Bauwerk

Bildungscampus Berresgasse
PSLA Architekten - Wien (A) - 2019
Bildungscampus Berresgasse, Foto: Lukas Schaller

Gemütlich wie eine Dorfschule

Der neue Bildungscampus Berresgasse in Wien-Donaustadt: eine regelrechte Bildungsburg für 1100 Kinder. Anonym und unübersichtlich? Fehlanzeige! Dank schlauer Gliederung keineswegs.

7. Dezember 2019 - Franziska Leeb
Wie ein Gebirge von einem anderen Planeten türmt sich Wiens jüngster Bildungscampus knapp an den Überbleibseln des einstigen Bauerndorfes Breitenlee und dem typischen Siedlungshäuser-Wildwuchs an der städtischen Peripherie auf. Mit den in Sichtweite befindlichen Plattenbauten von Oskar und Peter Payer zwischen Ziegelhofstraße und Quadenstraße aus den 1970er-Jahren kann es die Schule größenmäßig aufnehmen, kontrastiert dazu aber mit ihrer Fassade aus Holz, der verschiedene Fensterformate sowie der Wechsel von senkrechter und waagrechter Beplankung ein lebendiges Erscheinungsbild verleihen. Dank seiner Gliederung und Feinkörnigkeit gelingt es dem von PSLA Architekten geplanten Gebäude, die Maßstäbe der Siedlungswelten zu verbinden. Die Verbindung von Lernen und Freizeit für Kinder von null bis vierzehn an einem Standort ist seit rund zehn Jahren das Ziel des Wiener Campusmodells. In der Zwischenzeit wurde das Konzept zum „Campus plus“ weiterentwickelt. Dabei geht es darum, den pädagogischen Betrieb und die Freizeitgestaltung der verschiedenen Bildungsstufen stärker miteinander zu verschränken, um gegenseitiges Lernen zu fördern und den Kindern den Übergang von einer in die andere Stufe zu erleichtern.

Nicht nur die Bildungsstufen gut zu vernetzen war Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami ein Anliegen, sondern auch die Schule bestmöglich in das Quartier zu integrieren und daher das Schulareal so wenig wie möglich von der Umgebung abzugrenzen. Ein großer Vorplatz mit diversen Angeboten für Spiel und Aufenthalt hält Abstand zur künftigen Bebauung, kein Zaun grenzt ihn ein. Aber selbst Teile der abgegrenzten Schulspielplätze sind außerhalb der Betriebszeiten öffentlich zugänglich und sorgen dafür, dass der Begriff „offene Schule“ kein Schlagwort bleibt.

