Bauwerk

Actelion Business Center
Herzog & de Meuron - Allschwil (CH) - 2010
Actelion Business Center © Actelion Pharmaceuticals Ltd
Actelion Business Center, Foto: Hans H. Münchhalfen / ARTUR IMAGES

Wirkungsvoll kombiniert

Der Büroneubau in Allschwil, von den Architekten Herzog & de Meuron für die Firma Actelion entworfen, besteht aus übereinandergelegten, prismatischen Körpern. Raumhohe Stahlfachwerkträger bilden deren Seitenwände. Um die Trägerkonstruktion optimal auszunutzen, haben die Bauingenieure von WGG Schnetzer Puskas eine hybride Trägerform für diese Fachwerke entworfen: Sie kombinierten Fachwerk- und Vierendeelträger.

14. Januar 2010 - Heinrich Schnetzer
Der Büroneubau der Firma Actelion in Allschwil gleicht einem Mikado aus balkenähnlichen, übereinander angeordneten Baukörpern. Im Gegensatz zu der umgebenden Bebauung mit starren Formen ist das neue Gebäude eine offene Struktur. Die Zwischenräume der Balkenkonstruktionen ermöglichen Sichtbezüge innerhalb des Gebäudes und nach aussen zu den angrenzenden Labor- und Bürogebäuden sowie den Sportfeldern. Die scheinbar zufällige Anordnung der Bürobalken schafft nicht nur ungewohnte Durchblicke und Ausblicke, sondern auch Terrassen und Höfe in vielzähligen Grössen und Qualitäten. Die 34 raumhohen prismatischen Körper sind ineinander verzahnt und übereinandergestapelt. Sie bilden einen chaotisch und unstrukturiert erscheinenden «Haufen» (Abb. 1 und 2).

Bei einer Grundrissabmessung von etwa 80 × 80 m reicht diese Struktur bis auf eine Höhe von 22 m. Jeder einzelne «Mikadostab» bzw. Raumkörper kann als rechteckiges oder schiefes Gitterrohr betrachtet werden. Im Unterschied zum Mikadospiel hat aber jeder «Stab» eine andere Abmessung. Sie sind 30 bis 100 m lang und, abhängig von der Büronutzung, fünf bzw. sieben Meter breit. Sie bestehen im Wesentlichen aus den Boden- und Deckenscheiben sowie zwei raumhohen Fachwerkträgern, die verglast sind und die Fassade bilden. Jeweils fünf bis sieben prismatische Körper bilden im Grundriss des «Stabhaufens» eine Ebene bzw. ein Bürogeschoss. Jede Geschossebene hat ihr eigenes Trägerlayout und liegt nicht deckungsgleich über dem unteren Geschoss, sondern trägt ihre Lasten über wenige einzelne Punkte in die untere Ebene ab. Einzelne «Stäbe» überschneiden sich und bilden dadurch mindestens vier Schnittflächen in jeder Ebene. Sie werden als Erschliessungs- und Kommunikationszonen über die insgesamt sechs Ebenen bzw. Geschosse (ein Erdgeschoss und fünf Obergeschosse) genutzt und ihre gemeinsame Fläche ist gerade so gross, dass ein Lift und die Steigschächte darin Platz finden. Die Treppenanlagen, losgelöst von den gemeinsamen Durchdringungszonen, winden sich räumlich im «Stapelhaufen».

Geschicklichkeitsspiel

Die Anforderungen an einen raumhohen und raumbildenden Kastenträger, der aus zwei parallel verlaufenden Fachwerkträgern besteht, sind im Hochbau vielfältig. Der prismatische Körper muss neben den tragwerksplanerischen und statischen Kriterien auch den Anforderungen der Gebäudetechnik und der Bauphysik gerecht werden. Um tiefe Herstellungskosten zu erreichen, wird eine möglichst einfache Konstruktion vorausgesetzt. Wegen des ungünstigen Verhältnisses von Lohnkosten zu Materialkosten entwickelten die Bauingenieure von Schnetzer Puskas eine Struktur, die mit möglichst wenig Arbeitsaufwand hergestellt werden konnte. Primäres Ziel war nicht, eine geringe Stahltonnage zu erreichen. Die aufwendige architektonische Struktur musste vielmehr für die Ausführung konstruktiv vereinfacht werden – das Tragwerk sollte trotz komplexem Bau eine gewisse Einfachheit und Systematik aufweisen. Dabei standen Kosten und Machbarkeit im Vordergrund.

