Bauwerk

Chapelle de St- Loup
Localarchitecture, Danilo Mondada, Shel - Pompaples (CH) - 2008

Gefaltet

Am Lehrstuhl für Holzkonstruktionen der EPFL arbeitet ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Yves Weinand an der Entwicklung eines digitalen Modellierwerkzeugs, das unter anderem die Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren bereits in der Entwurfsphase unterstützen könnte. Beispielsweise sollen damit Faltwerke gleichzeitig aus architektonischer und ingenieurtechnischer Sicht enwickelt werden können. Nun konnte die Forschungsarbeit mit einer Architektengruppe erstmals praktisch umgesetzt werden: Seit letztem Sommer steht eine Kapelle im waadtländischen Pompaples – ein Faltwerk konstruiert aus Brettsperrholzplatten.

26. Februar 2009 - Hani Buri, Yves Weinand
In der Natur – etwa bei den Blättern vieler Pflanzen – sind gefaltete Strukturen weitverbreitet: Sie ermöglichen es, grosse Oberflächen mit einem minimalen Materialaufwand zu stabilisieren. Von der japanischen Papierfaltkunst inspirierte Faltwerke aus Holz sind deshalb ein Forschungsschwerpunkt am IBOIS. Dabei geht es nicht nur darum, ihr Tragverhalten zu untersuchen: Das Forschungsteam hat auch ein auf diskreten (finiten) Elementen basierendes digitales Tool entwickelt, mit dessen Hilfe Fachleute aus Architektur und Ingenieurwesen solche Faltwerke gemeinsam entwerfen können (vgl. auch TEC21 12/2008 und 17–18/2008). Seit 2007 galt es, das Tool zu testen und praktische Erfahrungen im Entwurfsprozess sowie bei Bau und Montage eines Faltwerks aus Brettsperrholzplatten zu sammeln. Shel, ein explizit für die praktische Umsetzung von Forschungsarbeiten des IBOIS gegründetes Planungsbüro, suchte und fand eine Partnerschaft für eine erste Realisierung. Die Diakonissen gemeinschaft von St-Loup im waadtländischen Pompaples organisierte im Sommer 2007 einen Wettbewerb, um ihr Mutterhaus umzubauen und zu renovieren.

Die Arbeitsgemeinschaft Bureau d’architecture Danilo Mondada und Localarchitecture gewann den Wett -bewerb und plante daraufhin die Ausführung. Für die Zeit des Umbaus – von Sommer 2008 bis Ende 2009 – musste jedoch eine provisorische Lösung für die täglichen Gottesdienste der Diakonissen gefunden werden. Das Anmieten von Baucontainern oder eines Zeltes empfanden sowohl von die Bauherrinnen als auch von die Architekten als unangemessen. Weil Holz schon immer ein bevorzugtes Baumaterial von Localarchitecture war – ihr Stall in Lignières wurde 2006 mit dem Preis Holz 21 ausgezeichnet – und weil die Architekten sich für die Forschungsarbeiten am IBOIS interessierten, schlugen sie den Diakonissen vor, gemeinsam mit den Planern von Shel eine innovative Lösung für die provisorische Kapelle zu finden. So stiessen diese im Dezember 2007 zum Planerteam. Schon die ersten Papiermodelle über-zeugten die Schwesterngemeinschaft von der Angemessenheit einer solchen Lösung, und innerhalb weniger Wochen konnte ein definitives Projekt erarbeitet werden.

Formfindung

Mit dem entwickelten digitalen Modellierwerkzeug können Faltwerke, die man bisher als Modell von Hand hergestellt hat, direkt im Computer gefaltet werden. Die Form der Kapelle wurde durch zwei Linien generiert. Eine definiert die charakteristische Form im Schnitt: ein Rechteck (rote Linien, Bild 2); die andere schliesst die Grundrissform (blaue Linie, Bild 2) und definiert als Zickzacklinie die Riffelung der Faltung (Bild 3). Die Form der Riffelung kann durch Variieren der einzelnen Segmentlängen zusätzlich moduliert werden (Bild 4). Die beiden Linien beeinflussen sich gegenseitig: Dadurch, dass die allgemeine Form der Grundrisslinie leicht gebogen ist, entwickelt sich die Schnittform von einem auf der Längsseite liegenden Rechteck zu einem hochkant stehenden.

Der Faltungsprozess – beziehungsweise der Formfindungsprozess – kann dementsprechend nach folgenden, unterschiedlichen Kriterien beeinflusst werden:
1. Architektur: Das Schiff der Kapelle entwickelt sich aus architektonischem Gestaltungswillen von einem von der Horizontalen zu einem von der Vertikalen dominierten Raum, an dessen Ende Licht in den Altarraum scheint.
2. Konstruktion: Das Regenwasser soll über die Form fliessend entsorgt werden. Mit der Modulation der Riffelung konnte das dafür notwendige Gefälle in der Faltung erreicht werden. Das Wasser fliesst in Querrichtung jeweils in die eine oder andere Richtung ab.
3. Tragwerk: Die Steifigkeit der Tragstruktur entsteht durch die Faltung. Der Faltmechanismus erlaubt somit, die Steifigkeiten lokal zu erhöhen, indem zum Beispiel tiefere Falten vorgesehen werden oder die Anzahl der Falten lokal erhöht wird. Hierdurch lassen sich grössere Spannweiten verwirklichen, oder es können dünnere Holzplatten eingebaut werden.

Mit diesem interdisziplinären Formfindungsprozess fallen die wichtigsten Entscheidungen, die das Tragwerk und die Proportionen im Wesentlichen bestimmen, in einer sehr frühen Entwurfsphase. Sie können auf sehr effiziente Weise direkt in den Formgebungsprozess eingebracht werden. Das allerdings befreit das Planungsteam und insbesondere den verantwortlichen Bauingenieur keineswegs davon, die allgemeingültigen Nachweise der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit durchzuführen.

