Bauwerk

Wirtschaftskammer Tirol
FUCHSUNDPEER - Lienz (A) - 1998
Wirtschaftskammer Tirol, Foto: Karlheinz Peer
Wirtschaftskammer Tirol, Foto: Günter Richard Wett

Was in Lienz der Fall ist

Lienz, Osttirol. Im Neubau der Wirtschaftskammer-Bezirksstelle sind unterzubringen: Büros, Schulungs- und Seminarräume und ein großer Festsaal. Wie Renate Benedikter-Fuchs und Karlheinz Peer alles in einer „Schachtel“ organisiert haben, ist beispielhaft.

19. Dezember 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Aus architektonischer oder auch aus einer an Gestaltung interessierten Perspektive hat man in aller Regel seine Schwierigkeiten damit, wie sich die österreichische Wirtschaft nach außen präsentiert: Das fängt bei Ausstellungen oder Messeauftritten an und hat hoffentlich beim letzten österreichischen Weltausstellungsbeitrag aufgehört, auf dem untersten Qualitätslevel zu passieren.

Unter diesen Vorzeichen betrachtet, muß man beinahe von einem Glücksfall reden, wenn es einmal gelingt, daß ein - schon von seinen Dimensionen her - repräsentativer Bau der Österreichischen Wirtschaftskammer architektonisch Maßstäbe setzt. In Lienz ist das der Fall. Dort hat die Wirtschaftskammer Tirol ein ausgesprochen beispielhaftes Gebäude für seine Osttiroler Bezirksstelle realisiert.

Am Anfang war ein Wettbewerb, und den haben die Innsbrucker Architekten Renate Benedikter-Fuchs und Karlheinz Peer gewonnen. Der Schauplatz liegt, übrigens gar nicht weit entfernt vom architektonisch ebenfalls bemerkenswerten Dolomitenstadion von Peter Jungmann, an einer Geländekante nahe der Drau.

Das Haus ist ziemlich groß, obwohl das, was heute dasteht, schon eine deutlich verkleinerte Version dessen ist, was ursprünglich im Wettbewerb gefragt war. Es ist lang hingestreckt an der Geländekante plaziert, und es hat wieder einmal die Form einer Schachtel. Zugegeben, bald kann man sie schon nicht mehr sehen, diese Schachteln, vor allem die mit den Holzlattungen nicht. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um eine „raffinierte“ Schachtel, eine verräumlichte, eine plastisch durchgebildete. Und das merkt man gleich, wenn man sich über den großzügig angelegten, sehr klar gestalteten Vorplatz dem Gebäude nähert. Unten drunter ist bis etwa zur Hälfte ein geschoßhoher Körper geschoben, der zwar tatsächlich eine Fassade aus Lärchenholzlatten hat, aber die beiden Geschoße darüber setzen durch ihre Eternit-Stülpschalung und die Alulamellenhaut vor den großen verglasten Teilen doch einen reizvollen Akzent, sie sorgen für ein durchaus spannendes Fassadenbild.

Außerdem weist die Differenzierung in der Erdgeschoßzone - eine verglaste, hinter die Stützenreihe zurückverlegte Zone, dann der wie untergeschobene Baukörper mit den Holzlatten - dem Besucher den Weg zum Haupteingang.

Benedikter-Fuchs und Peer haben bei der Organisation des Hauses großes Geschick bewiesen. Denn gefordert waren nicht nur Büros, Besprechungs-, Schulungs- und Seminarräume, gefordert war auch ein großer, repräsentativer Festsaal. Die Architekten sind aber nicht der Versuchung erlegen, diesen Festsaal als zentrales räumliches Ereignis aufzufassen und in den Vordergrund zu rücken. Dabei ist dieser Raum groß, technisch bestens ausgestattet, und er kann sich auch in gestalterischer Hinsicht sehen lassen, aber er liegt doch - im Obergeschoß.

Die Thematik, die den Besucher gewissermaßen „empfängt“, ist dennoch alltäglicherer Art: Sie signalisiert, daß hier gearbeitet wird. Dieses Konzept - nicht die repräsentativen Inhalte in den Vordergrund zu rücken, sondern die tagtäglichen Aufgaben der Kammer - war sicher auch im Wettbewerb ein entscheidendes Argument, das für die Lösung von Benedikter-Fuchs und Peer gesprochen hat. Schließlich geht es in einem solchen Haus um Arbeit, um „Dienstleistung“.

Und das sieht man jetzt auch schon von außen, wenn man zum Haupteingang geht. Denn man sieht in die Büros hinein. Das Foyer ist dann allerdings überaus großzügig und elegant formuliert, auch räumlich sehr reizvoll. Unter einer Galerie hindurch kommt man in einen zweigeschoßigen Raum, der durchaus zu beeindrucken vermag: Sichtbeton, Glas, Holz dominieren die Szene, eine schöne Arbeit von Ernst Trawöger setzt einen zusätzlichen Akzent.

Dieses Foyer fungiert für das gesamte Haus gewissermaßen als Drehscheibe, es hat Verteilerfunktion. Man kann sich auf Anhieb orientieren. Der betonierte Stiegenhausturm, der als eigener Körper „eingestellt“ ist, setzt sich mit seiner rauhen Bretterschalung von den glatteren Sichtbetonwänden und -decken reizvoll ab, der Durchgang zu den Büros ist diskret ausgewiesen.

