Bauwerk

Seniorenwohnhaus Nonntal
Gasparin & Meier - Salzburg (A) - 2019

Passiv passiert anderswo

In der Salzburger Altenpflege setzt man auf das Hausgemeinschaftsmodell: Den Altbestand der früheren Vereinigten Versorgungsanstalten ergänzt nun das Seniorenwohnheim Nonntal. Umgesetzt von den Villacher Architekten Gasparin und Meier.

6. März 2020 - Franziska Leeb
Euphorisch rühmte das „Salzburger Volksblatt“ anlässlich der Eröffnung im Jahr 1898 die Vereinigten Versorgungsanstalten der Stadt Salzburg in Nonntal: „Jeder, der dieses neue Denkmal der Humanität und des Culturfortschrittes Salzburgs je betreten hat, wird mit uns der Überzeugung sein, daß weit und breit in den Landen herum kein Heim gefunden werden kann, in welchem das Alter nach einem Leben voll Arbeit seine letzten Lebenstage so behaglich verbringen kann, als in diesem Hause.“ Der klösterlich anmutende Bau mit Kapelle an der Karl-Höller-Straße entstand nach einem Entwurf von Franz Drobny, damals Architekt im städtischen Dienst, später Stadtbaudirektor in Karlsbad und Rektor der Technischen Hochschule Graz. Über ein Jahrhundert lang wurde das Gebäude immer wieder an sich ändernde Pflegekonzepte angepasst – bis es nicht mehr ging. Heute sind nicht nur die Ansprüche an den Wohnkomfort höher, sondern auch die Menschen, die institutionelle Pflege in Anspruch nehmen, älter – im Schnitt über 80 – und dementsprechend stärker pflegebedürftig. Da im denkmalgeschützten Bestand, das in Salzburg seit der Neuausrichtung sämtlicher Seniorenheime der Stadt favorisierte Betreuungsmodell in Hausgemeinschaften schwer realisierbar gewesen wäre, schrieb man einen ein Wettbewerb für einen Neubau an der Rückseite aus, bei dem die Villacher Architekten Sonja Gasparin und Beny Meier reüssierten. Im Altbau werden derzeit geförderte Wohnungen errichtet.

„Das geforderte Raumprogramm war für die Situation sehr groß, daher ging es uns darum, das Volumen aufzulösen“, begründet Sonja Gasparin das Konzept des offenen Ensembles. Zwei im Grundriss tropfenförmige und durch ein Erschließungsgelenk verbundene Häuser stellten sie also wie einen Pavillon ins Zentrum des zum Grünraum hin offenen Hofes. Vor Ort erstaunt, wie klein der Neubau wirkt. Um ein ausladendes Erdgeschoß und zu große Nähe zum Bestand zu vermeiden, riskierten es die Architekten, entgegen der Vorgaben etwas höher als bis zur Traufhöhe des Bestandes zu bauen, und setzten zudem den Baukörper in eine leichte Senke. „Der Neubau darf den Bestand nicht schlechterstellen“, so ihre Devise; die künftigen Wohnungen im alten Gemäuer sollten durch das Pflegewohnhaus den Bezug zum Park nicht verlieren. Über dem Erdgeschoß, das Verwaltung, Therapieräume, Cafeteria und Mehrzwecksaal aufnimmt, kragen vier Wohngeschoße aus und geben den Freibereichen rundum Witterungsschutz.

