Bauwerk

Wohnbebauung Hauptbahnhof – Sonnwendviertel
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2013
Wohnbebauung Hauptbahnhof – Sonnwendviertel, Foto: Geiswinkler & Geiswinkler ZT GmbH
Wohnbebauung Hauptbahnhof – Sonnwendviertel, Foto: Geiswinkler & Geiswinkler ZT GmbH
9. Mai 2014 - Az W
Auf dem Eckgrundstück war ursprünglich ein geschlossener Winkel als Baukörper vorgesehen. Hofseitig hätte der Winkel zu ungünstigen Belichtungssituationen geführt – sowohl für die zum Hof hin orientierten Wohnungen als auch für die hofseitigen Freiräume (Balkone, Gemeinschaftsgarten). Die Architekten entschieden sich für zwei getrennte Baukörper, die über eine ausgedehnte Erdgeschosszone miteinander verbunden sind. Auffallend ist die großzügige Dimensionierung und Belichtung der Erschließungswege.

Der Bauherr hat in Wien sein Engagement für hochwertigen Wohnraum bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Die Wohnhäuser bieten den Mietern stets einen Mehrwert, der über die Bereitstellung von Wohnnutzfläche weit hinausreicht, z.B. mit Privatgärten in luftiger Höhe (Wohnhaus „stratisfied townscape“, Wien, von HOLODECK architects) oder einem Wohnhaus, dessen Loft-Wohnungen einem begehbaren Tetris-Spiel gleichen (City Lofts, Wien, von Delugan Meissl). Beim Wohnhaus im Sonnwendviertel kommt die ausgeprägte Kunstaffinität des Bauherrn zum Tragen. Der Begriff „Kunst am Bau“ erfährt in diesem Haus eine neue Dimension: der Gang im Erdgeschoss, das Atrium, sogar der Kinderspielplatz im Freien sind allesamt mit Kunstwerken aus der Sammlung des Bauherrn bestückt. Einige Kunstwerke stellen einen Bezug zur Geschichte des Ortes – dem Eisenbahngelände – her. Begleitende Infotafeln sucht man vergebens, lieber nicht zu viel Aufsehens darum machen, wessen Kunst hier ausgestellt ist.

Der Erschließungsgang im Erdgeschoss, der beide Bauteile miteinander verbindet, ist mit einer raumhohen Verglasung zum hofseitigen Freiraum hin orientiert. Der großzügig dimensionierte Gang lässt noch Platz für einen Sockel, der sich entlang der Außenmauer über mehrere Meter erstreckt. Dieser Sockel kann als Ausstellungsfläche und Sitzgelegenheit dienen. Ein weiterer Banksockel befindet sich in einer Nische in unmittelbarer Nähe einer ausgestellten Skulptur. Wand- bzw. Nischensockel als architektonisches Detail am sprichwörtlichen Rande sind selten, denn wo man sich aufhalten kann, fällt Schmutz an. Deshalb werden Zwickel und Begleitflächen häufig mit ästhetisch zwar ansprechenden, funktional jedoch unbrauchbaren Schrägen „gefüllt“. Noch sind die Sockel strahlend weiß. Eine schmutzabweisende Farbe soll sicherstellen, dass sie auch künftig sauber bleiben.

Oberlichten versorgen das Stiegenhaus vom obersten Stockwerk bis zum Erdgeschoss mit Tageslicht. Im Dachgeschoss fällt die angenehme Temperierung auf: trotz durchgehender Oberlichten und Sonneneinstrahlung kommt es zu keiner Überhitzung. Ein vollautomatischer Mechanismus öffnet bzw. schließt die Gangfenster, abhängig von der vorherrschenden Temperatur.

Die insgesamt 94 Wohnungen sind kompakt, als 3-Zimmer Wohnungen mit ca. 75 m² Nutzfläche ausgeführt. Baulich sind die Wohnungen derart gestaltet, dass sie um zusätzliche Räume erweitert und auch beidseitig orientiert werden können – vorausgesetzt die Nachbarwohnung ist bereit, auf den Raum zu verzichten. Die leichte Adaptierbarkeit der Wohnungen und die Zuschaltbarkeit von Räumen erleichtern vor allem den Alltag von Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Das Konzept sieht auch eine Koppelung von Nutzungen unterschiedlicher Art (Arbeitsraum oder Ordination neben der Wohnung) vor.

Alle Wohnungen sind mit wohnungsbezogenen Freiräumen ausgestattet. Die Loggien erstrecken sich über die gesamte Stirnseite und verfügen über eingehängte, quadratisch auskragende Balkone, die in der Vertikalen zueinander versetzt sind, sodass ein Aufenthalt unter freiem Himmel ermöglicht wird. Die Ausführung erfolgte in Sichtbeton. Farbe als gestalterisches Mittel wird von den Architekten zurückhaltend eingesetzt. Die Farbpalette des Wohnbaus ist „entsättigt“ und bietet eine Palette an Grautönen, von silbergrau (Fassadenpaneele) über „greige“ (grau beiger Sichtbeton) und anthrazit (emaillierte Fensterprofile). Die Architekten vertrauen darauf, dass die Bewohner zahlreiche Farbakzente auf den Balkonen und Loggien beisteuern werden. Tatsächlich reicht die Beitrag der Nutzer auf den Loggien über bloße Farbtupfer hinaus.

Loggien bieten den Mietern einen Erweiterungsraum, der mit Fenstereinbauten häufig dem Wohnraum „zugeschlagen“ wird. Das äußere Erscheinungsbild von Wohngebäuden wird damit maßgeblich verändert. Je filigraner und gläserner Loggien gestaltet sind, desto eher wird das zu Grunde liegende architektonische Konzept mit den Loggien-Einbauten zerstört. Beim Wohnbau von Geiswinkler & Geiswinkler bilden massive Pflanztröge aus Sichtbeton den äußersten Abschluss der Fassade. Gleichgültig, wie intensiv die Balkone und Loggien künftig verändert werden, die Pflanztröge garantieren, dass die Architekten das letzte Wort behalten werden. (Text: Martina Frühwirth)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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