Bauwerk

Dr. Fred Sinowatz-Sporthauptschule
Ernst Maurer - Wiener Neustadt (A) - 1996
Dr. Fred Sinowatz-Sporthauptschule, Foto: Walter Zschokke

Lichtathletik in der Sportschule

Der Landeshauptstadt - Impuls wirkt auf die übrigen Städte Niederösterreichs: Wiener Neustadt zeigt mit der neuen Sporthauptschule von Ernst Maurer architektonisches Profil.

30. November 1996 - Walter Zschokke
Der Wiener Neustädter Hauptplatz im Herzen des historischen Zentrums ist dreimal so groß wie das Rasenfeld der neuen Sporthauptschule am westlichen Rand des Stadtgebiets. Die vorsichtige Neugestaltung dieses eindrücklichen innerstädtischen öffentlichen Raums, der auch im größeren Umkreis nicht so schnell einen Vergleich zu scheuen braucht, wird von den Architekten Eichinger oder Knechtl ausgeführt.

Baudirektor Helmut Wenninger lacht verschmitzt, wenn er von der Aufregung um die Steginstallation von Tadashi Kawamata erzählt, die im Juni/Juli dieses Jahres rund um das Grätzel eine völlig neuartige räumliche Erfahrung des Hauptplatzes ermöglichte. Der von der Vermessung herkommende Baufachmann pflegt seine künstlerischen Seiten und kann beim Thema zeitgenössische Architektur kundig mitreden.

Die genannten Projekte belegen, daß die im September in Betrieb genommene Sporthauptschule in Wiener Neustadt West mehr bedeutet als die sprichwörtliche Schwalbe eines Architekturfrühlings. Zeitgenössische Architektur ist Gegenstand eines Dialogs geworden, der den mittleren und kleineren Städten Niederösterreichs zur Präzisierung ihrer Identität verhilft und zu einem künftigen Stadtbild beiträgt, in dem die heutige Zeit angemessen vertreten ist.

Für diese Hauptschule wurde 1993 in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem das attraktive und zugleich ökonomische Projekt von Ernst Maurer aus Hollabrunn den ersten Preis erzielte. Als wichtige Mitarbeiter seines Büros nennt Maurer für die Projektierung Sergej Nikoljski, einen gebürtigen Russen, der sein Architekturstudium in Skopje absolvierte, und für die Ausführungsplanung Helmut Himmelbrunner.

Die Schule steht in einem Neubaugebiet, in dem Wohnbauten aus den siebziger Jahren und offene, noch unverbaute Flächen einander abwechseln. Die Parzelle diente offenbar längere Zeit dem Kiesabbau, der Grundwasserspiegel liegt nur knappe zwei Meter unter dem neuen Niveau. Schon wenige Jahren nach der Stillegung bildete sich in einer größeren Vertiefung ein Feuchtbiotop, das bei der Planung zu berücksichtigen war. Am Südrand steigt das ansonsten flache Gelände steil an und erreicht wieder den ursprünglichen topographischen Verlauf.

Von dem Güter- und Spazierweg, der oben an dieser künstlichen Geländekante vorbeiführt, bietet sich ein guter Blick auf die Anlage: Im Vordergrund liegen die Sportanlagen; dahinter erhebt sich die in die Breite entwickelte Südfassade, die vom Baumbestand des Biotops lokker beschattet wird. Während das große, flache Volumen der Dreifachturnhalle am rechten Flügel gegen das Sportfeld vorstößt und die Senke mit dem Teich räumlich faßt, antwortet darauf am linken Flügel eine schlanke, ebensoweit vortretende Pergola.

Die Südfassade des langgezogenen Klassentrakts ist horizontal geschichtet. Im Erdgeschoß weist eine breite, etwas zurückversetzte Glaswand auf die dahinterliegende Halle hin, die räumlich mit dem Naturraum davor korrespondiert.

Die Nordfassade wird durch eine flachere Differenzierung der Volumen gegliedert und trägt am Haupttrakt ein collageartiges Reliefbild aus verputztem Mauerwerk, Fenstern und Glaswänden sowie Metall- und Natursteinverkleidung, deren Teile mit den unterschiedlichen Inhalten dieser Gebäudehälfte übereinstimmen. Das Vorfeld ist noch unbebaut, sodaß der Blick von weitem das Gesamtbild zu erfassen vermag.

An beiden Enden des Klassentrakts treten allseitig verglaste Körper hervor. Sie gehören zu einer längs verlaufenden mittleren Schicht, die auf allen drei Geschoßen den durchgehenden Erschließungsgang enthält.

Von hier sind im Süden die Klassenräume und im Norden die Sonderklassen für Zeichnen und das Schwerpunktfach EDV-Unterricht, die Haupttreppe und Nebenräume zugänglich. Das durchgehend verglaste Dach öffnet sich zum Himmelslicht, das durch große, die halbe Gangbreite einnehmende Öffnungen bis in die im Erdgeschoß befindliche Pausenhalle gelangt.