Wie klug eine Schule städtebaulich angelegt ist, interessiert ein Kind, das erstmals Kindergarten oder Volksschule besucht, wenig. Es möchte nicht verloren gehen in der Masse der allmorgendlich ankommenden Kinderschar und verlangt nach Geborgenheit. Daher wird der Haupteingang von zwei weiteren Eingängen flankiert, von denen Stiegenhäuser direkt in die Cluster von Kindergarten und Volksschule führen. Ebenerdig kommen in einem rechtwinkeligen Sockelgeschoß jene Funktionen zu liegen, die von der gesamten Campusgemeinschaft genutzt werden respektive unkompliziert für externe Besucher erreichbar sind. Nächst dem Haupteingang liegt der für eine größere Raumhöhe abgesenkte Veranstaltungssaal. Ebenfalls zum Vorplatz hin orientieren sich die Büros der Verwaltung, zur Gartenseite Küche, Speisesaal, Werksäle und Therapieräume. Auch die Kleinkindergruppen und Förderklassen sind auf raschem Weg zugänglich im Erdgeschoß untergebracht. Das grafische Motiv, aus dem der Durchlaufschutz an den Glasflächen gebildet ist, gibt Auskunft über die Organisation der Grundrisse in den Obergeschoßen. Eine dreiflügelige Form – die Architekten nennen sie „Sternchen“ – nimmt die zu Clustern gruppierten Bildungsräume auf. Im ersten und zweiten Obergeschoß sind sie zu kleinen zweigeschoßigen Häusern im Haus arrangiert. Dort angekommen, verfliegt sofort jeglicher Spundus, den man vor einem so großen Gebäude haben kann, wenn man noch klein ist. Eine Treppe und ein zentrales Atrium verbinden die untere Ebene des Kindergartengruppen und die obere der Volksschule. Zahlreiches Mobiliar wurde für diverse Spiel- und Lernszenarien maßgeschneidert, jede Ebene wie ein Dorfzentrum als Gruppierung kommunizierender Gefäße konfiguriert. Die Rückzugs- und Arbeitsräume der Pädagoginnen sind nicht in einem Verwaltungstrakt fernab untergebracht, sondern mittendrin, womit innerhalb des großen Gesamtkomplexes autonome Organisationseinheiten entstehen, die klein, übersichtlich und gemütlich wie eine Dorfschule wirken. Raumhohe Edelstahlnetze gewähren ungehinderten Durchblick zwischen dem Platz unten und der Galerie; Vorhänge erlauben es, den Grad an Sichtverbindung zu regulieren. Unterstützt vom Farbkonzept in Beige-, Rosé- und Blautönen und der von geölten oder unbehandelten Holzoberflächen dominierten Materialsprache, gelang ein alle Sinne stimulierendes Setting, das Gemeinschaftsgefühl wirksam werden lässt und eine gute räumliche Basis für die Zusammenarbeit über die Geschoße und Bildungsstufen hinweg bildet.

Im obersten Geschoß, das der Neuen Mittelschule vorbehalten ist, findet sich diese Raumgeometrie wieder, hier allerdings auf einer Ebene. Drei Klassenzimmer, nach neuer Sprachregelung „Bildungsräume“, sowie diverse Sonderunterrichtsräume wie für den EDV-, Physik- oder Musikunterricht sind um die gemeinsame multifunktionale Mitte gruppiert und jeweils zwei solche Einheiten zu einem Bildungsbereich gepaart. Zwei Typen von Bildungsräumen gibt es: einen rechteckigen mit 78 Quadratmetern und einen quadratischen mit 60 Quadratmetern, der um einen Appendix mit 18 Quadratmetern erweitert ist. So lassen sich unterschiedliche pädagogische Bedürfnisse und Unterrichtsszenarien recht vielfältig gestalten. Von zwei Seiten sind die Räume belichtet – über tief liegende Fenster mit vorgelagerten Sitz- und Liegeflächen und höher angeordneten, die den Himmel hereinholen. Die Regale sind an den Außenwänden angebracht, wodurch die Kinder ganz beiläufig beim Abstellen ihrer Materialien den Blick ins Freie mitgeliefert bekommen.

Die Verbindung ins Freie ist ein weiteres großes Thema des Campus. Aus jedem Bildungsbereich gibt es direkten Zugang auf eine große, teilweise überdeckte Terrasse mit altersgerechtem Equipment für eine abwechslungsreiche Unterrichts- und Pausengestaltung an der frischen Luft. Große Hochbeete sind mit befestigten Wegen erschlossen, die den Kleinen das Eintauchen ins Grüne erleichtern. Außentreppen verbinden die von EGKK Landschaftsarchitektur ideenreich gestalteten Freiräume über die Geschoße hinweg und führen in den Garten, der mit Spielplätzen und Sportmöglichkeiten für alle Altersgruppen, Rückzugs- und Therapiegärten sowie Wasserspielen aufwartet. Für das Gelingen einer ganztägigen Schulform stellt die Schularchitektur ein wesentliches Kriterium dar, betont der Nationale Bildungsbericht 2018. Der Bildungscampus Berresgasse liefert dazu ein gebautes Leitbild.

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wettbewerb

Das Projekt ist aus dem Verfahren Neubau Bildungscampus Berresgasse, 1220 Wien hervorgegangen

1. Rang, Gewinner
PSLA Architekten ZT KG