Bauwerk

Musikschule - Gemeindeamt Neukirchen
Proyer & Proyer Architekten - Neukirchen an der Enknach (A) - 2002

Impuls für die Mitte

Neukirchen an der Enknach kann gut und gerne als Prototyp der kleinen oberösterreichischen Landgemeinde dienen

11. Dezember 2002 - Romana Ring
Neukirchen an der Enknach kann gut und gerne als Prototyp der kleinen oberösterreichischen Landgemeinde dienen: mit einem kompakten, um die Kirche gedrängten Ortskern, den in die Landschaft gewürfelten Siedlungshäusern samt Kaufhaus aus der Verkleidungskiste des Baustoffhandels und - zwei Musikkapellen mit jeweils mehr als fünfzig Mitgliedern! Wer wüsste nicht um das politische Gewicht dörflichen Vereinslebens: der Bau einer eigenen Musikschule war nur eine Frage der Zeit.

Bereits die erste mit den Planern Karin und Hermann Proyer getroffene Entscheidung, die Musikschule als Anbau des sanierungsbedürftigen Gemeindeamtes auszuführen und so das Zentrum des Ortes zu beleben, stieß bei einigen Bürgern auf beträchtlichen Widerstand.


Plausible Verbindung

Die grüne Wiese, „wo man sich rühren kann“, ist durch Jahrzehnte währende Übung die erste Wahl für jegliche Bauaufgabe und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der Aufruf zur Nachhaltigkeit beim Bauen mehr nach sich zieht als Sonnenkollektoren auf den Dächern der Einfamilienhäuser.

Proyer & Proyer haben das Neukirchener Gemeindeamt bereits als Ergebnis eines Umbaus vorgefunden. Ein kleines, über rechteckigem Grundriss zweigeschossiges Gebäude mittelalterlichen Ursprunges war im 19. Jahrhundert zu einer imposanten U-förmigen Anlage mit einem schwungvollen Mansardedach ergänzt worden. Die unterschiedlichen Geschoßhöhen der beiden Gebäudeteile und der missglückte Verschnitt der beiden Dächer gaben Zeugnis des seinerzeit recht bedenkenlosen Umganges mit historischer Bausubstanz. Umso mehr Fingerspitzengefühl haben „Proyer & Proyer“ diesmal aufgewendet, um eine plausible Verbindung der verschiedenen Baustufen zu erreichen.


Sequenzen und Harmonien

„Proyer & Proyer“ haben die beiden Altbauten originalgetreu restauriert und die Räume - präzise aber unaufdringlich detailliert - den Erfordernissen unserer Zeit angepasst. Ähnlich in Dekor und Farbigkeit der Fassade hebt sich der ältere Westflügel nun wieder deutlicher von seinem jüngeren Anbau ab, denn die Architekten haben ihn von seinem missglückten Dach befreit und sein Volumen um etwa ein Drittel erweitert. Dank der umfassenden Geste einer massiven Attika in der Höhe des Gesimses gelingt diese Maßnahme bruchlos, ohne ihre Ablesbarkeit zu verschleiern.

Hinter dem Zubau wird das Glasdach sichtbar, welches das Entree der Musikschule kennzeichnet. Diese flankiert als langer, schmaler Körper den Altbau, ist jedoch deutlich aus dem rechten Winkel gedreht. Damit öffnet sich der verbleibende Raum zur Grundgrenze vom Vorplatz des Gemeindeamtes im Süden zur Kirche im Norden. Gleichzeitig bleibt die Distanz zwischen den Gebäuden genügend weit, um mit einfachsten Mitteln - Grünfläche, Fußweg und Sitzplatz - einen angenehmen öffentlichen Außenraum zu bauen.


Eine Metapher für Sinnhaftigkeit

In die Entwicklung der aus unterschiedlich großen dunkelgrauen Eternittafeln gefertigten Fassade der Musikschule haben „Proyer & Proyer“ wohl ebenso viel Energie investiert, wie in die daran geknüpfte Diskussion mit den Gemeindebürgern. Die Plattenteilung, die kleinen Vor- und Rücksprünge der Flächen und die darin scheinbar frei verteilten Fensteröffnungen sind eine Referenz an die Intervalle, Sequenzen und Harmonien der Musik, eine Metapher über den Sinn des Hauses, während die Fenster für leibhaftigen Aus- und Einblick stehen.

Das Gemeindeamt selbst wurde in seiner Grundstruktur mit dem Nord-Süd-gerichteten Durchgang im Erdgeschoss erhalten. Auch der ehemals düstere Stichgang in den Westflügel und die parallel dazu verlaufende Stiege zu den Veranstaltungsräumen im Obergeschoss wurden in ihrer Lage nicht verändert. Doch führt der Weg jetzt auf beiden Ebenen in die Halle, welche „Proyer & Proyer“ in die Mitte des Neubaues gelegt haben. Im Bereich der beiden skulptural in den Raum gestellten Treppenläufe gläsern nach Westen geöffnet, erschließt sie im Erdgeschoß neben dem Seniorentreffpunkt im alten Gewölbe des Westflügels einen Fraktionsraum im Süden und Lehrerzimmer im Norden sowie einige Nebenräume.


Verknüpfung der Zentren

Im ersten Obergeschoss wird die gesamte Südseite vom großen Proberaum der Musikkapellen eingenommen. Die schmälere Nordseite der Musikschule birgt einen weiteren Unterrichtsraum, während die Mitte als östliche Erweiterung der Halle und Endpunkt der Stiege, welche hier aus den Tiefen des Gemeindeamtes taucht, mit Glas gedeckt ist und so eine weitere Lichtschneise in das Haus schlägt.

Der mit einer effektvoll hinterleuchteten Bar aus dunklem Holz und milchigem Glas ausgestattete Raum fasst die Wege aus Neubau und Altbestand zusammen, indem er die Möglichkeit zum Verweilen bietet. Durch das Glasdach fällt der Blick auf den greifbar nahen Kirchturm, das Symbol für die Mitte des Ortes. Weiter im Osten gelangt man über das großzügige, als Saalerweiterung dienende Foyer in den Veranstaltungssaal, dem „Proyer & Proyer“ seinen verstaubten Charme liebevoll bewahrt haben. Hinter der schwungvoll gewolkten Decke - von keuschen Plüschbespannungen verborgen und dem Samtvorhang effektvoll kaschiert - verbergen sich die penibel berechnete Raumakustik und eine Bühnentechnik, die noch lange alle Stückeln spielen wird.


Sicht-Beziehungen

Das wesentliche Anliegen, die enge Verknüpfung des geistig-kulturellen Mittelpunktes eines Ortes mit seinem physischen Zentrum, manifestiert sich in den Sicht-Beziehungen zwischen Gebäude und Umfeld, die „Proyer & Proyer“ in großer Vielfalt und Präzision geschaffen haben. Und der Blick auf wertvolle, zum Teil traurig vernachlässigte Bausubstanz rundum stellt klar, dass der Impuls für den Ortskern nicht zu früh gekommen ist. Auch damit steht Neukirchen an der Enknach für viele Orte Oberösterreichs.


[Den Originalbeitrag von Romana Ring finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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