Bauwerk

Jugendzentrum ECHO
pürstl langmaier architekten - Graz (A) - 2017
Jugendzentrum ECHO, Foto: pierer.net

Wo die Jungen daheim sind

Kann gute Architektur soziale Wirksamkeit entfalten? Das Jugendzentrum Echo im Norden von Graz macht deutlich, mit welchen gestaltenden Ideen und welchem Anspruch an Qualität dies möglich wird.

20. August 2021 - Karin Tschavgova
Architekturkritik scheint aus der Mode gekommen zu sein. Man könnte konstatieren, dass an ihre Stelle die Architekturberichterstattung getreten ist, selbst in einschlägigen Fachmedien, die ihre Beiträge an eine geschulte Leserschaft richten und im Gegensatz zu den Tageszeitungen kaum die Aufgabe der Architekturvermittlung wahrnehmen müssten. Information über das aktuelle Geschehen in Architektur und Stadtentwicklung – ja. Doch könnte oder sollte es nicht genauer und differenzierter, wie durch ein Brennglas, betrachtet werden, um als konstruktive Kritik im Sinne der aus dem Griechischen kommenden Wortbedeutung von Wert sein zu können?

Ich sage es gleich: Mein Ehrgeiz ist nicht, Neuigkeiten mitzuteilen, auch wenn ich mich eher dem Feld der Architekturvermittlung verpflichtet fühle. „Wohlwollende Architekturkritik“ war sie für Walter Zschokke, den viel zu früh verstorbenen Kollegen, der mich vor mehr als 20 Jahren ins Schreiben über Architektur für das „Spectrum“ eingeführt hat. Mein Ansinnen ist, eine Art des Betrachtens zu üben, die eingehender ist, die länger andauert und den Blick auch einmal von der Seite oder aus dem „Off“ auf den Gegenstand der Betrachtung wirft.

Drei Jahre sind vergangen, seit das Jugendzentrum Echo in Graz eröffnet wurde. In der Stadt gibt es ein Dutzend Einrichtungen für offene Jugendarbeit, die ein Beitrag zu gesellschaftlicher Teilhabe und Integration sein soll. Zwei davon wurden in den vergangenen Jahren neu errichtet – durch inhaltliche und budgetäre Vorgaben sorgfältig vorbereitet durch die Abteilung GBG – Grazer Gebäude- und Baumanagement, die dafür einen geladenen Architekturwettbewerb ausgeschrieben hatte. Ihr obliegen alle Bauvorhaben der Stadt Graz.

Bei meinem Erstbesuch traf man viele Fachleute, die jeden Winkel inspizierten, doch kaum Jugendliche. Gut kommuniziert wird, wofür das neue Jugendzentrum als niederschwellige Einrichtung für die Freizeit stehen sollte: als Ort der Begleitung in Selbstständigkeit und Mündigkeit, als Ort für den Erwerb von Bildungsinhalten, die für alltägliche Handlungs- und Sozialkompetenzen wichtig sind. Zur Unterstützung und Anregung, um das eigene Entdecken von Ressourcen und Potenzialen zu fördern. Letztlich steht es auch für ein zweites Zuhause, besonders für bildungs- und sozial benachteiligte Jugendliche, die beengten Wohnverhältnissen entfliehen können.

Ich wollte wiederkommen und das Haus, das mich bei der ersten Begegnung neugierig gemacht hatte, in Betrieb erleben. Ich wollte sehen, ob mein fachliches Sensorium, meine Interpretation von Städtebau und Architektur – von Struktur und Raumangebot, Nutzungsqualität und Atmosphäre – in eine Übereinstimmung gebracht werden kann mit den postulierten Zielen der Arbeit mit Jugendlichen. Ob soziale Themen mit Architektur gelöst werden können, ist eine immer aktuelle Frage. Betrachtet man die Architekturgeschichte, so ist sie zu verneinen – was nicht heißt, dass die Architektur nicht Lösungen anbieten kann. Architektur mit Engagement kann im Einzelfall als „sozialer Raum“ wirksam werden.

Diese Erkenntnis gilt für das Jugendzentrum Echo, ein Entwurf von Pürstl Langmaier Architekten, in erfreulicher Weise. Die beiden haben es meisterlich verstanden, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und gemeinsamem Tun wie nach Rückzug – unter sich sein und Ruhe finden – gleichermaßen gut räumlich zu verorten und verteilen.

Es beginnt mit der Lage des Gebäudes, in der Mitte eines idyllisch gelegenen Wiesenstücks, zwischen einer steilen Böschung und dem kleinen Wasserlauf des Mühlgangs an der Leuzenhofgasse, gerahmt von altem Baumbestand. Schon die Annäherung von der Wienerstraße ist niederschwellig, kann langsam erfolgen. Zwischen dem Hauptbau und einem kleineren, dem Zugang näheren Baukörper, der die Werkstatt und ein Lager birgt, wird ein großer überdachter und befestigter Vorbereich aufgespannt. Hier kann Tischtennis gespielt, Rad gefahren oder gebastelt werden, und von hier geht es auf die freien Wiesenflächen, die als Bewegungs- und Sportplatz oder Pflanzbereich in Hochbeeten genützt werden. Das Haupthaus ist bis auf wenige abschließbare Räume gut zu überblicken. Sein Kern ist ein lang gestreckter, großer Gruppenraum, der durch Theke und Küchenzeile, durch von den Jugendlichen zusammengebaute Sitzmöbel und einen Fußballtisch in Zonen unterschiedlicher Aktivitäten geteilt wird.

An diesen zentralen Aufenthaltsbereich docken die Architekten unregelmäßig drei Kuben mit niedrigerer Raumhöhe an, die nach innen mit Glasfronten abschließbar sind und damit Rückzugsbereiche für Einzelarbeit, Indoorsport oder Lernen bilden. Die Vorgabe der Einsehbarkeit zu Innen- und Außenbereichen wird auch mit großen Fensterelementen zwischen den Kuben erfüllt. Abgeschlossen, auch akustisch, sind ein Musikproberaum und das Büro. Ein Bereich für Mädchen, die hier wie in den meisten Jugendzentren eine Minderheit bilden, ist bei Bedarf abtrennbar. 2019 war der Anteil der Mädchen gegenüber Vorjahren und dem Vorgängerhaus bereits erfreulich gestiegen, wie sich überhaupt die Anzahl der jugendlichen Besucher von zwölf bis 19 und die Summe der Kontakte fast verdoppelt hatten. Der Kontakt zu vielen blieb auch in der Pandemie, bei geschlossenem Zentrum, aufrecht. Das macht deutlich, wie wichtig besonders für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund in engen Wohnungen das Zentrum als Treffpunkt und erweiterter „Wohnraum“ ist.

Wohnatmosphäre, ganz ohne unnötiges Möbelhaus-Chichi, verbreitet auch der Werkstoff Holz, der von den Architekten dominant eingesetzt wurde – konstruktiv als Holzmassivbau und mit den Oberflächen der Brettsperrholzplatten in allen Räumen, die unbehandelt blieben. Dass die Burschen und Mädchen zur Mitgestaltung der Innenräume ermuntert wurden und die Theke ein Gemeinschaftswerk ist, schaffte, wie man an den steigenden Zahlen von aktiv Teilhabenden sehen kann, Identifikation und Verbundenheit mit dem Haus. Mehrmals im Jahr an Samstagnachmittagen ist das Zentrum als Repair-Café für alle geöffnet. Bald wieder! Eine Ermunterung, selbst zu sehen und zu spüren, dass gute Architektur auch soziale Wirksamkeit entfalten kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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