Benedikter-Fuchs und Peer haben sich besonders bei den Materialien rigorose Selbstbeschränkung auferlegt. Sie kommen mit wenig aus, aber das ist dafür sehr sinnvoll eingesetzt und jeweils von höchster Qualität. Der Sichtbeton zum Beispiel: Er dominiert das Haus sehr weitgehend - von den Wänden bis zu den Massivdecken. Andererseits wurde aber auch mit Holz nicht gespart: Es ist durchwegs Eiche und kommt in Form gelochter Wand- und Deckenbekleidungen vor, teilweise als Parkett auf Boden, zum Beispiel aber auch an der Innenseite der Fensterrahmen im Eternit-verkleideten Fassadenteil.

Denn gewisse spielerische Feinheiten im Umgang mit den Materialien haben sich die Architekten dann doch nicht versagt. Daher sind die Fenster in jenen Bereichen, wo der Fassade eine Alulamellenhaut vorgespannt ist, aus Aluminium, während sie in der Eternitfassade nur außen aus Aluminium sind, innen sind sie, wie gesagt, aus Holz.

Die Ausstattung des Hauses ist in gestalterischer Hinsicht bemerkenswert. In den halböffentlichen Bereichen etwa liegt auf dem Boden ein besonders schöner, grauer Sandstein, daneben gibt es auch Teppichböden und Industrieparkett. Auch die Einbauten und das bewegliche Mobiliar sind von ausgesuchter Eleganz und angenehmer Einheitlichkeit, sogar bis hin zum Detail der Heizkörper.

Man kommt zwar wieder einmal nicht umhin festzustellen, daß sich die Nutzer selbst nach wie vor schwer mit dem Sichtbeton tun - er wurde in einem Büro ohne Wissen der Architekten verspachtelt.

Offenbar sind die Image-Schwierigkeiten dieses Materials noch lang nicht korrigiert. Andererseits haben die Architekten den Nutzern aber nichts zugemutet, was nicht bei einigem guten Willen und einer offenen, unvoreingenommenen Haltung verkraftbar wäre. Und in Wirklichkeit sind ja durchaus auch die sogenannten „warmen“ Materialien nicht zu knapp präsent.

Eine eigene Anmerkung ist die Hausmeisterwohnung wert. Sie ist an einem Ende des Gebäudes situiert und insofern interessant, als sie zwar nur einen kleinen Teil der Grundfläche in Anspruch nimmt, dafür aber den gesamten Gebäudequerschnitt. Man könnte auch sagen, sie ist als Reihenhaus konzipiert, das sich über alle Geschoße erstreckt - einschließlich eines Terrassen- und Gartenanteils. Denn das Haus hat in einem Teilbereich auch eine Terrasse: Diese schaut nach Süden, zum Garten beziehungsweise Richtung Drau, und macht die landschaftlich reizvolle Situation für die Nutzer unmittelbar erlebbar.

An dieser Gebäudeseite wird dann auch deutlich, wie die Architekten mit der Geländekante umgegangen sind. Sie haben den Baukörper nämlich so plaziert, daß unter der auf Platzniveau verlaufenden Terrasse noch ein zusätzliches, natürlich belichtetes Geschoß untergebracht werden konnte.

An der Südfassade ist das Haus überdies sehr weitgehend geöffnet, wobei den großen Glasbändern der beiden Obergeschoße wiederum Alulamellen vorgeschaltet sind, die als Beschattungselemente dienen und außerdem das Licht gleichmäßig streuen.

Es gab eine Wettbewerbsauflage, die den Architekten schmerzliches Kopfzerbrechen bereitet hat: Das Haus mußte unbedingt ein Satteldach aufweisen. Und das paßt zu einer solchen Gebäudekonfiguration natürlich nicht ideal, ein Flachdach hätte dem Zuschnitt, den Proportionen des Hauses besser entsprochen. Aber auch in diesem Punkt haben die Architekten Geschick bewiesen. Ihr Satteldach ist so flach ausgefallen, daß man es praktisch nicht als solches wahrnimmt, wenn man das Haus frontal anschaut. Man muß den Blickwinkel schon bewußt suchen, aus dem das Satteldach tatsächlich sichtbar wird.

Wie gesagt, das Haus ist ein Glücksfall. Das wird einem besonders bewußt, wenn man die unmittelbare Umgebung betrachtet. Denn gleich daneben ist fast zeitgleich ebenfalls ein Neubau entstanden, ein Verwaltungsbau, der mit seiner üblen Allerweltsarchitektur jeder Beschreibung spottet.

Überhaupt muß man in Lienz die architektonisch bemerkenswerten Gebäude vorläufig noch suchen. Von ein paar schönen Einfamilienhäusern und ganz wenigen Wohnbauten abgesehen, reichen die Finger einer Hand aus, um sie aufzuzählen: Da gibt es die Bank von Raimund Abraham auf dem Hauptplatz, einen M-Preis-Markt von Wolfgang Pöschl, das Dolomitenstadion von Peter Jungmann und jetzt auch die Wirtschaftskammer-Bezirksstelle Osttirol.

Das ist nicht viel. Andererseits ist gerade mit letzterer ein architektonischer Beitrag entstanden, dem schon allein von seiner Größe her, aber natürlich auch auf Grund der Bedeutung der Institution, besonderes Gewicht zukommt. Dem Vernehmen nach waren es dabei nicht die Lienzer selbst, die diesen Schritt in die richtige Richtung konsequent vorangetrieben haben, sondern es war vor allem der Innsbrucker Bauherr, die Wirtschaftskammer Tirol.

Das zeigt eben wieder einmal, wie sehr es in der Architektur auf einen durchschlagskräftigen, engagierten Auftraggeber ankommt. Wenn man den trifft, dann wird Beispielhaftes möglich.

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