Bauwerk

Theaterpodium Grotekerkplein
Atelier Kempe Thill - Rotterdam (NL) - 2009

Rahmen-Werk

Stadtpodium Grotekerkplein in Rotterdam (NL)

Bühne, Stadtmöbel, Pavillon, gebaute Platzkante, monumentales Fenster, Lichtinstallation – das »stadspodium« des Rotterdamer Atelier Kempe Thill bietet als raumschließende Großform viele Funktionen. Eine Bürgerstiftung ermöglichte den Bau, der seit 2009 intensiv genutzt wird und erfolgreich zur Reaktivierung eines vernachlässigten Stadtplatzes beigetragen hat.

3. März 2010 - Karl R. Kegler
»Hoor hier bonkt het nieuwe hart van Rotterdam.« Der komplett eingerüstete Kirchturm der Sint Laurenskerk ist mit einem Megaposter verkleidet: »Hör' hin, hier schlägt das neue Herz von Rotterdam.« Die spätgotische Hallenkirche ist einer der wenigen historischen Bauten der Stadt, der, schwer beschädigt, den verheerenden deutschen Luftangriff vom Mai 1940 und den späteren Wiederaufbau überstanden hat. Auf den freigeräumten Flächen rund um die Kirche entstand in der Nachkriegszeit eine vollkommen neue Stadtstruktur, die mit niedrigen Ladenzeilen und Fußgängerzonen den damaligen städtebaulichen Leitbildern folgte. Der jetzige Grotekerkplein war einst ein dicht bebautes mittelalterliches Viertel. Heute rahmt eine heterogene Randbebauung mit vier- bis elfgeschossigen Häusern den in der Wiederaufbauperiode neu geschaffenen Platz. Die Westseite wird vom Delfsevaart-Kanal begrenzt, an dem die Schornsteine eines angrenzenden Industriebetriebs weiße Dampfwolken in den Himmel blasen.

Ein Geschenk für die Stadt

2004 ergriff der Rotterdamer Rotary-Club, der damals ein Jubiläum feierte, die Initiative zur Reaktivierung des vernachlässigten Stadtplatzes. Die erste Idee bestand darin, einen Musikpavillon zu stiften, der die wenig genutzte Fläche zwischen zwei Einkaufsstraßen beleben sollte. Aus einem kurzfristig organisierten Wettbewerb, der sich bewusst an junge Rotterdamer Architekturbüros wandte, ging das Atelier Kempe Thill als Sieger hervor.

»Einen Platz mittels Veranstaltungen zu beleben, funktioniert immer«, erklärt Büropartner Oliver Thill die realisierte Entwurfsidee. »Uns ging es darüber hinaus darum, durch das zusätzliche Volumen einen stadträumlichen Abschluss zu schaffen.« Wo der Grotekerkplein an den Kanal grenzt, rahmt das »stadspodium« heute den Blick auf die gegenüberliegende Seite, ohne den Ausblick auf die nüchterne Rückfront einer sechsgeschossigen Zeilenbebauung auf der anderen Seite zu verstellen. Das offene Bauwerk funktioniert von beiden Seiten wie ein überdimensionales Fenster oder ein Filter, der zwischen Platz und Wasser gekonnt vermittelt und die Grenze zwischen den unterschiedlichen Räumen akzentuiert.

Das Podium besteht aus einer 40 m langen, 50 cm hohen Sichtbetonplattform. Auf den beiden Enden dieses 5 m breiten Sockels »sitzen« zwei mit Metallgeflecht verkleidete Würfel, die alle Funktionen aufnehmen, die zum Bespielen des Bauwerks notwendig sind. Das zwischen diesen Kuben über 30 m frei tragende Dach hat genau die gleiche Dicke wie die Plattform. Es besteht aus einer vorgespannten, leicht gewölbten Betonschale. Die Stichhöhe beträgt nur 15 cm.

Da das Bauwerk auch von den Fenstern der hohen Gebäude am Rande des Platzes aus makellos erscheinen sollte, wurde sein Dach zu einer fünften Fassade. Der Beton wurde geschliffen, poliert und so geformt, dass im Zusammenwirken mit der flachen Krümmung die Entwässerung über die beiden Eck-Kuben erfolgen kann. Die polierte Oberfläche benötigt keine zusätzliche Folie als wasserführende Schicht.

