Bauwerk

Oberlandesgericht Graz - Zentralbibliothek
ARTEC Architekten - Graz (A) - 1998
Oberlandesgericht Graz - Zentralbibliothek, Foto: Paul Ott

Wo Finger in den Raum ragen

Glas, Aluminium und Schaltafel-Bretter - die Materialien sind so schlicht, wie die Gestaltung minuzös durchdacht ist: die Bibliothek des Grazer „Justizpalastes“ von Bettina Götz und Richard Mahnal.

6. Februar 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Der Grazer „Justizpalast“ – hier sind das Oberlandesgericht und das Landesgericht untergebracht – ist ein gewaltiger Kasten vom Ende des vergangenen Jahrhunderts, der schon einmal bessere Tage gesehen hat. Er hat Kriegsschäden hinnehmen müssen, er war aber auch einem kontinuierlichen Anwachsen des Justizapparates ausgesetzt. Das hat der ursprünglichen Gebäudestruktur nicht gutgetan. Die um einen Innenhof umlaufenden Gänge zum Beispiel waren auf drei Stockwerken abgemauert; es war dort jeweils ein Teil der Bibliothek untergebracht. Um es auf den Punkt zu bringen: Das ursprüngliche Konzept des Gebäudes hat nicht mehr wirklich funktioniert.

Als Artec – das sind Bettina Götz und Richard Manahl – mit der Aufgabe konfrontiert wurden, hier eine neue Bibliothek einzurichten, war dann auch das erste, was ihnen bei der Gebäudebegehung auffiel, die fundamentale Notwendigkeit der Neuorganisation innerhalb des Bauwerks. Immerhin – für diesen Vorschlag fanden sie offene Ohren, und in derFolge war es möglich, die 4,80 Meter hohe Beletage soweit freizubekommen, daß eine zentrale Bibliothek eingerichtet werden konnte.

Aber dabei allein ist es nicht geblieben, denn wenn man jetzt das Grazer Gerichtsgebäude betritt, dann ist man schon im hohen klassizistischen Foyer mit einem ersten deutlichen Hinweis konfrontiert, daß hier eine zeitgenössische Intervention stattgefunden hat. Quer durch den Raum zieht sich nämlich eine neue Schicht, gläsern, transparent, die in der Höhe gerade so dimensioniert ist, daß der Raum in seiner Gesamtwirkung keinen Schaden nimmt. Diese neue Raumschicht löst verschiedene Probleme: Sie nimmt den kontrollierten Ein und Ausgang für die Beschäftigten auf, sie enthält den Sicherheitszugang für die Besucher, und vor allem schafft sie auch für das Personal ein erträgliches, nicht länger zugiges, kaltes Raumklima.

Übrigens wird man schon hier ein erstes Mal mit der Materialsprache konfrontiert, für die sich Artec bei allen im Gebäude realisierten Eingriffen entschieden haben. Quer durch den Raum ist ein Stahlträger gespannt, der breit genug ist, daß auch ein Kabelkanal darin Platz gefunden hat; und der Sicherheitsschranken – ein an sich abstoßend häßliches Fertigprodukt – ist in einem minimierten Kleid aus Betonschalplatten verborgen, aus denen auch anderes Mobiliar im Haus gefertigt wurde.

Wenn man weitergeht, trifft man auf der Ebene des Hochparterres auf eine zweite Intervention von Artec. Hier wurden im Vorfeld der Verhandlungssäle Arbeitsplätze für Praktikanten gebraucht. Die umlaufenden Gänge des Bestands haben dabei eine Breite, die es ohne weiteres erlaubte, einen Einbau vorzunehmen, ohne daß die Durchgängigkeit der Substanz davon beeinträchtigt wurde. Daher haben Artec an die Südfassade zum Hof ein gegliedertes langes Einbauelement gestellt, bei dem sich Arbeitsplatz an Arbeitsplatz reiht, fast wie die Abteile eines Zuges. Die Wand zum Gang – mit Schiebetüren–wird durch raumbildende, tiefe Spinde, in denen die Praktikanten ihre Unterlagen versperren können, formuliert.

