Bauwerk

50Hertz Netzquartier
LOVE architecture and urbanism - Berlin (D) - 2016

Grazer Schnauze in Berlin

Einst als Boygroup mit klingendem Namen angetreten, haben die Grazer Architekten „Love“ mit der hoch ausgezeichneten Unternehmenszentrale „50Hertz“ in Berlin internationales Format erreicht.

19. Januar 2018 - Karin Tschavgova
Meine erste Begegnung mit der Gruppe „Love“ ist mir noch in guter Erinnerung. Es muss um2000 gewesen sein, als ein junger Architekt, als Deutscher rhetorisch gut geschult, in einem Vortrag ein Projekt für den arabischen Raum präsentierte – zur Schau gestellt mit erstaunlichem Selbstbewusstsein und einem Optimismus, was seine Realisierung betrifft, der für ältere Erfahrene an Naivität grenzte. Nun, das in Graz ansässige Architekturbüro Love Architecture and Urbanism gibt es immer noch (Thomas Pucher verließ das Büro 2005), und aus der smarten Boygroup mit vollmundigen Auftritten wurde ein Trio international reüssierender Architekten mit grauen Schläfen und immer noch jugendlich-unverbraucht wirkendem Habitus.

Im Oktober 2017 wurde den Architekten nun in Berlin feierlich der „DGNB Diamant“ verliehen. Es ist dies eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die ins Leben gerufen wurde, um das Thema endlich ganzheitlich zu betrachten. Dabei bewertet die Kommission, in die der Bund Deutscher Architekten und die Bundesarchitektenkammer eingebunden sind, in ihrer Nachhaltigkeitsanalyse die gestalterische und baukulturelle Qualität eines Bauwerks. Ein Kriterium stellt die Angemessenheit der Lösung der Bauaufgabe dar, worunter man sich die Maßstäblichkeit eines Gebäudes, seine Einbindung, aber auch Beständigkeit und Zeitlosigkeit vorstellen kann. Dazu kommt die Frage nach dem städtebaulichen Kontext, der jene nach der Erschließung und dem Umgang mit Freiflächen einschließt.

Keine Scheu hat man davor, die Gestalt eines Bauwerks – Proportion, Komposition, Materialität, Farbgebung und seine Anmutung – zu bewerten. Mark Jenewein, Herwig Kleinhapl und Bernhard Schönherr erhieltendie Würdigung, die weltweit erstmals vergeben wurde, für das 50Hertz Netzquartier.

Die neue Unternehmenszentrale des ehemals ostdeutschen Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz liegt in der Europacity um den Berliner Hauptbahnhof und den historischen Hamburger Bahnhof, der heute das Museum für Gegenwartskunst beherbergt. 2013, als „Love“ als eines von 18 Büros einen Wettbewerbsbeitrag abgab und den Sieg in der ersten Stufe mit dem dänischen Architekturbüro Henning Larsen teilen musste, war dieses Gebiet noch eine städtebauliche Wüste. Die Ära Stimmann, der als Senatsbaudirektor das Antlitz des modernen Berlin mit seinem Diktum nach einem „kontextuellen Städtebau im Sinne kritischer Rekonstruktion, orientiert am historischen Stadtgrundriss und an lokaler Bautypologie“, stark geprägt und auch eingeschränkt hatte, war zwar vorbei, die ersten Bauten am Areal wie der „Tour Total“ von Barkow Leibinger mit seiner monotonen Rasterfassade waren jedoch nicht dazu angetan, eine spannende Wende zu signalisieren.

Im Entwurf von „Love“ sah die Jury Innovation und entschied sich in der zweiten Stufe für ein Projekt und einen Außenauftritt, der an frühere Industrie- und Brückenarchitektur am nahe gelegenen Humboldthafen eher erinnert als an die Berliner Stein- und Lochfassaden. Das markante Tragwerk vor der Fassade bildet eine netzartige Struktur. Sie besteht aus weißen, diagonal gespannten Stahl-Beton-Verbundstützen, die autonom vor der Glasfassade liegen und so größere Gestaltungsfreiheit für Innenräume entlang der Fassade ermöglichen.

Das Transmissionsunternehmen bevorzugte, so erzählen es die Architekten, von Anfang an ihr Projekt, weil seine Erscheinung Offenheit, Transparenz und Dynamik ausdrückt. Auch die Struktur des Fachwerks, das durch Weglassen aller statisch nicht wirksamen Stützen zusätzliche Spannung erhält, wird zur Symbolik. Einzelne Stützenfolgen werden nachts beleuchtet und hervorgehoben, sodass dynamische Linien entstehen, die an Sinuskurven erinnern.

Das bis 13 Geschoße hoch gestapelte Gebäude folgt in Umfang und Volumen den Vorgaben des städtebaulichen Masterplans. Die Architekten sehen es als Regal mit supertiefen Fachebenen, die Platz schaffen für unterschiedliche Vorstellungen von Arbeitswelten. Der Grundtenor des Unternehmens für das Nutzungskonzept war, den erwünschten Wandel zur offenen, teamorientierten Arbeitsweise in Großraumeinheiten umzusetzen. Dennoch wurde ein Partizipationsverfahren eingeleitet, in dem jede Abteilung in Workshops wie bei einem Puzzle die Lage und Gestaltung ihrer Arbeitsplätze, Lounges, Rückzugs- und Besprechungsräume innerhalb der einzelnen Ebenen mit den drei fixen Erschließungskernen festlegen konnte. Aufgelockert wird die Raumstruktur durch kleine Höfe oder Loggien mit unterschiedlichem Zuschnitt, die in die gläserne Außenhaut eingeschnitten wurden.

Diese Freibereiche, die sich als Arbeitsplatz, Ort der Kommunikation oder Kurzerholung eignen, liegen nie übereinander. Jede Etage bietet Bereiche, die nicht direkt mit dem Thema Arbeit am Schreibtisch assoziiert werden. Das Ergebnis ist, dass keine Büroeinheit aussieht wie die andere und eine Atmosphäre entstehen konnte, die den Großraum verschwinden lässt. Eine Befragung der rund 500 Mitarbeiter ergab, dass niemand das Gefühl hat, auf einer 20 mal 20 Meter großen Ebene zu sitzen.

Selbst an typisch grauen Berliner Tagen strahlt das 50Hertz Netzquartier heitere Leichtigkeit aus. Man spürt, als Besucher davorstehend, dass nicht nur die Bereitstellung von Plätzen in der hauseigenen Kindertagesstätte, ein Betriebsrestaurant, Fahrradabstellplätze und Duschen für Mitarbeiter an besten Aussichtsplätzen zum kulturellen Unternehmenswandel beitragen, sondern auch das Gebäude selbst diesen zum Ausdruck bringt. Und es wird nachvollziehbar, was die Kommission des „DGNB Diamant“ unter Anmutung versteht.

Zum Gelingen des Bauvorhabens hat sicher auch das Aachener Büro Kadawittfeld beigetragen, mit dem „Love“ eine Kooperation einging, um die Fährnisse des Bauens in Deutschland ab dem Genehmigungsverfahren gut zu meistern. Der Preis für „Urbanen Wohnraum in Holz“ 2017 für die Aufstockung des Projekts „Wilder Mann“ in Graz zeigt, wo das Büro heute einzuordnen ist.

Kein Zweifel, die Boygroup ist längst erwachsen geworden, vordergründig Modisches in ihren Arbeiten kommt kaum noch vor. Ihre Passion für Architektur ist nicht geschwunden, Erfahrung und Professionalität hingegen sind sichtbar gewachsen. Keine Änderung des Büronamens, bitte!

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