Bauwerk

Weinhaus „Punkt“
Hermann Czech - Kaltern (I) - 2005

Zaubern mit Details

Kaltern in Südtirol. Ein Platz wie aus dem Lehrbuch und daran ein offenes Kunstwerk von Hermann Czech: das Weinhaus Punkt. Eine subtile Mischung aus Bestand, Ordnung, Vorläufigem und schwer datierbaren Zutaten.

10. Juni 2007 - Walter Zschokke
Auf der Alpensüdseite weisen nicht wenige dörfliche Siedlungen in ihrem Kern einen urbanen Charakter auf, auch wenn die landwirtschaftliche Produktion – neben dem Tourismus – wesentlich ist. Als Marktgemeinde verfügt Kaltern in Südtirol mit dem Markt seit Langem über dessen urbanisierendes Potenzial. Zudem haben sich seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Adelige und Notabeln im Ort „Ansitze“ errichten lassen, eine Art herrschaftlichen Zweitwohnsitz, der seinerseits städtische Muster in den schön gelegenen Ort einbrachte.

Doch ohne öffentlichen Raum kein Markt. Der entsprechende Platz liegt an der Hauptgasse. Er ist rechteckig, seine untere Stirnseite wird vom Rathaus eingenommen, dessen symmetrische Fassade das Vorfeld über die Straße hinweg dem Platz zuordnet. An den Längsseiten fassen zwei Häuserzeilen den Platzraum, der hinten von je seitlich vorspringenden Volumen abgeschlossen wird, zwischen denen eine Gasse steil bergan führt. Ein Platz wie aus dem Lehrbuch: intelligent, stimmig, attraktiv. Die südexponierte Platzwand weist Arkaden auf, vor denen Gasttische und Sonnenschirme stehen, nicht anders als am Wiener Graben.

Das Haus an der vorderen Ecke der Arkadenzeile, seit über 100 Jahren in Gemeindeigentum, war Ende 16. Jahrhundert als Ansitz errichtet worden und weist Elemente der regionalen Spätrenaissance auf. Eine 2003/2004 erfolgte, gründliche Sanierung schuf in den Obergeschoßen Räume für die Musikschule mit einem Saal für Konzerte. Im Erdgeschoß und in den Kellern sollte ein gastlicher Ort einziehen, wo die einheimischen Weinproduzenten ihre Produkte präsentieren wollten.

Wie die gesamte Südtiroler Kulturlandschaft ist auch dieses Haus geprägt von einer weit zurückreichenden, wechselhaften Geschichte, die sich in der Bausubstanz verfestigt hat. Um damit sorgfältig umzugehen und einen Ort für Einheimische wie für Touristen zu schaffen, holte man bewusst den Architekten Hermann Czech aus Wien.

Scheinbar roh, unfertig – perfekt

Er griff durchaus da und dort kräftig ein, beließ aber zugleich manches in einem rohen oder unfertig scheinenden Zustand, an den manchmal perfekte Oberflächen anschließen,sodass eine dicht gewirkte und intelligent gemischte Komposition aus subtil ordnenden Eingriffen, bewusst Belassenem und schwer datierbaren Zutaten entsteht, die der Anschauung vieles bietet und zugleich die Freiheit eines offenen Kunstwerks beansprucht.

Im Erdgeschoß schließt hinter der Arkade ein Vorraum an, von dem der Weg gerade in eine Bar mit Theke und Stehtischen führt und weiter in einen Gastraum, der von einem großen Tisch bestimmt wird. Sowohl vom Vorraum als auch vom Gastraum führen Treppen in die beiden Gasträume im Keller, sodass Erschließungsalternativen möglich sind. Die meisten Räume weisen einfache Kreuzgratgewölbe auf, der kleinere Kellerraum eine roh gefügte Tonne.

In der Einrichtung finden wir Elemente in abgewandelter Form wieder, die von Hermann Czech bekannt sind: die Spiegel, die offen geführten Lüftungskanäle und die Leuchten aus einem gewerblichen Umfeld. Doch sind es nicht diese augenfälligen Dinge, die der Gestaltung ihren besonderen Charakter verleihen, sondern das, was anfangs gar nicht bemerkt wird, sodass erst mehrmaliges genaues Hinschauen zu Erkenntnis führt. Es sind dies beispielsweise die unprätentiöse Einrichtung hinter der Bar, die Anordnung der Toiletten beim Treppenabgang im großen Gastraum, die Gestaltung der Abgänge, die Disposition und Ausformung des großen Weinverkostungsraums im Keller sowie die Rolle der Oberflächen und Farben. Dabei kommen architektenhandwerkliche Kenntnisse und Erfahrungen zum Einsatz, die Hermann Czech wie nur wenige vielschichtig einzusetzen weiß, sodass ein komplexes Gewebe von teils durchaus widersprüchlichen Maßnahmen ein vorläufiges Gesamtbild ergibt, das von einem Vorher erzählt und ein Nachher nicht ausschließt.

Bei der Bar und ihrer Einrichtung wurde jede altarähnliche Stilisierung vermieden. Die Geräte und Regale sind nach betrieblichen Gesichtspunkten gereiht. Ihre scheinbar zufällige Anordnung berücksichtigt, dass Geräte einmal durch neue ersetzt werden und Regale weichen müssen, weil vielleicht neue Gläser größer sind. Dieser Pragmatismus ist in der Gestaltung vom ersten Tag an enthalten.

Der Einbau von Toiletten konnte nicht, wie sonst oft üblich, ums Eck und mit einem Gang, sondern musste im begrenzten Bereich des erdgeschoßigen Gastraums erfolgen. Sie stehen nun als teils polygonal verformte und damit abgeschwächte Volumen im Hintergrund über dem Abgang zum Keller – nicht Fremdkörper, sondern notwendige Einbauten, die durch die Farbgebung, ein freundliches Grau, der oberflächlichen Wahrnehmung entzogen sind. – Die Treppenabgänge, als massive Einschnitte in die Gewölbestruktur scheinbar bedenklich, werden durch die Art und Weise, wie sie ausgeführt wurden, verträglich gemacht. Der vordere, kleinere erhielt über dem Abgang eine knappe Sitzgelegenheit mit Tischchen für vier Personen, von der nicht klar ist, aus welcher Zeit sie stammt, sodass der Eingriff, obwohl neu, schwer datierbar wird. Beim hinteren, größeren Abgang wird mit zwei schlanken Rundstützen überspielt, dass hier der Gewölbeansatz weggeschnitten werden musste.Nicht die Verletzung ist das Thema, sondern deren architektonische Sublimierung.

Seltenes Wissen, rares Handwerk

Im großen Weinverkostungsraum, zugleich der festlichste, wird der Treppenaufgang durch das Weinlager – klimatisiert und hinter Glas – abgeschirmt, sodass die vordere Raumzone mit einem großen Tisch zentriert und, von siamesischen Zwillingskandelabern flankiert, aufgewertet wird. Bestätigend kommt ein hochwertiger Steinboden dazu, der, in diagonalem Schachbrettmusterverlegt, Besonderheit ausdrückt. Was niemand merken wird: Vom rechten Winkel weichen die scheinbar quadratischen Platten um wenige Grade ab, um der zum Parallelogramm verzogenen Raumform zu folgen.

Bei den Farben nützt Hermann Czech das gesamte Angebot des Doppelkegels im räumlichen Farbspektrum zwischen Schwarz und Weiß, wobei es ihm um die Wirkung geht. Besonders mag er jene Farbtöne, die recht eigentlich übersehen werden, mit denen sich Flächen in die Umgebung einbinden lassen. Es kann aber auch eine klar gesetzte Maßnahme sein, wie das glanzblaue Gewölbefeld über dem Tisch im oberen Gastraum, das den Raum scheinbar höher macht.

Dass Hermann Czech ein großer Lehrender ist, hat er oftmals bewiesen und tut dies heute an der Technischen Hochschule in Zürich. In dem schmalen Heft über das Weinhaus Punkt erläutert er Christoph Mayr Fingerle in einem Gespräch ausführlich seine architektonischen Intentionen. So viel klar formuliertes Wissen zum gestalterischen Handwerk des Architekten konnte man in den letzten Jahren kaum wo lesen.

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