Die Bibliothek selbst liegt im Geschoß darüber und drückt sich im Gang durch eine vorgeschobene gläserne Schicht aus, die aus zwölf zwei Meter langen Glastafelnbesteht,also24 Meter lang ist. An einem Verwaltungsbereich vorbei kommt man unter der neu eingeführten Galerie in den hohen, von allen Zwischenwänden befreiten Raum hinein. Die Bibliotheksregale schauen wie Finger in den Raum,ein Lesepult mit Ablagefläche ist zwischen die tragende Innenmauer und diese Regale geschoben, sodaß der Raum in seiner gesamten Länge nachvollziehbar und überschaubar ist. Über diesen Lesepulten hat sich eine gelochte Holzdecke – wie alle Holzeinbauten aus Betonschaltafeln – inzwischen als sinnvolle akustische Maßnahme herausgestellt.

An der Fensterfront nach Norden sind zwischen den Fenstern Computerarbeitsplätze angeordnet. Das Mobiliar dafür haben Artec selbst entwickelt, aus den genannten Schaltafeln, sichtbar verschraubt – sehr ein fach, sehr praktikabel und daher sehr überzeugend.

Natürlich hat die zweigeschoßige Lösung im 4,80 Meter hohen Raum einer sorgfältigen Planung bedurft. Denn so ganz einfach ist es ja nicht, mit einer solchen Raumhöhe auszukommen. Also ging es darum, einen Galerieaufbau zu entwickeln, der so wenig wie möglich von der Raumhöhe wegnahm. Die Stahlträger, die sich jetzt über die gesamte Raumtiefe spannen, sind daher besonders minimiert. Sie sind nur zehn Zentimeter hoch, sodaß man eigentlich nicht sagen kann, daß sie eine neue Ebene in den Raum einführen.

Oben, auf der Galerie, zieht sich nahezu über die volle Länge des Raums ein Lesetisch, der zur Nordfassade mit den Fenstern orientiert ist. Die Bücherregale belasten den Galerieeinbau nicht; auf der Galerie sind sie abgehängt. Das System, das Artec für die Bibliotheksschränke entwickelt haben, ist dabei in seiner durchdachten Schlichtheit bestechend.

Man könnte sagen, es besteht aus Aluminiumwannen, in die entsprechend dimensionierte Bretter aus den Schaltafeln eingeschoben sind. Und die Front ist durch Glasschiebeelemente verschlossen. Das ist wirklich simpel, aber ungemein elegant und sehr praktikabel. So eine Bibliothek möchte man auch zu Hause haben.

Artec haben vorausgedacht: Denn sie haben nicht einfach nur Bücherschränke aufgestellt, sie haben jede Möglichkeit genützt, um langfristig Platz zu schaffen, sie haben ein Entwicklungspotential eingeplant.

Was allerdings nur durch Schiebeelemente möglich war, und die wiederum verlangten eine minuziöse Umsetzung. Denn schieben läßt sich etwas, das noch dazu so gewichtig ist wie Bücher, nur, wenn es wirklich exakt horizontal verläuft. Und das ist in einem Altbau mit einem gewissen Aufwand und gegebenenfalls mit Nachrüstung verbunden. Darauf wurde viel Sorgfalt verwandt.

Insgesamt muß man jedenfalls wieder einmal resümieren: Für den Architekten selbst ist eine Neuplanung zweifellos befriedigender als die funktionell erzwungene Adaptierung bestehender Substanz. Andererseits: Wenn aus der räumlichen Not – wie in Graz –eine Tugend wird, wenn muffige, dunkle Räume zu einer überraschend großzügigen Lösung mutieren, dann wird sehr einleuchtend manifest, was Architektur vermag.

Und es wird manifest, daß sie keine ästhetische, bloß formale Spielerei ist, sondern vor allem eine Frage von inhaltlichen Konzepten.

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