Bauwerk

Modegeschäft Mühlmann
Rainer Köberl, Daniela Kröss - Innsbruck (A) - 2008

Kein Bankomat und sieben Ziegen

Es gibt sie, die Ausnahmen im Einerlei der globalisierten Geschäftsarchitektur. Zwei Beispiele: eines aus Wien und eines aus Innsbruck.

28. September 2008 - Franziska Leeb
Eva Fuchs hatte Sehnsucht nach etwas Neuem. Vor 14 Jahren hat sie ihr Geschäft „eva fuchs – einkleidung“ in der Wiener Neubaugasse eröffnet. Eingerichtet haben es Eva Ceska und Fritz Priesner. Das Geschäft ist gut gepflegt und schaut aus wie neu. Nicht nur physisch gibt es keine Abnutzungserscheinungen, auch gegen das Unmodernwerden zeigte sich der Laden resistent. Dennoch, es musste etwas Neues her, nicht statt dem Alten, sondern zusätzlich.

Ceska und Fuchs – beide Wiener Tschechinnen – kennen sich von Kindheit an aus dem tschechischen Turnverein. Sie seien unterschiedliche Persönlichkeiten, aber mit großen Ähnlichkeiten tief im Innersten, erzählen sie unisono. Konflikte gibt es immer wieder. Aber nie, wenn es ums Bauen geht. Und daher war es keine Frage, dass Eva Fuchs sich auch für das neue Vorhaben an „Ceska Priesner Architektur“ wandte. „Ich kann mich verlassen auf die zwei“, weiß sie aus Erfahrung. Auf jeden Fall brauchte sie ein Lager, weil die bisher dafür genutzte Wohnung aufgelassen werden musste. Gefragt war daher eine Räumlichkeit, die anfänglich als Depot dienen und das Entwicklungspotenzial haben sollte, zu einem zweiten „richtigen“ Geschäft zu werden.

Ums Eck, in der Neustiftgasse, fand sich ein Gassenlokal. Der Zustand war nicht desaströs, aber ausgesprochen trist. Ceska und Priesner setzten ihre baulichen Interventionen mit Bedacht. Irgendwie wirkt das Lokal so, als sei es schon immer so gewesen. Nach außen hat sich wenig verändert. Das alte Holzportal wurde bloß einer kosmetischen Bearbeitung unterzogen. Im Inneren wurden die hohen, schmalen Räume neu zoniert. Rampe, Podest und Brüstung reichten aus, um drei Bereiche zu schaffen, die emotional und funktional unterschiedlich besetzt sind. Vorne wird die Ware präsentiert. Kleiderständer und Spiegel stammen vom Vater der Bauherrin, der Schneidermeister war. Eine lange Rampe leitet durch den Mauerdurchbruch auf ein Podest im hofseitigen Raum des Ladens. Die Fuchssche „Kommandozentrale“ liegt links davon, abgeschirmt von einer mit weißem Kunstleder bezogenen Brüstung. Im Podest wurde Präsentations- und Ablagefäche gewonnen. Obendrauf entstand eine bequeme Ecke mit Sitzgruppe. Zum Hof hin leistete man sich eine neue Glastür, und wenn nachts im Hof das Licht brennt, leuchtet es bis in die Auslagen.

Zur Zeit nennt Frau Fuchs das Geschäft „Edellager“, weil sie dort vergangene Kollektionen abverkauft. „einkleidungzwei“ wird sich noch verändern. Was aber bleiben soll, ist die Stille. Es gibt keinen Bankomaten und vor allem kein Radio. Der unprätentiösen Raumgestaltung von Ceska und Priesner kommt diese Konzentration auf das Wesentliche nur entgegen.

Etwas Neues wollte auch Bernd Mühlmann, Schneider in Außervillgraten, Osttirol. Als 28-Jähriger hat er vor fünf Jahren den Betrieb übernommen, den sein Vater ab den 1960er-Jahren aus einem Ein-Mann-Betrieb zu einem Unternehmen mit etwa 60 Angestellten aufgebaut hat, das als reiner Konfektionsbetrieb für andere Firmen schneiderte. Als diese aus Kostengründen reihenweise die Produktion ins Ausland verlegten, waren neue Standbeine gefragt. Bernd Mühlmann schuf seine eigene Kollektion, und um die unters Volk zu bringen, schien ihm ein Laden in der Innsbrucker Altstadt der geeignete Anfang. Als er ein Geschäftslokal in der Seilergasse als potenziellen Standort in Augenschein nahm, wusste er noch nicht, wer die Einrichtung planen würde. Es war purer Zufall, dass Architekt Rainer Köberl, der den jungen Modemacher von früheren Begegnungen kannte, just zu diesem Zeitpunkt des Weges kam.