Die Klassenzimmer in den beiden Obergeschoßen betritt man über stegartige Brücken. Die vielen Öffnungen haben zur Folge, daß eine durchgehende vertikale Raumschicht entsteht, in der die Erschließungswege wie Laubengänge eingesetzt sind. Diese Konfiguration gibt dem Schulgebäude einen ausdrucksstarken und identitätsstiftenden Kern.

Die verglasten Hallen an beiden Enden dienen ebenfalls als Pausenräume, die davorliegenden Dachterrassen sind begehbar. Im zweiten Obergeschoß sind es nur mehr kleine Balkone, die wegen ihrer Abgehobenheit wohl kaum für Volksredner gedacht sind, sondern den abgedrängten Rauchern unter den Lehrern als letzte Zuflucht dienen dürften.

Die lange Halle im Erdgeschoß liegt ein paar Stufen tiefer, der Raum gewinnt an Höhe, und vom begleitenden Gang aus gewinnt man eine gute Übersicht. Daß dies nicht bloß der Kontrolle, sondern vor allem dem raschen Finden von Freunden und Freundinnen dient, ist die eine Seite. Eine andere ist die architektonische Wirkung, der Aufbau in mehrdeutigen Schichten:Man befindet sich zeit- und ortgleich in mehreren virtuellen und faktischen Volumen, die als Räume oder Raumzonen erkenn- und ahnbar sind.

Die dem Eingang im Osten gegenüberliegende Stirnwand der Halle läßt sich teilen und zur Seite schieben. Dahinter liegt der Musikraum, der aber auch als Bühnenraum, mit der Pausenhalle als Zuschauerraum, dienen kann. Nicht nur architektonisch, sondern auch von der Nutzung her läßt die Halle mehrere Lesarten zu. Beispielsweise steht hier eine Bronzefigur des Wiener Neustädter Plastikers Kurt Ingerl dominant auf ihrem Sockel und überwacht in den Pausen das Treiben der Schüler.

Ein erster Vorschlag für eine künstlerische Intervention, erstgereiht in einem Wettbewerb unter sechs geladenen Künstlern, war nicht realisierbar; es gelang aber, das Konzept für die Landesberufsschule in St. Pölten, ebenfalls von Ernst Maurer, zu übernehmen. Der zweitgereihte Vorschlag, eine Installation von Werner Feiersinger auf der östlich vorgelagerten Terrasse, war aus Gewichtsgründen nicht machbar. Mit konzentriertem Einsatz aller Beteiligten fand man einen neuen Platz, für den der Künstler einen neuen Entwurf entwickelte: eine spannungsvolle Stahlplastik.

Das Gutachtergremium für Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich moderierte, die Zusammenarbeit von Architekt und Künstler funktionierte bestens, nur, die Wiener Neustädter hätten eben gern einen einheimischen Künstler gefördert. Jetzt verfügt der neue Schulbau über zwei hochwertige Werke.

Während für Kurt Ingerl die Arbeit an der abstrahierten menschlichen Gestalt wesentlich war, ist Werner Feiersinger im Bereich zwischen Plastik und Architektur tätig. Ausgehend von einem Würfel, von demTeile ausgeklappt werden, sodaß ein räumliches Wechselspiel von „scheinbar drinnen“ und „scheinbar draußen“ entsteht, gelang ihm ein anmutiges und zugleich begehbares Objekt, das signalhaft den Hauptzugang flankiert.

Insgesamt bezeichnet dieser Schulbau eine Wende in der Wiener Neustädter Architekturentwicklung. Während das neue Museum bei St. Peter an der Sperr noch von einer ungeklärten Mischung aus Postmoderne und Moderne bestimmt wird, ist die Sporthauptschule geprägt von jugendlicher Frische und räumlicher Gestaltungsfreude. Neben der sorgfältigen Wahl der Materialien wurde von dem Farbpsychologen Karl Fischer ein fein abgestimmtes Farbkonzept realisiert, das vor allem in der dreigeschoßigen Ganghalle eine spannende Raumstimmung aufkommen läßt.

Ernst Maurer ist ein ausgezeichnetes Werk gelungen. Seiner Integrationsgabe ist es zu danken, daß manche heikle Klippe umschifft werden konnte, ohne daß dabei der architektonische Ausdruck gelitten hätte. Auch die Kunst kam zu ihrem Recht.

Die Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung von Metropole und mittelgroßer Landstadt verlangen Gespür und Vermittlergabe. Wenn die Behörden, wie dies in Wiener Neustadt der Fall ist, bei der Suche nach gangbaren Lösungen mittun und nicht nur referieren, wie es nicht geht, entfallen wesentliche Hürden, die andernorts vielleicht zu einer Karikatur, aber nicht zu Architektur führen.

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