Bauwerk

Ambulatorium Mistelbach
RUNSER / PRANTL architekten - Mistelbach (A) - 2017
Ambulatorium Mistelbach, Foto: Rupert Steiner
Ambulatorium Mistelbach, Foto: Rupert Steiner

Der Gang als erster Therapeut

Es ist kein Geheimnis: Gebäude wirken sich auf das Wohlbefinden aus – und dafür müssen sie nicht einmal besonders originell sein. Das neue Kinderambulatorium in Mistelbach zeigt vor, wie es geht.

19. Mai 2018 - Franziska Leeb
Der Ausblick aus dem Fenster kann die Genesung beeinflussen, stellte der amerikanische Architekturprofessor und Spezialist für Healthcare Design, Roger Ulrich, 1984 fest. Im Magazin „Science“ veröffentlichte er damals Studienergebnisse, die belegten, dass Patienten, die während der Rekonvaleszenz nach einer Operation aus dem Krankenhauszimmer auf Bäume sahen, weniger lang im Spital bleiben mussten und weniger Schmerzmittel benötigten als die Vergleichsgruppe, die auf eine Ziegelwand schaute. Seine Forschungen beeinflussten fortan die Gesundheitswissenschaften und die Gestaltung medizinischer Einrichtungen. Der Begriff „Healing Architecture“ ist heute fixer Bestandteil des Repertoires von Krankenhausplanern. Ausblick in die Natur, gute Orientierbarkeit, viel Tageslicht, helle Gänge und eine ruhige Umgebung tragen zum Wohlbefinden von Patienten, Personal und Angehörigen bei – darüber herrscht kein Zweifel. Trotz mittlerweile durchaus fundierter Forschung zum Thema, zum Beispiel von Architektin Christine Nickl-Weller, die an der TU Berlin das Fachgebiet „Architecture for Health“ leitet, basiert die Gestaltung von Bauten im Gesundheitswesen nicht immer auf klaren wissenschaftlichen Fakten. Geschwungene Formen, viel Holzoptik, Lichtinszenierungen und mehr oder weniger geschmackvolle Fototapeten mögen vielleicht manchen gefallen und als schick empfunden werden, tragen aber ähnlich wenig bei wie kuriose energetische Schutzringe. Es kommt auf mehr an, wenn die Umgebung nachweislich die Gesundheit fördern oder gar die Heilung beschleunigen soll. Einschlägige Studien gibt es, man müsste sie auch anwenden.

Dass es nicht auf Dekor oder besondere Originalität ankommt, wissen ebenfalls die Architekten Christa Prantl und Alexander Runser. Rationalität und zielstrebige Konsequenz kennzeichnet seit jeher ihre Herangehensweise. Schlanke, materialminimierte Konstruktionen, ein strenges Raster und klare Geometrien sind Merkmale ihrer Arbeiten. Beim Umbau des Pavillon 6 am Wiener Otto-Wagner-Spital in eine geriatrische Abteilung haben Runser/Prantl bereits 2001 bewiesen, dass diese Methodik nicht zu einem klinischen Ambiente führen muss, sondern damit durchaus – dank guter Lichtführung und Materialwahl – ein angenehmes Milieu zu schaffen ist.

Nun hatten sie mit einem Ambulatorium in Mistelbach erneut Gelegenheit, eine kleinere Bauaufgabe auf dem Sektor der medizinischen Betreuung zu realisieren. Bauherrin ist die 1975 gegründete, aus einem privaten Verein betroffener Eltern hervorgehende Organisation „VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche“, die in neun Ambulatorien in Niederösterreich und Wien medizinisch-therapeutische Behandlung für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten und Behinderungen anbietet. In Mistelbach war die seit 25 Jahren bestehende Einrichtung zu klein geworden. Auf einem ursprünglich für Einfamilienhäuser parzellierten Areal am Stadtrand nahe dem Bahnhof entstand daher ein Neubau, der den gestiegenen Raumanforderungen gerecht wird. Runser/Prantl legten den Auftraggebern einen Holzbau nahe – aus ökologischen Gründen, wegen der Möglichkeit der Vorfertigung und daher rascheren Bauweise und weil eine eventuelle Erweiterung rascher und den Betrieb weniger störend vonstattengehen kann. Das Ambulatorium ist ihre zweite Arbeit in der Stadt. Bereits beim 2009 eröffneten Neubau des Freibades konnten sie ihren Anspruch an Präzision im großen Ganzen wie im Detail vorexerzieren.

Und wie das Freibad präsentiert sich auch die Therapieeinrichtung in nüchternem Grau, jenem unbunten Ton, den Runser/Prantl gern als Leitfarbe wählen. Er ist neutral, vermittelt eine gewisse Autorität und Stabilität, unterstützt das Konzept der konstruktiven Rationalität also auf visueller Ebene. In diesem Fall fiel das Grau etwas dunkler aus als sonst. Es wirkt dadurch weniger kühl; die Farbe changiert je nach Sonneneinfall, erscheint zu mancher Zeit als warmes sattes Braun und trägt dazu bei, den flachen Bau durch das optische Gewicht des Kolorits gut im Boden zu verankern. Das Grau bleibt aber draußen – drinnen bilden helles Holz, weiße Wände und ein sandfarbener Boden einen neutralen, freundlichen Grundton. Buntes kommt durch die Einrichtung und die Nutzer ins Spiel.

Aus drei orthogonal zueinanderstehenden, um Mittelgänge angeordneten Flügeln setzt sich der Baukörper zusammen. Vorne, direkt am Parkplatz, der Verwaltungsbereich, Empfang und im Anschluss der Warteraum. Breite Fenster mit niedrigen Parapeten sorgen für Übersicht nach draußen. Linkerhand des Ganges liegt im Vordertrakt der Personalbereich, in dem auch ein Therapiebad Platz fand, und der sich nur vom Aufenthaltsraum an der Gartenseite großzügig nach außen öffnet. Die beiden Therapietrakte liegen abgesetzt vom öffentlichen Grund und beidseitig von überdachten Holzterrassen begleitet wie Gartenpavillons in der Wiese. Dank Fenstertüren an den Enden und Oberlichten sind die Mittelgänge lichtdurchflutet und von einer Weite, die es zulässt, Distanz zu halten, sich seinen Raum selbst zu definieren und leicht auszuweichen. Der Gang als „erster Therapeut“, sagen die Architekten. Aus den Therapieräumen führen Fenstertüren auf die Terrasse und in den Garten.

Konstruiert ist das Gebäude in Holzbauweise mit einer Brettschichtholzdecke auf Stützen aus weiß lasiertem Leimholz und mit in die Attika integrierten Oberzügen. Damit bleibt die Decke frei von Unterzügen, womit man sich maximale Optionen für eine spätere Änderung der Raumgrößen schafft. Die Fassaden sind unabhängig von der Tragkonstruktion aus vorgefertigten Holzständerwänden errichtet. Es ist ein nüchternes, auf rationalen Bauablauf – in vier Wochen war der Rohbau fertig –, Alltagstauglichkeit und langfristige Flexibilität ausgelegtes Gebäude. Das Spektakuläre daran ist die Präzision der Planung: der bewährte Ein-Meter-Raster, der es erlaubt, Tür und Fensteröffnungen präzise zu setzen, zudem schöne Fugenbilder überall dort, wo verschiedene Materialien aufeinandertreffen. Das alles schafft einen ruhigen Hintergrund für einen abwechslungsreichen und für alle Beteiligten fordernden Alltag – mit ganz einfachen Mitteln.

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