Bauwerk

TWW Theater Westliches Weinviertel
t-hoch-n - Guntersdorf (A) - 2008

Baldachin, gefaltet

Ein alter Bauernhof im Weinviertel, eine Handvoll Theater-begeisterter und jede Menge Engagement: wie sich das „Theater Westliches Weinviertel“ in Guntersdorf sein Haus erneuern ließ.

14. September 2008 - Walter Zschokke
Sanft wellig dehnt sich die Landschaft des Weinviertels gegen Norden. Die landwirtschaftliche Nutzung ist weiträumig: da ein Feldrain, dort eine Hecke. Ab und an führt die Straße durch ein Dorf. Schmale Streckhofparzellen reihen sich zu beiden Seiten. Ihre Grenzen verlaufen schräg zur Straßenachse, sodass vor den Kopfbauten der niedrigen Höfe eine dreieckige Fläche bleibt. Ein kleiner Vorplatz, der heute meist asphaltiert ist. Mag sein, dass es früher einmal kleine Gärten waren.

So auch in Guntersdorf, einer Ortschaft nördlich von Hollabrunn, am Weg nach Tschechien. Doch in der regelmäßigen Struktur gleichgerichteter Streckhöfe regte es sich. Vor über zwei Jahrzehnten hatte sich eine Gruppe Menschen zusammengefunden, die Theater spielen wollten und die dies mit zunehmender Professionalisierung und großem Engagement bis heute tun. Sie nannten das Unternehmen „Theater Westliches Weinviertel“ und fanden einen alten Streckhof an der Straße, dessen 70 Meter tiefes und knapp acht Meter breites Grundstück im vorderen Teil, im ehemaligen Wohnhaus, die Garderobe, einen Proberaum und Nebenräume aufnahm, während der Theaterraum im alten Heustadel eingerichtet wurde, der zuhinterst auf dem Grundstück, direkt an der hinteren Zufahrt steht. Zwischen den beiden Teilen lag ein schmaler Hof. Die meisten Arbeiten wurden in Eigenleistung von den Theaterbegeisterten erbracht.

Der Heustadel mit dem Theater war noch einigermaßen intakt, aber die vorderen Gebäude wurden immer baufälliger und waren für den wachsenden Betrieb längst zu eng geworden. Man entschloss sich daher, einen großen Schritt zu wagen, und lud im Jahr 2005 einige Architekten zu einem Wettbewerb ein. Es siegte die Architektengruppe „t-hoch-n“, zusammen mit dem lokalen Planer Franz Fellinger junior. „t-hoch-n“, das sind Gerhard Binder, Peter Wiesinger und Andreas Pichler. Ihren Bürositz haben sie in Wien. Aber sie vermochten sich offensichtlich am besten in die Typologie des Streckhofes einzufühlen. Nach längerem Planen und der Sicherung der Finanzierung konnte im Mai 2007 mit Bauen begonnen werden. Die Projektleitung lag bei Peter Wiesinger.

Die baufälligen Gebäude im vorderen Grundstücksbereich wurden abgebrochen und durch Neubauten ersetzt, die teils eingeschoßig, im Mittelteil zweigeschoßig, der Typologie des Streckhofs folgen und so in die Dorfstruktur gut integriert sind. Als neues Element, das Vorn und Hinten verbindet, legten die Architekten ein langes, schmales Dach am Vorderhaus vorbei durch den Hof und bis vor den Theaterstadel. Die weinrot gefärbten Bretter bilden nicht nur ein Dach, sondern eher eine Art Baldachin, der mal höher, mal etwas niedriger ist, und zur Straße hin signalhaft aufgefaltet wird, damit niemand das Theaterhaus übersieht. Selbstverständlich dient das Dach auch als Witterungsschutz, doch gelang es hier mit vergleichsweise einfachsten Mitteln, eine Festlichkeit zu erzeugen, die mit der Architektur des einfachen Vorderhauses allein nicht zu schaffen gewesen wäre.