„Bernd, was machst du da?“ – „Ich überlege, ob ich das Geschäft hier mieten soll.“ – „Hast schon einen Architekten?“ – „Noch nicht.“ – „Wenn du etwas Gescheites willst, musst du mich nehmen!“

Heute sagt Mühlmann, er hätte Rainer Köberl vielleicht ohnedies gefragt, weil dessen Architektur auch seinen Vorstellungen entspricht und ihm schon klar war, dass das Geschäft etwas Besonders werden sollte. Jedenfalls spazierte der Architekt im richtigen Moment über die Straße, und bald darauf haben sich die beiden viel und oft miteinander unterhalten, „weil er mich, glaube ich, besser kennenlernen wollte“, so Bernd Mühlmann.

„Flagship“ tauften die beiden das Projekt, weil es das erste Geschäft und Aushängeschild des Modemachers ist, der dort neben der eigenen Kollektion auch eigenwillige, weniger bekannte Marken verkauft. Köberl und seiner Mitarbeiterin Daniela Kröss dienten allerdings nicht die von den internationalen Architekturstars gestylten Flaggschiffe bekannter Designer als Vorbild, sondern ein Beduinen-Kleidermarkt in der Wüste, der mit primären baulichen Elementen wie schlichten Kleiderstangen das Auslangen findet.

Schwarz durfte das Geschäft nicht werden, stellte der Bauherrn dem Architekten, dessen ?uvre bereits eine schwarze Buchhandlung, einen schwarzen Supermarkt und ein schwarzes Restaurant aufweist, als einzige Bedingung.

Also wurde alles weiß lackiert: der alte Fliesenboden, die Stahlbetonrippendecke und die neue Stahlstruktur. Die Arbeitsflächen wurden mit hellem Kautschuk überzogen. Bloß eine Schublade ist aus Eiche und auch die Stange, mit der man die Kleider von der als Depot dienenden hochgelegenen Kleiderstange herunterholt. Die wichtigere Stange, auf der die Mode griffbereit zur Auswahl hängt, wurde mit Ziegenfell nobilitiert. Sechs kurzhaarige Ziegen aus dem Tiroler Oberland und – damit es nicht zu eintönig wird – eine langhaarige Ziege aus dem Unterland haben dafür herhalten müssen.

Platz für eine Nähmaschine, um Prototypen zu fertigen oder Änderungen gleich vor Ort durchzuführen, findet sich auf der stählernen Plattform, die dem Raum Dynamik verleiht und mit den Rundungen der Portalbögen in Dialog tritt. Ein Türflügel macht den Raum vor der Stiege zur platzsparenden Umkleidekabine.

Oft heißt es, ein Geschäft wirkt erst im eingeräumten Zustand gut. Bei „einkleidungzwei“ und „Mühlmann“ haben auch die leeren Geschäfte schon fertig ausgeschaut. „Das Geschäft muss wachsen können“, sagt Eva Fuchs und meint damit nicht die Maximierung von Verkaufsfläche und Umsatz. Und deshalb darf eine Architektur nicht von kurzlebigen Gütern diktiert werden. Bernd Mühlmann nennt es „nachhaltig“ und meint damit, dass eine Architektur die aktuelle Mode überdauern muss, sonst sei das Risiko, dass man ohnedies mit einem Geschäft eingeht, noch größer.

Die zwei kleinen Läden sind wohltuende Ausnahmen im Einerlei der globalisierten Ladenarchitektur der Geschäftsstraßen. Beide sind gebaute Porträts der Geschäftsleute, die jeweils jene Architekten und Architektinnen gewählt haben, denen sie zugetraut haben, Räume zu schaffen, die noch länger brauchbar sind, auch wenn in Tirol der Zufall ein nützlicher Wahlhelfer war.

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