Bauwerk

Prime Tower
Annette Gigon / Mike Guyer - Zürich (CH) - 2011
Prime Tower © Prime Tower Zürich
Prime Tower, Foto: Hans Ege

Flirrender Koloss

Nach rund 36 Monaten Bauzeit haben die ersten Mieter den Prime Tower auf dem Maag-Areal in Zürich bezogen. Die Lage des Gebäudes am Bahnhof Hardbrücke, seine vielgestaltige Fassade und seine Einbettung in die unmittelbare Umgebung überzeugen. Auch die Erdgeschossnutzungen des Hochhauses und seiner drei Nachbarbauten, alle von Gigon / Guyer Architekten entworfen, sind umsichtig gewählt.

4. November 2011 - Jutta Glanzmann
In der Ausstellung «Hochhaus – Wunsch und Wirklichkeit», die noch bis am 2. Januar 2012 im Museum für Gestaltung Zürich zu sehen ist (vgl. S. 18), zeigt eine Luftbildaufnahme des Zürcher Industriequartiers links und rechts der Hardbrücke, wie es 1998 ausgesehen hat: Am Escher-Wyss-Platz steht noch kein Bluewin-Hochhaus, der Turbinenplatz ist im Bau, und auf dem Steinfelsareal ist die erste Umbauetappe gerade erkennbar. Dreizehn Jahre später hat sich das Quartier stark verändert. Zahlreiche Neu- und Umbauprojekte wurden fertiggestellt oder sind noch im Bau. In kürzester Zeit ist das Gebiet als Ergänzung zur Innenstadt zu einem Zentrum Zürichs geworden, was sich nicht zuletzt an der veränderten Bevölkerungsstruktur offenbart (vgl. Kasten und Abb. S. 54).

Blieben die baulichen Veränderungen lange Zeit in der Fläche und waren entweder nur vor Ort oder aus der Höhe erkennbar, hat sich das mit dem Bau des Prime Tower und des benachbarten Mobimo Tower schlagartig geändert; das Quartier hat eine neue Dimension erhalten und beginnt, sich in die Höhe zu entwickeln. Vor allem der Prime Tower, mit 126 m das zurzeit höchste Gebäude der Schweiz, macht die Veränderung weithin sichtbar. Bereits die Baustelle konnte stadtweit beobachtet werden. Schicht um Schicht wuchs das Haus zunächst in die Höhe, um dann mit einer gläsernen Haut umgeben zu werden und die Stadtansicht Zürichs neu zu prägen. Die Architekten haben das Volumen des Turmes so gestaltet, dass er abhängig vom Standpunkt sehr unterschiedlich wahrgenommen wird: in der Verlängerung der Hardbrücke als schlanke Silhouette, die sich je nach Lichtsituation fast aufzulösen scheint, im Fluss des Gleisfeldes als breiter Rücken, der sich dem Strom des Limmattals entgegenstellt. Manchmal taucht das Gebäude ganz unerwartet im Blickfeld auf und wirkt so gar nicht wie ein hohes Haus – zum Beispiel, wenn man im Tram 4 oder 13 vom Hauptbahnhof Richtung Escher-Wyss-Platz sitzt.

Kaum fassbares Bild des gläsernen Körpers

Steht man am Fuss des Prime Tower, geschieht etwas Merkwürdiges: Das Hochhaus wirkt weniger gross als aus der Ferne. Man spürt zwar die Höhe, aber sie erdrückt einen nicht. Das mag mit dem unregelmässigen Achteck als Grundrissform zusammenhängen – und mit den Auskragungen, die das Volumen nach oben weiter werden lassen, in der Höhe gliedern und es zu den umgebenden Gebäuden sowie zur unmittelbar angrenzenden Hardbrücke in Beziehung setzen. Nur eine der acht Fassadenflächen liegt von ganz unten bis ganz oben in derselben Ebene. Ausgangslage für die Entwicklung der Grundform war im Rahmen des international ausgeschriebenen Wettbewerbs, den Gigon / Guyer Architekten 2004 gewonnen haben, die Suche nach einem Grundriss, der ein Maximum an optimal belichteten Arbeitsplätzen ergibt und gleichzeitig ein einprägsames Volumen erzeugt. Dies dokumentieren die Arbeitsmodelle, die gegenwärtig im Rahmen der eingangs erwähnten Ausstellung zu sehen sind. Das ebenfalls gezeigte Situationsmodell transportiert den zweiten Entwurfsschwerpunkt, der auch bereits im Wettbewerbsprojekt bestand: die Konzeption des Gebäudes als «gläsernen Stalaktiten» und vertikalen Gegenstücks zur bestehenden Bebauung, der es sich trotz aller räumlichen Integration damit auch entzieht.

