Bauwerk

Markthalle
Miller & Maranta - Aarau (CH) - 2002

Transformation des Stadtraums

Ein kleines Meisterwerk von Miller & Maranta in Aarau

Mit einem präzisen architektonischen und städtebaulichen Eingriff ist es den Basler Architekten Miller & Maranta gelungen, dem Färberplatz in Aarau eine neue Identität zu geben. Obwohl der skulpturale Neubau ein eher kleines Volumen einnimmt, darf er als ein Hauptwerk der neusten Schweizer Architektur bezeichnet werden.

16. Dezember 2002 - Roman Hollenstein
Am Jahresende ist es üblich, Bilanz zu ziehen. In der Schweizer Architekturszene gehört dazu seit einiger Zeit die Kür der besten Bauten. Doch welchem 2002 vollendeten Gebäude gebührt die Palme? Der spektakulären Wolke von Diller & Scofidio in Yverdon, dem rationalen, von Aurelio Galfetti zusammen mit Tessiner Jungarchitekten realisierten Universitätscampus in Lugano oder gar dem diskreten Riffraff-Gebäude von Meili Peter im Zürcher Industriequartier? Sie alle sind würdige Anwärter, je nach den Aspekten, die man ins Zentrum setzt. Aus städtebaulicher Warte jedoch gibt es ein Gebäude, das alle andern überschattet: die Markthalle von Miller & Maranta in Aarau. Diese kleine, aber exakte architektonische Intervention lenkt den immer noch von Themen wie Einfachheit, Material und Detail geprägten Schweizer Architekturdiskurs in eine urbanistische Richtung. Wichtiger als die exakt herausgearbeitete Form ist hier nämlich der respektvolle Umgang mit einem charakteristischen, jedoch unspektakulären Stadtraum. War doch der Färberplatz trotz seiner Weite nie mehr als ein grosser Hinterhof in Aaraus pittoresker Altstadt, dessen räumliches Gefüge seit dem Abbruch der alten Gewerbebauten vor 20 Jahren gestört war.

Irritierende Holzarchitektur

Diese unbefriedigende Situation wollte die Stadt mit einer partiellen Überdachung des Platzes in den Griff bekommen. Den beiden heute gut vierzigjährigen Basler Architekten Quintus Miller und Paola Maranta war aber sogleich klar, dass nur ein ganz präzis gesetztes Gebäude die städtebaulichen Bezüge klären konnte. Sie schlugen daher in ihrem preisgekrönten Wettbewerbsprojekt eine flachgedeckte Hallenkonstruktion aus Douglasienholz in Form eines gestauchten Sechsecks vor, die von nahezu 300 lamellenartigen Stützen und einem zentralen Pfeiler getragen und so zu einem Haus geschlossen wird. Dabei ist es auch Jürg Conzetts ausgeklügelter Ingenieurtechnik zu verdanken, dass in diesem experimentellen Holzbau auf bestechend einfache Weise Tradition und Fortschritt zusammenfinden. Die sich zum seriellen Muster vereinenden Lamellen lassen das im oberen Teil offene, im unteren aber geschlossene Gebäude von jedem Standpunkt aus anders aussehen. Kommt man von der Rathausgasse her, so wirkt der Hallenbau durchscheinend - als sei über einen grossen Tisch ein fadenscheiniges Tuch geworfen worden. Massiv hingegen gibt er sich zu den beiden neu entstandenen Gassen zwischen den Längswänden und den seitlichen Häuserfluchten hin. Gleichwohl verschleiern die geknickten Fassaden die wirklichen Dimensionen des fast 20 mal 30 Meter grossen Gebäudes, bis man schliesslich in die weite Halle tritt.

Obwohl der Neubau mit leiser Melancholie die Poesie des Ortes widerspiegelt, vermag er mit seiner hölzernen Sperrigkeit bei einer flüchtigen Begegnung durchaus zu irritieren. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Architekten nicht nur den urbanen Raum analysierten, sondern - von der analogen Tradition herkommend - auch den Erinnerungen, Bildern und Stimmungen des einst von alten Schuppen dominierten Ortes nachspürten. Daraus destillierten sie eine architektonische Form, die ebenso diskret wie treffend den Genius Loci beschwört, sich aber auch genau in den Stadtkörper einpasst. Nichts jedenfalls erinnert mehr an die schwierige Genese dieser Halle, die - aufgrund vielfältiger Widerstände - mehrere Stadien zu durchlaufen hatte, bevor sie nach Jahren nun doch in ihrer ursprünglichen Form realisiert werden konnte. Inzwischen waren Miller & Maranta aber nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Volta-Schulhaus in Basel zu neuen Einsichten gelangt, die sie in Form einer baukünstlerischen Verfremdung auch in das Aarauer Projekt einfliessen liessen. Dazu gehört die stadträumliche Verschleierung ebenso wie die leicht subversive Umdeutung der Holzkonstruktion in eine wie gegossen wirkende Kunstform mittels einer Kupferpigmente enthaltenden Öllasur.

