Bauwerk

Stedelijk Museum
Benthem Crouwel - Amsterdam (NL) - 2012
Stedelijk Museum, Foto: Thomas Mayer / ARTUR IMAGES
Stedelijk Museum, Foto: Thomas Mayer / ARTUR IMAGES

Eine Badewanne fällt ins Wasser

Das Stedelijk Museum in Amsterdam öffnet nach acht Jahren wieder seine Pforten. Kann es an seine besten früheren Zeiten anschließen?

29. September 2012 - Anneke Bokern
Acht Jahre lang war das Stedelijk Museum in Amsterdam geschlossen. Am vergangenen Wochenende hat das Gebäude, das einst als eines der bedeutendsten Museen für moderne Kunst in Europa galt, wieder geöffnet. Der auffällige Erweiterungsbau von Benthem Crouwel Architects ist im Volksmund schon als „Badewanne“ bekannt. Zwar ist das wuchtige Gebilde mit weißer Hochglanzhaut, das der Rückseite des Altbaus plakativ entwächst, umstritten, aber in der Grachtenstadt freut man sich vor allem darüber, dass das Museum endlich wieder funktionstüchtig ist.

Das 1895 eröffnete „Städtische Museum“ - so die wörtliche Übersetzung - besitzt eine umfangreiche Sammlung moderner Kunst von den Impressionisten über die Nachkriegsmoderne bis hin zur Gegenwart. Berühmt ist es vor allem für seine Malewitsch-Sammlung sowie für seine großen Videokunstbestände, aber auch für Werke niederländischer Künstlergruppen wie De Stijl und CoBrA.

Allein, nachdem es in den 1970ern und 1980ern eines der angesagtesten Museen Europas war, verlor es dann zusehends den Anschluss an aktuelle Entwicklungen. Immer lauter wurden die Stimmen, die dem damaligen Direktor Rudi Fuchs eine allzu eigenwillige, wenig zeitgemäße Sammlungs- und Ausstellungspolitik vorwarfen. Gleichzeitig entspann sich eine kulturpolitische Posse um die Erweiterung des Museumsbaus, die erst jetzt ihr Ende gefunden hat.

Schon die letzten 20 Jahre hatte sich der Stammsitz des Museums als zu klein und vor allem als höchst renovierungsbedürftig erwiesen. 1992 wurde daher der US-Architekt Robert Venturi mit einem Erweiterungsentwurf beauftragt. Doch als der erste Gründungspfahl in den sandigen Amsterdamer Boden gerammt war, befand man den Entwurf plötzlich für viel zu teuer. Fuchs bestellte einen kostengünstigeren Entwurf beim portugiesischen Meister der feinen Klinge, Álvaro Siza. Dieser entwarf einen Komplex aus minimalistischen weißen Kuben, die um mehrere Patios organisiert und über zwei gläserne Gänge mit dem Altbau verbunden werden sollten. Auch für diese Version fehlte das Geld. In den folgenden Jahren wartete Fuchs mit immer neuen, fruchtlosen Vorschlägen zur Finanzierung auf, bis der Stadtrat den Plan Ende 2002 endgültig vom Tisch fegte. Woraufhin der Direktor seinen Job schließlich an den Nagel hängte. Ein Jahr später musste der Altbau von heute auf morgen aus feuerpolizeilichen Gründen geschlossen werden - und hier beginnt die Geschichte um das aktuelle Haus: 2004 wurde ein Wettbewerb für die Renovierung und Erweiterung des Altbaus ausgeschrieben, aus dem Benthem Crouwel Architects mit der weißen Badewanne als Gewinner hervorgingen. Es war das mit Abstand gewagteste Projekte unter allen eingereichten Beiträgen.

