Bauwerk

MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo
Zaha Hadid Architects - Rom (I) - 2009
MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, Foto: Werner Huthmacher / poolima
MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, Foto: Werner Huthmacher / poolima

Abschaffung des rechten Winkels

Mit seinen fließenden Formen und der radikalen Absage an die Vertikale stellt Zaha Hadids neues Kunstmuseum in Rom an Kuratoren gewaltige Herausforderungen

22. Mai 2010 - Gerhard Mumelter
Längst haben sich Anrainer im römischen Flaminio-Viertel an die Fragen ratloser Passanten gewöhnt. „Il museo? E' qui“, deutet eine vom nahen Markt kommende Hausfrau auf die Fassaden grauer Kasernen in der Via Reni. Dort kann die Gruppe britischer Studenten nur einen ungewohnten Betonkeil orten, der aus dem Dach einer ehemaligen Kaserne ragt. Dass man ein monumentales Museum wie Roms neues Maxxi einfach übersehen kann, gehört zu den irritierenden Aspekten von Zaha Hadids vieldiskutiertem Neubau.

In der vom Tiberufer zu Renzo Pianos Auditorium führenden Straße drücken Passanten an der unauffälligen Adresse 4 A ihren Kopf an einen hohen Gitterzaun, um einen dürftigen Seitenblick auf das neue Architekturwunder der Hauptstadt zu werfen. Der horizontal konzipierte Neubau versteckt sich förmlich in der unspektakulären Umgebung eines aufgelassenen Militärareals. Erst beim Betreten des weiträumigen Freigeländes verrät die geschwungene Fassade den Impetus, mit dem sich der ungewöhnliche Bau gegen jede museale Tradition stemmt.

Auf dünnen Stahlsäulen, die aus weißem Schotter ragen, balanciert unbändige Dynamik, die den Besucher sofort in ihren Bann zwingt. „Tagliatelle“ nennen italienische Medien die drei X-förmig verschlungenen Betonstränge, mit denen die Londoner Architektin unter 273 Teilnehmern im Wettbewerb siegte, den Rom 1998 unter dem Eindruck des eben eröffneten Guggenheim-Museums in Bilbao ausgeschrieben hatte. Von der Warnung ihres Leidensgefährten Renzo Piano, ein öffentlicher Bauauftrag in Rom sei „wie die Durchquerung des Wilden Westens im Planwagen“, ließ sich die gebürtige Irakerin nicht abschrecken.

Hat die Errichtung wichtiger Prachtbauten in der ewigen Stadt nicht von jeher viel Zeit und Aufwand erfordert? So irritierte es kaum jemanden, dass die Bauzeit des ersten Nationalmuseums für zeitgenössische Kunst und Architektur jener des Kolosseums entsprach und die Kosten in zehn Jahren auf 150 Millionen Euro kletterten. Mit der Last des historischen Erbes konnte Hadid locker umgehen: „Ich bin Babylonierin und komme aus einer 5000 Jahre alten Kultur.“ Eher stieß ihr Projekt auf verständnisloses Kopfschütteln: Was soll die traditionsverliebte Hauptstadt, die zu neuer Architektur und Kunst ein gestörtes Verhältnis pflegt, mit einem derart überproportionierten Museum? Seine wahre Dimension gibt der suggestive Bau freilich erst nach und nach preis.

Tritt der Besucher ins imposante Foyer, erliegt er umgehend der Dynamik schwebender Rampen und lichter Schneisen, dem Geflecht schwarzer, mit milchigen Lichtbändern unterlegter Treppen, die sich wie ein schwereloses Skulpturengewirr in die Höhe winden. Ein Zentrum ist in dem Kaleidoskop dissonanter Bewegungen nicht auszumachen. Wer sich den Treppen und Gängen anvertraut, taucht in ein spannendes Wechselspiel von Schwere und Leichtigkeit. Ununterbrochen ergeben sich neue Durchblicke und Perspektiven. Der Besucher lässt sich im Bewegungsstrom von Zada Hadids „verflüssigten Räumen“ förmlich treiben.

