurden damals zwar auch erneuert, aber sie sind recht banal. Und das fällt jetzt, nach der Rundumerneuerung des Saals, umso mehr auf. Der Innenraum der Felsenreitschule ist nun nämlich schwarz, das braune Gestühl mit seinen gemusterten Stoffauflagen kommt aus einem sehr anderen Universum. Sei's drum, der Innenraum ist schwarz. Die Decke – ein punktuell ausgeleuchteter „Sternenhimmel“ – besteht aus schuppenartig überlagerten Elementen, jede Neigung natürlich gesondert berechnet, ganz im Dienst der Akustik, von einem der profiliertesten Akustiker überhaupt, Prof. Karlheinz Müller. Und bei den Pfingstfestspielen hat Ricardo Muti dem Saal auch seinen Sanctus erteilt. Es war die Feuerprobe.

Man kann über die „Schwärze“ des Raums diskutieren. Gerhard Sailer sagt, es sei ein bisschen wie bei einer alten Kamera, bei der man sich noch das schwarze Tuch übergestülpt hat. So schaut man jetzt auf die Bühne, sie rückt in den Fokus. Ich finde, dass dieses Schwarz Details verschwinden lässt, man nimmt nicht einmal die Schuppen an der Akustikdecke des Saals so richtig wahr. Auch nicht die Beleuchterbrücken. Und wozu auch? Sind sie nicht die dienenden Elemente in Relation zum Bühnengeschehen?

Eine Kleinigkeit: Podpoddesign haben zum Lichtdesign beigetragen. Der Sternenhimmel allein brachte es nicht, der hat zwar die erforderlichen Luxzahlen bis zu den Zuschauern transportiert, aber kein Stimmungslicht. Podpoddesign haben sich etwas Bezauberndes einfallen lassen: Auf den Auskragungen der Seitenwände, die akustisch begründet sind, leuchten jetzt reihenweise Kerzen: das emotionale Element in einer überaus sachlichen Rauminterpretation.

„Halle 1“ haben sich bei der Felsenreitschule sehr engagiert eingebracht. Es ging schließlich um Salzburg, um den Festspielbezirk, nicht zuletzt um das Einfügungsgebot in die Salzburger Dachlandschaft, das zweifellos einen besonders hohen Wertigkeitsgrad hat. Klaus Kada hat beim Bieterverfahren einen viel kühneren Vorschlag eingebracht: Er wollte das Dach der Felsenreitschule als Deckel ausbilden, der sich senkrecht aufrichtet – und dann natürlich in voller Größe vor dem Berg steht. Als Projekt sicher interessant – nur nicht umsetzbar, nicht in Salzburg.

28. Mai 2011 Spectrum

Glatter als Glas

Urban, zeitgemäß, großzügig: das neue Bürohaus der ÖBB am Wiener Praterstern. Mit einer Empfangshalle, die den Namen Erlebnisraum ausnahmsweise wirklich verdient.

Eines ist jedenfalls gewiss: Das neue ÖBB-Bürohaus der Architekten Silja Tillner und Alfred Willinger bedeutet für den Wiener Praterstern einen Gewinn. Denn es definiert und beruhigt eine (bahntrassennahe) Seite dieses gewaltigen städtischen Verkehrsknotenpunktes, die früher schlichtweg Ungegend war. Hier stand ein Supermarkt städtebaulich völlig willkürlich in der Gegend herum, eingekreist von Parkplätzen, ein Magnet auch für die Obdachlosen (sie wurden übrigens nicht vertrieben, sie werden lediglich an einem weniger „prominenten“ Ort vom sogenannten Suppenbus bedient).

Es ist ein sehr großes Haus, das die ÖBB da errichtet haben. Ausgelegt für etwa 800 bis 1000 Mitarbeiter, in der Sockelzone zum Praterstern hin auch mit zwei Fremdvermietungen – einem Fitness-Center und demnächst wahrscheinlich einem Handy-Shop. Auf jeden Fall macht dieser Standort Sinn. Denn gleich dahinter, an der Nordbahnstraße, ist das nächste ÖBB-Haus, und schräg gegenüber, Nordbahnstraße 50, ein weiteres, besonders repräsentatives. Mir erscheint das als eine gute Konstellation, denn auch in Zeiten der totalen Vernetzung ist die Möglichkeit zur raschen persönlichen Kommunikation nicht hoch genug einzuschätzen.

Das Haus hat eine lange Geschichte – der Wettbewerb fand 2004 statt, Helmut Richter hat damals konzeptuell noch maßgeblich mitgewirkt –, und es hat einige Mutationen erfahren. Die für mich wichtigste: Der Haupteingang sollte ursprünglich gar nicht am Praterstern liegen, sondern den beiden anderen ÖBB-Gebäuden zugewandt sein. Das wäre allerdings Wahnsinn gewesen.

Da haben nicht nur die Architekten Überzeugungsarbeit geleistet, es wird sich wohl auch bei den ÖBB die Einsicht durchgesetzt haben, dass man dieses Haus nur vom Praterstern aus erschließen kann. Tatsächlich ist es ein Erlebnis, die Freitreppe hinauf- und durch die Drehtür hindurchzugehen. Da ist man mit einer Hofsituation konfrontiert – angenehm möbliert –, die Eindruck macht. Sie ist sehr großzügig und überdacht – nicht mit Glas, sondern mit einem ETFE-Folienkissendach. das ist jenes Material, das „mikroskopisch glatter“ (Willinger) als Glas ist, sich also selbst reinigt und kaum Gewicht hat, wodurch stark minimierte Konstruktionen möglich sind. Dieses Material wurde, wenn man so will, von Herzog & de Meuron in die architektonische Planungswelt eingeführt. Die kürzlich an dieser Stelle besprochenen Seilbahnstationen von Johann Obermoser sind ebenfalls damit gedeckt.

Entscheidend für das Gesamtkonzept war, eine sehr große Baumasse so zu gliedern, dass man sie versteht, dass man sich zurechtfindet. Daher gibt es zwei lange Bürotrakte – entlang der Bahn und der Nordbahnstraße –, deutlich artikulierte Erschließungskerne, die etwas zurückversetzt sind, und Verbindungstrakte, die Allgemeinfunktionen enthalten (Besprechungsräume et cetera). Über die Freitreppe bewältigt man quasi das Sockelgeschoß, um auf der Ebene des ersten Obergeschoßes – insgesamt gibt es sieben – den wunderbaren Innenhof, die großzügige Empfangshalle zu erreichen. Dort steht ein kleines, solitäres Gebäude – die Portiersloge, gleichzeitig 24-Stunden-Unterkunft mit Empfang und Ruheraum. Dieser Hofbereich, oder besser: diese Empfangshalle ist ohne Übertreibung ein Erlebnisraum.

Der gesamte Komplex wurde von den Architekten in relativ einheitliche Materialien gehüllt: selbstverständlich viel Glas, das einen leicht grünlichen Touch hat, Fassadenplatten in Grau, denen man mit gutem Willen auch einen leichten Unterton in Grün attestieren kann, silbrig eloxierte Aluminiumprofile bei den Verglasungen, die deutlich hervortreten, aber auch sehr filigran wirken. Und dann drinnen das, was in einer gelblich-braunen Verschalung ins Auge fällt, irgendwie überraschend im Kontext eines sonst so technoiden Gebäudes: Lattenroste aus zementgebundenen Hartfaserplatten, beschichtet. Man schaut sie an, denkt sich: Na, Holz kann das jedenfalls nicht sein, aber es bringt Wärme in ein sehr zeitgemäßes Gebäude. Tatsächlich war noch im Wettbewerb an eine „metallische“ Lösung gedacht, später sollte es Eiche sein, bei dieser Gebäudeklasse dürfen die Fassaden aber nicht brennbar sein – da ging nicht einmal Eiche. Die Lösung, etwas zu nehmen, das atmosphärisch die Wärme von Holz erzeugt, aber nicht so tut, als wäre es Holz, war sicher richtig.

Die Typologie Bürohaus ist an und für sich nicht sehr interessant. Büros werden aneinandergereiht, Mittelzonen gemeinschaftlich genutzt. Jeder gute Architekt wird sich bemühen, Arbeitssituationen zu schaffen, die zwar natürlich belichtet, aber auch mit Sonnenschutz ausgestattet sind, die klimatisch einfach stimmen. Die Klagen mancher Mitarbeiter über die Transparenz solcher Gebäude darf man getrost vernachlässigen. Diese Angst, bei irgendetwas beobachtet zu werden, das niemand sehen soll, wird durch Vorteil der natürlichen Belichtung bis tief ins Gebäude hinein wettgemacht.

Die Architekten hatten sich mit allerhand Vorgaben auseinanderzusetzen. Einmal war da eine Fernheizleitung, die das Grundstück quert und entsprechende statische Maßnahmen nach sich gezogen hat. Und dann gab es die Auflage eines öffentlichen Durchgangs – der nachts allerdings geschlossen wird – in Fortsetzung einer vorhandenen Passage unter der Bahntrasse. Dieser Durchgang hat immerhin ein Gesicht bekommen, dem man nicht nachsagen kann, dass es einen Restraum artikuliert.

Das Haus – es gibt auch noch ein erdgeschoßig eingeschnittenes Atrium, ein ÖBB-internes großzügiges Restaurant et cetera – hat einen Außenauftritt, der urban, zeitgemäß und großzügig ist. Es wurde allerdings gespart. Die Architekten haben das Budget sogar unterschritten, wenn auch teilweise mit einem weinenden Auge. Dass die gläsernen Lifte im hinteren Gebäudeteil gestrichen wurden, hat letztlich aber nichts mit den definitiven Kosten zu tun (das haben die Architekten rechnerisch überprüft). Es war eine Image-Frage. Den finanziell angeschlagenen ÖBB tut es derzeit gar nicht gut, allzu prominent oder repräsentativ aufzutreten. Und das hatte auf die Architektur Auswirkungen.

Immerhin: Das wundervolle Foliendach über dem Hof – sehr gut querdurchlüftbar, aber im Winter vermutlich niemals Minusgrade –, das ist allein schon seine Realisierung wert. Wäre schade, wenn wir so etwas nicht auch in Wien hätten.

23. April 2011 Spectrum

Eleganz statt Gestik

Bildung und Nahversorgung – passt das zusammen? Im Innsbrucker „Q-West“ durchaus. Unten gibt's Shopping, darüber eine Schule. Und das alles auch noch übersichtlich und klar organisiert.

Um es vorsichtig zu formulieren: Die Kombination ist einigermaßen überraschend. Der Innsbrucker Architekt Helmut Reitter – in Arbeitsgemeinschaft mit Eck & Reiter – hat mit dem „Q-West“ ein Bildungs- und Nahversorgungszentrum realisiert, bei dem auf einem Einkaufszentrum eine Schule platziert wurde. Auf Anhieb möchte man eigentlich sagen: Furchtbar, lauter kleine Konsumenten! Werden sie nicht früh genug dazu – muss das jetzt schon in der Schule sein? Wenn man aber vor Ort ist, versteht man sehr schnell, dass diese Verdächtigung nicht greift.

Es ist ein sehr großes Objekt, das Helmut Reitter und Eck & Reiter da realisieren konnten. Etwa 100 Meter im Quadrat – bebaut bis zum letzten Zentimeter. Und es steht in einem Viertel von Innsbruck, das hauptsächlich Gegend ist, ohne Zentrum. Verkehrsreiche Straßen, Gewerbe, Einkaufshäuser, eine Bahnlinie, diesseits und jenseits dieser Bahn sollen in Zukunft noch Wohnungen gebaut werden. Mit dem „Q-West“ hat dieser ziemlich unattraktive Ort immerhin ein Frequenz-Zentrum erhalten. Man merkt jetzt schon, hier tut sich etwas.

Die Architekten haben es jedenfalls perfekt verstanden, Schule und Einkaufszentrum vollkommen zu trennen, wiewohl beide räumlich verschränkt sind. Oberste Prämisse war: Die Kinder müssen von der Straße – und damit vom Haupteingang zum Einkaufszentrum – weg, sie brauchen ihre eigene Empfangs- oder Ankunftssituation, die ganz vom Einkaufszentrum abgeschottet ist.

Und das ist wunderbar gelungen. Man ist hier wirklich mit zwei völlig getrennten Welten konfrontiert. Das Einkaufszentrum erstreckt sich über drei Ebenen, sehr übersichtlich, mit einer großzügigen Mall. Und beleuchtet durch einen höchst angenehmen „Sternenhimmel“ aus LED-Lampen, einer Entwicklung aus dem Studio Bartenbach, die hier und auch in der Schule zum ersten Mal in großem Umfang eingesetzt wurde.

Über Einkaufszentren ist im Grund wenig zu sagen. Sie sind immer gleich, sie kämpfen immer mit den lauten Logos der Firmenketten, sie wollen übersichtlich sein. Es geht hier nicht anders zu als im Kaufhaus Tyrol, dem vornehmeren Konkurrenten, nur das Preisniveau ist etwas niedriger. Und der Investor – wieder einmal Herr Benko, wie beim Tyrol – hat es verstanden, aus der Tatsache, dass das zweite Parkgeschoß schon sehr weit im Grundwasser liegt, ein Mehr an Nutzungsfläche als Ausgleich für erschwerte Baubedingungen herauszuholen. Man muss offenbar sehr schnell rechnen können als Investor. Das Nutzflächenverhältnis beträgt jetzt 14.000 Quadratmeter Einkaufszentrum zu gut 12.000 Quadratmeter Schule.

Dafür ist diese Schule zweifellos ein Vorzeigeobjekt. Etwas so Großzügiges, auf angenehmste Weise Durchorganisiertes habe ich kaum je gesehen. Die Auskragung des Gebäudes signalisiert nach außen, wo die Schule anfängt. Sie erstreckt sich über zwei Vollgeschoße oben und ist auf der untersten Ankunftsebene teilweise, aber unmerklich mit dem Einkaufszentrum verschränkt. Man kommt auf einem großen gedeckten Vorplatz an – dazu muss man allerdings entweder über eine Rampe oder über eine Treppe zehn Höhenmeter überwinden –, geht in eine mehrgeschoßige Eingangshalle und über eine besonders breite Treppe hinauf auf das eigentliche Schulniveau. Dabei sieht man links hinein in den Dreifachturnsaal (hinter dem, unsichtbar, das Einkaufszentrum weitergeht) und verteilt sich dort zu den Klassen.