Spielregeln

Raumhohe Fachwerkträger sind im Bürobau meist nicht erwünscht, da die Diagonalen vor den Fenstern verlaufen. Vierendeelträger, die nur aus Gurten und Pfosten bestehen, lassen rechteckige Fensteröffnungen zu und bieten sich deswegen an.

Wirtschaftliche Trägersysteme bedingen eine hohe und kontinuierliche Ausnutzung der eingesetzten Profilquerschnitte und des verwendeten Baustoffs, bei möglichst reduziertem Arbeitsaufwand für die Herstellung. Insbesondere ist es von Vorteil, die Gurte mit einem konstanten Querschnitt auszubilden, damit die arbeitsintensiven Schweissarbeiten reduziert werden können. Vierendeelträger sind jedoch nicht sehr wirtschaftlich. Die Pfosten und Gurte werden nicht nur mit Normalkräften, sondern auch mit Querkräften und auf Biegung beansprucht, und bei den verwendeten Profilen wirkt nur der statische Hebelarm – die statische Höhe der raumhohen Träger kann nicht effizient ausgenutzt werden. Dies führt zu einem weichen Tragsystem, das mit einem relativ hohen konstruktiven und materialspezifischen Aufwand versteift werden muss.

Aus den divergierenden Anforderungen bezüglich Nutzung und Kosten ergab sich in einem intensiven Planungsprozess zwischen allen Beteiligten (vgl. Kasten S. 22) ein Trägersystem, das sich aus Vierendeel- und Fachwerkträgern zusammensetzt. Die Bauingenieure kombinierten die Eigenschaften des Fachwerkträgers mit denjenigen des Vierendeelträgers.

Tragende Scheiben im Stabgewirr

Das Gebäude hat keine Kerne, die den horizontalen Lastabtrag sicherstellen. Die meisten Stützen sowie die am direkten Lastabtrag beteiligten Fachwerkstäbe wie Vierendeelpfosten und Diagonalstäbe sind nicht lotrecht ausgerichtet. Die daraus resultierenden horizontalen Ablenkkräfte, aber auch die Erdbeben- und Windkräfte sowie das bezüglich des Reaktionszentrums entstehende Torsionsmoment müssen über die Fachwerke sowie Decken und Böden der Kastenträger teilweise ausgeglichen und abgetragen werden. Dabei funktionieren die Fachwerke als vertikale und die Decken und Böden als horizontale Scheiben. Die Deckenscheiben sind als Verbundquerschnitt konzipiert, bestehend aus den Stahlprofilen der Trägergurte und den dazwischenliegenden Betondecken.

Standort Wettbewerb

Der Aufwand für das Tragsystem übersteigt trotz einem ausgeklügelten Trägersystem mit optimierten Querschnitten den üblichen Rahmen für ein Bürogebäude. Wie bei modernen Glasbauten im Allgemeinen ist bei diesem speziellen Projekt die Tragkonstruktion jedoch nicht der hauptsächliche Kostenfaktor. Die mit der Gebäudestruktur generierte Oberfläche ist beträchtlich und schlägt sich entsprechend auch im Aufwand für die Fassade nieder – gerade weil die Gebäudeoberfläche im Hinblick auf den zukünftigen Energieverbrauch einem hohen Standard genügen musste. Die Gebäudestruktur bzw. das Tragsystem schafft aber Büroräume, die bezüglich der Beleuchtung und der Erschliessung optimale Verhältnisse bieten. Insbesondere das modulare Raster der Bürobalken und die stützenfreien Räume ermöglichen verschiedene Bürotypologien und unterschiedlich grosse Bürozellen.

Besprechungsräume und loungeartige Bereiche sind an den Kreuzungspunkten der Balken angelagert, um die Kommunikation innerhalb der Firmenabteilungen zu erhöhen. Wie sich bei modernen Bürogebäuden in der Region Basel, aber auch weltweit, zeigt, sind attraktive Räumlichkeiten, die die Kultur einer Firma repräsentieren, indem sie diese architektonisch umsetzen, wesentlich für den Standortwettbewerb. Sie zählen mit zu den ausschlaggebenden Kriterien, wenn es darum geht, gut qualifizierte Mitarbeitende anzuziehen. Unter Einbezug dieser Gesichtspunkte relativieren sich die höheren Aufwendungen für die Tragstruktur und die Gebäudeoberfläche.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Actelion

Tragwerksplanung

Fotografie

Archfoto

Hans Ege

Bildagentur

ARTUR IMAGES