Lange Seifenoper

Doch damit war die Seifenoper noch lange nicht vorbei. Aufgrund technischer Probleme und durch den Bankrott eines Generalunternehmers verzögerte sich der Bau um weitere vier Jahre. 2008 hätte er fertig sein sollen. Stattdessen musste das Museum sein temporäres Unterkommen verlassen und verschwand vier Jahre lang völlig aus dem Stadtbild. Letztendlich hat das gesamte Projekt 127 Millionen Euro gekostet - 37 Millionen mehr als geplant. Man kann sich vorstellen, was für ein Seufzer der Erleichterung durch die Amsterdamer Kunstwelt ging, als das Stedelijk Museum letzte Woche endlich wiedereröffnet wurde. Dass nun ein überdimensionales Badezimmermöbel am ehrwürdigen Museumplein steht oder eher schwebt, scheint da fast zweitrangig. An den backsteinernen Altbau schließt auf Höhe der Dachlinie ein vierzig Meter tiefes Kragdach an und stülpt sich zu einem schüsselförmigen Volumen aus. Die Verkleidung besteht aus Komposit-Paneelen, die aus einem Kunststoffharz und der Synthetikfaser Twaron gefertigt wurden. Ein weißes Hochglanz-Coating sorgt dafür, dass die Fassade beinahe glitschig glatt wirkt.

Der Raum darunter ist völlig verglast und dient als neues Foyer, das in die davorgelegene „Piazza“ übergeht. Ob Letztere diese Bezeichnung verdient? Bisher ist sie vor allem ein zugiger Restraum zwischen Museum, Warenaufzugsschacht und wenig attraktiver Supermarkt-Rückseite. Bemerkenswert allerdings, dass das Stedelijk damit seinen Haupteingang von der Straßenseite an den Museumplein verlegt hat. Das benachbarte Van Gogh Museum weist der grünen Museumsmeile noch immer den Rücken.

Vom Foyer aus betrachtet ist der Neubau deutlich als separates Gebäude erkennbar. Der Altbau wird nur an wenigen Stellen berührt. Im Untergeschoß, das sich bis unter den Vorplatz erstreckt, liegen ein großer Ausstellungssaal, die Bibliothek sowie ein Infozentrum. Von dort führt eine lange Rolltreppe direkt ins Obergeschoß, wo sich ein weiterer Ausstellungssaal befindet. Im Foyer tritt der Rolltreppen-Schacht als rätselhafte gelbe Röhre in Erscheinung. Etwas ungelenk durchkreuzt sie den Raum.

Auch sonst ist das Foyer nicht gerade die Schokoladenseite des Gebäudes, verströmt es doch aufgrund der kühlen Farb- und Materialwahl weniger Museumsflair als kühle Flughafenatmosphäre. Benthem Crouwel Architects sind vor allem als Entwerfer mehrerer Bahnhöfe und des Flughafens Schiphol bekannt. Fragt man jedoch Chefarchitekt Mels Crouwel, so ist das Foyer das Herzstück des neuen Entwurfs: „Wir wollten eigentlich vor allem einen großen Eingang mit einem Kragdach und einer besonderen Materialisierung gestalten. Man könnte beinahe übersehen, dass auch noch neue Museumssäle hinzugekommen sind.“ Dabei scheint die Gestaltung dieser Säle in ihrer Einfachheit viel gelungener. Sowohl im Alt- als auch im Neubau wurden die Räume mit weißen Wänden und Eichenholzboden versehen. Während der Übergang von Alt zu Neu von außen penetrant ins Auge springt, ist beim Ausstellungsbesuch kaum etwas zu merken. Eines muss man dem neuen Stedelijk Museum lassen: Als White Cube taugt es durchaus. Zur Eröffnung präsentiert Ann Goldstein, seit 2010 Direktorin des Museums, in den vergleichsweise kleinen Sälen des Altbaus die Sammlung in chronologischer Form, während in den 3400 Quadratmeter großen neuen Ausstellungsräumlichkeiten jeweils eine Ausstellung mit Werken zeitgenössischer Künstler zu sehen ist.

Ob es selbst ein Werk zeitgenössischen Könnens ist? Mitnichten. Im Gegensatz zum neuen, ebenfalls ikonenhaften EYE Film Institute des Wiener Büros Delugan Meissl Associated Architects (DMAA) in Amsterdam-Noord, mit dem das Stedelijk oft verglichen wird, fehlt der Badewanne ihre skulpturale Eleganz. Es bleibt beim plumpen Behältnis. Die Amsterdamer indes scheinen fürs Erste heilfroh. Sie haben ihr Stedelijk zurück - und damit auch ihre Malewitschs, De Koonings und Karel Appels. Ob das in Haus dank Ann Goldstein wieder in die internationale Weltklasse gelangt, bleibt abzuwarten.

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