Bauwerk

centrum.odorf
Froetscher Lichtenwagner - Innsbruck (A) - 2006

Ein Platz lebt auf

10. Februar 2007 - Judith Eiblmayr
Wenn man sich Innsbruck mit dem Zug von Osten her nähert, zeigt sich die Stadt von ihrer plakativ großstädtischen Seite. In einiger Entfernung ziehen die Hochhäuser des Olympischen Dorfes vorbei und liefern Zeugnis ihrer Entstehungszeit: Anlässlich der Olympischen Spiele 1964 wurde der neue Stadtteil begonnen und 1976, als Innsbruck zum zweiten Mal Austragungsort der Winterspiele war, in einer zweiten Bauetappe erweitert. Im Wissen um den Mangel an leistbaren Wohnungen in Innsbruck entschied man 1960, auf der „grünen Wiese“ in Neu-Arzl möglichst dicht zu bauen. Die ursprüngliche Idee, den Olympioniken am Hang der Nordkette ein echtes Tiroler Dorf aufzustellen, war aus finanziellen und logistischen Gründen nicht umzusetzen gewesen und so hatte man sich doch für Wohnblöcke unten im Inntal entschieden. Nach über vierzig Jahren hat der Stadtteil mit cirka 8000 EinwohnerInnen soweit einen eigenständigen Charakter entwickelt, dass Probleme vor Ort von der Stadtverwaltung ernst genommen und spezifische Lösungen gesucht werden.

Die Stadt Innsbruck hat – gemessen an der Bauleistung im letzten Jahrzehnt – eine beachtenswerte Entwicklung genommen. Das Architekturgeschehen der Stadt ist geprägt von prestigeträchtigen Projekten, die jedoch nicht wie in vielen anderen Städten zu selbstreferentiellen Investorenbauten geraten, sondern auch einen Mehrwert für die Stadt und ihre 135.000 EinwohnerInnen bedeuten. In Tirol ist generell das Wissen um die Wertigkeit von qualitätvoller Architektur bei öffentlichen wie privaten Bauherren sehr hoch, aber in Innsbruck wird speziell darauf geachtet, dass stadtstrukturelle Verbesserungen nicht nur für die Tourismuszonen, sondern auch für die Randlagen der Stadt erzielt werden, wie am Beispiel des Olympischen Dorfes zu sehen ist.

Um eine Lösung für eine identitätsstiftende Zentrumsbildung zu finden, wurde das „O-Dorf“ 1996 als „Europan“-Wettbewerb – europaweit für unter 40-jährige ArchitektInnen – ausgeschrieben, aus dem die in Wien tätigen Architekten Willi Frötscher und Christian Lichtenwagner als Sieger hervor gingen. Nachdem das Projekt mehrere Jahre auf Eis gelegt war, erhielten die Architekten schließlich 2001 den Zuschlag und man wandte sich gemeinsam mit der Stadtplanung umso engagierter dem Diskurs und der Realisierung zu. Denn das geplante Bauvolumen war in Form und Programmatik gewaltig: Um ein unmittelbar belebtes Ortszentrum zu schaffen, sollte am neuen „Hauptplatz“ neben den öffentlichen Nutzungen wie Veranstaltungshalle, Kindertagesheim, Jugendzentrum und betreutes Wohnen für Pensionisten die urbane Dichte durch 100 zusätzliche Wohnungen gesteigert werden. In Analogie zur bestehenden Bebauung des Olympischen Dorfes wurde ein Hochhaus implementiert und dem L-förmigen, flachen Riegelbau beigestellt. Somit wird nicht nur das Zentrum durch einen Turm markiert, sondern auch der Platz stadträumlich gefasst und durch die entsprechende Fußgängerfrequenz der Hausbewohner automatisch belebt.

Die Dichte war also da, die sozialen Einrichtungen ebenso, aber wo bleibt die Urbanität? Wie gelingt es, den Platz so anzureichern, dass die Menschen auch verweilen wollen und ihn dadurch mit Leben erfüllen? Frötscher und Lichtenwagner gingen dieses Problem planerisch und praxisorientiert an: Sie suchten den Kontakt zur Firma M-Preis, Tirols größter Supermarktkette, die konzeptionell immer auch ein kleines Café an ihre Märkte angekoppelt hat. Somit war genau jene infrastrukturelle Basis geschaffen, um einen Platz als „Marktplatz“ zu definieren: die Menschen werden nah versorgt, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Kaffee und Kuchen und mit Klatsch und Tratsch aus dem Quartier.

Die Gestaltung des Platzes selbst sollte nicht die gewachsene historische Stadt stilisieren, sondern nimmt Bezug auf seine Funktion als Verteiler und als sozialer Treffpunkt. Ein Bereich ist durch eine Pergola zur Beschattung gedeckt und mit darunter stehenden Parkbänken bestückt, sonst wird eine Zonierung für Altersgruppen oder Zuweisung bei der Nutzung vermieden. Natürlich wird so auch potentiellen Konflikten Raum gegeben, zwischen den Generationen oder ethnischen Gruppen, wie sie in jedem Stadtteil mit vorwiegend sozialem Wohnbau europaweit zu finden sind. Aber die mögliche soziale Kontrolle trotz Weitläufigkeit funktioniert seit der Fertigstellung im Mai angeblich gut – was auch mitten im Jänner schön zu beobachten ist: Zu Mittag strömen die Kinder der nahen Hauptschule zum Platz, kaufen sich etwas zum Essen, gehen ins Café oder lungern auf den raupenähnlichen „Bankbändern“ herum. Manche schlendern in Richtung Hort, eine Gruppe legt sich die Schultaschen als Torbegrenzungen auf und spielt Fußball. Die Pensionisten gehen auf den Rollator gestützt eine Runde spazieren und kleine Kinder nutzen die Bänke zum Klettern und Rutschen. Und beim Supermarkt herrscht sowieso ein ständiges Kommen und Gehen.

Begrünt wurde am Platz nur sparsam, da sich unter dem Platz die Tiefgarage für das Quartier befindet. Die Landschaftsarchitektin Alice Größinger von „Idealice“ entwarf zarte, grün gestrichene Rankgerüste, ähnlich den „Heumandln“ – jenen Holzgestellen auf den Bauernwiesen, auf die das Heu zum Trocknen getürmt wird. Sonst wird nur der Boden gestalterisch akzentuiert, indem weiße Streifen am Asphalt eine Gehrichtung zeichnen. Sie weisen den Weg – durch einen Durchgang hindurch – in den südöstlichen Teil des O-Dorfes, aber auch zum Mehrzwecksaal, der aufwändig gestaltet wurde, um ihn für „auswärtige“ Nutzungen attraktiv zu machen. Neben möglicher Hochkultur (Theater und Konzerte) finden hier Grätzelkultur und Vereinsleben, wie Chor, Musikkapelle oder private Feiern statt.

Das Besondere am Projekt Centrum O-Dorf ist, dass die Architekten von der städtebaulichen Konfiguration bis zu den Details der einzelnen Bereiche wie Kindergarten, Wohnungsgrundrisse und Supermarkt planen konnten. Noch dazu konnten sich Frötscher und Lichtenwagner diesen Aufgaben ohne unnötigen Zeitdruck widmen, und diese Sorgfalt sieht man dem Projekt in seiner Gesamtheit auch an. Ein gelungenes Beispiel einer integralen und hoffentlich auch integrativen Planung durch Architekten, Bauträger und eine um Nachhaltigkeit bemühte Stadtplanung.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at