Entscheidend ist der Vorhang

Dass die Komposition aus geometrischen Grundformen auch etwas Monumentales ausstrahlt, erfährt, wer vor den 5 m hohen, metallverkleideten Türen der Eck-Würfel steht, die auch einem Kirchenportal zur Ehre gereichen würden. Der nördliche Kubus beherbergt Umkleideräume, eine Toilette und Lagerräume. Der südliche Kubus nimmt einen 70 m langen textilen Vorhang auf, der über Schienen im Dach um die ganze Spielfläche herumgeführt werden kann. Durch dieses Element lässt sich das Bauwerk zu verschiedenen Seiten hin öffnen oder schließen, die Breite der Bühne regulieren oder die Spielfläche in einen introvertierten Raum verwandeln.

Genutzt wird das Podium seit seiner Einweihung im April 2009 von einer Bürgerstiftung, die von Mai bis September teilweise mehrfach wöchentlich Konzerte, Schauspiel oder Tanzveranstaltungen organisiert. In der ersten Spielzeit haben die Künstler – Laiengruppen wie Profis – die Möglichkeiten des Vorhangs intensiv genutzt. Das textile Material strahlt nicht nur durch seine Assoziation zur Theaterbühne eine faszinierende Wirkung aus. Im Spiel von Sonne, Schatten und Wind verwandelt sich die Open-Air-Bühne in ein bewegtes Kunstwerk. Da Vandalismus in Rotterdam wie in allen Großstädten ein Problem darstellt, wird der Vorhang allerdings nur während der Aufführungszeiten hervorgeholt. Auch bei der Planung der übrigen Bauteile mussten die besonderen Beanspruchungen einer Nutzung im öffentlichen Raum bedacht werden. Das robuste Edelstahlgeflecht, das die Würfel umkleidet, bietet wenig Anreiz zum Anbringen von Graffiti. Der Sichtbeton wurde mit einer speziellen Beschichtung vor Verschmutzungen geschützt. Die Spuren von Skateboards und BMX-Rädern auf der Bühne zeigen trotz dieser Vorkehrungen, dass das Podium auch außerhalb der organisierten Vorführungen intensiv in Anspruch genommen wird.

Mit der Errichtung des Pavillons wurde auch der öffentliche Raum um die Sint Laurenskerk neu gestaltet. Entwurf und Ausführung übernahm die Gemeinde Rotterdam, während Kempe Thill als Berater fungierten. Die städtischen Planer verwendeten als Pflasterung den gleichen Backstein und die gleichen Stadtmöbel, die überall in Rotterdam Verwendung finden, so dass der Platzgestaltung eine unauffällige Selbstverständlichkeit eigen ist. Ein wesentliches Anliegen war, die Platzmitte und das Umfeld der Bühne von Straßenlaternen und Installationen frei zu halten. Um den Platz trotzdem ausreichend ausleuchten zu können, wurde ein 15 m hoher Mast installiert, der die Platzmitte mit Scheinwerfern beleuchtet. Auf der Westseite am Kanal fungiert das stadspodium selbst als Straßenbeleuchtung. Strahler sind in die Decke des Podiums integriert und hinter dem Metallgewebe der beiden Eckwürfel Neonleuchten angebracht, die für ausreichendes Licht sorgen und das Gebäude in den Abendstunden in eine Lichtskulptur verwandeln.

Dem Bühnenpavillon gelingt es erfolgreich, in einem extrem heterogenen Umfeld als gestalterische Klammer zu wirken. Dies hat entscheidend mit Dimensionen und Materialität des Bauwerks zu tun. Die zurückgenommene Farbigkeit – der Beton ist mit einem Titanoxid-Zuschlag versehen, der über die Jahre immer weißer wird – korrespondiert mit einem Umfeld, als deren einziges gemeinsames Merkmal eine karge, moderne Nüchternheit auszumachen ist. Auch die große Dimension ist Vorbedingung, um überhaupt Wirkung in einem Umfeld ausüben zu können, das durch das Nebeneinander großer Volumen bestimmt ist. Als Veranstaltungsplattform bietet das Podium weit mehr Raum als erforderlich.

Die Mehrdeutigkeit und »Neutralität« der Großform lädt zur Aneignung durch unterschiedliche Nutzungen ein. Sie bietet einen Rahmen, der auch den alltäglichen Besucher erheben und in eine aktive Position bringen möchte. Die Büropartner Andre Kempe und Oliver Thill, die über Dresden und Tokio ihren Weg nach Rotterdam fanden, fühlen sich als »Schinkel-Fans« in diesem Umgang mit großen Proportionen einer langen Tradition verpflichtet: »Öffnung, Vorhang und Rahmen sind letztlich klassische Themen der Architektur.«

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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