Ähnlich einem Haushalt basiert das Hausgemeinschaftsmodell auf der Idee eines Zusammenlebens in einem wohnlichen Milieu. „Die Pflege steht nicht mehr so im Vordergrund“, betont Pflegedienstleiterin Heidi Hager. Wer noch kann, übernimmt leichte Hausarbeiten und ist damit nicht zur Passivität verdammt. Zwölf Personen leben im konkreten Fall in einer Hausgemeinschaft. Die notwendigen Pflegeleistungen werden nach individuellem Bedarf von qualifiziertem Pflegepersonal übernommen. Als fixe Bezugspersonen, die quasi den Haushalt führen, sind Alltagsmanager eingesetzt. Sie sorgen auch für die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten in den Wohnküchen. Diese gemeinschaftlichen Zentren jeder der acht Einheiten orientieren sich jeweils zu großen überdeckten Gemeinschaftsterrassen, die gartenseitig in der Mittelachse auskragen, und denen nach innen jeweils ein kleines Wohnzimmer vorgelagert ist. Verglast und mit Vorhängen als intimere Rückzugsorte gestaltet, werden sie auch vom Personal gern für kleine Auszeiten im fordernden Pflegealltag genutzt. Zudem verfügt jede Hausgemeinschaft über eine kleinere Loggia als Rückzugsort im Freien. Dazwischen sind die individuellen Einheiten für jeweils eine Person so aufgefächert, dass über Erkerfenster mit niedrigem Parapet für einen weiten Blickwinkel nach außen – ins Grüne, zu den Salzburger Hausbergen und zur Festung – gesorgt ist. Im Kern jeder Geschoßhälfte sind einerseits an strategisch günstiger Stelle die Pflegestützpunkte und diverse Nebenräume zu Inseln gruppiert. Zum anderen ist jeweils ein Atrium eingeschnitten, das zusätzlich Licht in die Gebäudemitte bringt. Dass damit auch für Blickverbindung zwischen den Geschoßen gesorgt ist, bereichert den Spaziergang um Rauminsel und Atrium in Achterschleifen, der besonders für demente Bewohner mit Orientierungsschwierigkeiten und hohem Bewegungsdrang ein wichtiger Beitrag zum Wohlbefinden ist.

Sehr individuell, geprägt von der Handschrift der Betreuer und ihrer Anvertrauten, wird in den Kleineinheiten der Alltag gelebt. Eines aber zieht sich durch das ganze Haus: eine hochwertige, auf Details bedachte Gestaltung, bei der das „Altenspezifische“, das die Erfordernisse und Vorschriften in Hinblick auf Sicherheit und Hygiene unumgänglich mit sich bringt, im Hintergrund bleibt. Von hoher Güte sind Material-, Farb- und Möblierungskonzept. Das beginnt an der Fassade, die im Wechselspiel von putzähnlichen Plattenverkleidungen und metallischen Fassadenelementen beim nördlichen Gebäudeteil etwas heller als beim Südtrakt gestaltet wurde, was zur feingliedrigen Wirkung beiträgt. Dort, wo Außenwände an Aufenthaltsräume im Freien treffen – am Sockelgeschoß, im Atrium und bei den Loggienwänden –, kam Glasmosaik zum Einsatz, dessen Farbigkeit an eine Blumenwiese erinnert. Hochwertiges wie Pietra Piasentina – ein weiß geaderter braungrauer Kalkstein – in den zentralen Erschließungsbereichen und sonst fast überall Holzböden sorgen für einen robust-eleganten Hintergrund. Das Mobiliar ist bei aller gebotenen Zweckmäßigkeit dennoch wohlgestaltet.

Komplettiert wird das wohnliche Ambiente durch das Orientierungssystem der Künstlerin Ingeborg Kumpfmüller, das mit Textsequenzen und kleinen Wandskulpturen angereichert optisch und haptisch stimulierend wirkt. Die Freiflächen haben Auböck und Karasz so gestaltet, dass sie ohne spürbare Grenzen in den bestehenden Grünraum übergehen. Das heute gern beschworene „Altsein in Würde“ wird im Seniorenwohnhaus Nonntal nicht nur durch das Pflegekonzept unterstützt, sondern auch vom kultivierten erwachsenen Habitus der Architektur. Die in ähnlichen Einrichtungen oft so vordergründig spürbare verhätschelnde und verniedlichende Attitüde eines Kindergartens für Alte vermisst man hier auf wohltuende Weise.

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