Bauwerk

Glashaus in New Canaan
Philip Johnson - New Canaan (USA) - 1949

Ein Leben im Glashaus

Philip Johnsons architektonische Selbstinszenierung auf dem Landsitz in New Canaan

Seit kurzem steht mit dem Glashaus in New Canaan, Connecticut, das erste Meisterwerk von Philip Johnson dem Publikum offen. Der völlig transparente Schrein gilt als Hommage an Mies van der Rohe. Doch mehr noch spiegelt sich in ihm Johnsons komplexes Ich.

10. November 2007 - Jeffrey Lieber
Die Öffnung des Glashauses in New Canaan für das Publikum war ein von Philip Johnson (1906 bis 2005) sorgfältig geplantes Ereignis. Davon zeugt das Empfangsgebäude, das Johnson in seinen letzten Lebensjahren in einer wenig geglückten dekonstruktivistischen Formensprache selbst noch realisierte. Hier warten nun die Besucher auf ihren Rundgang durch das 19 Hektaren grosse Anwesen. Dieses Landgut, auf dem nach dem Glashaus weitere Bauten wie das «Brick Guest House», der «Moon Viewing Pavilion» und die unterirdisch angelegte Galerie für seine Spitzensammlung moderner Kunst entstanden, war während 55 Jahren Johnsons Refugium. Hier erholte er sich von seinem provokativen Privatleben. Nun bietet es die Gelegenheit, Johnsons Vermächtnis – sein Frühwerk, seine freizügige Interpretation der Geschichte und seinen Zynismus – in einem Moment neu zu beurteilen, da die Nachkriegsmoderne selbst innerhalb des modernistischen Kanons neu bewertet und situiert wird.

Faschistische Neigungen

Obwohl Johnson ständig zwischen dem Glashaus in New Canaan und seinem ursprünglich als Gästehaus der Rockefeller-Familie entworfenen Stadthaus an der East 52nd Street in New York hin und her pendelte, reiste er sonst nur selten, etwa nach Texas oder in den Mittelwesten, wo er 1906 in Cleveland, Ohio, geboren wurde. Gleichwohl war Johnson als Vertreter des internationalen Stils ein durch und durch weltgewandter Mensch und darüber hinaus wie kein anderer seiner Berufskollegen an der abendländischen Architekturgeschichte interessiert. Dieses grossstädtische Provinzlertum wurde bestimmt von Johnsons Zugehörigkeit zum Klüngel der Reichen und Mächtigen, welche sich in der Nachkriegszeit um die Rockefellers in New York scharten. Johnson war ein Spieler, aber er spielte für ein kleines Publikum und strebte damals noch nicht nach architektonischem Ruhm, den er später suchen und auch finden sollte. Stattdessen machte er sich über Konkurrenten wie den von ihm heimlich bewunderten Marcel Breuer lustig, der sich in Hochglanzmagazinen und Coffee-Table-Books als Weltbürger feiern liess.

Im Zusammenhang mit seinen Projekten sagte Johnson immer wieder und nur halbwegs im Spass: «Sie werden mich möglicherweise einen Faschisten nennen.» Und in der Tat treffen wir in Johnsons Werk auf eine Synthese aus Politik und Kulturbewusstsein, wie wir sie ähnlich raffiniert im Schaffen keines seiner Zeitgenossen finden. In seinen Bauten verherrlichte Johnson die politischen Eliten, feierte er die Schönheit der Materialien und choreografierte er meisterhaft den historischen Formenschatz. Doch wenn man heute im Zusammenhang mit Johnson von faschistischer Ästhetik spricht, dann vor allem wegen seiner Nazivergangenheit, zu der er später meistens sagte: «Darüber sprechen wir nicht.» Lange waren Johnsons faschistische Neigungen ein Thema, das seine Anhänger zu ignorieren suchten, während es seine Kritiker überbetonten. Nun aber liegen die Fakten dank Franz Schulzes Johnson-Biografie auf dem Tisch.

