Bauwerk

Neue Monte Rosa-Hütte
Studio Monte Rosa, Bearth & Deplazes - Monte Rosa (CH) - 2009
Neue Monte Rosa-Hütte © VELUX

Zukunfsthütte?

An exponierter Lage auf 2883 m ü. M., inmitten einer spektakulären Landschaft, eingebettet zwischen Gorner-, Grenz- und Monte-Rosa-Gletscher, setzt die Neue Monte-Rosa-Hütte einen architektonischen und technischen Meilenstein im hochalpinen Bauen.

9. Oktober 2009 - Alexander Felix
Die Idee zur Planung und Ausführung des Prestigeprojekts Neue Monte-Rosa-Hütte wurde anlässlich des Jubiläums «150 Jahre ETH Zürich» an der Hochschule entwickelt. Ab dem Wintersemester 2003/2004 arbeiteten 33 Studierende am eigens hierfür gegründeten «Studio Monte Rosa» unter Leitung von Andrea Deplazes an der Entwicklung von Konzepten für eine zeitgemässe Berghütte. Nach intensiver, viersemestriger Entwurfsarbeit konnte sich das Projekt «Glänzling» durchsetzen. Da die viel besuchte bestehende Monte-Rosa- Hütte in marodem Zustand ist und heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht, gelangten die Hochschule und der Schweizer Alpen-Club (SAC) zum Schluss, dass ein Neubau den ebenfalls diskutierten Umbauprojekten vorzuziehen sei. In den letzten sechs Jahren sammelte die Hochschule Sponsorengelder, um den 6.5 Mio. Franken teuren Bau realisieren zu können. Gleichzeitig wurde das Projekt in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Experten des SAC und der Industrie weiterentwickelt. In dieser Planungsphase wurden passive Low- Tech-Konzepte und aktive High-Tech-Lösungen abgewogen, da die Neue Monte-Rosa-Hütte als Leuchtturmprojekt der ETH Zürich auch die technische Kompetenz der Hochschule beweisen soll.

In einer sehr frühen Planungsphase wurde Holz wegen guter Vorfabrikations- und Transporteigenschaften als Baustoff gewählt. Bei der Überarbeitung des Entwurfs halfen computergestützte, parametrische Gebäudemodelle die komplexe Geometrie hinsichtlich Bettenanzahl, Tragwerk, Konstruktion, kompaktes Gebäudevolumen, passive und aktive Sonnenenergienutzung etc. zu optimieren. Ausserdem wurde die Suche nach einer möglichst kleinen Hüllfläche von einer intensiven Formfindung begleitet. Die polygonale Gebäudehülle wurde gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geometrisch geklärt, gleichzeitig erfüllt sie nun eine Reihe weiterer Anforderungen: So bestimmt das ideale Quadrat der nach Süden gerichteten Fotovoltaikfassade die Ausrichtung und die Gestaltung der Hülle. Die Fläche wurde um 66.2 ° geneigt, sodass die Zellen optimal zur Sonne ausgerichtet sind. Die nach Norden abfallende Dachfläche stellt sicher, dass Schnee abrutschen kann, um die Schneelast zu reduzieren. Die übrigen Fassadenflächen sind unregelmässig geknickt, brechen die Grösse des Baukörpers und provozieren lebhafte Reflexionen auf der Aluminiumhülle: Die in den oberen Geschossen kleiner werdenden Räume erlaubten, das Volumen nach oben hin zu verjüngen.

Innere Reibung Der Grundriss zeigt ein unregelmässiges Achteck und ist durch Wandscheiben in zehn gleiche Segmente mit je 36 ° Öffnungswinkel geteilt. In den Stockwerken sind die Holzkonstruktionen unterschiedlich ausgeformt (siehe «Holzkristall», S. 23). Im Inneren reiben sich die unterschiedlichen Geometrien von Hüll- und Innenkonstruktion an verschiedenen Punkten. Diese Situationen sind von den Architekten durchaus gewollt und dank computergestützter Planung und Fertigung des Holztragwerks auch gut beherrschbar. Ob man das Ergebnis als «ungelöste Details» oder Reverenz an die Bricolage so manch alter Hütte liest, bleibt den Betrachtern überlassen. Vielleicht gelingt gerade so der Abbau von Berührungsängsten mit der ungewohnten architektonischen Hüttenform. Jedenfalls liess sich durch die digitale Planungs- und Herstellungskette eine präzise und schnelle Fertigung erreichen. Optisch wirkt die fünfstöckige Hütte wie aus dem Fels gewachsen. Doch nur die Aluminiumverblechung ist bis auf den Fels heruntergezogen. Unter diesem «Tischtuch» ruht der Bau über dem abfallenden Erdboden auf einem horizontalen, spinnennetzförmigen Stahltisch, der auf zehn Punktfundamenten und einer Zentralnocke lagert. Durch die punktuellen Auflager soll eine unerwünschte Aufheizung des empfindlichen Permafrostbodens verhindert werden.

