Bauwerk

Bürogebäude in Lelystad
René van Zuuk - Lelystad (NL) - 2006
Bürogebäude in Lelystad, Foto: Christian Richters

Stark verästelt

Das auf einem schmalen Grundstück und unter strengen auflagen errichtete Bürogebäude ist auf allen vier Seiten mit einer Aststruktur aus vorgefertigten Betonelementen überzogen. der ornamentale Schleier lässt den Bau klar aus der Häuserzeile heraustreten, obwohl er dabei nur verhältnismäßig leise Töne anschlägt.

3. November 2006 - Anneke Bokern
René van Zuuk ist eigentlich auf Skulpturalität sp ezialisiert. Bekannt wurde der inzwischen 44-jährige Architekt aus Almere vor zehn Jahren durch ein helmförmiges Schleusenwärterhaus nahe Groningen. In letzter Zeit folgten unter anderem ein blobbiger Pavillon für das Architekturzentrum Arcam in Amsterdam (siehe db 11/2003) und der Wohnblock »The Wave« in Almere mit seiner schuppigen, gewölbten Front. Beinahe alle seine bisherigen Gebäude sind frei stehende, expressiv geformte Solitäre mit Metallfassaden.
Dem entsprechend dürfte das Bürohochhaus an der Zilverparkkade in Lelystad eine ganz neue Herausforderung für ihn gewesen sein, galt es doch, einen in eine Häuserzeile eingeklemmten Bau mit rechteckiger Grundfläche zu entwerfen.

Defilee der Diven

Das Gebäude namens »Dominor« gehört zum Masterplan Lelystad-Zentrum, den West 8 vor fünf Jahren erstellt hat. Ähnlich dem benachbarten Almere, soll Lelystad, das ebenfalls auf einem der neuen Polder im IJsselmeer liegt, in den nächsten Jahren ein dichteres, funktional durchmischtes Stadtzentrum erhalten. Davon ist bisher allerdings noch nicht viel zu sehen. Aus dem Bahnhof Lelystad-Zentrum kommend, findet man sich in einer gesichtslosen Fußgängerzone mit niedriger, mausgrauer Bebauung aus den siebziger Jahren wieder. Einzig ein grellorangefarbenes Th eater, das UN Studio am Nordrand des Zentrumsgebiets bauen, und die hohe Gebäudezeile der Zilverparkkade an seinem Südrand stechen aus dem Einerlei hervor.

An der Zilverparkkade entstehen momentan zwölf Büro- und Wohnbauten nach dem Grachtenmodell: Schulter an Schulter stehend, bilden sie eine geschlossene Zeile, werden aber jeweils von einem anderen Architekten entworfen und unterscheiden sich auch in der Bauhöhe. Der niedrigste Bau wird vier, der höchste 14 Geschosse haben. Für das zweite Gebäude in der Zeile wurde René van Zuuk beauftragt, auf einem nur 220 Quadratmeter großen Grundstück einen neungeschossigen Bürobau mit auffälligem Äußeren und möglichst viel vermietbarer Fläche zu errichten. Angesichts dieser Vorgaben des Auftraggebers war schnell klar, dass einzig die Fassade gestalterischen Spielraum bot. Van Zuuks Bau besteht aus einer einfachen Betonschottenkonstruktion. Die zum Park orientierte Südfassade sowie die obersten zwei Geschosse der Westfassade, die über den niedrigeren benachbarten Bau hinausragen, sind komplett verglast. Vor der Glasfront brachte der Architekt eine zweite »Fassade« an: eine Netzstruktur aus kantigen Sichtbetonzweigen, die nur die Sockelzone frei lässt. Dieser ornamentale Vorhang liegt über dem anthrazitfarbenen Bau wie ein übergeworfenes Spitzendeckchen und lässt ihn selbst in der architektonischen Kakofonie der Zilverparkkade sofort ins Auge springen. Über die Signalwirkung hinaus, kommen der Struktur noch weitere Funktionen zu. Da der Auftraggeber keinen Kran auf dem Dach installieren wollte, mussten vor den geschosshohen Fenstern Balkone für Fensterputzer angebracht werden, obwohl der Masterplan keine auskragenden Elemente am Gebäude erlaubte. Also setzte Van Zuuk die Fenster etwa einen halben Meter in der Fassade zurück und brachte vor dem Betonskelett die Zweigstruktur an.

So entstanden zwischen den beiden Fassadenebenen die erforderlichen Balkone, die obendrein als Schutz vor Brandübergriff fungieren, während die Zweige als Brüstung dienen. Auf den ersten Blick erinnert die Zweigfassade sehr an den »Algue«-Vorhang, den die Bouroullec-Brüder für Vitra entworfen haben. Erst wenn man genauer hinsieht, fällt auf, dass Van Zuuks Fassade im Gegensatz zum Raumteiler der Bouroullecs nicht auf einer ständigen Wiederholung desselben Elements beruht. Stattdessen hat Van Zuuk, nach eigenem Bekunden inspiriert von M.C. Escher, eine Handvoll großer und kleiner Bausteine entwickelt, aus denen sich eine nahtlose, scheinbar wiederholungsfreie Struktur zusammensetzen lässt. Sie bietet aus unterschiedlichen Perspektiven jeweils einen anderen Anblick: Vom Fuß des Gebäudes aus besehen scheint die Fassade recht schwer und beinahe geschlossen. Im Inneren des Baus erweist sie sich jedoch als weitmaschig genug, um die Aussicht nicht zu behindern. Aus der Ferne betrachtet wirkt sie leicht und filigran.

Differenzierungen

Um der Konsequenz willen hat Van Zuuk das Motiv auf den Seitenwänden des Gebäudes fortgesetzt. Dort tauchen die Zweigelemente als Relief auf den dunkelgrauen Betonplatten auf, bleiben aber auf der geringen Fläche ziemlich wirkungslos. Besser funktioniert diese Strategie an der Rückseite des Baus. An die Stelle der geschosshohen Fenster treten dort horizontale Fensterbänder über geschlossenen Brüstungen, die wiederum aus den anthrazitfarbenen Betonplatten mit hellgrauem Zweigrelief bestehen. Vor den Fenstern scheint das blattlose Geäst weggeschnitten worden zu sein. An der Rückseite des Gebäudes wird auch seine Einteilung ablesbar. Eine vertikale Einkerbung unterteilt den Bau in einen schmaleren Teil, der Erschließung, Toiletten, Teeküchen und einen kleinen Büroraum beherbergt, und einen breiteren Teil, in dem die frei einteilbaren Bürogeschosse liegen. Dazwischen befindet sich ein Flur, der in einen kleinen Balkon in der Kerbe mündet und darüber Zugang zum Fluchttreppenhaus bietet. René van Zuuk ist mit seinem Entwurf ein paradoxes Kunststück gelungen: Obwohl »Dominor« der einzige Bau an der Zilverparkkade ist, der eine quasi-organische Ornamentik aufweist, ist er gleichzeitig der Bau mit dem wenigsten Schnickschnack in der Zeile. Und auch innerhalb des OEuvres von René van Zuuk wirkt er trotz oder gerade wegen seines ornamentalen Schleiers, nicht zuletzt aber auch wegen der Beschränkung auf wenige industrielle Materialien geradezu minimalistisch.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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