Bauwerk

Villa Hemeroscopium
Antón García-Abril - Las Rozas (E)
Villa Hemeroscopium, Foto: Roland Halbe
Villa Hemeroscopium, Schaubild: Antón García-Abril

Brückenträger als Art brut

20. April 2007 - Kaye Geipel
Die Villa in Las Rozas ist ein zurzeit noch unvollendetes Konzept. Wie sein Pendant in Benahavis unterscheidet sich auch dieser Bau in fast jeder Hinsicht von den Nachbarvillen. Das Arrangement von Stahl- und Betonträgern erweckt schon im Rohbau den Eindruck von Schwere, als würde hier der Schacht in ein Bergwerk geöffnet. Die geschosshohen Träger wurden während der letzten Sommerferien angeliefert und in zwei Ta­gen aufeinander fixiert. Die Nachbarn waren erstaunt. Solche Bauteile hätten sie sich vor ihrem Wohnzimmerfenster nicht träumen lassen.

Das künftige Zweifamilienhaus hebt sich von dem Haus in Martemar dadurch ab, dass es die plastische Qualitäten der einzelnen Träger noch entschiedener in den Vordergrund rückt. Es gibt kein paralleles Nebeneinander, sondern eine spiralförmige Schichtung: Zum Tal hin, über der Einliegerwohnung, spannt ein Doppel-T-Träger aus Stahlbeton; die Straßenfassade bildet ein gekippter U-Träger, zur rechten Grundstücksseite folgt wieder ein Stahlbetonträger, die Gartenfas­sa­­de formt ein Vierendeelträger, darüber liegen ein Fach­werk­trä­ger aus Stahl und ein Doppel-T aus Beton, die übereck fest mitein­- ander verbunden sind. Da es an dieser Ecke keine Stüt­ze gibt, benötigen sie einen Schlussstein, einen 19 Tonnen schwe­ren Granitblock, der die Konstruktion am Kippen hindert. Dieser Schlussstein ist fraglos ein Zitat auf Cecil Balmonds Konstruktion der Villa von OMA in Bordeaux. Die Stahlträger wiegen ca. 12 Tonnen, die Stahlbetonträger bringen es auf 60 Tonnen.

Die spiralförmige Anordnung der unterschiedlichen Träger antwortet auf die Hanglage. Durch das Emporschrauben der Konstruktion erhebt sich die Villa über ihre Nachbarn, jeder Stahlträger formt für sich eine anders gestaltete Fassade. Die einzelnen Plateaus orientieren sich zum Tal nach Südwesten und im Nordwesten auf die Gebirgszüge der Sierra de Gredos, der Sierra de Guadarrama und der Somosierra, die Madrid in einem Halbkreis flankieren.
Die eigentliche Wohnfläche unter diesem Materialgebir­-ge wirkt im Gegensatz zur Konstruktion bescheiden. Es gibt links einen langen, seitlich geschlossenen Wohnraum, und im rechten Winkel dazu entlang der Rückfassade die Küchenzeile und den Essbereich. Eine schmale Stahltreppe führt von hier zum Schlafgeschoss. Ein Großteil der Dachflächen liegt als überdeckte Loggia im Freien. Durch Verrücken der Glasfassaden lassen sich diese für eine spätere Ausdehnung der Wohnfläche nutzen. Der im Obergeschoss in den Straßenraum auskragende U-Träger erhält an beiden Seiten einen gläsernen Verschluss und wird so zu einem schmalen Schwimmbecken.

Ob seiner heterogenen Anordnung überdimensionierter Tragelemente reizt das Haus in Las Rozas mehr noch zum Widerspruch als die Villa in Martemar. Die Fachwerkfassaden aus Stahl lassen sich noch als Anspielung auf die Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts lesen. Dort aber, wo die Stahlbeton­träger als rohe Wände eingesetzt werden, scheint die Referenz nurmehr in den simplen Konstruktionen heutiger Einkaufszentren zu bestehen. Antón García Abril geht es um die skulpturale Qualität der banalen Elemente. Die Skulpturen Eduardo Chillidas sind ein Vorbild. Aber er zielt mit seinen monumentalen Entwürfen auch auf die Provokation des common sense. Wenn sich die Infrastruktur eines ganzen Landes, sichtbar in großen Autobahnbrücken, Industriehallen und Shopping Malls, aus solchen Tragwerkselementen zusammensetzt, dann müsste es gelingen, sie auch zu luxuriösen Wohnhäusern zusammenzufügen.

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