Die Schule umfasst – auf zwei Ebenen – immerhin 32 Stammklassen, ergänzt durch eine Vielzahl an Sonderklassen und räumlichen Angeboten aller Art. Wobei die Stammklassen in drei als Finger ausgebildeten Baukörpern angeordnet sind, die jeweils drei Atrien umschließen. Dorthin sind diese Stammklassen durchwegs orientiert. Vom Straßenlärm bekommt man hier nichts mit – Schallschutz war überhaupt eine Prämisse –,außerdem ist der Ausblick auf diese teilweise begrünten Höfe ausgesprochen attraktiv. Zum Thema Freiflächen: Sie fehlen hier nicht, im Gegenteil. Das Angebot an großzügigen, teilweise gedeckten Terrassen (4000 Quadratmeter), dazu ein riesiger Sportplatz auf dem Dach der Dreifachturnhalle, könnte nicht vielfältiger sein.

Aber die auffälligste Besonderheit liegt im Prinzip der Klassencluster, einem Schweizer Modell, das zusätzliche Unterrichtsmöglichkeiten in klassenübergreifender Form anbietet. Man könnte von überbreiten Gängen sprechen, die in der Mitte möbliert sind – links und rechts davon bleibt die vorgeschriebene Gangbreite selbstverständlich frei, und dort können Lehrer und Schüler in sehr lockerer Form zusammenkommen. Jeweils vier Klassen sind zwei solcher Cluster zugeordnet, und wenn man der Schuldirektorin glauben darf, dann tragen sie wesentlich zum Aggressionsabbau zwischen den Klassen bei.

Natürlich wurde das Thema Sicherheit großgeschrieben. Und da hat die Schule vom Einkaufszentrum unten profitiert: Sie verfügt über eine – normalerweise viel zu teure – Sprinkleranlage. Im Einkaufszentrum war die sowieso vorgeschrieben, man musste nur die Leitungen bis hinauf legen – die kostspielige Basisinvestition fiel also weg. Im Kaufhaus kann es zwei Stunden brennen, bevor man in der Schule etwas merkt. Und die Schule kann in sechs bis sieben Minuten geleert sein – nicht zuletzt, weil man von jeder Klasse auf zwei Wegen ins Freie kommt.

Tatsächlich konnten die Architekten fast alles, was sie im Wettbewerbsprojekt vorgeschlagen haben, umsetzen. Energetisch erfüllt es den Passivhausstandard. Bei der Einrichtung wurde erfolgreich für eine Qualität jenseits des Üblichen gekämpft. Nur bei den Bodenbelägen musste das gewünschte Holz mehrheitlich einem angeblich pflegeleichteren Naturkautschuk weichen. Außerdem gibt es keine Zentralgarderobe, damit wäre das Flächenlimit für eine solche Schule überschritten worden, und auch hier – kein Holz für die Spinde, sondern nur Blech.

Formal kann man diesem sehr großen Objekt jedenfalls attestieren, dass es mit Sachlichkeit und Ruhe auftritt. Es bildet die unterschiedlichen Funktionen nach außen ab, aber ohne große Gestik, dafür mit Eleganz. Damit trägt es zur Aufwertung der gesamten Umgebung bei, und die verträgt es hier.

12. März 2011 Spectrum

Wo die Gondeln schlafen gehen

Eine filigrane Konstruktion mit hauchdünner Haut, die mit dem Berg verschmilzt: die Gaislachkoglbahn im Tiroler Sölden. Besser kann man eine Bergstation nicht in Szene setzen.

Das Glück eines klaren, sonnigen Tages, das hatte ich leider nicht. In einem solchen Fall blickt man von der Bergstation der neuen Gaislachkoglbahn auf ein gewaltiges Alpenpanorama, zur Wildspitze, dem höchsten Berg Tirols, auf die Stubaier Alpen und sogar bis zu den Dolomiten. Aber es war auch so unglaublich eindrucksvoll.

Mit der Gaislachkoglbahn – Architektur: Johann Obermoser, Seilbahntechnik: Doppelmayr – hat die Tiroler Tourismusbranche jedenfalls einen wichtigen Schritt vollzogen: Sie hat sich von den gängigen Schemata verabschiedet und auf das Besondere gesetzt. Das ändert an der Systematik der Seilbahntechnik selbst – sie ist übrigens das eigentlich Teure an einer solchen Bahn – nichts, aber eine Art integrative Strategie bei der Arbeit der Techniker von Doppelmayr ins architektonische Konzept von Obermoser wird notwendig gewesen sein...

Was allen drei Stationen gemeinsam ist: Obermoser hat sie als offene, sehr transparente Räume angelegt, relativ roh, aber dem jeweiligen Standort durch dezente Maßnahmen eingepasst. Ihre Hülle ist wirklich nur Haut, ein Schutz für Leute, die sehr winterfest gekleidet sind und die Wärme eines geschlossenen Stationsgebäudes gar nicht brauchen. Das heißt, diese Stationen bestehen, von den notwendigen Nebenräumen und Zusatzeinrichtungen wie Restaurants abgesehen, aus Bahnsteig und sonst nichts. Auf die Akustik wurde sicher wert gelegt, auf den Einstiegskomfort (eben) natürlich auch.

Das Fantastische ist das Material, das Obermoser für die Eindeckung seiner Stationen gewählt hat. Es ist eine Folie, die vollkommen durchsichtig und so dünn (0,25 Millimeter), dabei brandsicher und belastbar (Schnee) ist, dass sie eine sehr minimierte Konstruktion ermöglicht hat. Herzog & de Meuron haben dieses Material als Pölster bei der Allianz-Arena verwendet, Obermoser setzt es flächig ein. Wie Glas, aber doch ganz anders, denn das ist nie farblos und immer körperbildend. Es wäre ohnehin viel zu teuer gewesen und auch zu schwer, die Stahlkonstruktion hätte massiver sein müssen. So hat man sich Tonnen von Material erspart. Überdies: Glas muss immer vollgepickt werden, sonst kommen die Vögel zu Tode. Diese Folie gibt nach. Also ist sie auch für die Naturschützer ein höchst interessantes Experiment. Und: Der Sonneneintrag ist ungewöhnlich gering.

Stadträumlich war die Talstation ein Problem. Sie liegt mitten im verbauten Gebiet von Sölden, und das Erdgeschoß musste unbedingt erhalten werden (Büros, auch Shops et cetera). Obermoser hat einen Betonsockel darübergestülpt und das Stationsgebäude daraufgesetzt. Vorgabe war, dass hier 3600 Passagiere in der Stunde abgefertigt werden können. Und das ist mitten im Ort schwierig, weil es einen sehr langen Bahnsteig (54 Meter) erforderlich macht.

Durch die filigrane Konstruktion und die unglaublich durchsichtige Haut stellt die Station für den Ort jetzt eine Attraktion dar. Man will sich gar nicht vorstellen, was ein massiveres Gebäude seinem Umfeld angetan hätte. Obendrein: Abends stehen die (über 100) Gondeln natürlich still, was bedeutet, sie müssen geparkt werden. Und das tun sie oben, oberhalb des Bahnsteigs, als eine Art Plafond, und der ist beleuchtet. Eine höchst effektvolle Inszenierung.

In der Mittelstation ändert sich das Bild, weil hier eine erste Verteilung der Passagiere stattfindet. Nicht alle, die von unten kommen, fahren ganz nach oben, dafür steigen hier manche ein, die schon eine Abfahrt von der Bergstation hinter sich haben. Wichtig ist, dass man sich jetzt einer Höhe nähert, wo der Permafrost eine Rolle spielt. Daher gibt es weniger Gondeln an der Zahl, aber sie sind bedeutend größer, und man findet mit nur drei Stützen das Auslangen. Man baut hier auf unsicherem Grund, was bei der Bergstation besonders augenfällig wirkt. Das bestehende Restaurant etwa hat sich im Lauf der letzten 20 Jahre über einen Meter gesenkt. Das kann beim Durchgehen ganz schön irritieren.

Der Permafrost: Wenn man auf einem solchen Gelände mehr oder weniger konventionelle Fundamente errichtet und darauf baut, dann schrumpft er, der Boden wird weich, das Gebäude senkt sich. Obermoser hat ein ziemlich intelligentes Konzept entwickelt, eigentlich ein Kammersystem, wo unten der Wind durchpfeift und oben die Station ruht. Obendrein wurden 17 Kontrollpunkte installiert, wo ständig gemessen wird, ob das Gebäude noch in der Waage ist – und je nach Erfordernis bis zu einem Meter austariert werden kann. Die eigentliche Hoffnung liegt aber darin, dass sich die Bodenverhältnisse auf diese Weise stabilisieren.

Bemerkenswert an der Bergstation ist architektonisch-formal, wie sie sich ans Gelände anschmiegt, wie sie mit dem Berg regelrecht verschmilzt. Man hat den Durchblick hinauf zum zehn Meter entfernten Gipfelkreuz, hinunter auf das fantastische Skigebiet, rundum zum dramatischen Bergpanorama. Das ist ein großes Erlebnis.

Die Wirkung von Obermosers Konzept besteht aber vor allem darin, dass er die technischen Installationen – und die haben ja wirklich eine umwerfende Ästhetik, da kann kein Designer mit – und das Leben drumherum zum Inhalt seiner Architektur macht. Das kann man kaum besser in Szene setzen. Aber es lässt sich entwickeln. Die Altbestände sind architektonisch ziemlich grauslich und auch schäbig. Klar, so privilegierte Bedingungen, wie sie Zaha Hadid in Innsbruck zu Füßen gelegt wurden, die gibt es in der landläufigen Tourismusbranche nicht. Da müssen sich die Dinge rechnen. Aber ich glaube, das werden sie auch. Der Ansturm ist jetzt schon sehr groß, und wenn sich das Erlebnis dieser neuen Seilbahn erst einmal weitläufig herumgesprochen hat, dann kann es nur weitergehen. Es könnte ein Gesamt(kunst)werk daraus werden.

5. Februar 2011 Spectrum

Und dann: Stopp, Funkstille

Seltsame Wettbewerbe, sündteure Gutachten und ein Architekt, der um sein Urheberrecht fürchtet. Der Verdacht auf Klüngelei und Scheintransparenz liegt in der Luft. Anmerkungen zum geplanten Umbau des Parlaments.

Eine Gefahr für Leib und Leben besteht nicht, aber das „Gebäuderöntgen“ hat dennoch ergeben, dass unser „Hohes Haus“ ein Sanierungsfall ist. Die Dachkonstruktion, das Mauerwerk, die Installationen – allesamt haben sie ihre Lebenszeit (seit 1883) überschritten. Die Informationen darüber tröpfeln stetig und – wie man jetzt sagen muss: verharmlosend – auf den Chronikseiten der Medien. Denn ein Schock war es schon, als plötzlich von vielen hundert Millionen Euro die Rede war.

Lassen wir die Kostenfrage beiseite. Sie ist für den Außenstehenden nicht durchschaubar. Zwar finden sich im Gesamtsanierungskonzept konkrete Beträge, aber die sind in der Summe nicht deckungsgleich mit dem publizierten Endbetrag. Unter der Hand heißt es, wenn man mit 700 Millionen durchkommt, können alle Beteiligten froh sein. Andererseits: Was soll uns eigentlich etwas wert sein – wenn nicht der Theophil- Hansen-Bau?

Was hingegen maßlos irritiert, das ist die Vorgangsweise. Man muss sich nur die „Chronologien“ – man beachte den Plural – des Prozesses zur Lösungsfindung im Internet anschauen. Die erste („unzensiert.at“) beginnt mit dem Jahr 2005 und der Präsentation eines Raum- und Funktionsprogramms, erstreckt sich über den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Nationalratssitzungssaales 2008 – Sieger: der Linzer Andreas Heidl – und die Aussetzung dieses Umbaus 2009, es kommt der Gutachter Matthias Rant ins Spiel, 2010 schließlich ein neues Gutachten (zwei Millionen Euro). Die zweite Chronologie findet sich auf der Homepage des Parlaments. Und siehe da, sie setzt mit Herbst 2009 ein – der Wettbewerb zum Nationalratssitzungssaal kommt also gar nicht mehr vor –, erwähnt die Beauftragung der Generalkonsulenten Frank & Partner und Werner Consult und endet mit Februar 2011 und der beabsichtigten Entscheidungsfindung über die künftige Vorgangsweise (am 16. Februar).

Nationalratspräsidentin Prammer hat durchaus glaubwürdig ihre besten Absichten bei der Durchführung dieses Riesenbauvorhabens bekundet. Wieso fühlt man sich als interessierter Beobachter dennoch als Opfer von Rosstäuscherei oder Scheintransparenz? Wo bleibt jetzt eigentlich der Wettbewerbssieger Heidl? Wo kommen die Herren Frank und Werner her? Hat irgendjemand, wenigstens in der Fachöffentlichkeit, gewusst, dass es da ein Verhandlungsverfahren gegeben hat? Hat irgendjemand gewusst, dass es ein gesondertes Verfahren für den historischen Bundesratssaal – übrigens mit zwei (!) Beiträgern – gegeben hat?

Dabei wurde alles korrekt in der „Wiener Zeitung“ ausgeschrieben. Aber wer liest andauernd die „Wiener Zeitung“? Vor allem, wenn er gar nicht weiß, dass solche Ausschreibungen anstehen. Nicht einmal Andreas Heidl – und der war damals schon lang genug mit der Arbeit am Nationalratssitzungssaal beschäftigt – hatte die geringste Ahnung. Absolute Funkstille aus dem Parlament – bis ein Kollege auf einer deutschen Internet-Plattform auf dieses Verfahren gestoßen ist, aber da war die Einreichfrist schon vorbei.

Man kann allen formalen, juristischen, demokratischen Ansprüchen Genüge tun, aber so in der Stille, dass genau diese Ansprüche gleichzeitig pervertiert werden. Und da darf sich dann eine Parlamentsdirektion oder die Nationalratspräsidentin nicht wundern, wenn der Verdacht auf Absprachen, auf hinter- und abgründige Klüngeleien entsteht, bei denen die Millionen für Gutachter und Juristen nur so fließen, obwohl sie der Sache letztlich in geringem Maß dienen. Es ist so, als hätte man neue, womöglich überraschende Ansätze zur Problemlösung absichtsvoll verhindert.