Johnson war während einer vom Museum of Modern Art (MoMA) finanzierten Reise im März 1933 in Berlin, als Hitler die Macht ergriff. Das Ereignis soll ihn dem Vernehmen nach «amüsiert» haben. Zurück in New York, gab er seine Stelle als Kurator der Architekturabteilung des MoMA auf, um sich der Politik zu widmen. Zunächst betätigte er sich als Wahlkampfhelfer des Demagogen Huey Long aus Louisiana, dann wurde er Gefolgsmann des rechtsstehenden Radiopredigers und fanatischen Antisemiten Charles E. Coughlin. Im Jahre 1938 ging er wieder nach Deutschland, um für Coughlins Zeitschrift «Social Justice» über den fünften Jahrestag von Hitlers Machtergreifung zu berichten. Als Reporter begleitete er die Wehrmacht auf dem Polenfeldzug und beschrieb in einem Brief, den Schulze in Johnsons FBI-Akten fand, die Bombardierung Warschaus als «erregendes Spektakel». Im Oktober 1940 wurde er zusammen mit Coughlin in «Harper's Magazine» als «amerikanischer Faschist» dargestellt.

In den neunziger Jahren meinte Johnson rückblickend auf jene Zeit: «Mein Leben war ruiniert.» Damals immatrikulierte er sich an der Architekturschule der Harvard University unter Walter Gropius und Marcel Breuer. Er versuchte sich zu rehabilitieren, wurde aber 1941 sowohl von der Harvard Defense Group als auch vom Office of Facts and Figures in Washington abgewiesen. Die gesellschaftliche Absolution kam von Abby Aldrich Rockefeller, der in den späten vierziger Jahren gesagt haben soll: «Jeder junge Mann sollte einmal einen grossen Fehler machen dürfen.» Kurz danach avancierte Johnson zum Architekten für die kleinen Aufträge der Rockefellers, während Wallace Harrison, ein Mitglied des Rockefeller-Clans, für die Grossaufträge zuständig blieb. Auch wenn sich Johnson seither nicht mehr öffentlich zum politischen Geschehen äusserte, änderten sich seine Ansichten nicht. Er sublimierte diese nun aber in seiner Architektur.

Ausschweifungen

In der Nachkriegszeit überspielte Johnson seine faschistischen Neigungen aber auch mit einem ausschweifenden Lebenswandel, dem die Verehrung der Geschichte und der aristokratischen Tradition der europäischen Architektur Halt gab. Der daraus entwickelte «funktionale Eklektizismus» erlaubte es dem Architekten fortan, «aus der Geschichte nach Belieben alle möglichen Formen und Stile zu wählen». Mit der Idee, dass «unsere Bauwerke demokratisch akzeptierbar sein sollten», konnte sich Johnson nicht anfreunden. Architektur blieb für ihn autoritär – kurz: eine elitäre, nobilitierende Kunst. Deshalb widersprach er mit seinen Nachkriegsprojekten der Vorstellung, die amerikanische Massendemokratie sei die Erbin und Hüterin der europäischen Zivilisation, und entwarf absichtlich unzweckmässige und «antidemokratische» Bauten. Davon zeugt sein erstes Meisterwerk, das 1950 errichtete Glashaus. Voltaires vielzitiertem Diktum folgend, kultivierte Johnson seinen Garten, indem er auf dem Anwesen in New Canaan mit seinen «follies» die klassische Gartenbaukunst frei interpretierte. Diese Miniaturen beeinflussten dann seine Grossaufträge, mit denen er später auf der nationalen Bühne zu brillieren wusste.

Das Glashaus war von Anfang an eher als Manifest denn als Wohnsitz gedacht. Als Teil der aristokratischen Welt von New Canaan bildete dieses Haus die Antithese zum kleinbürgerlich demokratischen Traumhaus jener Zeit. Mit dem Glashaus und den danach auf seinem Anwesen errichteten Pavillons versuchte Johnson das alte Konzept von architektonischer Grösse und Erhabenheit wiederherzustellen. Für ihn drückte sich Erhabenheit im Charakter und im Geist eines Gebäudes aus, in luxuriösen Materialien und vornehmen Proportionen. Diese Vorstellungen hatte er der Architekturtheorie des späten 18. Jahrhunderts entnommen. Im «Brick Guest House» von 1953 zitierte er die Gewölbe altrömischer Badeanlagen in Form von zwei dünnen, von der Decke abgehängten Baldachinen, die wiederum an die flache Kuppel des Frühstücksraums von John Soanes Haus an den Lincoln's Inn Fields in London erinnern. Im Jahre 1962 errichtete er den «Moon Viewing Pavilion», eine weitere Miniatur, die im kleinen See seines Landsitzes zu schwimmen scheint und gleichzeitig auf die Tradition der deutschen Romantik verweist. Auch in diesem Bau sah er eine «folly», aber auch eine «ernstzunehmende Architektur».

