Bauwerk

Bischof-Paulus-Heim
Johannes Wiesflecker - Innsbruck (A) - 2008

Form, Freiheit und etwas Farbe

Weder heimelig noch kuschelig,sondern flexibel, urban und weltgewandt: Das neue Wohnheim für Studierende in Innsbruck erinnert an die Sechzigerjahre, ohne mit der Retro-Mode zu flirten.

12. Juni 2009 - Franziska Leeb
Was hat ein Wohnheim für Studierende heute zu leisten, was kann es leisten? Das 1969 in Betrieb gegangene Studentenheim der katholischen Kirche in der Innsbrucker Santifallerstraße – ein architektonisch bemerkenswertes Gebäude von Horst Parson – musste vor einigen Jahren geschlossen und schließlich abgetragen werden, um einem Neubau Platz zu machen. Zu groß wäre der Sanierungsaufwand gewesen, und zu unterschiedlich sind die Anforderungen, die heute an ein Studentenheim gestellt werden. Knappe neun Quadratmeter betrug die Grundfläche eines Einzelzimmers, 17 hatten die Doppelzimmer, Bäder und Toiletten waren am Gang, dafür war das Gebäude großzügig mit Gemeinschaftsflächen ausgestattet.

Die Zimmer im neuen Wohnheim sind rund 20 Quadratmeter groß und verfügen – wie könnte es heute anders sein – über Bad, WC und Balkon. Architekt Johannes Wiesflecker hat sich dennoch nicht nur Gedanken über den Komfort der Studierenden gemacht, sondern auch über deren Sozialisierung. Das Studieren hat sich verändert und damit auch das Wohnen. Gelernt wird vor allem individuell, im Internet, weniger im Austausch mit der Kollegenschaft. Darauf nimmt Wiesfleckers Konzept Rücksicht, verzichtet aber nicht auf die Ausbildung großzügiger Gemeinschaftsräume und liefert vor allem in der architektonischen Attitüde ein Gegenkonzept zum konservativ anmutenden Wie-daheim-Flair manch anderer neuerer Studentenheime. Wollen sie es kuschelig, müssen die Bewohner selber dafür sorgen. Die Architektur des Bischof-Paulus-Heimes gewährt ihnen einen Rahmen, in dem sich viel mehr ausleben lässt als der Rückzug in die erste eigene Häuslichkeit.

In Hochschulseelsorger Monsignore Bernhard Hippler hat Wiesflecker einen guten Bauherren gefunden. Seinem Einsatz ist es erstens zu verdanken, dass anstelle des alten Heimes kein renditeträchtigerer Wohnbau entstanden ist. In ihm hat darüber hinaus der Architekt einen intellektuellen Ansprechpartner gefunden, der auch bei Anfeindungen stets hinter dem Projekt gestanden ist.

Wiesflecker (Jahrgang 1961), der seit 15 Jahren sein eigenes Architekturbüro in Innsbruck betreibt und zu den profiliertesten Architekten der zurzeit aktiven mittleren Generation zählt, verbirgt seine Sympathien für die Sechzigerjahre nicht. Dabei zählt er ganz und gar nicht zu jenen Architekten, die eine spezifische Handschrift kultivieren, und um einer kurzen Retro-Mode zu erliegen, dafür scheint der geerdet wirkende Wiesflecker nicht anfällig zu sein. In gewisser Weise erweist der Neubau dem vom revolutionären Aufbruchsgeist der Entstehungszeit getragenen Vorgängerbau seine Reverenz, es wird aber auch die Auseinandersetzung mit großen Kollegen wie Herman Hertzberger und Louis Kahn spürbar.

„Was wir entwerfen, muss ein Angebot sein, das immer wieder bestimmte Reaktionen als Antwort auf bestimmte Situationen hervorzurufen vermag, es darf also nicht einfach neutral und flexibel – und folglich ungeeignet – sein, sondern muss jene breitere Leistungsfähigkeit besitzen, die wir als polyvalent bezeichnen“, so Hertzberger, dessen Studentenheim in der Amsterdamer Weesperstraat – eines seiner frühen Werke – ungefähr so alt ist wie Wiesflecker.

