Bauwerk

Temporäre Kunsthalle Berlin
Adolf Krischanitz - Berlin (D) - 2008
Temporäre Kunsthalle Berlin, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES
Temporäre Kunsthalle Berlin, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES

Labor für die Gegenwartskunst

Eine temporäre Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz belebt die Debatte um einen definitiven Standort

In Berlin leben mehr Künstler als in jeder anderen Stadt. Eine Kunsthalle jedoch, die die Kunst der Gegenwart reflektiert, wird seit Jahren vergeblich gefordert. Die Temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz ist ein Provisorium, das den Druck auf die Stadtregierung erhöht hat: Eine ständige Kunsthalle soll nun beim Hauptbahnhof gebaut werden.

19. November 2008 - Sieglinde Geisel
Der windige, ungemütliche Schlossplatz ist Deutschlands prominentester Ort. Seine bedeutenden Bauten allerdings stehen entweder nicht mehr oder noch nicht, und so wirkt die Temporäre Kunsthalle mit ihrer blau-weissen Aussenhülle (NZZ 31. 10. 08) erst recht als Blickfang. Billige Mieten sind die effizienteste Kulturförderung, deshalb hat sich Berlin in den letzten Jahren zum weltweit lebendigsten Produktionsstandort für Kunst entwickelt. «In Florenz wäre eine Kunsthalle blosse Wichtigtuerei, aber in Berlin spiegelt sie die Wirklichkeit», sagt Volker Hassemer. Der ehemalige Berliner Kultur- und Stadtentwicklungssenator vertritt die Stiftung Zukunft Berlin, die den Bau der Temporären Kunsthalle finanziert und die Trägerschaft übernommen hat.

Die Temporäre Kunsthalle sei nur «ein Aufmerksamkeitsprojekt, ein Appetizer», denn unabhängig von ihrem Erfolg wird sie in zwei Jahren wieder vom Schlossplatz verschwinden. Die ironische und zugängliche Videoinstallation von Candice Breitz hat in den ersten Tagen bereits Tausende Besucher angelockt, doch über die Unschärfe der künstlerischen Konzeption vermag dies nicht hinwegzutäuschen. Erst in letzter Minute wurde mit Thomas Eller, dem bisherigen Chefredaktor des Internet-Magazins «artnet», ein künstlerischer Leiter berufen. Damit, dass die bildende Kunst auf dem repräsentativsten Platz der Stadt vertreten sei, setze Berlin ein Zeichen für Individualismus und Freiheit, so Eller an der Pressekonferenz zur Eröffnung. Diese beiden Kriterien seien denn auch für das künstlerische Programm der Kunsthalle bestimmend.
Berlin träumt von Bilbao

Die Temporäre Kunsthalle hat die Stadt in Zugzwang gebracht. Niemand bestreitet, dass Berlin einen zentralen Raum für Gegenwartskunst braucht, als Schnittstelle zwischen Galerien und Museen, zwischen Subkultur und Establishment. Doch jahrelang hatte sich seitens der Stadt nichts getan. Seitdem 1993 die damalige Kunsthalle geschlossen wurde, waren es in Berlin vor allem private Institutionen wie die KunstWerke und ambitionierte Galerien, die der unmittelbaren Gegenwartskunst eine Plattform verschafften.

Ende September gab nun der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit bekannt, dass auf dem Gelände des Humboldthafens beim Hauptbahnhof eine ständige Kunsthalle gebaut werden soll. Die Stadt kann sich den Bau einer repräsentativen Kunsthalle nicht leisten, und so setzt man auf einen gewagten Tauschhandel. Die Ausschreibung für die letzte grosse Brachfläche im Zentrum Berlins verpflichtet den Investor, auf dem Gelände auch ein privates Kunstmuseum sowie eine Kunsthalle zu bauen, mit einer Ausstellungsfläche von je 2000 Quadratmetern; im Gegenzug dazu wird das Grundstück zu günstigen Konditionen veräussert. Ein städtebaulicher Wettbewerb soll dafür sorgen, dass mit dem benachbarten Museum im Hamburger Bahnhof ein spektakuläres Zentrum für moderne Kunst entsteht – Berlin träumt von Bilbao.

Genau hier jedoch setzt die Kritik an dem kulturpolitischen Entscheid von oben an. Wowereit wolle sich mit einem Bauwerk verewigen, das an den Realitäten und Bedürfnissen Berlins vorbeigehe, heisst es. Manche befürchten, am Humboldthafen werde ein zweiter Potsdamer Platz entstehen, der zwar bei Touristen beliebt sei, jedoch im Alltag der Berliner und für die Kulturszene kaum eine Rolle spiele. Enttäuschung macht sich vor allem bei der «Initiative Berliner Kunsthalle» breit, die sich für den Blumengrossmarkt in Kreuzberg als Kunsthallen-Standort engagiert hat. Die Initiatoren, zu denen neben der grünen Abgeordneten Alice Ströver etwa Kuratoren, Künstler und Stadtentwickler gehören, hatten die riesige Halle im Sommer mit einer Kunstaktion ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt. Da der Bau dem Land Berlin gehört, wären kaum Kosten angefallen, zumal sich die Halle mit ihrem exzellenten Oberlicht und der unverstellten Fläche auch für Experimente anbietet. Problematisch ist allerdings die Lage. Obwohl das Quartier direkt an Mitte angrenzt, hat die «Südliche Friedrichstadt» wenig Flair. Doch in Berlin geschieht das Spannendste oft dort, wo es am schäbigsten aussieht. Unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich hier in den letzten zwei Jahren fünfzig Galerien angesiedelt; mit dem Jüdischen Museum, dem Hebbel am Ufer und der Berlinischen Galerie verfügt die Gegend bereits über zugkräftige Institutionen.
Rezept für Provinzialität

Eine Kunsthalle am Humboldthafen wäre für Berlin ein tragischer Fehler, meint der Kunsthistoriker Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhauses Bethanien in Kreuzberg und Mitstreiter bei der «Initiative Berliner Kunsthalle». In Berlin, wo die Kulturszene ihre Energien aus dem Ungeplanten beziehe, dürfe man die Gegenwartskunst nicht zentral in einem Museumsviertel bündeln. Ohnehin müsste die Wahl eines Standorts vom inhaltlichen Konzept einer Kunsthalle abhängen.

Doch über das, was in einer Kunsthalle gezeigt werden soll, gibt es in Berlin kaum eine Debatte. Eine Kunsthalle müsse mit der Spürnase eines Scouts agieren und jene Kunst ausfindig machen, «die auf morgen zuschwimmt», so Tannert. Er plädiert für eine enge internationale Vernetzung und den Austausch mit Fachkollegen in anderen Metropolen, denn in einer globalisierten Welt müssten Entdeckungen zeitgleich an verschiedenen Orten gemacht werden. Ein solches Konzept allerdings steht im Widerspruch zu einer Forderung, die in Berlin fast schon reflexhaft geäussert wird: Eine Berliner Kunsthalle müsse jene Kunst zeigen, die in Berlin entstehe. Gerade angesichts der vielfältigen Kunst-Lobbys, die um die neue Spielstätte konkurrieren werden, wäre diese Selbstbeschränkung wohl ein sicheres Rezept für Provinzialität.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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