Annette Gigon und Mike Guyer haben dieses Bild der gläsernen Haut kompromisslos und äusserst präzise umgesetzt. Vom Sockel bis zum Dachabschluss bilden die rechteckigen, geschosshohen Fensterelemente, die nach aussen rahmenlos erscheinen, eine glatte Aussenhülle. Je nach Witterung oder Lichtsituation changiert diese zwischen Dunkelgrün, manchmal fast Schwarz bis zu einem ganz hellen Blaugrün. Dabei erinnert die facettenreiche Aussenhülle, die einmal gestochen scharf und dann wieder flirrend in Erscheinung tritt, an die Spiegelung eines Gewässers. Die unterschiedlich ausgerichteten Fassadenflächen lösen das Gebäude in ein Mosaik von Spiegelungen auf und generieren eine verblüffende Vielfalt von Bildern. Je nach Reflexion hebt sich das Gebäude hart von seiner Umgebung ab oder verschwindet fast vollständig darin. Jedes zweite bis dritte Fenster kann zu Lüftungszwecken ausgestellt werden, was aus der Distanz zu einem pixelartig wechselnden Fassadenbild führt.

Diese Möglichkeit, Fenster zu öffnen, ist ein in Hochhäusern seltener Komfort, der indes auch die feuerpolizeilich vorgeschriebene Möglichkeit der Entrauchung nach einem Brandfall unterstützt (vgl. Kasten S. 34). Damit ist die Stadt im Prime Tower nicht nur visuell, sondern auch mit ihren Geräuschen präsent. Gleichzeitig bildet sich das Innenleben des Gebäudes nach aussen ab: Bürotrennwände, offene und geschlossene Fenster, der innen liegende Sonnenschutz und die Beleuchtung machen es jetzt, nachdem die ersten Bürogeschosse bezogen sind, weithin sichtbar.

Durchdachte Gestaltung und Nutzung der Erdgeschosse

Eine weitere Entwurfsabsicht wird spürbar, wenn man um den Prime Tower herumgeht: Das Hochhaus schafft einen neuen Mittelpunkt im Quartier. Zusammen mit den Neubauten Platform und Cubus sowie dem denkmalgeschützten Altbau Diagonal, die als Teile des Planungsperimeters ebenfalls von Gigon / Guyer Architekten entworfen beziehungsweise instand gestellt wurden, definiert der Prime Tower städtische Aussenräume (Abb. 2). Diese werden von den Menschen, die im Quartier arbeiten, aufgrund der öffentlichen Nutzungen bereits stark frequentiert. Während im Prime Tower und in seinen neu erstellten Annexbauten vorwiegend Büroflächen entstehen, werden im umgebauten Industriegebäude Diagonal zwei Kunstgalerien und ein Restaurant einziehen. Im Erdgeschoss des Prime Tower selbst gibt es auf der dem Bahnhof Hardbrücke zugewandten Seite eine Bankfiliale und auf der anderen Seite eine Café-Bar, die sich über zwei Geschosse erstrecken und Anfang Oktober eröffnet wurden. Damit sind alle Gebäude im Erdgeschoss öffentlich zugänglich. Auf dem kleinen Platz zwischen dem Haupteingang des Prime Tower und dem Bürogebäude Cubus mit einem kleinen Lebensmittelladen im Erdgeschoss herrscht tagsüber reges Kommen und Gehen. Auch auf der gegenüberliegenden, südwestlichen Seite des Hochhauses verbringen bereits einige Leute ihre Mittagspause auf dem Platz, der von Prime Tower, Diagonal- und Platform-Gebäude aufgespannt wird und auch Aussensitzflächen für die Restaurants bietet. Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten haben ihn mit drei baumbestandenen Grünflächen gestaltet, die sich formal auf die umliegenden Gebäude beziehen und aus dem Hartbelag des Platzes herauszuwachsen scheinen (Abb. 7 8; zur Ermittlung der Windkräfte auf Gebäude und Aussenräume vgl. TEC21 29-30/2008). Zwischen dem Prime Tower und dem denkmalgeschützten Industriegebäude Diagonal entsteht eine schmale Gasse, die räumliche Spannung erzeugt und den Blick lenkt. Ähnlich ergibt sich durch die Lage des Prime Tower bis hinüber zur Geroldstrasse eine perspektivische Verlängerung, welche die beiden Stadtteile trotz der trennenden Wirkung von Strasse und Hardbrücke verbindet. Der Einschnitt im parallel zum Gleisfeld verlaufenden Platform-Gebäude schafft eine Verbindung zum Gleisbogen, der Zürich West als begehbarer, parkähnlicher Weg grossräumig durchquert. Gleichzeitig befindet sich hier der quasi hauseigene Zugang zum SBB-Bahnhof Hardbrücke (Abb. 9). Dieser soll demnächst dem erhöhten Publikumsverkehr angepasst werden.