Städtebaulich trägt der Komplex des nach Bischof Paulus Rusch benannten Innsbrucker Heimes der Lage zwischen der Uferzone des Inns und dem Stadtquartier Rechnung. Er reagiert aber auf den Kubus der nebenan liegenden, im Jahr 1972 eingeweihten Kirche Petrus Canisius, ebenfalls von Horst Parson.

In fein choreografierten Sequenzen erfolgt der Übergang vom übergeordneten Organismus der Universitätsstadt Innsbruck in ihre kleinste Einheit, das Heimzimmer. Eine Platzmulde schafft Distanz zur Straße, die verglaste Halle wirkt einladend. Ein auffallend schickes Sitzmöbel aus Sichtbeton mit kardinalrot gepolsterten Sitzflächen erweist sich als Zusatznutzung eines Lichtkamins für die darunter liegende Tiefgarage und ist eine formale Anspielung auf Mobiliar im Stil der 1960er und 70er.

Die zwei Baukörper, die sich über der vom Straßenniveau abgesenkten, transparenten Foyerzone erheben, sind unterschiedlich ausgebildet. An den fünf Obergeschoßen des sechsgeschoßigen Sichtbetonkubus bilden sich sowohl an der Straßenfassade als auch an der dem Fluss zugewandten Seite in einem Wechselspiel aus hölzernen und verglasten Flächen die Zimmer ab. Ton in Ton sorgen orangefarbene Vorhänge für Sichtschutz und leichte Bewegung im Raster.

Sein um ein Geschoß niedrigerer Nachbar hat, dem Grundstücksverlauf folgend, einen trapezförmigen Grundriss, Stiegenhaus und Allgemeinbereiche liegen an der Straßenseite und bilden sich ebendort in Form einer expressiven Collage aus Glas und Metall ab.

Die Zimmer liegen entlang eines großzügigen Allgemeinbereiches, dessen Herz eine werkbankähnliche Küchenzeile bildet. Diese Zonen sind nur spärlich möbliert. Die Tische in den Zimmern sind so gestaltet, dass sie einfach zu tragen sind und daher leicht zum Beispiel zur Bildung einer größeren Tafel hinausgetragen werden können. Generell ließ das architektonische Konzept in den weiten Allgemeinflächen viel Raum zur Aneignung. Die Studenten nutzen dies. Möbel vom Flohmarkt oder dem elterlichen Dachboden bilden eine weiche, temporäre, veränderbare Schicht. Sie wirkt improvisiert, und die meisten der Möbel sind nicht dazu geeignet, designaffine Geister zu befriedigen, aber das Gebäude erträgt diese Attacken wider den guten Wohngeschmack mit Leichtigkeit. Es bildet einen kräftigen Rahmen, der seine jungen Bewohner und Bewohnerinnen herausfordert, der ihnen einen Gegenentwurf zur ländlichen Behütetheit bietet. Möglichst urban wollte Wiesflecker sein Gebäude anlegen, das ist ihm gelungen, auch im Sinne einer gewissen weltgewandten Ausstrahlung, die dem Haus zu eigen ist.

Ohne die puren Materialien – der Sichtbeton wurde auch innerhalb der Zimmer nicht kaschiert – käme dieses Flair nicht zustande. Sie helfen bei der Konzentration auf das Wesentliche, sind längerfristig immun gegen Moden. Neutral ist hier nichts, das Gebäude ist ein Statement und verlangt Nutzern und Rezipienten Stellungnahme ab. Die Leistungsfähigkeit im Sinne Hertzbergers scheint aus heutiger Sicht gegeben. Sogar die Tiefgarage, so Wiesflecker, habe er so konzipiert, dass sie als Veranstaltungshalle verwendet werden kann.

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