Bauwerk

Institute of Contemporary Art
Diller Scofidio + Renfro - Boston (USA) - 2006

Die Verlockungen des Wassers

Bostons neues Kunstmuseum spielt mit dem Blick auf Stadt und Hafen.

9. Dezember 2006
In Sachen Kunst gilt Boston als eine der konservativsten Städte der USA. Das soll sich jetzt rasant ändern: In der 570.000-Einwohner-Metropole in Massachusetts wird mit dem Institute of Contemporary Art (ICA) einer der spektakulärsten Museumsneubauten der letzten Jahre eröffnet.

Neues Wahrzeichen

Das Gebäude wurde auf einem Pier in Südboston errichtet und bietet auf vier Etagen durch viel Glas, Holz und Metall stets anders eingerahmte Blicke auf den Bostoner Hafen.
Auch von außen soll das ICA ein neues Wahrzeichen für die Stadt werden, die international vor allem für die Eliteuniversität Harvard und das High-Tech-Institut MIT bekannt ist: Die Galerien im Obergeschoß des neuen Museums haben einen frei tragenden Ausleger, der mit einer Länge von 25 Metern fast bis ans Wasser reicht.

Architektur und Experiment

Das Haus wurde vom New Yorker Architekturbüro Diller Scofidio + Renfro entworfen, das schon Ende der 70er Jahre gegründet wurde, aber nur wenige Projekte tatsächlich gebaut und sich stattdessen auf experimentelle Arbeiten, Installationen und Performances konzentriert hat.
Zuletzt sorgten die Architekten mit einem temporären Pavillon für die Schweizerische Landesausstellung 2002 für Aufsehen, der auf Stelzen in einem See errichtet wurde und stets von einer künstlich aus dem Seewasser erzeugten Nebelwolke umgeben war.

„Enthüllen und verbergen“

Ungewöhnliche Ideen durchziehen auch den Museumsneubau in Boston. Das ganze Gebäude ist ein Spiel mit natürlichem und künstlichem Licht und dem Blick aufs Wasser.
„Das Wasser: Es ist schon fast zu verlockend, es zum Zentrum des Gebäudes zu machen“, erklärte Architektin Elizabeth Diller im „Boston Globe“. Schließlich habe man sich dazu entschlossen, den Blick darauf nach dem Motto „Enthüllen und verbergen“ zu kontrollieren.

Lichtdurchflutet

Die zwei Galerien im Obergeschoß werden durch natürliches Licht gleichmäßig hell beleuchtet, die Glaskacheln in der Decke sind aber diffus. In der Nacht leuchtet hingegen das Gebäude selbst von innen heraus.
Im Theatersaal mit 325 Plätzen schaut man durch Glaswände auf den Hafen und die Skyline von Boston, doch der Saal kann für Veranstaltungen komplett abgedunkelt werden.

„Wie Pornografie“

Das Gebäude sei „fast wie Pornografie“, so Diller: „Wir wollten den Blick in kleinen Dosen austeilen.“ Der Aufzug ist etwa ein eigener Raum für 50 Menschen, durch dessen Glaswände sich während der Fahrt in die oberen Stockwerke unterschiedliche Perspektiven auf den Hafen ergeben.
Südamerikanisches Holz zieht sich wie ein Band durch das Gebäude und markiert jene Abschnitte, die öffentlich zugänglich, aber keine Ausstellungsfläche sind.
Dieser „Holzteppich“ beginnt schon auf dem Pier vor dem Gebäude, fließt durch das Foyer, wird zum Boden des Veranstaltungssaals, klettert nach oben, wird zur Decke und schließlich draußen zur Unterseite des Auslegers.

Standortwechsel und Besucherschwund

Das Bostoner ICA gibt es seit 1936, doch es hatte stets mit Problemen zu kämpfen: Seit der Gründung zog es zehn Mal um, und in den letzten Jahren ging die jährliche Besucherzahl auf 25.000 zurück.
Zuletzt war das Museum in einer aufgelassenen Polizeiwache untergebracht, die viel zu wenig Platz für die Pläne von Direktorin Jill Medvedow bot, eine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst aufzubauen. Das neue ICA-Gebäude kostete umgerechnet 30,8 Millionen Euro; es wurde ausschließlich durch Sponsoren und Mäzene finanziert.

Probleme beim Bau

Planung und Fertigstellung zogen sich acht Jahre hin. Sie waren von etlichen Problemen überschattet: Die Baufirma ging beinahe Pleite, die bereits bin ins Detail durchgeplante Eröffnung musste in letzter Sekunde verschoben werden, und dem Museum gingen die Nachbarn abhanden.
Denn eigentlich sollte der gesamte, bisher nicht genützte Pier mit Wohnungen, Geschäften und Unterhaltungsangeboten belebt werden, doch das ausführende Immobilienunternehmen zog sich von dem Projekt zurück. Nun steht das ICA vorerst im Niemandsland.

Sanfter Einstieg

Fraglich bleibt auch, ob sich in Boston genug Publikum für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst findet. Die Eröffnungsschau „Super Vision“, die bis zum 29. April läuft, geht auf Nummer sicher und zeigt zum Einstieg zugängliche jüngere Kunst wie Jeff Koons' Stahlskulptur „Rabbit“.
Und der „Boston Globe“ bereitet die Stadtbewohner auf bewusst sanfte Weise auf Kunst abseits der Alten Meister vor: „Zeitgenössische Kunst kann Spaß machen und erstaunen, aber auch provozieren und erschrecken“, schreibt die Zeitung, und: „Kunst, früher ausschließlich etwas zum Anschauen, lädt den Betrachter heute oft zum Mitmachen ein.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at