In Wirklichkeit war es ja schon haarsträubend, dass beim Architektenwettbewerb zum Nationalratssitzungssaal nur 21 Beiträge (davon drei deutsche Büros) eingereicht wurden. Wir schreiben einen kleinen Kindergarten im Stadtpark aus – ebenfalls EUweit offen – und haben über hundert Einsendungen. Wie falsch muss man es anlegen, damit man zu so einem mageren Ergebnis kommt? Immerhin: Es gab eine erstklassige Jury (Vorsitz: Podrecca, Vize: Schreieck) und eine einstimmige Entscheidung.

Also Andreas Heidl. Sein Projekt ist nicht das spektakuläre zeitgenössische Implantat schlechthin – und davon haben viele geträumt, obwohl der Saal von Fellerer/ Wörndle (1956) explizit unter Denkmalschutz steht –, vielmehr respektiert es diesen Saal als Gesamtkunstwerk. Es geht überaus vorsichtig damit um, macht ihn mit raffinierten Mitteln freundlicher, heller, komfortabler (und behindertengerecht). Heidl hat endlos lang geplant. Zuerst hat es im Parlament geheißen, der Verhandlungspartner ist die Bundesimmobiliengesellschaft, dann war die BIG plötzlich draußen, und seine Verhandlungspartner waren genau die, die vorher gesagt haben, sie sind nicht zuständig. Bei den Verhandlungen hat sich gezeigt, dass man es gar nicht eilig hatte, zu einem Ergebnis zu kommen. Eineinhalb Jahre, insgesamt 42 Mitarbeiter – und dann ein Vergleich: das halbe Vorentwurfshonorar zu einem Zeitpunkt, als das Büro schon mitten im Entwurf war. Aber der Hinweis: Es geht ohnehin gleich los. Und dann Stopp. Funkstille.

An die Adresse der Nationalratspräsidentin gesprochen: Fair ist das nicht. Das Büro ist daran finanziell fast zugrunde gegangen. Aber was kam danach? Die Sache mit dem Gesamtsanierungskonzept. Und da hieß es plötzlich, na ja, das Konzept kann einfließen. Heidl sah sich genötigt, ein Rechtsgutachten einzuholen, das ihm sein Urheberrecht bestätigt. Nur bedeutet das nichts. Wo ein Jurist ist, da sind noch viel mehr (Parlaments-)Juristen, und wen würde es wundern, wenn die jederzeit und in beliebiger Anzahl gegenteilige Rechtsgutachten lieferten. Soll Heidl das Parlament klagen? Es ist so gut wie undenkbar, dass keine Absprachen am Werk sind. Die Nationalratspräsidentin wird davon am wenigsten wissen. Aber sie muss sich auch eines sagen lassen: Im Parlament selbst versteht kein Mensch etwas von einer so komplexen Bauaufgabe. Alle sind Laien, eingeschlossen die Juristen. Alle machen das zum ersten Mal, alle kennen sich nicht aus, alle werden scheitern. Skylink lässt grüßen.

3. Januar 2011 Spectrum

Schallhart mit Glashaut

Raffinesse durch Beschränkung sowie ein klares und präzises Konzept. Heidl Architekten haben einen Friedhof in Linz gestaltet. Ein Mittel der Milieubildung statt L'art pour l'art.

Als im Jahr 2008 das Verfahren zur Neugestaltung des Nationalratssitzungssaals entschieden wurde, war die Überraschung groß. Denn der Gewinner war ein Linzer Architekturbüro – Heidl Architekten –, von dem man, speziell in Wien, noch kaum gehört hatte. Tatsächlich gibt Andreas Heidl auch freimütig zu, dass er sich um mediale Präsenz so gut wie gar nicht gekümmert hat. Nun tritt das Nationalratssitzungssaal-Projekt schon seit Langem auf der Stelle. Nicht aus der Perspektive des Architekten, der hat in die Ausarbeitung geradezu selbstmörderisch viele Arbeitsstunden investiert. Andererseits steht aber im Februar eine neue Gesprächsrunde in punkto Nationalratssitzungssaal bevor. Aus diesem Anlass sollte man sich das überarbeitete Projekt wahrscheinlich rechtzeitig genau anschauen, rechtzeitig, bevor auf der parteipolitisch dominierten Ebene möglicherweise Entscheidungen fallen, die nicht auf fachlichen Kriterien allein basieren.

Man wird diesen Februar-Termin nicht aus den Augen verlieren. Aber zuvor ist es wahrscheinlich angebracht, die Arbeiten von Heidl Architekten ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Ich habe mir eine Arbeit des Büros in Linz angesehen, sicher eine etwas ungewöhnliche Arbeit, denn es geht um einen Friedhof und die architektonischen Maßnahmen, die in Zusammenhang mit den heutigen Anforderungen (nicht zuletzt die Möglichkeit, muslimische Begräbnisse adäquat durchzuführen) verbunden sind. Natürlich ging es auch um ganz herkömmliche architektonische Aufgaben. Wie definiert man einen Eingang, wenn drumherum schon allerlei steht? Wie geht man damit um, dass man einen Bestand aus den Neunzigerjahren (Verabschiedungshalle von Architekt Goldner) in das eigene Konzept einbinden muss?

Heidl hat ein einfaches, klares, ziemlich präzises Konzept entwickelt. Und zwar sowohl in Bezug auf die städtebauliche Lösung und räumliche Abwicklung als auch die rigorose Materialkonsequenz. Der Eingang selbst ist durch schlichte Mauern und einen breiten Dachbalken definiert, mehr nicht. Und dann der Friedhof: ein viele Hektar umfassender Waldfriedhof, eigentlich eine fantastische Anlage mit altem Baubestand, die heute bei Weitem nicht voll genutzt wird, sondern auch reichlich Frei- und Naherholungsraum für die Bewohner der umliegenden Ortschaften bietet.

Städtebaulich bestand eine Schwierigkeit darin, dass die Haupterschließungsachse des Geländes und die Erschließung der bestehenden Verabschiedungshalle parallel verliefen. Für die neue Anlage wurde eine Umlenkung um 90 Grad notwendig. Diese Gelenkfunktion übernimmt jetzt der neue Glockenturm. Der Weg zur Verabschiedungshalle mündet zunächst in einen sehr großzügigen, offenen, hohen Versammlungsbereich. Bei winterlichen Temperaturen wird der natürlich kaum genutzt, in der warmen Jahreszeit bietet er aber eine schöne Möglichkeit. In der Halle selbst sind die Raumzellen für die Aufbahrung der Särge schlicht aneinandergereiht, an der Rückwand jeweils mit Licht von oben, was einen sehr stimmungsvollen Effekt ergibt.

Diese Halle ist überhaupt gut gelungen. Sie hat an der höchsten Stelle immerhin acht Meter Raumhöhe und ist zu einem Hof hin verglast, dessen Mauern nur eine gekieste Fläche mit einem einzigen Lebensbaum umschließen. Im Schnee ist das alles nur schwer nachvollziehbar, aber es ist offenkundig eine ziemlich mediterrane, vor allem meditative Maßnahme. Bei der Verglasung zu diesem Hof hin hat sich der Architekt einen gewissen Luxus geleistet: Die Scheiben messen beachtliche sechs mal drei Meter. Aber manchmal lohnt es sich einfach, zu solchen Sondermaßnahmen zu greifen – die Wirkung dieser Glashaut ist unvergleichlich.

Auch bei der Materialwahl ist da etwas gelungen. In der Beschränkung liegt die Raffinesse. Heidl hat sich für einen hellen, sehr ruhigen bulgarischen Kalksandstein entschieden, den er in besonders großen Platten verarbeitet hat. Wand, Boden, Decke bilden eine Einheit, mit der Ausnahme der Verabschiedungseinheiten an der einen Längswand. Die sind ganz in eine hölzerne Lamellenhaut gekleidet – hinter der sich ein Maximum an Haustechnik verbirgt –, Esche, weiß lasiert, und sie lassen sich nahtlos verschließen. Offen ist immer nur jene Raumeinheit, die gerade in Gebrauch steht.

Eine schöne Besonderheit verdient noch erwähnt zu werden: Heidl hat auf die Türen besonderen Wert gelegt. Sie sind sehr hoch und öffnen und schließen sich automatisch. Und sie sind sozusagen „Kunst am Bau“ – nur dass die Künstler hier Handwerker waren, die auf der Basis der Vorgaben des Architekten (Material: Messing, brüniert) freie Entwürfe einreichen konnten. Heidl: „Wir haben hier noch sehr gute Handwerksbetriebe, und wenn wir sie behalten wollen, dann müssen wir ihnen einfach die entsprechenden Aufgaben stellen.“ Diese Tore sind tatsächlich etwas Besonderes.

Die Anlage umfasst noch eine ganze Reihe dienender Räume, die entlang eines oberlichtverglasten Serviceganges angeordnet sind. Und vor allem den Bereich für die muslimischen Verabschiedungen, bei denen die rituelle Leichenwaschung durch die engste Familie eine wesentliche Rolle spielt. Das wurde räumlich/atmosphärisch bestmöglich gelöst. Aber es gab ein kurioses Detail: Wie geht man akustisch mit diesen Räumen um? Schallweich oder schallhart? Der Architekt entschied: schallhart, damit man die Klagefrauen gut hört. Bei der ersten Besichtigung durch den muslimischen Fachmann hieß es dann aber: „Wir haben keine Klagefrauen.“

Die Anlage ist ausgesprochen sensibel ins Gelände eingebettet – eine erste Böschung endet abrupt an einem Ha-Ha-Graben, dann geht es noch weiter steil hinauf. Leider hat sich dort ein Sicherheitsgitter festgesetzt, das der Architekt keineswegs goutiert. Er hat bei der Besichtigung auf Anhieb eine andere Lösung entwickelt.

Wichtig ist, dass hier Architektur offenbar als Mittel der Milieubildung eingesetzt ist. Der designerische Faktor bleibt ganz im Hintergrund. Es gibt nicht die Gestaltung um der Gestaltung willen, sondern eine Strategie der Schlichtheit – auf höchstem Niveau. Und das darf einen durchaus neugierig machen, wie das Nationalrats-Projekt im Endeffekt ausschauen wird. Aber das erfahren wir im Februar.

4. Dezember 2010 Spectrum

Die gläserne Mitte

Eine Schule in Hirschstetten: mit überlegter räumlicher Organisation, freundlichen Gängen und einer Empfangshalle, die Aus- und Einblicke erlaubt. Einziges, den Planungsvorgaben anzulastendes Problem: zu eng bemessene Arbeitsräume für die Lehrer.

Im Schulbau herrschen – ungewöhnlich – klare Verhältnisse. Denn das Programm, das ein Architekt zu erfüllen hat, ist in der Regel recht genau definiert. So kann sich der Planer ganz auf das konzentrieren, was aus einer geforderten Anzahl von Räumen mehr macht als die bloß additive Aneinanderreihung, man denkt über Synergien nach, über abwechslungsreiche Raumfolgen, über die qualitative Überformung der geforderten Funktion.

Beim Schulneubau an der Ecke Contiweg/Aspernstraße in Hirschstetten (Donaustadt) lässt sich das sehr gut überprüfen. Dort hat das Atelier Heiss Architekten – das sind Christian Heiss, Michael Thomas und Thomas Mayer – einen Gebäudekomplex „auf die grüne Wiese“ gestellt, der immerhin 36 Stammklassen umfasst. Das ist eine gewaltige Dimension – eine Seitenfassade ist fast 100 Meter lang. Die Schule ist in diesem Herbst in Betrieb gegangen – es handelt sich um einen nicht ganz neuen, aber neu betitelten Schulversuch namens „Wiener MittelSchule“ –, das heißt sie ist noch nicht voll. Belegt sind 17 Klassen, lauter erste und zweite, nur eine dritte Klasse. Über Schülermangel wird man hier künftig also nicht zu klagen haben, wenn die jetzigen Schüler aufsteigen und neue nachkommen.

Städtebaulich war die Situation eindeutig. Der Haupteingang ist an der Ecke zur Aspernstraße situiert, allerdings wurde das Gebäude sehr weit zurückgesetzt, sodass ein großer öffentlicher Vorplatz entstand. Das war schon aus Sicherheitsgründen (Verkehr) wichtig. Es steigert aber auch die Wirkung der markanten Front mit ihrer gläsernen Mitte, die durch eine Art „Vordachplastik“ bekrönt ist, und den beiden Seitentrakten, in die linsenförmige Öffnungen geschnitten sind. Diese Linsenformen sind das dekorative Leitmotiv, auf das man im ganzen Haus trifft: Oft sind sie verglast und setzen in den langen Erschließungsgängen einen wichtigen Akzent, weil sie Licht hereinholen und Ausblicke ermöglichen; oft sind sie aber auch reine „Dekoration“, gezielt platzierte Elemente, die zeigen, was unter der weißen Oberfläche der ziemlich massiven konstruktiven Wände (60 Zentimeter) ist – Ortbeton. Und in einem Fall, im Festsaal, sind diese Linsen „blind“, also weiß wie die Wand. Übrigens zeigen die Architekten den rohen Beton auch in den Klassen und etwa im Festsaal jeweils als viereckige Ausnehmung an der Decke.

Der Komplex ist um einen großen Innenhof komponiert und nach hinten, zu den Sportanlagen durchlässig. Da ist einer der drei Turnsäle eingegraben, das Gelände steigt an, was die Architekten sehr geschickt für Sitzstufen genutzt haben, die zu einer Bühne orientiert sind. Eine verglaste Brückenverbindung im zweiten Obergeschoß schließt das Viereck des Hofes optisch ab, die Verbindung auf der Ebene des ersten Obergeschoßes blieb offen, da ist man nur regengeschützt. Atmosphärisch profitiert der Schulhof von dieser Durchlässigkeit, er weist gewissermaßen über sich hinaus, wird auch zum Weg.

