Bauwerk

Handelsakademie und Handelsschule
Nehrer + Medek und Partner - Gänserndorf (A) - 2003

Engpass mit Extratour

Das Budget, das Grundstück, der zeitliche Rahmen: Alles war sehr knapp bemessen. Davon ist in der Handelsakademie und Handelsschule Gänserndorf von Nehrer + Medek nichts mehr zu spüren.

22. November 2003 - Liesbeth Waechter-Böhm
Im Schulbau sind die Zeiten der großen Neubauten vorläufig zu Ende. Günther Domenig hat zwar im niederösterreichischen Wolkersdorf gerade erst ein ziemlich großes Schulhaus für die BIG mitten auf die grüne Wiese gestellt, aber das ist inzwischen die Ausnahme. Denn erstens werden die grünen Wiesen langsam selten, und zweitens verlagert sich der Schwerpunkt der Aufgabenstellung zunehmend auf die Sanierung und Erweiterung bestehender Schulbauten.

Man kann das in Gänserndorf an einem markanten Beispiel studieren, wo alles zusammenkommt, was solche Bauaufgaben charakterisiert: ein sehr knappes Baubudget, ein sehr enges Grundstück und die Notwendigkeit, die Bauarbeiten - abgesehen von den Ferien - bei laufendem Schulbetrieb durchzuführen. Einfach ist das nicht.

Am Anfang stand ein Wettbewerb, den das Wiener Büro Nehrer + Medek im Jahr 2000 gewonnen hat. Aufgabe war, zwei bestehende dreigeschoßige Schultrakte, die durch einen ebenerdigen Gang verbunden waren, und einen eingeschoßigen Mehrzweckraum im Hofbereich in die Planung einzubeziehen, vorhandene Behelfsbauten, die im Lauf der Jahre dazugekommen waren, wurden hingegen abgerissen. Angrenzend an das Grundstück: auf der einen Seite ein öffentlicher Platz, der hauptsächlich als Parkplatz genutzt wird, auf der anderen der Gemeindesaal, der auch als Turnhalle für die Schule dient.

Es geht um eine Handelsakademie und eine Handelsschule, Einrichtungen also, die ein relativ großes Einzugsgebiet bedienen. Entsprechend war auch der Klassenbedarf. Nehrer + Medek haben diese Notwendigkeit mit einem Konzept bewältigt, das auf den ersten Blick unheimlich einfach erscheint: Sie haben als wesentlichste Maßnahme über den gesamten Bestand ein Brückenbauwerk - einen Virendeel-Träger - gespannt. Vorne, an der Straße, somit an der Schmalseite des Grundstücks, tritt diese Neubaumaßnahme nur durch eine dezente Auskragung, aber einen besonders freundlichen, sagen wir: kürbisgelben Anstrich in Erscheinung. In der Tiefe des Grundstücks wird dann die volle Länge dieser Neubaumaßnahme nachvollziehbar.

Eine simple, aber auch sehr geschickte Maßnahme des Konzepts bestand im Absenken des Schulhofs zwischen den beiden Altbautrakten um ein Geschoß. So wurde großzügiger „Kellerraum“ gewonnen - hier ist unter anderem die Bibliothek -, wunderbar belichtet und alles andere als ein Notbehelf.

Schließlich wurde dem zweiten Altbautrakt, dem in der Grundstückstiefe, auch noch ein kleiner, relativ schmaler Neubau vorgestellt, der jetzt den attraktiven neuen Eingang in die große Halle flankiert - der alte Haupteingang, vorne an der Straße, existiert aber nach wie vor. Durch diese Maßnahme ergeben sich zwar ein paar Klassenräume, die nicht optimal natürlich belichtet scheinen, aber in einer Schule, in der EDV eine so große Rolle spielt, wird dieses Problem eigentlich nicht virulent, es entspricht eher einem Bedarf. Denn Bildschirmarbeit bei strahlendem Sonnenschein ist sowieso nicht zumutbar.

Nehrer + Medek haben den Altbestand praktisch nicht verändert, sie haben ihn lediglich saniert. Sogar die alten Holzfenster, wenn auch neu gestrichen, sind noch da. Ebenso die sanitären Einrichtungen. Man hatte ja nur ein sehr knappes Budget, Extratouren waren daher nicht möglich. Und dass das gesamte Bauvorhaben in diesem Umfang überhaupt realisiert werden konnte, das hat auch damit zu tun, dass das Büro alle Aufgaben - einschließlich Bauaufsicht und Kostenverantwortung - übernommen hat. Das ist deswegen erwähnenswert, weil heute immer weniger Architekturbüros in der Lage sind, eine so breite Aufgabenpalette zu erfüllen. In Gänserndorf sieht man aber, wie entscheidend es ist, dass alles in einer Hand bleibt, in einer Verantwortung. Denn je mehr Partnerbüros zugeschaltet werden, desto stärker verwässern sich die architektonische Idee, das Konzept, vor allem aber seine Umsetzung.

