Bauwerk

Whitney-Museum
Renzo Piano Building Workshop - New York (USA) - 2014
Whitney-Museum, Foto: Nic Lehoux / ARTUR IMAGES
Whitney-Museum, Foto: Nic Lehoux / ARTUR IMAGES

Die Avant­gar­de kehrt zu­rück

In New York öff­ne­te der von Ren­zo Pia­no ent­wor­fe­ne Neu­bau für das Whit­ney Mu­se­um ge­stern, am 1. Mai, sei­ne Pfor­ten. Da­mit ist Ame­ri­kas re­bel­li­sche Kunst geo­gra­fisch wie­der dort, wo die Up­perc­lass-Re­ne­ga­tin Ger­tru­de Van­der­bilt Whit­ney sie einst för­der­te. Die Bo­he­me kann sich die Ge­gend längst nicht mehr leis­ten.

2. Mai 2015 - Frank Hermann
Ren­zo Pia­no sitzt zwi­schen Wän­den aus Glas, den Blick nach drau­ßen, zu den Hoch­bahng­lei­sen der High Li­ne, und re­det von den Ach­ter­bahn­fahr­ten der Ge­schich­te. Ob man das wis­se, ei­ni­ge der hel­len Kie­fern­die­len im Haus stamm­ten aus ei­ner al­ten Zi­ga­ret­ten­fa­brik, Phi­lip Mor­ris in North Ca­ro­li­na. Aus­ran­giert mit der Kri­se der Ta­bak­bran­che, heu­te für Kunst wie­der­ver­wen­det, so et­was fas­zi­nie­re ihn. Oder die Wan­de­rung, die das Mu­se­um hin­ter sich ha­be. Erst Downt­own, dann Up­town, nun zu­rück nach Downt­own. „Der Kreis schließt sich“, sagt der 77-jäh­ri­ge Ar­chi­tekt mit ei­ner Stim­me, die so dünn ist, dass man sehr nah her­an­rü­cken muss, um ihn zu ver­ste­hen.

Pia­no hat dem Whit­ney Mu­se­um of Ame­ri­can Art ein neu­es Ge­bäu­de er­rich­tet, im Me­at­pa­cking Dis­trict, dicht am Hud­son Ri­ver, in ei­nem der an­ge­sag­tes­ten Vier­tel Man­hat­tans. Ein Misch­masch von ei­nem Ge­bäu­de, mo­nie­ren sei­ne Kri­ti­ker. Nä­hert man sich von Nor­den, lässt es an ein Kran­ken­haus oder ei­ne Phar­ma­fa­brik den­ken, ein­för­mig und ste­ril mit sei­ner matt schim­mern­den Me­tall­haut. Von der Was­ser­sei­te im Wes­ten her wirkt es mit ein we­nig Fan­ta­sie wie ein Schiff, das am Ufer auf Grund ge­lau­fen ist. Von Os­ten, wo die Back­stein­fass­aden der Gan­se­voort Street eng­li­sches Flair ver­strö­men, sieht man ei­nen Wirr­warr aus Ter­ras­sen und Trep­pen, grau­en In­dus­trie­stahl, ein Ge­flecht, das an New Yorks be­rühmt­e Feu­er­lei­tern er­in­nert.

Es man­gelt nicht an Spott

Wie im­mer, wenn in die­ser Stadt ein pro­mi­nen­tes Bau­werk ein­ge­weiht wird, man­gelt es nicht an Spott. Im Ma­ga­zin New York läs­tert ei­ner, „das Ding könn­te in Ikea-Kar­tons an­ge­lie­fert wor­den sein, nur dass man die Ein­zel­tei­le ver­blüf­fend falsch zu­sam­men­ge­setzt hat“. „Na ja, Jour­na­lis­ten“, sagt Pia­no, lä­chelt lei­se und er­klärt sei­ne Phi­lo­so­phie. Wich­tig sei ihm ge­we­sen, Mu­se­um und Stadt zu ver­bin­den. Die Stadt ins Mu­se­um zu ho­len, statt ihr den Rü­cken zu keh­ren.

Von zwei Sei­ten flu­tet Licht in die Räu­me. Die Aus­sicht ist so spek­ta­ku­lär, dass sich man­che schon fra­gen, ob das Whit­ney nicht eher ei­ne Pa­no­ra­ma­platt­form mit Bil­dern wird als ei­ne Bil­der­samm­lung mit Pa­no­ra­ma. Von ei­nem aus­la­den­den Glas­bal­kon im fünf­ten Stock, dem größ­ten von acht Eta­gen, geht der Blick über den Hud­son zur Frei­heits­sta­tue, da­hin­ter die Sub­ur­bia-Welt New Jer­se­ys.

Auf der an­de­ren Sei­te geht er über Dä­cher vol­ler Kli­maan­la­ge­käs­ten, über gel­be Ta­xis und das pul­sie­ren­de Stra­ßen­ge­wirr im Wes­ten Man­hat­tans aufs Emp­ire Sta­te Build­ing. Links ein Ho­tel na­mens Stan­dard, das über den Hoch­be­eten der High Li­ne auf­ragt wie das auf­ge­schlag­ene Buch ei­nes Rie­sen. Da­vor die La­de­ram­pe von Weich­sel Beef, ein ein­sa­mer Be­weis da­für, dass hier ein­mal in gro­ßem Stil Vieh zer­legt wur­de. Über­all Bau­krä­ne. Und Rek­la­me­pos­ter, die für mil­lio­nen­teu­re Ei­gen­tums­woh­nun­gen wer­ben. Di­rekt am Whit­ney en­det die High Li­ne, ei­ne Bahn­li­nie, auf der von 1934 bis 1980 Gü­ter­zü­ge ver­kehr­ten. Ru­dy Giu­lia­ni, ein Bürg­er­meis­ter, der die ro­sti­ge Rui­ne als Schand­fleck emp­fand, woll­te sie ab­rei­ßen las­sen.