Sehr gelungen sind die Fassaden zum Schulhof. Inhaltlich gibt es hier kaum einen Anlass für besondere gestalterische Maßnahmen, man würde ruhige Fensterbänder erwarten. Und doch treten einzelne Elemente plastisch und farblich hervor. Es sind die Sammelgarderoben, die über das Haus verteilt wurden und jeweils mehrere Klassen bedienen. Tatsächlich sind Zentralgarderoben üblicherweise große „Nicht“-Räume, daher im Keller und nicht gerade angenehm. Andererseits: Wenn man eine saubere Schule haben will? Die Schuldirektorin fand eine Lösung. Geputzt wird zwischen acht und neun, zur ersten Pause ist der Straßenschmutz also weg.

Alle Stammklassen sind nach außen orientiert, alle Sonderräume zum Hof. In den fast überbreiten Gängen finden sich immer wieder Sitznischen, auf dem Boden liegt ein gelber Kunststoffbelag, die Grundstimmung ist – auch durch das Spielerische der Linsenelemente und der Fensterlinsen an den Gangenden – ausgesprochen freundlich.

Generell wurde die räumliche Organisation gut überlegt. Der Festsaal zu ebener Erde etwa lässt sich bei warmem Wetter in den Hof hinein verlängern. Der Direktions- und Lehrerbereich, auch der Schularzt sind so platziert, dass sie vom Schulbetrieb nicht tangiert werden. Was einem allerdings schonjetzt, wo das Haus nur halb voll ist, ins Auge sticht: Die Arbeitsräume für die Lehrer – durchaus gut möbliert, aber eben doch Großraum-„Büros“ – sind rigoros bemessen. Das sind Vorgaben, an denen der Architekt nicht rütteln kann. Aber wie man hier konzentriert arbeiten soll, wenn man derartig dicht an dicht sitzt, das stelle ich mir stressig vor.

Für echte räumliche Besonderheiten gibt es bei Schulbauten in der Regel nur einen Anlass: und das ist die Eingangshalle, die Empfangsgeste für alle, die das Haus benutzen. Diese Möglichkeit haben Heiss Architekten mit ihrer gläsernen, dreigeschoßigen Empfangshalle bestens genutzt – sie ist lichtdurchflutet und erlaubt nicht nur Ausblicke, sondern auch Einblicke – von draußen nimmt man das Leben drinnen immerhin als bewegte Schemen wahr. Die Architekten haben der Attraktion dieser Eingangshalle aber noch etwas „draufgesetzt“. Nur über der Eingangshalle gibt es ein drittes Obergeschoß, das man von draußen gar nicht so richtig wahrnimmt. Es ist die Bibliothek, die durch eine Art umgedrehtes Dach wie in eine Wanne gebettet scheint. Und diese Wanne ist begrünt, wieder mit linsenförmigen Ausschnitten, Ausblicke auf den Vorplatz und in den Schulhof sind also möglich, der Reiz dürfte aber in dieser völlig unerwarteten Grünmaßnahme liegen. Ich sage „dürfte“, weil bei den jetzigen Witterungsverhältnissen viel Vorstellungskraft gefordert ist, um die Situation nachzuvollziehen. Die Architekten hatten das Bild eines Baumhauses vor Augen, als sie diese Bibliothek konzipierten. Die Schuldirektorin sagt, für sie ist es der schönste Raum im Haus.

25. September 2010 Spectrum

Fast nichts für fünf Sterne

Auf diskrete Weise großstädtisch und elegant: der neue Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, entworfen von Jean Nouvel. Allerdings: Ein paar Fragen zu Funktionalität und Verhältnismäßigkeit bleiben.

Presque rien“ – fast nichts – hat sich der französische Architekt Jean Nouvel als Gestaltungsprinzip für seine „Praterstraße 1“ vorgenommen, jenen 75 Meter hohen Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, der sich mit grauer Eleganz und ganz symmetrisch seinem Gegenüber von Hans Hollein entgegenneigt. Diese Verbeugung in den Straßenraum hinein ist aber auch schon alles, was die beidens Häuser verbindet. Hollein hat eine ganze Stadtsilhouette in ein einzelnes Gebäude gepackt, Nouvel errichtet ein Sockelgebäudes – durchwegt von einer öffentlichen Passage – und einen Turm, und er verbindet beides räumlich auf durchaus spektakuläre Weise. Die gewölbte Glasdecke aus rhombenförmigen Einzelelementen ist schon jetzt der urbane Bedeutungsträger schlechthin.
Ein paar Fakten: Nouvel hat mit seinem Entwurf ein zweistufiges internationales Verfahren (13 Teilnehmer) gewonnen. Auslober war die Uniqa, die 2004 ihr eigenes Stammhaus, gar nicht weit vom Nouvel-Standort, bezogen hat. Planender Architekt dort: Heinz Neumann, der dann als lokales Partnerbüro für Nouvel fungiert hat. Ursprünglich sah das Nutzungskonzept vier Untergeschoße vor, ein Hotel, ein Konferenzszentrum, ein Einkaufszentrum und Büros. Daraus sind fünf Untergeschoße geworden, die Büronutzung wurde gestrichen, geblieben sind ein Fünf-Sterne-Hotel mit Konferenzzentrum und das Einkaufszentrum. Letzteres ist inhaltlich sehr speziell: Es wird der Schauplatz für die Plattform „Stilwerk“ sein, die auf – wie es so schön heißt – „hochspreisigem“ Niveau Möbel, Design, Kunst, Ausstattung anbietet. So etwas haben wir in Wien noch nicht, es ist auch nicht wirklich sympathisch. Ein Einkaufszentrum für die Reichen? Stufen wir es als Metropolen-Phänomen ein, dann geht es vielleicht.
Die Baukosten haben das geschätzte Maß weit überschritten: Aus 80 bis 100 Millionen sind über 130 Millionen Euro geworden. Das muss einen Bauherrn schmerzen. Aber: Die Uniqa hat sich offenbar vorgenommen, den Vorstellungen einer internationalen Autorität wie Nouvel so wenig wie möglich entgegenzusetzen. Sie hat sich mit äußerster Konsequenz auf seine Vorstellungen eingelassen – ein ziemlich komplexes Unterfangen, denken wir nur an die Aktion mit der 160 Tonnen schweren Brückenkonstruktion, die in einem einzigen Gewaltakt hochgehievt wurde. Es war also teuer, und das nicht zuletzt deswegen, weil sich ein Jean Nouvel um bauphysikalische, statische Logik und Effizienz ziemlich wenig schert.

Immerhin: Das Haus ist auf eine ausgesprochen diskrete Weise großstädtisch, es ist elegant. Wenn man unter Eleganz einen sehr zurückgenommenen Außenauftritt versteht, der wohl mit Volumina hantiert, aber nicht mit den landläufigen Vorstellungen von exquisiter Gestaltung. Tatsächlich sticht zunächst nur die erwähnte gewölbte Rhomben-Glashaut ins Auge, die hauptsächlich einen sogenannten Wintergarten umschließt, svon dem einem niemand sagen kann, wozu er dient – das ist offenbar nur Raum, großartiger, völlig nutzungsneutraler, gedeckter Außenraum. Nachts setzen die „farbigen“ Lichtdecken der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist einen Akzent. Prinzipien wie die Verspiegelung beziehungsweise das dunkle Weiß an der Ostseite, das Grau der Südseite, das Schwarz der Westseite, die klare Transparenz der Nordseite nimmt man auf den ersten Blick gar nicht wahr.
Aber es wäre natürlich nicht ein Nouvel, wenn da nicht mehr dahinterstecken würde. Sein „presque rien“ bedeutet, dass er sich nicht nur außen, sondern bis in die letzte Ecke auf die Nicht-Farben schwarz, weiß, graus und „transparent“ beschränkt hat, es bedeutet, dass – jenseits vom Glasdach – keine runden architektonischen Formen im Haus vorkommen, kurz: dass er sich ein formales/sästhetisches Korsett angelegt hat. Das hat sicher niemand von ihm verlangt, es ist eine subjektive künstlerische Entscheidung, eine – pragmatisch betrachtet – unnotwendige Einschränkung. Aber die spielt er durch. Was dem Haus, auch jetzt schon, wo noch auf Hochtouren gebaut wird – das Hotel eröffnet Mitte November, der Konsumt
empel im Dezember –, Charakter verleiht.
Es stellen sich natürlich Fragen, und sie haben einerseits mit funktionellen Lösungen zu tun, andererseits mit dem Verhältnis zwischen Aufwand und Leistung. Es gibt da zum Beispiel eine grüne Wand vom französischen Landschaftsplaner Patrick Blanc, mit dem Nouvel auch schon früher zusammengearbeitet hat. Blanc hat eine sehr aufwendige Methode entwickelt, wie eine Vielzahl von Pflanzen auch senkrecht wachsen können. Vorweg: Diese Grünwände sind einfach unglaublich schön. In Wien schirmt so eine Wand auf 600 Quadratmetern die langweilige Umgebung ab – mit 20.000 Pflanzen. Nur ist diese Wand definitiv der Hintergrundprospekt für die Anlieferung, als Besucher, Kunde, Gast sieht man gegebenenfalls Bruchteile davon. Preis–Leistung?

Oder im „Einkaufstempel“: Es ist eine Binsenweisheit, dass die Lage im Erdgeschoß privilegiert ist und es immer darum geht, den Besucherstrom nach oben zu lenken. Aber dazu muss man sehen, dass es oben weitergeht, man braucht eine Ahnung, was oben ist. Dem hat Nouvel mit seinen undurchsichtigen Brüstungen einen Riegel vorgeschoben.
Im Hotel fallen auch einige architektonische Tatbestände auf, die zu denken geben. Die Hotelgänge sind so schmal. Wenn da einer vom Personal mit einem Wagerl fährt, kommt der Gast kaum daran vorbei. „Aber wir haben ja zwei Gänge“, sagt Ernst Morgenbesser, Vertreter der Bauherrschaft, „wenn Sie die zusammenlegen, dann geht es sich wieder aus.“ Die Zimmer und Suiten sind nach dem „Designer“-Hotel-Anspruch ausgestattet, mal grau, mal weiß, von den rein schwarzen Suiten sind aber nur drei übrig geblieben, dem Hotelbetreiber Accor war das Risiko dann doch zu groß.

Eine Frage ist auch, wie der Top-Restaurant-Betrieb ganz oben wirklich funktionieren wird. Die Gäste kommen in einer Liftlobby an, die aber auch vom Service-Personal des Restaurants durchquert wird. Also kreuzen sich die ankommenden Gäste und das Personal mit den Speisentabletts.

Wenn man genau hinschaut, dann gibt es eine Menge funktioneller Einwände zu diesem Haus. Und es gibt die Frage, welchen Wert nun ein Konzept hat, das sich nicht am – kommerziell begründeten – Pragmatismus unserer Tage orientiert. Ich vertrete die Ansicht, dass es auch Sonderbauten geben muss und soll, die etwas verwirklichen, das die Grenzen der kommerziellen Logik sprengt. Es ist ganz toll, wenn sich ein Bauherr auf so etwas einlässt. Natürlich kann man sagen, na, die haben es ja; und sie nehmen es von ihren Kunden. Sie hätten es aber auch ganz anders machen können – die Phalanx architektonischer Banalitäten am Donaukanal singt geradezu das Hohelied davon. Die Uniqa hat sich den Luxus geleistet, etwas zu finanzieren, das den gängigen Kriterien zuwiderläuft. Egal, was dabei herausgekommen ist – an die Hauptwerke von Nouvel, das waren wohl doch seine Kulturbauten –, reicht das Haus am Donaukanal nicht heran. Es ist jedenfalls ein Segen, dass auch wir in Wien solche Bauherren haben.

28. August 2010 Spectrum

Der Sinn des langen Atems

Transparenz, Tageslicht und angenehme Aufenthaltsräume. Und das alles trotz engen Kostenrahmens. Die Sanierung samt Um- und Zubau des Engelsbades in Baden bei Wien.

Architekten brauchen einen langen Atem. Das zeigt einmal mehr die Sanierung samt Um- und Zubau des Engelsbades in Baden bei Wien. Dabei handelt es sich um ein Sonderkrankenhaus mit 124 Einzelzimmern (nach der Erweiterung), also eine Einrichtung, die hauptsächlich der Rehabilitation dient. Man würde meinen, eine solche Aufgabe bewegt sich innerhalb einer überschaubaren Größenordnung und könnte in wenigen Jahren bewältigt werden. Weit gefehlt, das Architekturbüro Veselinovic-Resetarits war seit 2001 mit diesem Projekt beschäftigt.

Damals, im Jahr 2001, fand ein geladener Wettbewerb mit drei Teilnehmern statt, den das Büro gewonnen hat. Mit gutem Grund, muss man nachträglich sagen, denn die ursprüngliche Substanz des Engelsbades umschloss einen großen Innenhof; und genau in den haben die beiden anderen Projektanten den geforderten neuen Bettentrakt hineingestellt. Veselinovic-Resetarits schlugen hingegen vor, diesen Bettentrakt als Brückenbauwerk über dem niedrigen Bestand – er enthält ein Therapiebad und ein großes Schwimmbad – zu errichten. So blieb der wunderbare Innenhof frei und erhalten, jetzt ist er von den Landschaftsplanern Cordula Loidl-Reisch und Anna Detzlhofer sogar besonders reizvoll bepflanzt.

Es war jedenfalls ein sehr langer Weg, und er verlief in zwei Etappen. Die erste um 2004/05, die zweite seit 2007. Der Bestand vom Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre war architektonisch zweifellos uninteressant, auch so schlecht belichtet, wie es Bauten ohne spezifische Ambition eines Architekten (Baukünstlers?) damals eben waren. Leider hat sich im Zuge der Um- und Zubauten auch herausgestellt, dass dieser Bestand so manche statische Negativüberraschung bereithielt. Es gab allerdings auch eine kleine, recht kuriose Besonderheit im Bestand: einen Pavillon von Joseph Georg Kornhäusel, der schon einmal abgerissen, aber dann originalgetreu wiederaufgebaut worden ist. Den haben die Architekten natürlich erhalten, durch eine transparente Spange mit dem Hauptgebäude verbunden, innen allerdings total entkernt. Denn drinnen gab esin bester Siebzigerjahre-Manier Raumhöhenvon etwa 2,20 Metern. Jetzt ist das Raumvolumen wieder erlebbar und durch Dachflächenfenster auch in wunderbares Tageslicht getaucht. Genutzt wird der Pavillon für therapeutische Fitnessprogramme, aber es gibt auch zwei Schwefelwasser-Wannen, abgeschirmt durch eine Schleuse, damit sich der Geruch nicht im gesamten Haus breitmacht.Immerhin: Das Engelsbad verfügt über eine eigene Schwefelwasserquelle.