Der daraus resultierende Bronzeton verleiht der Halle etwas Skulpturales: Nicht nur lassen sich Bezüge zum Minimalismus ausmachen; das Gebäude spielt auch mit der Wahrnehmung, ist bald Haus, bald Möbel, bald Kunstwerk - oder, wie Quintus Miller meint, «umhüllte Luft». Gleichzeitig verwandelt es den Ort nachhaltig: Vor der Halle entsteht ein Platz, auf dem nun vier Gassen zusammentreffen, hinter ihr hingegen ein intimer Hof mit einer Kastanienterrasse. Solch subtilen Transformationen, welche die Situation klären und die bereits vorhandene Stimmung verdichten, begegnet man im Schaffen von Miller & Maranta immer wieder. So gelang ihnen vor zwei Jahren mit dem Volta-Schulhaus in einer urbanistisch schwierigen Gegend ein Bau, der sich derart selbstverständlich gibt, dass man ihn kaum als neuen Eingriff wahrnimmt. Ähnliches liesse sich vom Umbau des Hotels Waldhaus in Sils Maria sagen, wo der Geist der Belle Epoque sorgsam aufgefrischt wurde; und das Gästehaus von Gottfried Sempers Villa Garbald in Castasegna rückten sie derart geschickt in den äussersten Winkel des ummauerten Gartens, dass es nach seiner Fertigstellung in einem Jahr als fester Bestandteil des Dorfes in Erscheinung treten dürfte, und dies obwohl es formal ganz entschieden die Sprache unserer Zeit spricht.

Der Geist des Ortes

Die Fähigkeit von Miller & Maranta, mit einem einzigen Bau eine urbanistische Fragestellung auf den Punkt zu bringen und zu lösen, haben die Juroren des Wettbewerbs für ein neues Besucherzentrum des Nationalparks in Zernez - anders als ihre Kollegen in Aarau oder Castasegna - offensichtlich nicht erkannt. Aber vielleicht entwickelt man stattdessen nun in Aarau, ausgehend von der den Stadtraum respektvoll uminterpretierenden Markthalle, ein Gespür für die Schliessung der vielen unbefriedigenden Leerstellen rund um die wertvollen historischen Gebäude am Rand der Altstadt. Dass man mit Protzbauten wie dem La- Suisse-Haus, die das Gleichgewicht massiv stören, keine Stadtreparatur betreiben kann, ist offensichtlich. Allerdings scheint Aarau in den letzten Jahren den Wert guter Architektur erkannt zu haben. Davon zeugt neben der Markthalle und einigen anderen Gebäuden nicht zuletzt die im Bau befindliche Kunsthauserweiterung von Herzog und de Meuron.

Auch wenn sich Miller & Maranta in den vergangenen Jahren dank ihrer konsequenten architektonischen Recherche Einlass in den Olymp der Schweizer Architektur verschaffen konnten, wurden sie bisher mit Aufträgen nicht eben überhäuft. Weder ein Einfamilienhaus noch eine Villa steht bisher auf ihrer Werkliste. Dabei lassen ihre Umbauten ahnen, dass ein solches Haus durchaus zu einem formalen und räumlichen Kleinod werden könnte. Vorerst erproben sie nun beim Gästehaus der Villa Garbald, wie man trotz beschränktem Budget zu gültigen Resultaten gelangen kann. Anstelle teurer Materialien werden sie hier deshalb erneut die Farbe materiell einsetzen und den gegipsten Wänden das Aussehen von zartrosa glänzendem Perlmutt verleihen.

Die gleiche Begeisterung, mit der sie in Castasegna oder in Aarau Flächen, Licht und Raum in Architektur verwandeln, sprüht auch aus ihren urbanistischen Arbeiten, etwa den Masterplänen für das Gebiet rund um den Basler SBB-Bahnhof. Es wäre der Stadt am Rheinknie zu gönnen, wenn sich eines dieser Grossprojekte realisieren liesse, denn Miller & Maranta sind hierzulande Meister in der Kunst, die Stadt räumlich zu interpretieren. Erst durch die Reibung am Vorhandenen fänden sie zu gültigen Lösungen, meint Paola Maranta. Deshalb wohl gälte ihr Interesse den städtischen Interventionen und nicht den sonst bei Architekten so beliebten Objekten auf der grünen Wiese. Selbst das demnächst in Bau gehende achtgeschossige Wohnhaus an der Südspitze des Basler Schwarzparks gibt sich mit seinem unregelmässigen Grundriss, der sich den Bäumen entlang knickt, nicht als eitler Solitär. Vielmehr versteht er sich als Scharnier zwischen Blocksiedlung, Villenquartier und Grünanlage.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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