Obwohl die leichte Konstruktion in Metall und Holz nicht sehr aufwendig ist, vermag die dematerialisierende Wirkung der Farbe einen nahezu textilen Charakter zu bewirken, womit das Baldachinartige gestärkt wird, jenes provisorisch Festliche, das an Wandertheater oder Zirkus erinnert, mithin an die Ursprünge des Theaters. Das Dach ist ein wesentliches, identitätstiftendes Element, das das Theaterambiente zur Außenwirkung bringt und die Teile zusammenhält. Ein verbliebenes Satteldach von einem Nebengebäude, dessen Wände entfernt wurden, schützt nun einen offenen Foyerbereich, der vor dem Stück und in allfälligen Pausen zum Aufenthalt einlädt.

Obwohl der Theaterraum im ehemaligen Heustadel samt dessen bestehender Holzkonstruktion nur geringfügig adaptiert wurde, verdient er Beachtung, denn er ist in dem Raum, dessen Grundriss ein Rechteck im Verhältnis 2:1 aufweist, quer organisiert, was zuerst einmal überrascht. Bei näherer Analyse zeigen sich neben dem Hauptvorteil auch eine Anzahl betrieblich günstiger Aspekte. Vor allem begeistert die Querorganisation, weil sie Akteure und Publikum in eine heftige Nahebeziehung bringt, die sich sonst kaum wo findet. Die Bühne ist breit, weist zwei Seitenteile auf, ist aber natürlich nicht sehr tief. Dafür drängen sich die fünf Sitzreihen dicht davor, zusätzliche Plätze bietet eine schmale Galerie. Für Hinterbänkler bleibt da kein Raum, denn auch der hinterste Platz liegt noch im direkten Wirkungsbereich der Aufführenden. Jeder Zuschauer wird damit Teil des Geschehens. Diese besondere Konstellation, die zum einen sicher den Zwängen der vorhandenen Struktur geschuldet war, ist jedoch zugleich ein genialer Befreiungsschlag im Sinne lebendigen Theaters.

Dass Zugänge zu Nebenräumen und das Tor zum Zufahrtsweg weiter genutzt werden können, sind positive Neben- und Sicherheitsaspekte. So sind die Kernelemente der Theatergebäude – trotz ihrer Einfachheit – von außerordentlicher Qualität, was ihren Nutzen für das Schauspiel betrifft.

Die entscheidenden Verbesserungen im Neubauteil erfassten die nun getrennten Garderoben, einen Aufenthaltsbereich, Werkstätten, eine kleine Probe- und Studiobühne und einen Wohnraum für Gastdramaturgen oder -regisseure. Alles ist sehr einfach gehalten, denn Geld war gewiss nicht im Überfluss da. Aber eben, wichtig ist, was man architektonisch daraus macht.

Seit Jahrzehnten profitiert das „Theater im Stadl“ vom Engagement der Schauspielerin und Regisseurin Franziska Wohlmann. Waren es zu Beginn Laien, die sich auf die Bühne wagten, hat sich der Charakter der Gruppe verändert. Manche werden in ihrer Begeisterung Schauspielunterricht genommen haben, um sich zu qualifizieren. Dazu gestoßen sind Schauspielerinnen und Schauspieler die dies nebenberuflich ausüben, weiters junge Leute in Schauspielausbildung sowie professionelle Darsteller.

Das Programm bietet zwei bis drei Eigenproduktionen pro Jahr, zahlreiche Gastspiele aus Kleinkunst, Kabarett und Kindertheater sowie Lesungen und Musikdarbietungen. Mit der einen oder anderen Eigenproduktion konnten sogar Gastspiele in Deutschland, Belgien, Frankreich und Tschechien bestritten werden. Man kann sich nun fragen, ob derartige Kulturleistungen für ein Dorf typisch seien. Gewiss hat es mit verbesserter Mobilität, mit der Urbanisierung des ländlichen Raumes zu tun, aber ohne die Initiative Einzelner und das Mitgehen Weiterer wäre kaum etwas entstanden. Wenn sich aber einmal eine Tradition herausgebildet und festgesetzt hat, dann ist so eine Bühne Teil der Dorf- und Regionalkultur und daher typisch – für das Dorf Guntersdorf. Der große Vorteil: Theater ist analog, es ist in der Nähe, man kann mitmachen, wenn es einen packt. Da gehört Architektur einfach dazu.

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