Schwim­men ge­gen den Strom

Jos­hua Da­vid und Ro­bert Ham­mond, der ei­ne Jour­na­list, der an­de­re Pro­gram­mie­rer, ret­te­ten sie, in­dem sie ei­ne Bürg­er­ini­tia­ti­ve grün­de­ten und mit der Zeit pro­mi­nen­te Für­spre­cher und be­tuch­te Spen­der ge­wan­nen. Was für ein Schwim­men ge­gen den Strom das an­fangs war, schil­dern sie in ih­ren High-Li­ne-Me­moi­ren: „Ei­ni­ge Leu­te sa­hen die Tras­se als die­ses fins­te­re Ding, un­ter dem man am be­sten hin­durch­rann­te, woll­te man kei­nen Tau­ben­dreck ab­be­kom­men.“

Künst­ler lieb­ten den mor­bi­den Char­me des Ver­falls, doch mit dem High-Li­ne-Boom ist die Ge­gend so teu­er ge­wor­den, dass sich die Bo­he­me das Me­at­pa­cking Dis­trict schlicht nicht mehr leis­ten kann. Über den Park auf Stel­zen, zu dem sich die Gleiss­tre­cke ent­wi­ckel­te, fla­nie­ren pro Jahr fünf Mil­lio­nen Be­su­cher. Die Krea­ti­ven sind wei­ter­ge­zo­gen, wäh­rend Edel­bou­ti­quen und Gour­me­tres­tau­rants das Stra­ßen­bild prä­gen. Es wirkt, als wä­re Pia­no ein biss­chen spät zur Par­ty ge­kom­men, ob­wohl doch die Rück­kehr der Bo­he­me an ih­ren Aus­gang­spunkt ein zen­tra­les Mo­tiv des neu­en Whit­ney ist.

Le­ger auf dem So­fa in Ho­sen

Ein paar Stra­ßen nach Os­ten, im Green­wich Vil­la­ge, da­mals un­an­ge­pass­te Downt­own, grün­de­te Ger­tru­de Van­der­bilt Whit­ney 1907 ein Ate­lier. Er­bin ei­ner der wohl­ha­bend­sten Fa­mi­li­en Ame­ri­kas, ver­hei­ra­tet mit dem Ge­schäfts­mann Har­ry Pay­ne Whit­ney, rieb sie sich an der „gro­ßen Stag­na­ti­on des Reich­tums“, wie sie das so­zia­le Kor­sett ih­rer Krei­se cha­rak­te­ri­sier­te. Frei­räu­me such­te sie in ei­nem Stu­dio, in dem sie sich selbst als Bild­haue­rin ver­such­te, das zu­gleich Künst­ler­sa­lon war und aus dem 1931 das nach ihr be­nann­te Mu­se­um her­vor­ging. Ed­ward Hop­per hat dort Akts­tu­dien ge­zeich­net, sie sind eben­so Teil der heu­ti­gen Samm­lung wie das Ge­mäl­de von Ro­bert Hen­ri, das Mrs. Whit­ney le­ger auf ei­nem So­fa zeigt. Ihr Gat­te er­laub­te ihr nicht, das Bild zu Hau­se auf­zu­hän­gen, denn sie ist da­rauf in Ho­sen zu se­hen.

In den Fünf­zi­ger­jah­ren zo­gen die Ga­le­rien der Up­perc­lass-Re­bel­lin an die vor­neh­me Up­per East Si­de, wo ih­nen ab 1966 ein re­so­lut mo­der­ner Ent­wurf des Bau­haus­ve­te­ra­nen Mar­cel Breu­er als Do­mi­zil dien­te: ei­ne Art um­ge­stülp­te Stu­fen­py­ra­mi­de. Pia­nos Whit­ney, be­tont der Mu­se­ums­di­rek­tor Adam Wein­berg, hat sei­ne Aus­stel­lungs­flä­che ge­gen­über dem al­ten fast ver­dop­pelt, ein Lu­xus in Man­hat­tan mit sei­ner chro­ni­schen Platz­not. Im In­nern stört kei­ne Säu­le, Trenn­wän­de las­sen sich nach Be­lie­ben ver­schie­ben. „Künst­ler brau­chen Fle­xi­bi­li­tät, sie brau­chen Frei­heit“, strickt der Meis­ter da­raus ei­nen Leit­satz, wäh­rend sei­ne As­sis­ten­tin hek­tisch zum Auf­bruch drängt, weil ein Fern­seh­te­am aus Frank­reich schon zu lan­ge war­tet.

Als Eu­ro­pä­er, sagt Ren­zo Pia­no, sei er stolz auf die gro­ße Kul­tur, die rei­che Tra­di­ti­on des Al­ten Kon­ti­nents. Aber den Frei­heits­geist sym­bo­li­sie­re nun ein­mal Ame­ri­ka mit sei­nen un­end­li­chen Wei­ten, und das ha­be er ir­gend­wie ein­zu­fan­gen ver­sucht.

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