An dieser Stelle müsste man fast einen historischen Exkurs einfügen, denn das Engelsbad ist geschichtsträchtiger Boden. Kornhäusel hat seinen Pavillon 1820 bis 1822 als antikisierenden Tempel gestaltet, drinnen war ein Bassin für 20 Personen mit geräumigen Ruheräumen. Die Liste der prominenten Gäste ist lang – sie wohnten meistens im benachbarten Sauerhof, zum Schwefelbaden kamen sie in den Kornhäusel-Pavillon. Die Rede ist von Carl Maria von Webern, Ludwig van Beethoven, Friedrich von Schlegel, Franz Grillparzer – und noch einigen mehr.

Veselinovic-Resetaric standen in der ersten Umbauphase vor der Aufgabe, den viergeschoßigen Bettentrakt der Substanz zu sanieren. Der hatte eine Eternitfassade in Beige – der gesamte Bestand war irgendwie in eine Tunke aus Beige und Braun getaucht –,er ist jetzt weiß. Nach außen sichtbar wurde zunächst nicht viel mehr gemacht, nur das Innenleben wurde saniert. Die großen Glasbaustein-Elemente, die der Fassade einen eigenen Rhythmus geben, sind glücklicherweise geblieben. Sie sind einfach eine wunderbare Reminiszenz.

In der zweiten Phase, also ab 2007, als es dann wirklich um ein Gesamtkonzept ging, hat man auch diesen Baukörper noch einmal überarbeitet. Und da wurden diesen – gemessen an heutigen Standards – etwas kleineren Zimmern Balkone vorgeschaltet. Ein Gewinn in jeder Hinsicht – vom Nutzerstandpunkt und optisch.

Der Bauherr, die BVA, die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, bezeichnet das Engelsbad, so wie es jetzt ist, als eines von vier Flaggschiffen, die es betreibt. Medizinisch ist man hier offenbar auf dem allerletzten Stand. Architektonisch lohnt es sich, einen genaueren Blick zu riskieren.

Die Architekten haben zunächst einmal das Notwendige gemacht. Und das betraf denBestand. Das Eingangsgebäude vorne zur Straße – mit einem von den Landschaftsplanern streifenförmig bepflanzten Vorplatz – ist jetzt ganz transparent. Glas hilft immer, da kann man sagen, was man will. Und drinnen ist die räumliche Lösung ein einziger Fluss. Sehr angenehme Aufenthaltsbereiche, mit Durchblick zum Restaurant. ZumInnenhof außerdem eine überdachte Terrassenlösung mit Rauchereck (sehr frequentiert), drinnen gibt es das nicht, in Zeiten der Raucherhatz möchte man natürlich konsequent sein. Auf diesem Eingangsgebäude, das zuvor nur einen Oberstock hatte, lastet jetzt der Aufbau eines Multifunktionssaals – der geteilt, aber auch zu einer großen Raumeinheit verbunden werden kann – mit angeschlossener Dachterrasse. Die gibt es übrigens auch beim neuen Bettentrakt über dem Schwimmbadkomplex des Bestands. Da haben die Architekten nicht nur eine Gemeinschaftsterrasse installiert, da sind im obersten Stock auch den Zimmern Freiräume zugeordnet.

Der Kostenrahmen war eindeutig sehr eng. Man konnte sich keine gestalterischen Maßnahmen leisten, die über das Notwendige hinausgingen. Terrazzofliesen auf dem Boden – Gussterrazzo wäre schon zu teuer gewesen – , Kautschukböden in den Therapiebereichen. Glas, wo immer möglich, alle Gebäudekomplexe sind jetzt wirklich von Tageslicht durchflutet, auch die Stiegenhäuser sind hell. Das Mobiliar stammt gewissermaßen von der Stange, obwohl ganz differenziert ausgesucht nach den Erfordernissen eines behindertengerechten Wohnens. Letzteres ist übrigens unheimlich aufwendig, wenn man genau hinschaut.

Die Architekten hatten zweifellos nur wenig Möglichkeiten, ihre eigene Formensprache einzubringen. Die Funktionen, die bewältigt werden wollten – und wurden –, standen eindeutig im Vordergrund. Der Hauch von Apfelgrün, den die neuen Bauteile jetzt in den öffentlichen Raum signalisieren – schon Kornhäusel hat Apfelgrün verwendet! –, das ist im Bundesdenkmalamt-geschützten Baden bei Wien vermutlich viel. Dort hätte man nach wie vor alles am liebsten in Schönbrunner Gelb gefärbelt.

24. Juli 2010 Spectrum

Licht, Licht, Licht

Eine einladende Empfangsgeste, viel Tageslicht im ganzen Haus und schöne Ausblicke in alle Richtungen: ein geglückter Kindergarten in Purkersdorf bei Wien.

Eines muss einfach vorweg gesagt werden: Unseren Kindern geht es extrem gut. Nie zuvor hat man sich derartig um das gebaute und freiräumliche Ambiente und die damit verbundenen Möglichkeiten gesorgt, in denen der Nachwuchs groß wird. Das gilt für den Schulbau, es gilt aber genauso – und das ist vielleicht noch wichtiger – für Kindergärten.

Ich habe diese Überlegungen angestellt, während ich einen neuen Kindergarten von Hubert Hermann – Büro Hermann & Valentiny & Partner – besichtigt habe. Er ist in Purkersdorf, und wenn man es genau nimmt: an einer eher problematischen Stelle, nämlich in einer Senke gleich neben der Westbahn, auf einem ehemaligen ÖBB-Lagergelände. Übergehen wir die Details der Grundbeschaffenheit, es handelt sich jedenfalls um ein angeschüttetes Gelände, das mit einer weiteren Erdschicht überdeckt werden musste, was einen erheblichen – nicht vorhersehbaren – Kostenfaktor dargestellte. Fundierungen auf Schüttgrund sind nun einmal teuer.

Hubert Hermann waren diese Voraussetzungen nicht bekannt, als er sein Projekt entwickelte. Er ist zwar von einem Bauplatz ausgegangen, der in einer Senke liegt. Und gerade diese örtliche Gegebenheit hat er in seinem Entwurf auch thematisiert, er hat sie genützt, indem er seine um eine Art „Dorfplatz“ gruppierte, sehr zergliederte Anlage nicht nur niedrig hielt, sondern außen herum sogar einschütten, in der Erde verschwinden lassen wollte. Dadurch war sein Projekt im Wettbewerbsverfahren sicher eines der aufwendigsten, und man muss es schätzen, dass sich weder Jury noch Gemeinde davon abschrecken ließen. Nur ist davon am Ende doch nur eine gemilderte Variante geblieben, weil die Anlage jetzt deutlich aus dem aufgeschütteten Gelände herausschaut und die geplante – sicher reizvolle – „Einschüttung“ von außen zu aufwendig geworden wäre. Sie fiel dem Rechenstift zum Opfer.

In Wirklichkeit tut das der Qualität des Projekts aber keinen Abbruch. Denn die Struktur der Anlage blieb ja erhalten. Sie besteht aus einem elliptischen Eingangsgebäude, das fast wie ein Türmchen formuliert ist – mit Oberlicht, Lift für die Behindertengerechtheit und einer breiten Treppe; dies alles in leuchtendes Melonengelb getaucht, überaus freundlich und hell, eine ausgesprochen einladende Empfangsgeste. Von diesem Eingangsgebäude geht es über einen gekrümmten, sehr breiten und gegliederten Gang zu den im Oval um den Freibereich angeordneten Gruppenräumen. Es sind sechs an der Zahl, die durch drei unterschiedlich dimensionierte und ausgestattete Bewegungsräume ergänzt werden.

Wunderbar gelungen ist vor allem die Lichtregie des Architekten. Ein durchgehendes Oberlichtband sorgt in Verbindung mit Lichtkuppeln in den aufgeweiteten Erschließungszonen für Tageslicht überall im Haus – ich konnte nur eine einzige kleine Nische auf dem Weg zum dritten Bewegungsraum entdecken, die nicht natürlich belichtet ist. Aber sogar dort hat sich der Architekt etwas einfallen lassen – einen bezaubernden künstlichen Sternenhimmel, der den Kindern sicher gefällt.

Jeder Gruppenraum ist in einer anderen Farbe gehalten, räumlich vorgelagert sind großzügige, offene Garderobenbereiche. Die Gruppenräume selbst sind ein bisschen wie Tortenecken zugeschnitten, man könnte auch sagen: T-förmig; also relativ breit an der Erschließungsseite, wobei die Spitze der Tortenecke jeweils gekappt ist und als kleines Häuschen in den Freiraum hinaussteht. Diese Gliederung verleiht der gesamten Innenansicht der Anlage einen gewissen Schwung, sie macht aber auch inhaltlich Sinn: Zu jedem Gruppenraum kommt dadurch – zwischen den einzelnen Häuschen – noch ein befestigter Freibereich hinzu, eine willkommene Ergänzung zum großzügigen Grünraum.

Schön sind auch die vielen Ausblicke, die der Architekt anbietet: Große Verglasungen sind zum „Dorfplatz“ orientiert, schmälere zum Erschließungsgang. Die Kinder sind also nicht abgekapselt, sie sehen, was sich im Gangbereich tut, und sie sehen nach draußen. Hier geht man offensichtlich von einem pädagogischen Konzept aus, das die Ablenkung nicht fürchtet, das auch spielerische Neugier erlaubt.

Neben den drei Bewegungsräumen offeriert der Architekt zusätzlich einen sehr großen, gedeckten, befestigten Freiraum, der viele Nutzungsmöglichkeiten, auch für Abendveranstaltungen, bietet. Ein langes und breites geschwungenes Element aus Holz, das als Sonnenliege interpretiert werden könnte – und tatsächlich so genutzt wird – verdeckt ein bauliches „Hoppala“ (Zitat Hubert Hermann), da schauen die Fundamente angeblich zu weit aus der Erde heraus. So komfortable Kaschierungen würde man sich bei anderen Bauvorhaben auch gelegentlich wünschen.

Die Anlage ist in der Materialisierung schlicht. Natürlich kommt Holz vor – Douglasie, Kiefer (lasiert), Birke. Ein pfefferminzgrüner, leicht gepunkteter Industrieboden zieht sich durchs gesamte Haus. Man sollte meinen, dass es damit keine Schwierigkeiten geben kann. Andererseits weiß man, dasses im Osten Österreichs um die Ausführungsqualität bei Weitem nicht so bestellt ist wie etwa in Vorarlberg. Die Pfosten-Riegel-Konstruktion mit innen liegender Verglasung an der Gartenseite – der Regelfall ist, dass die Verglasung außen liegt – war nur mit Druck von der ausführenden Firma zu erreichen. Und sogar die Verlegung des Industriebodens ist mit Problemen verbunden.Wo eine Fuge notwendig wäre, sind plötzlich zwei, außerdem tauchen immer wieder rätselhafte Flecken im Boden auf, die sich auch die Firma nicht erklären kann. Hierzulande muss man tatsächlich froh sein, wenn ein Gewerk reibungslos funktioniert. Engagement, die Bereitschaft auch einmal etwas Ungewohntes umzusetzen – das ist sowieso die ganz rare Ausnahme.

Das architektonische Konzept dieses Kindergartens ist für den Standort absolut maßgeschneidert. Irgendein kompakter Baukörper wäre hier ganz falsch gewesen, weil die Umgebung – eine fragwürdige Wohnanlage, die Bahn, viele geparkte Autos et cetera – dafür zu unattraktiv ist. So wird ein ausgesprochen qualitätsvoller Außenraum definiert, der sich mit den gebauten Räumen gewinnbringend austauscht.

Was halt immer wieder ein Problem ist und sich offenkundig nicht ausmerzen lässt, das ist die Möblierung – und teilweise auch Übermöblierung. Sie steht mit ihrer manchmal barocken, manchmal auch nur plumpen Formgebung in krassem Gegensatz zur schlichten Eleganz der Architektur. Warum kindgerechtes Mobiliar immer so aussehen muss, das ist nicht nachvollziehbar. Genauso wie es nicht nachvollziehbar ist, warum die Spielgeräte – jede Menge orange Plastikrutschen etwa – immer so hässlich sind. Dagegen kommt auch die beste Gartengestaltung nicht an. Wobei die sich auf Grund der extremen Witterungsverhältnisse und eines fehlenden Gärtners ohnehin in der Krise befindet.

29. Mai 2010 Spectrum

Wäre da nicht dieser Knick...

Es ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es genießt auch allgemeine Anerkennung – sogar von Architekten: das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck.

Selten hat es so viel Wirbel um ein Gebäude gegeben wie um das Kaufhaus Tyrol. Sicher, es ist ein Haus mit langer Tradition und liegt in der ensemblegeschützten Innsbrucker Prachtstraße, der Maria-Theresien-Straße. Dass die Diskussionen darüber bis in die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen, ist dennoch ungewöhnlich. Schließlich geht es hier ja nicht um ein Museum oder sonst einen öffentlichen Repräsentationsbau.

Die Ausgangssituation war sehr verzwickt, schon aufgrund der unterschiedlichen Eigentümerverhältnisse und der historischen Häuserfassaden an der Maria-Theresien-Straße – darf man sie abreißen oder nicht? Sie war es aber auch, weil Einkaufszentren heutzutage längst eine eigene architektonische Typologie sind, die ziemlich genau definierte Eigenschaften erfüllen muss, wenn sie funktionieren soll. Allen voran: Sie braucht sehr viel Nutzfläche, die unter den ursprünglichen Verhältnissen nicht zu erreichen gewesen wäre, und sie braucht eine großzügige öffentliche Erschließung – also das, was wir heute Mall nennen. Ohne den räumlichen Erlebniswert eines solchen – gewaltigen – Raumes kommen Einkaufszentren nicht aus.

Um es vorwegzunehmen: Es kam zum guten Ende, das Haus ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es hat auch allgemeine Anerkennung – selbst bei den Architekten – gefunden. Und das ist wohl David Chipperfield zu verdanken, dem letzten in der Reihe der mit dem Projekt befassten Architekten, sowie seinem kongenialen Innsbrucker Partnerbüro, Dieter Mathoi Architekten.