Im Sommer 2011 hat das Team Gigon / Guyer, Walt Galmarini, Ernst Basler+Partner, B+P Baurealisation und Weber Haberke Partners den Studienauftrag für den Ausbau gewonnen (vgl. TEC21 33-34/2011).

Elegantes Innenleben

Der Haupteingang des Prime Tower befindet sich gegenüber der Hardbrücke; über den Drehtüren kragt die Fassade aus und bildet eine repräsentative Eingangssituation. Von der Parkgarage, deren Einfahrt sich am westlichen Rand des Areals befindet, gelangt man über Korridore und Treppen in die Empfangshalle. Begleitet wird man dabei von den Lochblech elementen «First Cuts» des Künstlers Harald F. Müller, die verschiedene gestanzte Bilder wie die Sicht vom Mond auf die Erde oder eine Szene aus dem Film «Jurassic Park» zeigen. Die gut 9.5 m hohe Lobby (Abb. 10) evoziert mit ihrer Wandverkleidung aus grünem Naturstein (Verde Aver aus dem Aosta-Tal) Eingangshallen, wie man sie von New Yorker Hochhäusern kennt. Als erste Adresse im Prime Tower überzeugt sie sowohl räumlich als auch in Bezug auf die verwendeten Baustoffe: Im Zusammenspiel von edlen, hochwertig verarbeiteten Materialien und spannungsvoll proportionierten Räumen entsteht eine in ihrer Selbstverständlichkeit umso wirkungsvollere Eleganz. Die wesentlichen Funktionen stehen im Vordergrund. Links vom Eingang befindet sich ein schlichtes weisses Sofa für Wartende; darüber hängen zwei übergrosse Pendelleuchten, die dahinterliegende Wand soll künftig mit Wasser bespielt werden. Die parallel zum längsgerichteten Raum angeordnete Rezeption wird von einem grossen Lichtobjekt markiert, das die Architekten zusammen mit Hannes Wettstein entworfen haben. Ein hoch in die Wand eingelassenes, grossformatiges Werk des Künstlers Adrian Schiess – eine Fläche aus rotem, hochglänzenden Lack – tritt mit dem vorhandenen Natur- und Kunstlicht in einen raffinierten Dialog: Je nach Lichteinfall wirkt die irisierend rote Fläche fast grün.

Gleich neben der Rezeption öffnet sich der Raum zur Zugangskontrolle. Wer diese passieren will, braucht einen Badge. Dahinter liegen die acht Personenlifte: Vier bedienen das 1. bis 21. Obergeschoss, die anderen vier führen vom Erdgeschoss direkt ins 21. Geschoss und bedienen dann die darüberliegenden Etagen. Damit konnte in den oberen Stockwerken mehr Fläche für Büros gewonnen werden. Die Kerne und Fluchttreppen im zentralen Bereich sind so angeordnet, dass sich die Bürogeschosse auf zwei, drei oder vier verschiedene Mieter aufteilen lassen. Es ist aber auch möglich, Büros über mehrere Geschosse mit internen Treppen zusammenzufassen.

Bis auf wenige Flächen ist der Prime Tower vermietet. Neben den Ausbauten der Bürogeschosse, unter anderem für eine Anwaltskanzlei, eine Handelsfirma und eine Bank, sind Gigon / Guyer Architekten für die Gestaltung der Café-Bar im Erdgeschoss, des Restaurants im 35. Geschoss (Abb. 13+14) und des darunterliegenden Konferenzbereichs verantwortlich.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Archfoto

Hans Ege