Verflüssigung von Raum

Ist man jetzt hinten oder vorn? Soll man rechts oder links abbiegen? Wie in Eschers irritierenden Mäandern verflechten sich Oben und Unten, Weite und Enge, schwebende Brücken, sanft ansteigende Rampen, gewölbte Wände und enge Korridore. Eines gibt es in dieser furiosen Choreografie nicht: Stillstand. Nie wurde Heraklits Motto panta rhei konsequenter umgesetzt als hier. „Der Bau soll fließen und seine Umgebung in Schwingung versetzen“, schildert die Architektin ihre Intention, „mein Ziel war die Verflüssigung von Räumen.“ Mit der verhassten „Diktatur des rechten Winkels“ rechnet die kosmopolitische Pritzker-Preisträgerin im römischen Neubau gnadenlos ab. Symbolhaft genug: Das ebenerdige WC mit seinen Stahltoiletten ist der einzige rechtwinklige Raum im 30.000 Quadratmeter umfassenden Museum. Hadid wertet ihre Kreation denn auch „weniger als Objekt oder Bauwerk“, sondern als „urbanen Kunstcampus, in den man eintaucht“. Ein Museum sei schließlich kein Container mehr, keine Schachtel mit Kunstlicht: „Natürliches Tageslicht ist für die Kunst das Beste.“

Mächtiger Schaukasten

Durch das mit Betonlamellen unterlegte Glasdach fließt das Licht üppig in die fünf ineinander verschlungenen Galerien, mit denen Kuratoren ihre liebe Not haben dürften. Keine einzige senkrechte Wand, an der sich ein Bild aufhängen ließe. Kurven, Wölbungen und kraftvolle Linien sperren sich förmlich gegen herkömmliche Ausstellungskonzepte. Schräge Böden und geneigte Wände machen unmissverständlich klar, dass hier Architektur dominiert und Kunst sich anzupassen hat. Das von Hadid und ihrem Partner Patrik Schumacher errichtete Gebäude entpuppt sich als Bau, der Kunst bestenfalls duldet. Dagegen fügte sich die von Sascha Waltz konzipierte Tanzperformance zur Eröffnung harmonisch in die bewegte Dynamik des Museums, in dem grauer Sichtbeton dominiert.

In Rom konnte Hadid „der langen Tradition der Italiener im modernen Betonbau“ vertrauen, wie sie Pier Luigi Nervis naher Palazzetto dello Sport aus dem Olympiajahr 1960 verkörpert. Für die gewölbten Betonwände wurden 14 Meter hohe Schalungselemente angefertigt, besonderes Schalholz aus Skandinavien wurde mit Phenolharzen behandelt. „Beton hat eine raue Qualität, die ich sehr mag“, schwärmt Hadid, „er gibt der Architektur eine vitale, erdige Ausstrahlung.“ Wirkt die massive Hülle aus Sichtbeton von außen fast abweisend, überraschen die Innenräume durch ihre Dimensionen und ihre Helligkeit. Beim Gang durch die drei Ebenen des Hauses finden schwindelfreie Besucher nach der Achterbahn von Kurven, verschlungenen Gängen und Traversen erst am höchsten Punkt ihre Orientierung wieder: In 23 Metern Höhe öffnet sich eine ansteigende Galerie zu einem mächtigen Schaukasten und gibt durch eine nach innen geneigte Glasscheibe den Blick nach draußen frei. Der weiße Kies erinnert an aufgelassene Bahngeleise, die Bäume und die von Hadid entworfenen fließenden Bänke suggerieren ein Bild entrückter Ruhe - ohne Straßen, Autos und den pulsierenden Verkehr der Hauptstadt.

Obwohl Hadids Neubau scheinbar alle Dogmen der Moderne unterläuft und die Geometrie Lügen straft, erfolgt die von der Architektin proklamierte „Auflösung der Erstarrung“ mit eleganter Zurückhaltung. Im raffinierten Spiel aus Stahlbeton, Glas und Metall erscheint die Welt nicht als Zustand, sondern als Bewegung.

Hadid hat auf das schmale, L-förmige Grundstück keinen Kunstspeicher gesetzt, sondern ein neues Raumerlebnis aus sich überlagernden Ebenen, deren Galerie sie als „Suiten“ definiert. Auf deren erste Bewährungsprobe darf man gespannt sein. Ein halbes Jahr nach seiner Fertigstellung sollen am kommenden Wochenende vier Großausstellungen die Kunsttauglichkeit des neuen Museums testen: 90 Werke aus der ständigen Sammlung der Maxxi-Stiftung, zwei Retrospektiven des Künstlers Gino De Dominicis und des Architekten Luigi Moretti und die Video-Installation Mesopotamische Erzählungen des Türken Kutlug Ataman. Dann wird sich erweisen, ob Kunst in der Lage ist, sich in Zaha Hadids dominierender Architektur zu emanzipieren.

Mit der Last des historischen römischen Erbes konnte Zaha Hadid locker umgehen: ,Ich bin Babylonierin und komme aus einer fünftausend Jahre alten Kultur.'

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Bildagentur

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