Rekapitulieren wir: Es gab Studien in den Neunzigerjahren und dann ein ausgearbeitetes Projekt von Johann Obermoser, das mit seiner signifikanten Betonblase einen starken zeitgenössischen Akzent in den historischen Straßenzug eingeführt hätte. Diese Blase, so sagt man, wäre allerdings in bautechnologischer Hinsicht ein Problem und sehr kostspielig gewesen. Trotzdem wurde nach der Planung von Obermoser mit den Bauarbeiten begonnen, obwohl immer noch Unklarheit über die Fassadenlösung herrschte.

Aus einem diesbezüglichen Wettbewerb ging das Wiener Büro BEHF als eindeutiger Sieger hervor, die „Schweizer-Käse-Fassade“ (runde Verglasungen, unregelmäßig über die Gebäudehaut verteilt) fand bei den Innsbruckern aber keine Gegenliebe. Nächster Versuch: ein Fassadenvorschlag des Wiener Büros Heinz Neumann. Und der wurde zwar vom damaligen Bundeskanzler Gusenbauer favorisiert, die Innsbrucker Architektenschaft stand aber in ungewöhnlicher Geschlossenheit dagegen auf. Diese Art der kommerziellen, banalen Allerweltsarchitektur wollte hier einfach niemand haben. Und dann wandte sich René Benko, der allseits akklamierte Jungstar unter den heimischen Investoren, an David Chipperfield.

Nun rangiert Chipperfield an der architektonischen „Star“-Front – was für ein abstoßendes Phänomen der heutigen Architekturberichterstattung, dieses ewige Gerede von den „Stars“ – ganz vorne. Sein Friedhof in Venedig, sein Museum in Berlin, das sind schon Höhepunkte im zeitgenössischen Bauen. Aber siehe da: Er kann auch etwas so Alltägliches wie ein Einkaufszentrum. Innsbruck hat es, Wien sieht ihm mit Spannung entgegen (Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße).

Das vielleicht Wesentlichste an Chipperfields Leistung ist, dass er eine Architekturauffassung vertritt, die nicht auf einer prononcierten individuellen Handschriftlichkeit basiert, sondern aus der Situation (und Funktion) heraus entwickelt wird.

Die Fassade des Kaufhaus Tyrol ist so einfach, einfacher geht es schon nicht mehr. Wäre da nicht dieser Knick, der sehr folgerichtig aus dem Straßenverlauf heraus entwickelt wurde, den Eingang ausgesprochen diskret, aber doch betont und – wenn man drinnen ist, in den Geschäften – Ausblicksmöglichkeiten in alle Richtungen eröffnet. Architektonisch ist das ein brillantes Konzept, weil der Knick eine Erinnerung an die ursprüngliche Maßstäblichkeit der Häuser bewahrt und auch den Nutzern (Besuchern, Kunden) die klaustrophobische Situation anderer Kaufhäuser erspart.

Dieses Potenzial wird übrigens von den wenigsten Geschäften erkannt und genutzt. Wie man damit umgeht, weiß ich eigentlich nicht. Ich glaube, da würden nicht einmal Ausbildungsseminare für Filialbetreiber nutzen, denn die sind in ihren Vorgaben so festgeschrieben, enger geht es nicht.

Dieter Mathoi hat ganz nebenbei erwähnt, dass er den Bau zwar von vorne bis hinten als Generalplaner bearbeitet, organisiert und bis ins Detail überwacht hat, aber keiner ist je auf die Idee gekommen, ihn zur Einrichtung eines der Geschäfte einzuladen. Das machen die großen Ketten immer selbst, nach ihrem eigenen Schema, und die kleinen Mieter, die machen es halt nach ihrem Geschmack. Der ist sicher nicht immer der beste. Vor allem hängen und bauen sie alle die an sich wunderbaren Glasöffnungen zur Maria-Theresien-Straße zu. Da haben Leute Wesentliches nicht verstanden.

Das Haus hat eine überraschend einfache Fassade. Einen Fassadenraster, wie gesagt: mit einem Knick – ausgeführt in Fertigteile-Elementen, Beton, mit einem Weißzement-und einem Marmor-Zusatz, außen sandgestrahlt, in den leicht konischen Laibungen poliert. Der Gussterrazzo in der Mall gleicht sich im Farbton an, ebenso die Brüstungen. Nebenfassaden sind aus Aluminium, das in einem Bronzeton eluxiert wurde – diesem Material begegnet man auch im Gebäudeinneren. Der Materialminimalismus wurde konsequent durchgezogen. Es braucht ja auch nicht mehr. Der Besucherstrom ist so bunt, das genügt.

Die Mall, die Erschließung, ist im weitesten Sinn als glasüberdachter öffentlicher Raum aufgefasst. Alle Wegführungen – die Rolltreppen, die Brücken und Stiegen – folgen einer Logik des Rundgangs, der den Kunden wie selbstverständlich leitet. Mir ist das nicht sympathisch, ich sage es ganz ehrlich. Mir ist eine Architektur, die Menschen zum Konsum verleitet, nicht angenehm.

Es gäbe viel anzumerken zu diesem Bau. Immerhin, er hat ja mitten in der Stadt stattgefunden. Die Betonfertigteile für die Fassade wurden morgens um sechs angeliefert und – verbaut. Die wurden nicht gelagert. Dafür war gar kein Platz. Das heißt, es war eine absolut minutiös geplante und von Mathoi Architekten perfekt umgesetzte Aktion. Das muss man können. Man muss es wirklich können.

30. April 2010 Spectrum

Ein Architekt und Gentleman

Er war Humanist, ein Lehrer für mehrere Generationen von Architekten. Ein Allrounder mit einem umfassenden Gesellschafts- und Kulturbewusstsein. Und laut Wikipedia Mitglied der NSDAP. Roland Rainer zum 100. Geburtstag.

Meine Lieblingsanekdote zur Person Roland Rainers ist parasitärer Natur. Ich habe sie nicht selbst erlebt, sie wurde mir erzählt. Einer seiner Studenten legt Roland Rainer eine Projektskizze vor. Der betrachtet sie kritisch und sagt: „Also, Herr Kollege, das müssen Sie noch einmal zeichnen. Dieses Schwarzweiß . . . Wieso machen Sie es nicht bunt? Machen Sie es doch grau!“

Er war ein Architekt und Gentleman, einer der Letzten dieser inzwischen ausgestorbenen Spezies. Im persönlichen (gesellschaftlichen) Kontakt stets perfekte, ungemein kultivierte Umgangsformen, die nicht nur Oberfläche waren. Sie waren Ausdruck eines umfassenden Gesellschafts- und Kulturbewusstseins, dem eine völlig andere Vorstellung des „Künstlerseins“ zugrunde liegt, als wir sie heute haben. Er war ein Allrounder, einer jener wenigen, die von der Stadtentwicklung bis zum Städtebau und der Verkehrsplanung, vom öffentlichen Bau über die Wohnsiedlung bis zum einzelnen Haus, vom Denkmal- und Landschaftsschutz über Grünraum- und Gartenplanung bis zu Möbelentwürfen und künstlerischen Designs alles beherrschte; er schrieb, er fotografierte und vor allem: Er konnte noch zeichnen, was in Zeiten der Computerarbeit eine längst vernachlässigte Fähigkeit ist. Und all das war eingebettet in ein komplexes Welt-, Gesellschafts-, Kulturbild, das keinesfalls nur funktionalistisch begründet war – wie man ihm gelegentlich unterstellt hat –, sondern durchaus historische Wurzeln hatte, vor allem auch im außereuropäischen Kontext. Schließlich hat er als bedeutender Lehrer mehrere Generationen von Architekten geprägt – von den Vorarlberger Baukünstlern bis zu Henke∣Schreieck.

Geboren vor 100 Jahren. Das bedeutet, er hat den Krieg als erwachsener Mensch erlebt. Bei Wikipedia kann man nachlesen, dass er ab 1936 illegales Mitglied der in Österreich verbotenen NSDAP gewesen ist – und später an diese Zeit nicht erinnert werden wollte. Er zählte aber auch zu den Ersten, die sich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend mit der Frage und den Folgen der Zerstörung der europäischen Städte auseinandersetzten. Er erhob seine Stimme gegen die Zerstörungen des Wiederaufbaus und erkannte die Dringlichkeit der „Behausungsfrage“ in all ihrer Komplexität. (Sein Buch „Städtebauliche Prosa“ von 1947 wurde zum Standardwerk.)

Gewiss, Rainer hatte die Chance und das Glück (natürlich auch die Fähigkeit), sowohl in Österreich als auch in Deutschland große öffentliche Bauten zu realisieren, die bis heute beispielhaft dastehen. Aber sein Beitrag zur Wohnbaudiskussion ist sicher der bedeutendste Teilbereich in seinem Werk. Da hat sich der große Humanist in Rainer zu Wort gemeldet, der die Frage, was es zu einemmenschengerechten Wohnen braucht, auf den Punkt brachte. Sein verdichteter Flachbau, wie er in der Siedlung Puchenau in mehreren Etappen (1965–1967 Puchenau 1, 1973 Puchenau Ost, 1975–1976 Kirche Puchenau, 1978–1992 Puchenau 2) und daher in großem Stil, als wirkliche „Gartenstadt“ realisiert wurde, ist bis heute einzigartig in Österreich. Kein anderer Architekt hatte die Möglichkeit, eine Wohnvision in diesem Maßstab und mit dieser Konsequenz und Klarheit umzusetzen – wenn wir von Harry Glücks Wohntürmen in Alt Erlaa absehen, die ungefähr das Gegenteil von dem verkörpern, wofür Rainer stand.

Puchenau wurde anfangs als „Rainer-KZ“ verunglimpft, davon ist längst nicht mehr die Rede. Dem Konzept der sehr dichten Hofhaussiedlung waren Versuche vorangegangen, bei denen Rainer seine Vorstellungen eines maßstäblich menschengerechten Wohnens, ökologische Überlegungen, aber auch Versuche industriellen Bauens umsetzte – etwa bei der kleinen Werksiedlung Mannersdorf (1951) oder bei der Fertighaussiedlung in der Wiener Veitingergasse (mit Carl Auböck, 1953), gewissermaßen einem Prototyp, der von der Bauwirtschaft allerdings nicht einmal ignoriert wurde; schließlich bei der Siedlung in der Wiener Mauerberggasse (1962–1963), wo Rainer mit passiver Sonnenenergie-Nutzung und einer Kombination aus Luft- und Zentralheizung experimentiert.

Trotzdem muss man sagen, dass Rainer gerade den Wiener Wohnbau nicht geprägt hat, in der Bundeshauptstadt hatte man längst auf andere Typologien gesetzt, die viel weniger Boden verbrauchen und viel mehr in die Höhe wachsen.

Rainer hat wunderschöne Einfamilienhäuser gebaut. Das letzte – für Franz Morak – hat er nicht akzeptiert, weil Morak zu viel an Rainers Konzept verändert hat. Dafür ist ihm sein eigenes Haus im Burgenland, in St. Margarethen, zur Ikone geraten. Er hat es 1958 gebaut und dabei mit beeindruckender Konsequenz demonstriert, wie man – auch ganz „ohne Dach“ – in der Landschaft baut, ohne jemanden „zu stören und selbst gestört zu werden“ (Rainer).

Die Größe eines Architekten wird in der Regel, allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz, auch an seinen Großbauten gemessen. Rainer mag schon zu einer frühen Zeit wegweisende Gedanken zur Umwelt, zur Entwicklung der Städte, zur Landschaft, zum Bauen, zur Architektur formuliert haben. Er mag in Schulen, Kirchen und anderen öffentlich genutzten Einrichtungen der grundlegenden Humanität seiner Architekturauffassung Geltung verschafft haben. Aber was wäre sein Werk ohne die Großbauten. Ohne die großen Hallen.

Allen voran die Wiener Stadthalle, als Siegerprojekt hervorgegangen aus einem nicht unumstrittenen internationalen Wettbewerb, denn es gab zwei erste Preise – neben Roland Rainer immerhin Alvar Aalto. Schließlich hat Rainer sein Projekt realisiert (1952–1958) und daraus den „Schlüsselbau“ (Friedrich Achleitner) der Wiener Nachkriegszeit gemacht. Die Wiener Stadthalle entstand in einer Zeit, als flexibel nutzbare Mehrzweckhallen überall gefragt, aber dennoch ein relativ neues Thema waren. Tatsächlich wurde an Nutzung dafür angedacht, was überhaupt nur vorstellbar ist – von Sportveranstaltungen jeglicher Art über kulturelle Events in aller Bandbreite bis hin zu Messen und was sonst noch Menschenmassen bis zu einer Größenordnung von 15.000 mobilisieren konnte.

Rainer hat das enorme Programm in eine Haupthalle mit einer Abmessung von 100 mal 100 Metern und kleinere Hallenbauten (Eislaufhalle, Ballspielhalle, Gymnastikhalle), teils in Verbindung mit Verwaltungseinrichtungen, Terrassencafé und Restaurant, gegliedert. Das Hallenbad kam dann 1962–1974dazu und war gerade kürzlich Gegenstand öffentlicher Kontroversen. Glücklicherweise wurde unter Mitwirkung des Denkmalschutzes ein Verfahren ausgelobt, aus dem ein Rainer-Schüler, Georg Driendl, siegreich hervorging. Man darf also erwarten, dass diesensible Reparatur des Bestands den Vorrang vor massiven Neuerungen haben wird.

Das Ensemble steht heute leider nicht mehr unverändert da. Das liegt weniger an der architektonisch nicht anfechtbaren Intervention der Vorarlberger Architekten Dietrich∣Untertrifaller, es liegt an den schleichenden Eingriffen, die sich eine Betriebsgesellschaft mit wenig Sinn für Authentizität und Atmosphäre erlaubt hat. Auch das kann man im Internet nachlesen: Das achtlos ausrangierte Stadthallen-Inventar wird heute zu Spitzenpreisen gehandelt.

Konstruktiv könnte man der Wiener Stadthalle eine gewisse Konventionalität nachsagen. Bei seinen deutschen Hallenbauten, etwa in Bremen (mit Säume und Hafemann, 1961–1964) wählte er eine interessantere Konstruktion. Er sagt selbst, er habe das Haus als „Zelt unter Zelten“ aufgefasst, weil es auf einem Ausstellungs- und Volksfestgelände steht. Die Tribünenkonstruktion ist hier durch Stahlbeton-Zugglieder so miteinander verbunden, „dass das Gewicht der Tribünen die Zugglieder spannt“ (Rainer) – was sich nach außen in Form spitz auskragender Konstruktionselemente ausdrückt.

