Bauwerk

Universität für angewandte Kunst – Generalsanierung Oskar-Kokoschka-Platz
Riepl Kaufmann Bammer Architektur - Wien (A) - 2018

Raum statt Masse

Seit seiner Errichtung fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, herrschen nun wieder Platz und Lichteinfall vor: zur Generalsanierung des Schwanzer-Traktes der Universität für angewandte Kunst Wien durch Riepl Kaufmann Bammer Architektur.

13. Oktober 2018 - Romana Ring
Sie stammt aus einer längst vergangenen Epoche und hat schon einige Namen getragen: die Universität für angewandte Kunst Wien. Ursprünglich als „Kunstgewerbeschule“ in Symbiose mit dem benachbarten Museum gegründet, könnte sie heute ihren Bedarf an „Anschauungsmaterial“ für den Kunstunterricht wohl kaum mehr aus dessen Beständen decken. Auf eine Qualität kann „die Angewandte“ jedoch nach wie vor zurückgreifen: Ihre Gebäude sind beispielhaft für die Architektur ihrer Zeit.

Dieser Anspruch war schon mit dem ersten eigenen, nach den Plänen von Heinrich Ferstel am Stubenring errichteten Haus verbunden. Doch wie es Perioden gab, die der Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts keinen künstlerischen Wert abgewinnen konnten, war auch der Respekt vor Bauten der 1960er-Jahre wie dem von Eugen Wöhrle und Karl Schwanzer errichteten Erweiterungsbau der damaligen Akademie nicht immer und überall besonders groß. Oder war es im Fall der Angewandten bloß die schiere Menge der im Lauf der Jahrzehnte irgendwie bewältigten Notwendigkeiten des Alltags, die den Schwanzer-Trakt in seinem Inneren fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt haben? Seine von Riepl Kaufmann Bammer Architektur geplante Sanierung jedenfalls knüpft nun an die baukünstlerische Tradition der Angewandten ebenso an wie ihre Umdeutung des auf der anderen Seite des Wienflusses gelegenen ehemaligen Zollamtes zum Universitätsgebäude.

Riepl Kaufmann Bammer Architektur hat, als Sieger eines geladenen Verfahrens mit der Generalsanierung des Schwanzer-Traktes beauftragt, alles konstruktiv Unnötige daraus entfernt und seine klare, an einen Industriebau gemahnende Tragstruktur freigelegt. Der Schwanzer-Trakt erstreckt sich parallel zum Wienfluss. Seine sieben oberirdischen Geschoße sind zwischen zwei stirnseitig gelegenen Stiegenhäusern aufgespannt. Die filigranen, hinter abgehängten Verkleidungen zum Vorschein gekommenen kassettierten Stahlbetondecken werden von jeweils drei Betonstützenreihen getragen. Die lang gezogenen rechteckigen Hallen zwischen den Stiegenhäusern lassen eine Vielzahl unterschiedlicher Raumfigurationen zu. Um diese funktionelle Großzügigkeit auch im Raumeindruck zu erhalten, hat Riepl Kaufmann Bammer Architektur einen Bausatz entwickelt, der die notwendige Variabilität der Grundrisse in einem System verankert: In der Mittelzone ordnet eine abgehängte Decke aus Streckmetall den Verlauf der darüber vage sichtbaren haustechnischen Leitungen.

Quer zu den Längswänden gestellte Trennwände sind undurchsichtig ausgeführt, der Länge nach verlaufende Raumtrennungen transparent, Türblätter opak. Dieses Ordnungssystem setzt die unterschiedlichen Raumfigurationen der Universität um, ohne die Konstruktion erneut zu verschleiern oder Lichteinfall und Blick quer über die Tiefe des Traktes zu verstellen. Der Außenauftritt des Gebäudes ist nahezu unverändert. Lediglich eine im Garten angelegte Rampe verbindet nun ebenerdig die beiden Quertrakte der Anlage.

Hat Riepl Kaufmann Bammer Architektur mit der Generalsanierung des Schwanzer-Traktes also jene Qualitäten des Bestandes herausgearbeitet, die wir heute darin (an)erkennen, lag bei ihrem nach einem zweiten Wettbewerb beauftragten Umbau des ehemaligen Zollamts zum Universitätsgebäude der Schwerpunkt auf der Korrektur eines wesentlichen Charakterzuges des Vorgefundenen. Das um die vorletzte Jahrhundertwende entstandene Bauwerk wendet zwar dem Wienfluss eine reich gegliederte Eingangsfassade zu, hinter der ein repräsentatives Hauptstiegenhaus zeigt, dass man mit Raum wohl umzugehen wusste. Dahinter aber fanden sich in bester Gründerzeit-Manier die Amtsstuben dicht an dicht um drei enge Lichthöfe gepackt: eine für die Bedürfnisse einer Kunstuniversität unhaltbare Situation. Aus diesem massiven Block hat Riepl Kaufmann Bammer Architektur unter Erhaltung der äußeren Raumschicht den Kern herausgeschnitten und den so gewonnenen Raum mit einer neuen, lichterfüllten Mitte besetzt. Eine von Jürg Conzett entwickelte Tragstruktur aus Stahlbeton stabilisiert das Gebäude und bildet ein sechsgeschoßiges Atrium, dessen Galerien mehr leisten als die bloße Erschließung der daran gereihten Räume. Die Decken reichen über die nach oben hin schlanker werdenden Stützen hinaus, die transparenten Brüstungen haben breite, mit einer kleinen Aufkantung versehene Abdeckungen: Dieser Raum lädt zum Verweilen ein und dazu, sich anzuschauen, wie man Variabilität, Offenheit, Intimität, Ruhe oder Bewegung in Architektur umsetzen kann.

An die Stelle des westlichen Lichthofes hat Riepl Kaufmann Bammer Architektur ebenerdig eine zweigeschoßige, multifunktionale Aula gesetzt. Unter dem Saal quert die U-Bahn den Keller des Hauses, was die schalltechnische Entkoppelung der Aula notwendig machte. Darüber ist ein Gartenhof angelegt, der in seinen nun wesentlich besseren Proportionen die Anlage mit einem im städtischen Umfeld kostbaren Freiraum bereichert. Die Aula ist an ihrer dem Atrium zugewandten Westseite zur Gänze öffenbar. Auch die Rückwand im Osten kann zur dahinter liegenden Erschließungszone geöffnet werden, in die über ein Glasdach Tageslicht aus dem Gartenhof fällt. Somit verfügt die Universität für angewandte Kunst erstmals über einen Raum, in dem etwa die jährlichen Präsentationen ihrer Modeklassen stattfinden können.

Während die historischen Räume von Riepl Kaufmann Bammer Architektur in fast spartanisch anmutender Zurückhaltung für die jeweilige Nutzung ertüchtigt wurden, liegt der gestalterische Schwerpunkt der Anlage deutlich auf ihrer neuen Mitte. Der den Gartenhof flankierenden Querspange sind verglaste Räume zugewiesen, die dazu beitragen, das Atrium zu einem lichten Ort spannender Blickbeziehungen zu machen. Eine Cafeteria im Erdgeschoß und der gläsern zum Atrium orientierte Empfangsbereich der Bibliothek unterstreichen den Stellenwert des kommunikativen Zentrums. Sogar die Lesekabinen hoch oben im weitgehend geschlossenen Betonkranz des Dachgeschoßes schauen aus schmalen, in den Fächer ihrer Wandscheiben geschobenen Fenstern hinunter in den Raum, sodass selbst in der Konzentration auf das eigene Anliegen das inspirierende Ganze gegenwärtig ist.

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