Die Realisierung des Glashauses leitete eine äusserst kreative Periode ein. Johnsons damalige Bauten zählen zu den schönsten jener Jahre in Amerika. Das 1960 vollendete Munson-Williams-Proctor-Kunstmuseum in Utica, New York, ein granitverkleideter, von bronzierten Trägern in einer Art Schwebezustand gehaltener Kubus, verstand Johnson als Ehrbezeugung an den französischen Architekten und Visionär Etienne-Louis Boullée. Das im Jahr darauf in Fort Worth, Texas, eröffnete Amon Carter Museum, eine monumentale Etüde über die antike Stoa, ist eine Verneigung vor Schinkels Altem Museum in Berlin. Das 1963 auf dem Gelände der Universität von Nebraska in Lincoln eingeweihte Sheldon Memorial Museum mit den sich verjüngenden Pfeilern und flachen Bogen fasziniert hingegen durch seine Eleganz. Es erstaunt daher nicht, dass Johnson diese Sinfonie in Travertin und Gold als sein Lieblingsgebäude jener Jahre bezeichnete.

Der Mies-Komplex

Dass Johnson ein glühender Anhänger von Mies van der Rohe war, ist allgemein bekannt. Das Glashaus hält man denn auch gerne für eine Variation des Farnsworth House in Plano, Illinois, und damit für eine Hommage an Mies. Dieser aber sah im Glashaus alles andere als ein Miessches Gebäude; und Johnson selbst verwies, als er es publizierte, auf nicht weniger als 27 Quellen: vom französischen Schloss des 17. Jahrhunderts über die Projekte von Boullée und Ledoux bis hin zu den Entwürfen von Malewitsch und Le Corbusier. Gleichwohl litt Johnson an einem Mies-Komplex. Doch der ging tiefer und war verbunden mit seinem Interesse an der Geschichte. Über seine Beziehung zu Mies fühlte sich Johnson mit Schinkel und der preussischen Architekturtradition verbunden. In «Schinkel and Mies», einem Vortrag, den er 1961 in Berlin gehalten hatte, sah er sich zusammen mit den beiden Meistern als Teil einer Trinität preussischer Klassizisten.

Johnson war fasziniert von den klaren Formen und strammen Dekorationen des preussischen Klassizismus. Der Strenge von Mies' Architektur antwortete er, ohne deren Neuplatonismus zu verinnerlichen. Denn wenn er die Bauten von Mies betrachtete, sah er vor allem eloxierte Bronze, geäderten Marmor, Seide, Goldmosaiken und Kupfer. Er hielt diese Materialien für strukturell und dekorativ zugleich und glaubte, dass Mies dieses strukturelle und dekorative System von Schinkel übernommen hatte. Das im Jahre 1959 bald üppig, bald zurückhaltend konzipierte Interieur des Restaurants «Four Seasons» im Seagram-Hochhaus in New York und das kühl majestätische Foyer des New York State Theater im Lincoln Center in Manhattan bezeugen Johnsons Versuch, sein preussisches Ideal umzusetzen.

Geistreich und überheblich

In seinen berüchtigten Vorträgen distanzierte sich Johnson von seinen Berufskollegen und arbeitete gleichzeitig an seinem eigenen Mythos. Bald stellte er sich – wie etwa in «Schinkel and Mies» – in eine historische Entwicklungslinie, die unabhängig war vom zeitgenössischen Kontext. Dann wieder neigte er zu wehmütigen und melodramatischen Vereinfachungen. So konstatierte er in «Whither Away, Non-Miesian Directions» fest, «eine Kultur bekommt die Baudenkmäler, die sie sich wünscht». In «Retreat from the International Style to the Present Scene» karikierte er seine Kollegen, indem er sie lustvoll auf ein Klischee reduzierte: Wenn er Gordon Bunshaft als «akademischen Miesianer», Louis Kahn als «Neo-Funktionalisten», Paul Rudolph als «dekorativen Strukturalisten» und Eero Saarinen als «Hauptdarsteller» bezeichnete, versuchte er ganz einfach als geistreich zu erscheinen.