Der Haupteingang zur Hütte liegt im ersten Untergeschoss, das – obwohl oberhalb des Erdreichs gelegen – als robuste Kellerwelt gestaltet ist. Die Enfilade beginnt mit den Ski-, Schuh- und Trockenraumsegmenten, die als Winterlager mit zwölf Schlafplätzen zugänglich bleiben, wenn die übrige Hütte geschlossen ist. Die Restsektoren sind mit der umfangreichen Haustechnik und Lagerräumen belegt. Die Erschliessung folgt in einer Spiralbewegung der Aussenwand und führt über eine breite Kaskadentreppe hinauf in den Essraum im Erdgeschoss mit 120 Sitzplätzen. Um den beeindruckenden Rundumblick in die Bergwelt zu ermöglichen und einen grosszügigen Raumeindruck zu erhalten, sind die Schotten hier als Fachwerk aufgelöst. Die computergesteuerte Fertigung ermöglichte es, die sichtbaren Holzoberflächen der Streben mit einem grossflächigen Muster zu versehen, das bei der maschinellen Bearbeitung direkt mitgefräst wurde. Es erinnert an traditionelle Holzschnitzereien in alten Stuben, konstrastiert aber die übrige reduzierte Gestaltung. Die Küche ist in einem eigenen Segment untergebracht und über Durchreichen in der Kernzone mit dem Essraum verbunden. Nach Süden vorgelagert ist ein grosses Holzdeck als Sonnenterrasse mit 60 Sitzplätzen.

In den oberen drei Geschossen befinden sich 18 Gäste- und Bergführerzimmer mit drei bis acht Betten. Je Stockwerk macht die Kaskadentreppe eine Vierteldrehung entlang des Fensterbandes. Als Erschliessung öffnet sich ein Segment zur Kernzone, die jeweils so geschnitten ist, dass die notwendige Anzahl Zimmertüren Platz findet. Auch die Zuschnitte der Zimmer folgen pragmatisch der Anordnung möglichst vieler Stockbetten, ausserdem entstehen in der Pufferzone zur Fassade polygonal geformte Liegeflächen, sodass keine zwei Räume im Haus identisch sind. Im ersten Obergeschoss befindet sich neben einem Waschraum und Toiletten die kleine Wohnung des Hüttenwarts. Eine schmale Wendeltreppe dient als interner Bypass in die unteren Etagen. Durch die schrägen Aussenwände nimmt die Grundfläche nach oben hin ab, dafür sind die Räume unter dem Dach deutlich höher und zum Teil von oben belichtet.

Energetischer Organismus Fern ab jeglicher Infrastruktur stand ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad im Mittelpunkt aller Planungen. Der Neubau wurde auf der sogenannten «Plattje» 88 m oberhalb der alten Hütte errichtet. Dieses südwestgerichtete Granitplateau verfügt über ein begünstigtes Mikroklima, der Schnee taut hier früher als in der Umgebung, und im Sommer entwickelt sich spärlicher Pflanzenbewuchs zwischen den Gletschern. Das Gesamtsystem besteht neben der eigentlichen Schutzhütte aus weiteren Einzelbausteinen, die durch ein ausgeklügeltes Steuerungssystem verbunden sind: Einige Meter oberhalb der Hütte – um ausreichenden Wasserdruck aufzubauen – wurde eine Felskaverne als Frischwasserspeicher in den Fels gesprengt. Unterhalb der neuen Hütte ist ein 60 m² grosser, südgerichteter thermischer Solarkollektor mittels einer Gerüstkonstruktion auf dem Fels befestigt. Er bildet zusammmen mit der Fotovoltaikanlage das Kraftwerk der Hütte, ergänzt durch ein kleines Blockheizkraftwerk, das bei Bedarf mit Rapsöl betrieben wird. Ebenfalls zum System gehört ein Mast mit meteorologischen Messinstrumenten und Kommunikationseinrichtungen. Um die Bergwelt nicht mit Abfällen zu belasten, wurde unter der Hütte eine mikrobiologische Abwasserreinigungsanlage eingebaut (vgl. «Höhentraining», S. 27). Nebenbei ermöglichten diese ökologische Überlegungen Komfortgewinne wie Toiletten mit Wasserspülung und Duschen, die manchem Alpinisten als unnötiger Luxus erscheinen mögen. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich aber auch bei anderen Hüttenneubauten wie dem 2005 fertiggestellten Schiestelhaus, der ersten Passivhaus-Schutzhütte im Alpenraum (pos architekten, Wien)[2] und der letztes Jahr eröffneten Olpererhütte (Hermann Kaufmann Architekten, Bregenz)[3]. Alle Bemühungen um umweltverträgliches Bauen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Neue Monte-Rosa-Hütte allein aufgrund ihrer Lage kein leicht erreichbares Ausflugsziel für breite Touristenströme ist.


Anmerkungen:
[01] Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Bd. 1, (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Voralberg ). Residenz Verlag, Salzburg/Wien, 1980, Seite 243 ff .
[02] «Schutzhütte in der Steiermark», Detail, 6/2007, S. 624–627
[03] Ulrich Dangel: Nachhaltige Architektur in Vorarlberg – Vom Entwurf bis zum Energiekonzept. Birkhäuser Verlag, Basel, 2009

www.neuemonterosahuette.ch
www.section-monte-rosa.ch

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch