Bauwerk

Musée du quai Branly
Jean Nouvel - Paris (F) - 2005
Musée du quai Branly, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Musée du quai Branly, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES

Reliquien-Fisch und Ahnenkult

Entsprechend dem Wunsch von Jacques Chirac, der um jeden Preis ein Stammeskunstmuseum in Paris erbauen wollte, wurde das von Jean Nouvel konzipierte Musée du quai Branly gestern vom französischen Präsidenten eröffnet.

21. Juni 2006 - Olga Grimm-Weissert
Das Musée du quai Branly - eine Mammutkonstruktion in unmittelbarer Nähe des Eiffelturms. Eine Institution mit Zukunft, die - neben dem ethnografischen Museum, der Pflege der Sammlungen, deren systematischer Restaurierung sowie Forschungstätigkeit - eine Art quicklebendiges Pompidou-Zentrum für außereuropäische Kulturen, mit Kino, Tanz und Musikveranstaltungen werden soll.

Jean Nouvels Bau ist in vieler Hinsicht eindrucksvoll: an der Nordseite, entlang der Seine (am quai Branly) steht eine 200 Meter lange und zwölf Meter hohe gebogene Glasmauer, die gegen Lärm schützt. Sie geht in eine „Vegetationsmauer“ über, die sich über ein Museumsbürohaus mit 800 Quadratmeter Grünpflanzen erstreckt. Ein Spezialpatent garantiert die immergrüne Vegetation dieses Hauses. Hinter der Glasmauer führt der Weg abwärts, unter das zentrale Museumsgebäude, das in einem 18.000 Quadratmeter großen Garten liegt. Das 220 Meter lange, auf Metallpfeilern stehende Hauptgebäude wirkt wegen seiner fast schwebenden Lage leicht.

In unregelmäßigen Abständen sind unterschiedlich große Kuben, die Architekt Nouvel „Schachteln“ nennt, in roten bis braunen Erdfarben, an der Nordfassade angebracht. In ihrem Inneren sind Ausstellungskabinette für bestimmte Sammelgebiete eingerichtet. Die durchaus diskutable Museografie erarbeiteten Architekt Nouvel und der Exdirektor des Centre Pompidou, Germain Viatte. Man kann den Herren nicht gerade gratulieren, denn die Hitze und der Geruch in diesen „Schachteln“ waren bereits vor der Publikumseröffnung am 23. 6. ziemlich unangenehm.

Der Museumskomplex mit seinen vier Gebäuden, die Restaurierung, Inventarisierung sowie numerische und fotografische Erfassung der 300.000 Objekte (wovon nur 3500 gezeigt werden) kostete insgesamt offiziell 232,5 Millionen Euro. Das 1998 bewilligte Budget wurde um 38,68 Prozent überschritten, und nicht um neun Prozent, wie das Pressematerial erklärt. Was für die Franzosen offensichtlich kein Problem darstellt. Der Wunsch des Präsidenten ist Befehl. Basta.

Das stellten auch etwa 200 wie verlorene Schafe im Halbdunkeln des Museums herumirrende Journalisten am Tag vor Chiracs Eröffnungsbesuch fest. Das zuständige Kuratorenpersonal oder sonstige Verantwortliche des Museums glänzten durch Abwesenheit. Nur Architekt Nouvel improvisierte eine Presserunde in der Eingangshalle.

Von dort steigt man über eine weiße, kurvige Rampe à la Guggenheim zur Ausstellungsfläche hinauf. Die Rampe umringt einen Glasturm, in dem die 9500 Musikinstrumente der Sammlung, auf sechs Stockwerke und 620 Quadratmeter verteilt, geordnet und nummeriert liegen.

„Niemandsland“

Die breite Rampe führt in ein schummriges Niemandsland, d. h. das eigentliche Museum, dessen 220 Meter lange Ausstellungsfläche auf ein Stockwerk konzentriert ist. Die Sonderausstellungen erreicht man dann über Treppen. Da die meist aus empfindlichen Materialien hergestellten Stammeskunstobjekte gegen Licht geschützt sein müssen, tappt das Publikum also ziemlich im Dunkeln.

Die präsentierte Sammlung ist etwas weniger spektakulär als erwartet und nur sehr summarisch beschrieben. Sie stammt aus Afrika, Ozeanien, Asien sowie Nord- und Südamerika. Im afrikanischen Teil, der mit 70.000 Objekten am besten bestückt ist, findet man z. B. Baoulé-Masken oder Ahnenkult-Statuen von der Elfenbeinkünste.

Im Ozeanien-Teil beeindruckt ein Reliquien-Fisch von der Santa-Ana-Insel: Ein ähnlicher Fisch wurde am Wochenende in Paris für 714.800 Euro versteigert. Kaum hat man ein kanadisches Objekt entdeckt, steht man auch schon vor einer anthropomorphen Statue mit Raubtierkopf aus Costa Rica (zirka 1000-1500) und wundert sich über das kunterbunte Gemisch. Als wäre wirklich wenig Platz für die Tribal Art, die doch der Grund für diesen aufwändigen Museumsbau war.

Drei verwirrende Sonderausstellungen verstärken den Eindruck, dass hier ein Museum errichtet wurde, das Spezialisten vorbehalten ist - das heißt: seiner eigentlichen Aufgabe vorläufig noch nicht gerecht wird.

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