Bauwerk

Alte Aula / Galerie der Forschung
Rudolf Prohazka - Wien (A) - 2006

Die reine Struktur

Ein Ort mit wissenschaftlicher Tradition, revitalisiert als Galerie der Forschung: die ehemalige Alte Universität Wien. Ihre rationale Eleganz verdankt sie dem Architekten Rudolf Prohazka.

30. April 2006 - Walter Zschokke
Einen Begegnungsort zu schaffen für wissenschaftlich Forschende und zugleich einen Ort der Ver mittlung neuester Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit hatte die Österreichische Akademie der Wissenschaften im Sinn, als sie 1998 einen Architektenwettbewerb mit internationaler Beteiligung durchführte. Vor Jahren galt das für die „Galerie der Forschung“ vorgesehene Haus in der Bäckerstraße 20 als Geheimtipp unter Wiener Besonderheiten. Zu Bürozeiten war es möglich, durch den meist offenen Eingang und das Stiegenhaus zum zweiten Stock vorzudringen, um durch eine unversperrte Türe in einen riesigen Saal zu gelangen. Der war allerdings gänzlich mit einem Metallgerüst angefüllt, das die Plattform zur Restaurierung des Deckenfreskos trug. Da war zuerst die Überraschung, nach dem wenig ansprechenden Stiegenhaus auf den mächtigen Saal zu stoßen, dann die paradoxe Situation, diesen mit einem dreidimensionalen Gitter angefüllt vorzufinden.

Die übrigen Geschoße waren zwar nicht ähnlich dicht, aber ebenfalls reichlich verbaut. Und im Untergrund stießen Archäologen auf mittelalterliche Strukturen. Städtebaulich fiel das große Haus nicht besonders auf, weil es nicht über eine Schaufassade verfügte, obwohl es dreiseitig, aber nur auf kurze Distanz, freisteht. Ein Ansatz zu einer Schaufassade bestand zur Wollzeile hin, wo die Riemergasse auf einen kleinen Straßenhof trifft. Die Chance, vor dieser Südfassade einen Platz frei zu bekommen, war allerdings im engen Wien der Barockzeit und bis heute gering. Weiters liegt die Bäckerstraße höher als die Wollzeile, sodass man zwar von Ersterer eben hineingeht, sich zu Letzterer jedoch in Halbhochlage befindet.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut, war das Haus, das im Erdgeschoß die Aula der Universität, im ersten Obergeschoß Hörsäle und darüber den Theatersaal enthielt, durch zwei begehbare Schwibbogen über die Bäckerstraße mit dem Jesuitenkolleg verbunden. 1733 bis 1736 wurde der Theatersaal restauriert, und Anton Hertzog, ein Schüler des Andrea Pozzo, malte das heute von zahlreichen kleinen Schäden beeinträchtigte Deckenfresko. Nachdem die Kaiserin 1761 den Jesuiten das Theaterspiel untersagte, diente der Saal verschiedenen Zwecken, nicht zuletzt als naturwissenschaftliches Museum.

Die Baustruktur des Hauses ist rational, wobei man - die damalige Bautechnik berücksichtigend - nahezu von einem Skelettbau sprechen kann. Dieser Sachverhalt wurde von Architekt Rudolf Prohazka erkannt und in seinem Umbaukonzept präzisiert. In einem ersten Schritt stärkte er das rationale Konzept, indem er wilde, über die Jahrhunderte entstandene Einbauten entfernte und die reine Struktur hervorhob. Im Erdgeschoß wird sie nordseitig, entlang der Bäckerstraße durch einen langen Gang, an der westlichen Stirnseite vom Stiegenhaus und im Hauptkörper von drei Achsen mit jeweils zwei kräftigen Pfeilern bestimmt. Zwischen Letzteren sind vier Achsen mit zwei vergleichsweise schlanken Säulen eingefügt. Zusammen mit den in Pfeiler aufgelösten Außenmauern tragen sie ein Kreuzgratgewölbe. Die Säulenbasen mussten teils unterfangen werden, da der Boden zuvor verschiedene Niveaus aufwies - für ein öffentliches Gebäude heute ein Unding. Und in den Öffnungen der Südseite wurden die Brüstungen entfernt. Damit kommt die Großzügigkeit der Alten Aula bestens zur Geltung. Die Säulen scheinen eher zu hängen als zu tragen, vor allem fließt der Raum um sie herum, während die Pfeiler diesen zwar zonieren, aber nicht abschließen.

Im Geschoß darüber entfallen die Säulen. Die Korbbogentonnen überspannen locker zehn Meter, Stichkappen verbinden quer dazu. Hier und in der Aula sind die Räume für Ausstellungszwecke vorbereitet. Dem rationalen Tragsystem ist ein Versorgungsnetz überlagert, das Energieträger sowie Anschlüsse für Informationstechnologie über Bodensteckdosen und Lichtschienen so weit verteilt, dass für künftige, wechselnde Ausstellungsverhältnisse vorgesorgt ist.

Im obersten Geschoß befindet sich der gut 800 Quadratmeter messende Theatersaal der Jesuiten. Die 20 Meter Breite überspannt ein hoher Dachstuhl aus Holz, an dem die flache Decke mit dem Fresko hängt. Daher befindet sich der Saal zuoberst, was jedoch heute eine dritte Fluchttreppe bedingte, die in einem Grundstückzwickel an der Südseite Platz fand.

Das siegreiche Wettbewerbsprojekt Prohazkas sah den Vortragssaal unter der breiten Freitreppe im Straßenhof vor. Das knappe Budget ließ das aber nicht zu. Rudolf Prohazka, löste die schwierige Aufgabe laut der bewilligenden Denkmalamtsvertreterin mit einer „Königsidee“. Nun lässt sich im Theatersaal eine 70 Zentimeter starke, über die gesamte Breite und bis knapp unter das Fresko reichende Wand auf zwei seitlichen Zahnstangen mechanisch verschieben. Damit lassen sich unterschiedlich große Vortrags- und Veranstaltungsräume unterteilen. Die Wand ist raumakustisch wirksam und enthält hinter einem Chromstahlgewebe Scheinwerfer und weitere Ausrüstung. Selbst die Übersetzerkabinen lassen sich darin integrieren. Damit wurde in der 350 Jahre alten Baustruktur sehr viel modernste Technik untergebracht. Diese und auch das komplett neu errichtete Stiegenhaus samt Aufzug an der Stirnseite zum Platz vor der Jesuitenkirche sind in einer zurückhaltenden zeitgenössischen Formensprache ausgeführt, die mit dem rationalen Bestand harmoniert, weil beide strukturell verwandt sind.

Zur visuellen Kommunikation mit dem urbanen Umfeld sind drei bis zum zweiten Stock reichende, schmale Plasmadisplays bündig in die Fassade eingelassen. Sie wirken in die Bäckerstraße, zur Postgasse sowie in die Riemergasse hinein und lassen sich mit beliebigen Inhalten bespielen. Ein frei vor der Südfassade aufziehbarer Screen dient als Projektionsfläche. Damit erhält das ruhig und unaufdringlich wirkende Haus ein markantes Signal zur Stadt, ohne dass die historische Substanz angetastet wird.

Der Dialog notwendiger Erneuerungsmaßnahmen und zeitgenössischer Gestaltung mit der vorhandenen Struktur erfolgt auf großer Bandbreite. Weil er zugleich äußerst diszipliniert betrieben wurde, erweist sich der Umbau architektonisch gelungen, auch wenn die Ausstellungseinrichtungen noch nicht feststehen.

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