Seine Vorträge waren perfekt überdrehte Inszenierungen, in denen er die vielen Seiten seines Ichs aufscheinen liess: den Kurator, den Jünger, den Philosophen oder den witzigen Unterhalter. Aber auch der schwule Johnson trat hier in Erscheinung: als Primadonna-Architekt und als sein grösster Fan, der von sich gerne sagte, «wir lieben Lob». Indem sich Johnson in seinen Vorträgen zynisch und subversiv zugleich gab, erhielt seine Architektur, die im Grunde ebenso performativ war wie seine Vorträge, etwas Gesellschaftskritisches. Mit dem Glashaus suchte er sowohl auf architektonischer als auch auf moralischer Ebene Widerspruch zu wecken. Denn dessen Architektur ist nicht nur von baukünstlerischer Bedeutung und reich an historischen Bezügen. Sie rüttelt auch an den sich um Sexualität, Privatsphäre und Öffentlichkeit rankenden gesellschaftlichen Tabus im Amerika der fünfziger Jahre. In jener sexuell verklemmten Zeit war Johnson – um es klar zu sagen – ein Schwuler, der in einem Glashaus lebte. Das architektonische Vokabular des Glashauses mag von Mies van der Rohe übernommen worden sein, aber Johnsons edler Umsetzung eignet letztlich etwas Erotisches. Dies zeigt sich in Ezra Stollers kanonischen Aufnahmen, aber auch im Vergleich des Glashauses mit dem neutraleren neuplatonischen Vorbild von Mies.

Johnsons geistreiche Überheblichkeit, die sich im Glashaus gegen gesellschaftliche Normen und Tabus wandte, richtete sich auch gegen die weitverbreiteten politisch bedingten Ängste der Zeit. So nahm er damals in mehreren Projekten spielerisch und scharfsinnig auf die Schreckensbilder der Atombombe Bezug. Die 1960 vollendete «Roofless Church» in New Harmony, Indiana, eine zeichenhafte Wolke aus Zedernholzschindeln, die über sechs Kalk-Megalithen zu schweben scheint, verweist auf den Atompilz. Der im gleichen Jahr im israelischen Rehovot realisierte Nuklearreaktor hingegen erhebt sich drohend wie ein zerklüftetes Felsmassiv über einem klassischen Peristylhof mit sich nach unten verjüngenden Säulen. Die gigantischen Umfassungsmauern mit dem archaisch wirkenden Portal scheinen bis zu den fernen Hügeln der Wüste zu reichen. Es gab in der damaligen Architektur keine bessere Metapher für den gefährlichen Tanz auf dem Vulkan der menschlichen Zivilisation.
Johnsons Zynismus

Ähnlich wie der Libertinismus war Johnsons Zynismus das Resultat seiner ruinösen frühen Politabenteuer, aber auch eine Antwort auf die Massenkultur im Amerika der Nachkriegszeit. Den Zynismus wusste er auf dem Höhepunkt der postmodernen Architektur geschickt für seine Zwecke zu nutzen. Darin war er ein Bahnbrecher – ähnlich wie Andy Warhol, mit dem er bei der Fassadengestaltung des Theaters des New York State Pavilion auf der New Yorker Weltausstellung von 1964 zusammenarbeitete. In den achtziger Jahren verstand er es, eine neue Karriere als «Prophet» der Postmoderne zu starten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die Vertreter des Grosskapitals in der Zwischenzeit seiner Denkweise angenähert hatten und nicht länger nach «demokratisch akzeptierbaren» Bauten verlangten. Vielmehr wollten sie nun ihre Macht auch baukünstlerisch ausgedrückt sehen. Johnson beschrieb John DeButts, den Vorsitzenden von AT&T, als eine «one-man democracy» und bezeichnete die Firma als ein «imperiales Unternehmen», welches «von sich auch in dieser Weise dachte».

Deshalb entwarf er für DeButts ein imperiales Gebäude, das AT&T Building. Obwohl diese Ikone von Johnsons Zynismus den Zustand der amerikanischen Demokratie kritisiert, ist sie heute weit bekannter als das Glashaus. Der Zynismus, die schrill inszenierten Vorträge, der Preussen-Komplex, der Libertinismus und die faschistischen Neigungen sind denn auch ebenso wie das an eine gigantische Chippendale-Kommode erinnernde AT&T Building oder das Glashaus Teil von Johnsons Vermächtnis. Nirgends aber verstand er es so gut wie beim Glashaus, seinen politischen und privaten Vorlieben in der bevorzugten Ästhetik der Nachkriegszeit Ausdruck zu verleihen: nämlich in jener der Transparenz.

[ Dr. Jeffrey Lieber, Kunsthistoriker, University of California, Santa Cruz ]

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