Es kommt einfach etwas anderes heraus, wenn der Architekt selbst entscheidet, wo er sich welche Oberflächen leistet, wo er im Dienst der Sache mehr Geld ausgibt und wo er spart. Bei den Außenjalousien zum Beispiel haben Nehrer + Medek nicht gespart, da haben sie ein besonders robustes System gewählt, weil es hier im Weinviertel immer wieder zu einem ziemlich extremen Windaufprall kommt und ein filigraneres Jalousiensystem dem einfach nicht gewachsen wäre. Dafür hat man sich andererseits bei den Terrazzoböden mit einem preisgünstigen Plattensystem begnügt, anstelle eines aufwändigeren Gussterrazzos.

Räumlich stimmt alles. Wenn man vom unscheinbaren alten Haupteingang in die Schule hineinkommt, dann steht man zwar vor einem unheimlich langen Gang, aber der weitet sich perspektivisch auf - und vor allem: Man sieht durch bis ganz ans Ende und hinaus ins Freie. Sehr gelungen ist auch die Öffnung und Durchwegung des knapp bemessen Freibereichs in der Grundstücks-tiefe. Die Einfassung mit einer teils hohen neuen, teils niedrigen alten Mauer ist so aufgeschnitten, dass die Schüler auch den angrenzenden öffentlichen Platz nutzen könnten. Was sie aber kaum tun, weil der zur Schule gehörige Freibereich bei aller Begrenztheit eben ziemlich gut strukturiert ist, auch durch den abgesenkten und von außen zugänglichen großen Hof, so dass offenbar gar kein Bedürfnis besteht „zu expandieren“.

Das Haus ist natürlich sehr energiebewusst geplant: Es hat Vollwärmeschutz-Fassaden, die zwar nicht zum Attraktivsten zählen, was sich denken lässt, aber das muss man in Kauf nehmen, wenn man auf niedrige Betriebskosten Wert legt. Nur im Bereich des vorgestellten neuen Traktes haben sich die Architekten an der Fassade emailliertes Glas geleistet, und der vorgesetzte Windfang ist natürlich ganz gläsern und einladend transparent.

Da es flächenmäßig keinen Spielraum gab, bedurfte es schon einer ziemlich minutiösen Tüftelei um das gesamte Raumprogramm unterzubringen. Aber das vergisst man, wenn man durch das Gebäude geht. Und dazu trägt die neue Halle mit ihrer Zweigeschoßigkeit sehr wesentlich bei. Da entsteht Luftigkeit, Großzügigkeit, Offenheit, und das überstrahlt und relativiert alle räumlichen Engpässe.

Für die Architekten war das Haus, obwohl der Neubauteil ja gar nicht so groß ist, keine leichte Aufgabe. Umbau und Neubau bei laufendem Schulbetrieb, das heißt: Keine lauten Arbeiten während des Unterrichts, und die Schulklassen umgesiedelt in Container, die draußen vor der Baustelle standen.

Für Manfred Nehrer kam noch etwas hinzu: der völlig überraschende Tod seines Büropartners Reinhard Medek, in dessen Kompetenz dieses Projekt ursprünglich lag. Medek ist im Frühjahr gestorben, also noch vor den großen Sommerferien und damit einer Phase der intensivsten Bauarbeit. Da mussten im Büro letzte Kraftreserven mobilisiert werden, um diesen Verlust auszugleichen.

Übrigens ist eines auffällig: Die Niederösterreicher haben nur wenig Grund, auf ihre architektonischen Aktivitäten stolz zu sein. Es gibt die Hauptstadtplanung, na gut. Es gibt in Krems immer wieder bemerkenswerte Initiativen. Es gibt Ernst Beneder. Und neuerdings gibt es in Wolkersdorf den erwähnten Schulbau von Günther Domenig, der allerdings vom Bund beauftragt wurde. Aber dann muss man, vor allem im nördlichen Niederösterreich, schon ziemlich suchen. Nur Gänserndorf scheint über ein etwas offeneres Architekturklima zu verfügen: Da hat immerhin das BKK-2 eine bemerkenswerte Musikschule gebaut, und da haben Nehrer + Medek schon vor Jahren eine Volksschule geplant, die sich auch heute noch sehen lassen kann.

Eine kleine Boshaftigkeit kann ich mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen: Die Volksschule ist seit sieben Jahren in Betrieb und bis heute in tadellosem Zustand; die Handelsakademie/Handelsschule wird erst seit wenigen Wochen bespielt - aber unter einem gepflegten Schulhaus stelle ich mir etwas anderes vor.

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