Statisches System der räumlichen Konstruktion

Um das mechanische Verhalten des aus dem Formgebungsprozess entwickelten Faltwerks zu analysieren, wurde die digitale Datei aus dem Modellierwerkzeug direkt in das Statikprogramm Diamond (Buildsoft) importiert und als Vernetzung flächiger, finiter Elemente eingelesen. Das Tragwerk sollte aus Brettsperrholzplatten konstruiert werden und wurde mit den entsprechenden Eigenschaften und Stärken von 40 mm für vertikal und 60 mm für horizontal angeordnete Bauteile in das Statikprogramm eingegeben. Mit den Berechnungsanalysen wurden die Eingaben verifiziert und die definitiven Plattendicken schliesslich in das Modellierwerkzeug eingegeben.

Die Kanten der Faltungen (die Geraden und die Kehlen) wurden in der Berechnung als Gelenke modelliert (Bild 5). Trotz durchgängig gelenkiger Lagerung ist die Gesamtsteifigkeit mit der speziellen räumlichen Anordnung der Tragelemente gegeben. Alle Drehungen sind frei modelliert – lediglich die Freiheitsgrade der Translationen (Parallelverschiebung in Kantenrichtung) wurden im Modell blockiert. Tatsächlich entstehen entlang der Falten jedoch Einspannmomente, da die Holzplatten mit dünnen Stahlblechen miteinander verbunden sind. Je nach Drehrichtung der Momente entstehen durch den einseitigen Anschluss der Holz- mit den Stahlplatten unterschiedlich grosse Hebelarme. Diese lokalen Einspannmomente wurden in diesem Modell jedoch vernachlässigt.

Aus dem Statikprogramm konnten sowohl die Schnittkräfte (Bild 6) als auch die Verformungen ermittelt werden. Die 60 mm starken Platten des Daches tragen über rund 9 m Spannweite, was einer Schlankheit von 1/150 entspricht. Die enorme Effizienz der Faltstrukturen wird gerade durch diese hohe Schlankheit deutlich. Der Punkt mit der grössten Verformung der gesamten Struktur befindet sich an der Aussenkante des Faltwerks direkt über dem Eingang. Da hier keine weitere Faltung ansetzt, wirkt der Rand frei und ist nicht ausgesteift (Bild 7).

Architektur und Kosntruktion

Der Innenraum ist sowohl horizontal als auch vertikal zum Altar hin ausgerichtet. Der Rhythmus der Stützen wird durch die Faltungen aufgenommen, wobei die beiden Längsfassaden jeweils eine leichte Bogenform beschreiben. Dadurch verengt sich der Raum zum Altar hin, und die Faltung wird vertikal aufgestossen. Der progressive Übergang von der Horizontalen zur Vertikalen fokussiert die Aufmerksamkeit zur kürzeren «Giebelwand», wo der Altar steht. Dabei beleben die gegenläufigen Falten den Raum nicht nur optisch, sie verbessern auch seine Akustik und lösen das Problem des Dachwasserabflusses.

Die Verbindung der vertikalen Elemente des Faltwerkes wurde mit gefalteten Lochblechen und Schrauben bewerkstelligt. Innen sind die Platten roh belassen, die Aussenhaut besteht aus einer Dichtungsbahn und 19 mm starken, imprägnierten Dreischichtplatten. Die beiden «Giebelwände» bestehen aus unregelmässigen Kantholzrahmen, auf denen innen ein transparentes Polykarbonat und aussen ein Windschutztextil angebracht ist. Formal erinnern sie an klassische Kirchenfenster, doch ihr Nutzen ist auch praktisch: Die Maschenweite des Textils verhindert Einblicke und garantiert die Intimität des Gottesdienstes – von innen her gesehen scheint sich die Landschaft in ein impressionistisches Bild aufzulösen.

Erfahrungen aus der Praxis

Die Erfahrungen bei Entwurf und Bau der Kapelle waren sehr positiv. Das digitale Modellierwerkzeug ermöglichte es, in der Entwurfsphase gut auf formale, funktionelle und konstruktive Anforderungen einzugehen und das Projekt zu vertiefen. Es zeigte sich auch, dass neue und eigenständige architektonische Formen erzeugt werden können, die ohne das Werkzeug nur schwer vorstellbar wären. Der Produktionsprozess wird ausserdem rationalisiert, indem die digitalen Dateien für den Zuschnitt der Brettsperrholzplatten direkt im Modellierwerkzeug gezeichnet und danach an den Produzenten geliefert werden – ein nochmaliges Zeichnen der Pläne für die Herstellung entfällt.

Die Kapelle von St-Loup wurde mit diesem gemeinsamen Entwurfsprozess zum Resultat einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Architekten, Forschern und Ingenieuren. Dabei spielte die Begeisterungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft der Bauherrinnen eine wesentliche Rolle in der Umsetzung. Die Diakonissen sind von der neuen Kapelle sehr eingenommen: Die Klarheit und Einfachheit von Raum und Konstruktion dieser komplexen Form findet in ihrem Glaubensbekenntnis Resonanz.

Literatur:
[1] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami: Faltstrukturen aus Holzwerkstoff en. Bulletin Holzforschung Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Holzforschung SAH, Dübendorf 2006, 2/2006, p. 8–12
[2] Buri, Hani, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Architecture, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, WCTE, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_286.pdf
[3] Haasis, Marcel, Weinand, Yves: Origami – Folded Plate Structures. Engineering, 10th World Conference on Timber Engineering, Miyazaki, Japan, 2008, zur Verfügung auf: www.ewpa.com/Archive/2008/june/Paper_287.pdf

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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