Bauwerk

Kathedrale „Our Lady of the Angels“
Rafael Moneo - Los Angeles (USA) - 2002

Kirchenraum als Stadtraum

Seit mehreren Jahrzehnten schon ist Downtown Los Angeles die ehemalige Vormachtstellung als traditionelles, städtisches Zentrum innerhalb der weitflächigen Metropole und ihren zahlreichen kompetitiven Zentren abhanden gekommen.

29. Januar 2003 - Gudrun Hausegger
Seit den 1980er und vermehrt 1990er Jahren buhlt das Areal mit zahlreichen größeren und kleineren Sanierungsmassnahmen und mit spektakulären Projekten (wie z. B. Frank Gehrys Disney Concert Hall) um die politische und wirtschaftliche Führungsrolle.

Rafael Moneos Kathedrale „Our Lady of the Angels“, und die Entscheidung sie an einer Stadtkante Downtowns zu platzieren, reagiert auf die Zeichen einer wiedergewonnenen Hegemonie und setzt im Gegenzug einen städtischen Akzent.


Sakrale Fußgeherzone

Als Fußgänger Los Angeles unter „freiem Himmel“ zu erleben ist selten. Zu sehr ist das Leben auf Shopping Mall-Besuche und Autofahrten abgestimmt. So kann das Angebot, die Stadt im Gehen zu erleben, in geradezu Unheimliches umschlagen. Einen solchen Stadtraum, eingebettet in tosendem Verkehr, stellt die neue Kathedrale für Los Angeles, eingeweiht im September 2002, bereit und geht somit über ihre Funktion als reiner Sakralbau hinaus.

Ursprünglich war geplant, die neue Kathedrale, für die über vier Millionen zählende katholische Gemeinde der Erzdiözese Los Angeles (der größten der USA), an Stelle der 1876 erbauten Kathedrale St. Vibiana zu errichten, die durch das Erdbeben im Jahre 1994 stark beschädigt worden war.


Prominente Wettbewerbsrunde

Die lokale Organisation von Denkmalschützern (LA Conservancy) jedoch intervenierte, und St. Vibiana blieb erhalten. Ein Auswahlkomitee ermittelte mögliche Architekten für den Bau einer neuen Kathedrale und brachte aus einer längeren Liste - Santiago Calatrava und Robert Venturi miteingeschlossen - neben dem Spanier Moneo die amerikanischen Architekten Frank Gehry und Thom Mayne in die Endrunde.

Sylvia Lavin, Mitglied des Komitees und Vorsitzende der Architekturabteilung an der University of California in Los Angeles, erklärt die Wahl der Finalisten mit Bezugnahme auf deren formale Ausdrucksmöglichkeiten, deren Verständnis für den Kontext Los Angeles und für die katholische Ikonografie mit ihren räumlichen Besonderheiten. Das letzte Wort sprach jedoch Kardinal Roger Mahony, der 1996 Moneo mit dem Bau der Kathedrale beauftragte.


Kontext und Rückzug

Die Kathedrale solle die Rolle übernehmen, die die Kirche als städtisches Gebäude traditioneller Weise im urbanen Kontext hatte, meinte der Kardinal. Daher bevorzugte er ihre Lage in Downtown, im Umfeld von Kultur und Administration. Sechs Plätze, alle an der Peripherie Downtowns gelegen, kamen in Frage.

Das gemeinsame Anliegen von Kardinal und Architekt spiegelt sich im letztendlich ausgewählten 2,2 ha großen Gelände wieder: Eingeschlossen von drei Verkehrsadern des Downtown Straßennetzes und dem Hollywood Freeway, liegt es gegenüber dem weitläufigen Komplex des Civic Centers, am Beginn des sogenannten „Kulturkorridors“ der Grand Avenue (auf der, ein Block von der Kathedrale entfernt, Gehry's Disney Concert Hall im Entstehen ist) und in unmittelbarer Nähe des historisch aufgeladenen Bunker Hills. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Areals war auch die Anbindung an den Highway und die Sichtbarkeit der Kathedrale von diesem.


Vorbild Missionsstation

Moneo, seit 1976 im Zuge zahlreicher Professuren mit den USA vertraut und dort auch baulich tätig (Davis Museum in Wellesley, 1993; Museum of Fine Arts in Houston, 2000), stellte 1990 im Rahmen eines Vortrages fest, dass kontextuelles Bauen in Los Angeles bedeute, den Kontext zu negieren. Er selbst jedoch, in seinen Projekten immer bedacht auf Kontext und Geschichte, wird sechs Jahre später in der Stadt der „Bewegung und Veränderung“, so Moneo, sehr wohl auf Umfeld und Historie reagieren: Mit seinen ihm eigenen klaren und monumentalen Formen interpretiert er die südkalifornische Missionsarchitektur; den horizontal geschichteten Betonquadern verleiht er durch eine speziell abgestimmte Sandmischung den Anklang an Adobe Material.


Öffentlicher Platz

Moneo, geübt im urbanen Kontext zu gestalten, schob die Kathedrale an das Westende des ansteigenden Geländes und brachte das Konferenzzentrum und den Wohntrakt für Kardinal und Besucher im Osten unter.

In einer Art „zeitgenössischer“ Prozession, die von der Parkgarage, über Café und „Giftshop“ auf einen kleineren, tiefergelegenen Platz führt, erreicht man die 5.000 Personen fassende Plaza. Schon bald nach der Eröffnung der Kathedrale wurde sie von der Bevölkerung, unterstützt durch das rege Veranstaltungsprogramm von Diözese und Konferenzzentrum, als öffentlicher Raum angenommen.


Tradition und Invention

Konfrontiert mit der Aufgabe eine Kathedrale zu bauen, die die nächsten 500 Jahre überdauern soll, wurde die komplexe Geometrie des Gebäudes und ihre seismische Widerstandsfähigkeit in 3-D-Modellen am Computer kalkuliert. Die Kathedrale ruht nun auf 200 elastomerischen Trommeln, die im Falle eines Erdbebens eine horizontale Verschiebung des gesamten Gebäudes von 69 cm erlauben.

Alle Materialien wurden darüber hinaus auf ihre Belastbarkeit getestet. Besonders der Wahl des konzeptionell wichtigen Alabasters gingen zahlreiche zyklischen Hitzetests und Strukturüberprüfungen voran. Doch um mit Moneo selbst zu sprechen, im Grunde ist „ästhetische Transzendenz der einziger Ausweg, dass Kunst oder Architektur in einer Stadt, die nicht an Beständigkeit glaubt, überleben kann.“


[Den ungekürzten Originalbeitrag von Gudrun Hausegger finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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