Rainers Häusern war nicht immer ein glückliches Schicksal beschieden. Legendär ist sein Franz-Domes-Lehrlingsheim auf denWiener Arbeiterkammergründen. Er hat es 1952–1953 gebaut und als eine Art Gegenstatement zum benachbarten Theresianum, dieser Eliteschule par excellence, konzipiert. Es war das Statement schlechthin, das einer neuen sozialen Gesinnung sichtbaren Ausdruck verlieh. Aber diese sozialdemokratischeGesinnung hat nicht einmal 30 Jahre überdauert. 1983 wurde es abgerissen und wich einem Kulturbau, den die einen als „Schönbrunner-Stil“ (Dietmar Steiner), Rainer selbst als „Funktionärsbarock“ bezeichnen.

Es gibt in der Biografie Rainers einen Abschnitt, über den es nicht leicht ist, sich zu äußern. Von 1958–1963 war er Stadtplaner von Wien. Manches hat er früh erkannt: Dass man den Donauraum entwickeln muss – was mit der Donauinsel tatsächlich und zum Gewinn aller Bürger von Wien geschehen ist. Seine Entwicklungsvorschläge für die Wiener Peripherie wurden hingegen nicht angenommen. Und vor allem war seine radikale Ablehnung des U-Bahn-Baus eine krasse Fehleinschätzung der Verkehrsentwicklung in einer Großstadt.

Ein Waterloo, dem in diesen Tagen das nächste folgt: das ORF-Zentrum auf dem Küniglberg. Es war immer irgendwie ungeliebt, niemand hat es als einen großen architektonischen Wurf empfunden. Vielleicht kam es zu spät? Es ist in einer Architektursprache formuliert, die sich gerade bei solchen „Sonderbauten“ überholt hat. Heute verlangt der Sonderbau nach der architektonisch „designten“ Besonderheit, für Rainer ein Gräuel.

Ich mag aber nicht daran glauben, dass ein so flexibel konzipiertes Bauwerk wie das ORF-Zentrum den rasanten Entwicklungen im medial-technologischen Bereich nicht standhält. Natürlich ist der Technologiebedarf, auch der Raumbedarf ins schier Unendliche angewachsen. Aber wenn mir jemand kommt und mit „bautechnologischen Mängeln“ argumentiert – dann versagt mein Verständnis. Ja, wo waren Sie denn, die Herren von der Küniglberg-Leitung? Haben Sie nicht gewusst, dass man auch Gebäude warten, pflegen, laufend sanieren muss? Man kann alles verfallen lassen und dann sagen, jetzt geht es nicht mehr. Man kann es aber auch liebevoll pflegen – und das Potenzial an Flexibilität nutzen, das der Architekt einmal angedacht hat. Dann sieht die Sache ganz anders aus.

27. Februar 2010 Spectrum

Wie wir wohnen wollen

Ökonomisch scharf kalkuliert, ökologisch sinnvoll: Mit einem hochkompakten Wohnbaukonzept stellt Carl Pruscha unsere Wohnvorstellungen auf den Kopf.

Die Vorarlberger Wohnbau-Spezialisten Baumschlager & Eberle haben vor Jahren ein Buch veröffentlicht, aus dem sich eine wesentliche Einsicht destillieren lässt: Im Wohnbau kann man nichts erfinden, da muss man froh sein, wenn man das Zahnrad der konzeptuellen Umsetzung minimal weiterzudrehen vermag. Daran ist viel Wahres, und zwar nicht nur weil es die Bauvorschriften und die Förderungsbestimmungen so wollen. Wir alle wollen es. Wir haben sehr langfristig gewachsene, tradierte Vorstellungen vom Wohnen.

Unser Ideal ist das Einfamilienhaus. Die frei stehende „Villa“ mit dem Gärtchen drumherum, fein säuberlich eingezäunt und womöglich mit nicht einsehbaren, privaten Bereichen. Da kommen dann die Thujenhecken zum Einsatz. Die Konsequenzen aus dieser Haltung sind seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. Bodenverbrauch und eine unendlich aufwendige, kostspielige Infrastruktur sind nur die Spitze des Eisberges. Denn was vielleicht am meisten schmerzt, ist einmal diese unsägliche Belästigung durch private Wohnfantasien, die sich aber im öffentlichen Raum abbilden, und es ist, zweitens, dieser entsetzliche Mangel an – im städtebaulichen Sinn – Raum bildenden Maßnahmen.

Genau bei dieser Problematik setzt ein Projekt von Carl Pruscha an. Gemeinsam mit einer jungen Arbeitsgruppe, dem Team Habitat – das sind Franz Loranzi, Julia Nuler und Andreas Pfusterer –, hat Pruscha ein Siedlungskonzept entwickelt, das sicher nicht für den urbanen Raum geeignet ist, aber ideal für jene Orte, an denen wir heute Wohnanlagen bauen: für die städtische Peripherie und für jene Baulandflächen, die heute so gern an Dorf- und Kleinstadträndern gewidmet werden und oft unsäglich in intakte Naturräume ausufern. Sein mit S+B Plan & Bau bis zur Baureife ausgearbeitetes Konzept stellt für genau jene Orte eine ernst zu nehmende Alternative dar.

Pruschas Arbeit ist eine Weiterentwicklung, eine modifizierte Variante seiner Traviatagassen-Bebauung. Es ging dort um sogenannte „Hofhäuser“, die auf geringstem Raum in die Höhe wachsen. Die Dichte dieser Bebauung ist für unsere eingefahrenen Wohnvorstellungen schier unglaublich – sie bedurfte einer gewissen Überzeugungsarbeit, damit sich dafür Nutzer fanden. Die haben teilweise inzwischen auch schon gewechselt. Eine aktuelle Untersuchung der Wohnzufriedenheit zeigt jedoch, dass die Identifikation der heutigen Bewohner mit ihrer Anlage überraschend hoch ist.

Sicher ist es ein „Minimal-Hauskonzept“, das Pruscha vorschlägt. Es ist ja auch für eine Klientel gedacht, die finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann und sich oft langfristig verschulden muss, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Beim so genannten „Quadrangle Housing“ hingegen findet man mit Quadratmeterpreisen das Auslangen, wie sie ansonsten nur im Geschoßwohnungsbau üblich sind. Das hat mit dem geringen Bodenverbrauch und einer sehr ökonomischen Technologie zu tun. Schon Adolf Loos hat ja seinerzeit mit seinem „Haus mit einer Mauer“ den Versuch unternommen, eine Typologie zu entwickeln, die Ökonomie und Individualität im Wohnen verbindet. Was man heute daran vielleicht als Nachteil empfindet, ist die simple Aneinanderreihung einer solchen Bebauung. Sie lässt nur Zeilen zu, raumbildend im städtebaulichen, urbanen Sinn wirkt sie nie.

Dagegen lassen sich mit Pruschas „Haus mit einer Winkelmauer“ Quartiere, Cluster bilden, die zwar sehr dicht beisammen stehen, die sozusagen Wand an Wand aneinander gelehnt sind, die aber zwischen den einzelnen Quartieren Flächen zur Verfügung stellen, die öffentlichen Stellenwert haben, sodass zur individuellen Wohnlandschaft immer auch allgemein nutzbare Flächen hinzukommen.

Natürlich muss man sich mit dem Hofhauskonzept erst einmal anfreunden. Was in außereuropäischen Gegenden – in China etwa oder im islamischen Raum – historisch gewachsen ist, das hat bei uns den Charakter eines Imports. Allerdings sollte das in Zeiten der Globalisierung kein echtes Problem sein – wir wohnen heute doch auch in Hochhäusern, und die sind auf europäischem Boden genauso wenig tradiert. – Pruscha hat einiges an Erkenntnissen aus der Untersuchung zur Traviatagasse in sein neues Projekt einfließen lassen. Vor allem sind die Höfe – bei trotzdem geringem Bodenverbrauch von zwölf mal zwölf Metern pro Haus – etwas größer: je nach Typ sieben oder sechs Meter im Quadrat. Und er hat den Wünschen nach größeren Küchen und Badezimmern Rechnung getragen, ebenso dem Bedürfnis nach mehr Licht.

Das lässt sich heute ökonomisch realisieren. Wie ja überhaupt die ökonomische Komponente bei diesen Häusern ein wesentlicher Faktor ist. Nur die Winkelwand ist aus massivem Stahlbeton (Speichermasse), der weitere Ausbau erfolgt in Leichtbauweise, einer Holzständerkonstruktion, kombiniert mit Holztafelelementen und einer großflächigen Verglasung. Vorfertigung spieltbei diesem Konstruktionsprinzip eine entscheidende Rolle und wirkt sich entsprechend auf die Kosten aus. Auch der ökologischen Frage, dem Energiehaushalt wurde Rechnung getragen. Ein Photovoltaik-Segel auf jedem Haus präsentiert sich als optisch durchaus reizvolles Element, in Kombination mit einer Wärmepumpe trägt es zur Stromversorgung bei. Im Übrigen schlägt Pruscha eine Wand- und Fußbodenheizung vor, die bei winterlichen Temperaturen eine Art Kachelofen-Atmosphäre im Haus schafft. Die Techniker von S+B Plan & Bau haben allerdings errechnet, dass eine solche Technologie auch heute noch relativ kostenintensiv in der Anschaffung ist. Bis sich so etwas amortisiert, das dauert seine Zeit. Kostengünstiger wäre ein dezentrales kleines Blockheizkraftwerk.

Pruscha hat, wie auch schon in der Traviatagasse, die Möglichkeiten der Wohnbauförderung bis an ihre Grenzen genutzt. Zu den rund 140 Quadratmetern reiner Wohnfläche kommt daher ebenerdig praktisch ein ganzes Geschoß dazu, das zwar als „Keller“ ausgewiesen ist, in Wirklichkeit aber einen vielfältig nutzbaren, großzügigen zusätzlichen Raum zur Verfügung stellt.

In Pruschas Hofhäusern sind unsere lokalen Wohnvorstellungen sozusagen auf den Kopf gestellt. Der neutrale, nicht weiter definierte Raum befindet sich unten, die Schlafebene in der Mitte, und das Wohnen im engen Sinn – natürlich in Verbindung mit einer Terrasse – findet ganz oben statt. Das mag gewöhnungsbedürftig erscheinen, ist aber eine logische Konsequenz aus der Kompaktheit dieses Hauskonzepts. Die Freiheit des Ausblicks hat man oben; die abgezirkelte, exakt definierte Intimität des begrünten Innenhofes gibt es unten.

Es wäre interessant, dieses Konzept tatsächlich umgesetzt zu sehen. Aber das geht sicher nicht im Kleinen. Mit fünf Häusern ist nichts getan. Man müsste schon ein paar solcher Cluster in einer Größenordnung von sagen wir: jeweils 27 Häusern realisieren. Erst dann kommen die städtebaulichen Qualitäten eines solchen Projekts zum Tragen. Die Frage ist, ob es hierzulande überhaupt einen Wohnbauträger gibt, der sich auf ein so innovatives Konzept einlässt.

16. Januar 2010 Spectrum

Eine edle Schachtel

Eine Mehrzweckhalle, so ein diffuses Ding, das alles können soll. In St. Veit an der Glan ist ein edles Exemplar zu besichtigen – hoch funktional und von selbstverständlicher Eleganz.

Eine Blumenhalle für „Funder-City“.„Funder-City“, das ist St. Veit an der Glan in Kärnten, wo schon 1939 das erste Faserplattenwerk Österreichs entstand, wo die Coop Himmel- b(l)au 1988/89 einen dekonstruktiven baulichen Akzent setzte und wo seit dem vergangenen Jahr auch ein neues angewandtes Beispiel der Produktpalette aus dem Haus Fundermax – in Szene gesetzt von Frediani + Gasser Architettura – zu besichtigen ist.

Das Städtchen hat einen bezaubernden Altstadtkern, aber der ist natürlich längst zugebautes Terrain. Stadtentwicklung kann also nur peripher stattfinden. Dort stehen sie dann auch, die Wohnbauten und was sonst noch zur Nutzung solcher vormals brachliegenden Flächen gehört. Allerdings hat der womöglich visionäre Bürgermeister von St. Veit, Gerhard Mock, dafür gesorgt, dass sich selbst hier, an der Peripherie, die nur 500 Meter von der Altstadt entfernt liegt,spezifischere Nutzungen ansiedeln. Es geht ihm offensichtlich darum, dem Areal ein gewisses Image zu verschaffen.

Eine erste Maßnahme bestand im Bau des Blumenhotels, das spado architects gemeinsam mit ogris.wanek architects 2008 fertig gestellt haben. Es ist als Konferenz- und Seminarhotel konzipiert, was einen zweiten Schritt notwendig machte: Es wurde ein Veranstaltungsort gebraucht, der die räumlichen Ressourcen für größere Events auch dem Hotelbereich zur Verfügung stellt, der aber gleichzeitig kulturelle und gesellschaftliche Schnittstelle für die Bewohner von St. Veit sein sollte. Eine Mehrzweckhalle war gefragt, so ein diffuses, unscharfes architektonisches Ding, das alles können soll und nie wirklich stringent definiert ist. Gianluca Frediani und Barbara Frediani-Gasser haben eine Schachtel gebaut.

Allerdings ist diese ziemlich edel ausgefallen, sie kann viel, und inzwischen weiß man, dass sie auch sehr gut funktioniert – vielleicht mit Ausnahme hochsommerlicher Bedingungen, da wird es trotz Querdurchlüftung manchmal recht heiß. Was aber nicht den Architekten zur Last gelegt werden kann, die haben vorausschauend alle Vorkehrungen für die Installierung einer Klimaanlage getroffen, es liegt an den budgetären Möglichkeiten. Dieses Defizit wird sich über kurz oder lang sicher lösen lassen.

Das Haus ist als Landmark inszeniert. Ein Quadrat mit 40 Metern Seitenlänge, relativ flach. Die Sockelzone ist weitgehend transparent, die Fassade eine freie Improvisation in Max-Platten. Farblich dominiert von einem Bordeauxrot, das sich auch bei der Bepflanzung der asymmetrisch angelegten, sehr streng geometrisierten Beete im befestigten und recht großzügigen Vorplatz findet. Denn dort wächst neben Lavendel und Taglilien auch roter Fächerahorn.

Man kommt, wie gesagt, über einen sehr attraktiven Vorplatz zum Gebäude. Es gibt ganz schlichte Sitzbänke, abends von unten effektvoll beleuchtet. Das Open-Air-Forum für gesellschaftliche Auftritte wurde also gekonnt bewältigt. Wenn man eintritt, ist es nicht viel anders. Links und rechts vom Windfang setzen zwei variabel – etwa als Empfangspult und als Bar – nutzbare Implantate in Schneckenform einen Akzent, 13 kreisrunde, unterschiedlich dimensionierte Lichtkuppeln ermöglichen bei Tag und Nacht attraktive Lichteffekte. Hier, im Foyer, ist die Decke abgehängt, die Raumhöhe beträgt nur sechs Meter. Aber das ist genau die Differenzierung, die es braucht, um die räumliche Steigerung zum neun Meter hohen Saal erlebbar zu machen.

So ein Foyer ist – neben der Bühnenfläche für gesellschaftliche Auftritte – vor allem eine Schleuse zwischen draußen und dem eigentlichen Innenraum. Hier hat dieser Übergang eigene räumliche Qualitäten, wodurch er theoretisch auch gesondert nutzbar wäre. Und die Architekten haben durch ihre Materialentscheidung für gerostetes Eisen – etwa beim Windfang und den implantierten „Schneckenhäusern“ – für eine ausgesprochen delikate Überraschung gesorgt. Diese Oberflächen bilden einen krassen Gegensatz zur ruhigen Flächigkeit der weißen Wände, aber auch des – im Fächerahorn-Rot gehaltenen – Mobiliars.

Der Saal ist mit seinen neun Metern Höhe, 18 Metern Breite und 30 Metern Länge so dimensioniert, dass sitzend 600 und stehend maximal 1000 Personen Platz finden. Es gibt eine präzise gesetzte Verglasung in der Sockelzone, die auch abgedunkelt werden kann. Eine Verkleidung mit Akustikpaneelen im Sockelbereich (2,50 Meter hoch) und die wundervolle Faltung der Akustikdecke aus weißem Gipskarton – Origami-Kunst im besten Wortsinn, jede Faltung berechnet vom Akustiker Karl Bernd Quiring – liefern beste schalltechnische Voraussetzungen. Auch das große, den Raum dominierende, von den Architekten zusammen mit dem Grafikdesigner Dieter Wolf entwickelte Bild – es zeigt kreisrunde Farbfelder, die man als abstrahierte Blumen interpretieren könnte – hat mit der Raumakustik zu tun. Dahinter verbergen sich schallschluckende Kastenelemente. Und natürlich sind die Längswände des Saals nicht einfach senkrecht, sondern ganz leicht – nur um drei Grad – nach außen gekippt.

Die Akustikmaßnahmen tangieren die räumliche Wirkung des Saals nicht, sie befördern sie eher. Die Decke ist ausgesprochen reizvoll und die weißen Paneele im Sockelbereich wirken auch als „Distanzhalter“ zum Sichtbeton darüber. Letzterer musste übrigens nachbehandelt werden, weil er nicht so perfekt gelungen ist, wie sich das Architekten wünschen.

In funktioneller Hinsicht kann der Saal sicher alles, was man von einer solchen Einrichtung erwartet. Der schwarze Bühnenbereich lässt sich vollständig abbauen, dann fährt der Vorhang an die Rückwand, und der Saal kann zum Beispiel für eine Ballveranstaltung genutzt werden. Auch die Anlieferungs- und Lagermöglichkeiten sind wohl durchdacht. Eine nicht öffentliche Raumschicht enthält Hinterbühne, Probenräume und Künstlergarderoben.

Das Haus wirkt wie aus einem Guss. Was sicher damit zu tun hat, dass die Architekten beim Farbkonzept und der Einrichtungsplanung völlig freie Hand hatten. Dadurch kommt im Foyer – bordeauxrote Sitzmöbel, Tischplatten hochglänzend und weiß (Max) – eine Atmosphäre selbstverständlicher Eleganz zustande, dadurch erhält aber auch der Saal eine eigene, ungewöhnliche Note. Denn dort sind die Sitzreihen – ein italienisches Serienprodukt – weiß, was im Theater eigentlich nicht üblich ist. Dafür korrespondieren sie mit dem Weiß der Faltdecke und der Sockelzone und kontrastieren zum warmen Braun des Nussbodens.

12. Dezember 2009 Spectrum

Eine tote Ecke lebt auf

Im Tiroler St. Anton jodelt's offenbar nicht mehr an jeder Ecke. Über die neue Talstation der Rendlbahn, ein Stück sehenswert moderner Architektur.

Wenn an Churchill etwas wirklich sympathisch war, dann dieser Spruch: „No Sports“. Als Nicht-Skifahrer, den es um diese Jahreszeit nach St. Anton verschlägt, kann man dem Briten nur beipflichten. So eine grandiose Landschaftskulisse! Aber alles dreht sich nur um den Schnee: ob genug davon vom Himmel fällt und ob es wenigstens Minusgrade hat, damit die Schneekanonen erfolgreich arbeiten können. Die Saison beginnt gerade erst, die Hoteliers zittern, die Seilbahnen laufen (noch) mit reduziertem Tempo. Aber das wird sich innerhalb von Tagen ändern, und dann muss die neue Rendlbahn-Talstation ihre „Schneeprobe“ bestehen. Geplant wurde sie von Georg Driendl, einem gebürtigen Tiroler, dessen Büro Driendl*Architects in Wien ansässig ist. Und der sich schonmit dem Bau des Hotel Lux Alpinae und der Galzigbahn-Talstation unübersehbar ins Ortsbild eingeschrieben hat.

Man muss allerdings anmerken, dass in St. Anton im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2001 einiges an zeitgenössischer Architektur passiert ist. Denken wir nur an den Bahnhof und das Zielstadion von Manzl.Ritsch.Sandner, an die Mehrzweckhalle samt Wellnessbad von Dietrich.Untertrifaller, an das beispielhafte „Hotel Anton“ von Pöschl.Comploj. Damit entstanden Bauten, die dem „Haufendorf“, von dem noch ein Friedrich Achleitner in seinem Tirol-Führer reden konnte, urbanere Züge verliehen.

Und genau dieser Entwicklung trägt Georg Driendl mit seinen Arbeiten Rechnung. Die neue Talstation der Rendlbahn agiert weniger als bauplastischer Solitär – dieses Statement hat Driendl schon mit seiner vielfach ausgezeichneten Galzigbahn abgeliefert –, sondern als architektonische Intervention, die dem Ort auch unmittelbar zugute kommt, indemsie mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigt. Sie liegt zwar mitten im Ort, ist aber doch ein relativ niedriges Gebäude. Die markante Gebäudeform – an der Zentrumsseite gerundet, Richtung Hang ausgestreckt – ist aus der Luft, also von der Seilbahn aus, besser nachvollziehbar als zu ebener Erde. Denn das Haus nimmt auf seiner unteren Ebene den gesamten Busverkehr auf. Es ist Terminal für die öffentlichen Busse, liefert Parkmöglichkeiten für die Hotelbusse und stellt für Taxis und Busse eine Durchfahrt zur Verfügung. Obendrein auch noch einen überdachten Platz, an dem eventuell Tourismus-Informationskioske angesiedelt werden können.

Damit wird der Ortskern, der natürlich in der Hochsaison vom Verkehr überflutet ist, nachhaltig entlastet. Diverse Repräsentanten der Nachbargemeinden reisen schon an, um diese Lösung in Augenschein zu nehmen. Die Bahn selbst ist technisch als eher konventionelle Einseilbahn gelöst, die Materialien sind natürlich vor allem Beton, Stahl und Glas, die in diesem Fall extrem viel leisten müssen, weil das Gebäude in der „gelben Zone“ liegt, also lawinengefährdet ist. Und sie sind durchwegs sehr roh belassen. Denn: Die tatsächliche Bauzeit für ein solches Objekt ist extrem kurz. Nur wenige Monate stehen zur Verfügung. Im konkreten Fall: Juni bis jetzt. Da kann man es sich nicht leisten, etwa eine Ausblühung im Beton nachzubessern, es gibt andere Prioritäten. Zu Recht: So ein Verkehrsbauwerk ist keine Kathedrale.

Wichtig erscheint aber die Einbindung dieser Talstation einer Seilbahn ins Gelände. Driendl musste eine Fußgängerbrücke planen, die sich in einem langen Schwung von der Ortsmitte bis hinüber erstreckt, wo die Skifahrer von der Piste herunterkommen. So gelangen sie ohne Probleme und Barrieren wieder zum Ausgangspunkt zurück. Allein die Fahrt hinauf auf den Rendl, auf den Galzig ist ein Erlebnis, das man als Architekt vom Start weg, also der Talstation, entsprechend zu inszenieren hat. Interessant übrigens, nur so als Zwischenruf, dass diese Berge alle männlich sind. Das Einbinden der Talstationen in den Ortskern bedarf möglicherweise einer genaueren Betrachtung. Denn eigentlich möchte man meinen, je weiter weg, aus dem Ort hinaus, desto besser. Aber genau das stimmt nicht, weil man damit unendlich viel Verkehr produzieren würde. Kein Skifahrer schultert heute seine Ski und marschiert stundenlang zu Fuß, er lässt sich – egal ob mit öffentlichem Bus aus einem Nachbarort, mit einem Hotelbus oder dem Taxi – direkt zur Seilbahn bringen. Und viele, die direkt in
St. Anton wohnen, können jetzt tatsächlich in wenigen Fußminuten an den Talstationen sein.

Außerdem tragen beide Gebäude zu einer sinnvollen Zentrumsbildung bei: die Rendlbahn, weil sie im Bereich einer aufgelassenen Bahntrasse errichtet wurde, einer Art städtischer Brache, mit der man sowieso etwas machen musste (eine ungenutzte „Restfläche“ gibt es dort immer noch). Und die Galzigbahn, weil sie eine so spektakuläre architektonische Geste darstellt, dass sich um sie herum und ihr zugewandt Geschäfte und Lokale angesiedelt haben, so dass ein vernachlässigter Ort, eine tote Ecke, zum belebten Mittelpunkt geworden ist.

Darauf hat Driendl ganz bewusst spekuliert: Sein gläsernes Implantat – immerhin 20 Meter hoch und 85 Meter lang – macht die aufregende und innovative technische Lösung dieser Zweiseilbahn weithin sichtbar. Da dreht sich ein Riesenrad (fast zehn Meter Durchmesser) und hebt die Gondeln zur Seilbahn hinauf, so dass die Skifahrer ebenerdig einsteigen können. Das ist wirklich sehenswert und hat sich nicht von ungefähr erst kürzlich, bei den IOC/IAKS Awards des Internationalen Olympischen Komitees und beim ISR Award für herausragende Architektur am Berg, neben Sportbauten der allerersten internationalen Architekturprominenz durchsetzen können.

Von St. Anton, wo immerhin auch ein Clemens Holzmeister seine Spuren hinterlassen hat, kann man heute jedenfalls nicht mehr sagen, dass es an jeder Gebäudeecke jodelt. Die architektonischen Tirolerhüte sind natürlich nach wie vor da, aber sie treten ein wenig in den Hintergrund. Und die neuen Bauten, das zeigen gerade Hotels wie das Anton von Pöschl.Comploj und das Lux Alpinae von Driendl selbst, finden ihre Klientel. In Zeiten des Internets schauen sich die Leute einfach genau an, wie ihr mögliches Feriendomizil beschaffen ist. Und entgegen der landläufigen Meinung ziehen viele den zeitgenössischen Ausdruck eines Ambientes der vorgegaukelten, hölzernen Bodenständigkeit vor.

Publikationen

2008

Hermann & Valentiny and Partners
Codes

Seit 25 Jahren führen Hubert Hermann und François Valentiny ihre Büros in Wien und Luxemburg. Was sie verbindet, ist eine gemeinsame Haltung, die sie über die Jahre im verbalen und entwerferischen Gedankenaustausch präzisieren. Was sie trennt ist der Standort: Hier die Großstadt Wien, dort das kleine,
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: Birkhäuser Verlag

2005

T-Center St. Marx, Wien / Vienna

Das spektakuläre T-Center Wien wurde von den Architekten Günther Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker entworfen und gebaut. Das kürzlich fertiggestellte Projekt beherbergt auf einer Nutzfläche von 119000 m² Büros für 3000 Angestellte. Der Bau ist eine ungewöhnlich proportionierte, liegende
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm, Günther Domenig, Hermann Eisenköck, Herfried Peyker
Verlag: Birkhäuser Verlag

2005

Wilhelm Holzbauer
Holzbauer und Partner / Holzbauer und Irresberger

Wilhelm Holzbauer zählt zu den bedeutendsten österreichischen Architekten und Architekturlehrern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine architektonische Haltung leitet sich von der Moderne ab, ist aber auch in einen großen geschichtlichen Entwicklungszusammenhang eingebettet. Er versteht es mit
Hrsg: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: SpringerWienNewYork

2004

Nehrer + Medek
30 Jahre Architektur im Kontext

Ein Buch, das fällig ist. Denn es stellt die Arbeit eines Büros vor, das unbeirrt von allen kurzlebigen Trends langlebige architektonische Lösungen präsentiert. Nehrer + Medek gelten als „die Schulbauer“ schlechthin; auf diesem Gebiet haben sie – vor allem auf der Basis von Wettbewerben – Hervorragendes
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: Verlag Anton Pustet

2003

Baumschlager & Eberle
Bauten und Projekte / Buildings and Projects 1996 - 2002

Der aktuelle Werkbericht aus dem erfolgreichen Vorarlberger Architekturbüro. Seit den Anfängen in den achtziger Jahren ist der Name B&E zum Markenzeichen für äußerst intelligente, ökonomische und ökologische Lösungen geworden, die immer auch durch ihre dauerhafte formale Qualität bestechen. Den Dimensionssprung
Autor: Liesbeth Waechter-Böhm
Verlag: SpringerWienNewYork